Die Funktion der über 12,5 ha großen, in der Spätantike prächtig ausgestatteten Villenanlage von Bruckneudorf (Burgenland), die von 1931–2003 vom ÖAI ergraben worden ist, steht immer noch zur Diskussion. In einem neuen Forschungsansatz gelang durch geophysikalische Prospektionen die Entdeckung von zehn weiteren Gebäuden im Villenareal, die ein neues Licht auf die diachrone Entwicklung und funktionale Bereiche des Baukomplexes werfen. Im aktuellen Plan der Gesamtanlage sticht vor allem ein Grabbau hervor, der als Mausoleum – wahrscheinlich ab tetrarchisch/constantinischer Zeit – die ›Welt der Toten‹ und die ›Welt der Lebenden‹ symbiotisch verbunden haben dürfte.

Topografie und Geschichte

Die fruchtbaren Ebenen des Carnuntiner Hinterlandes wurden seit der Bronzezeit intensiv genutzt. Ein besonderer Stellenwert kommt hier dem römischen Siedlungsplatz in Bruckneudorf (Burgenland) zu, der in nur 11 km Entfernung von der Carnuntiner Zivilstadt im Einzugsgebiet der Bernsteinstraße liegt. In Bruckneudorf entwickelte sich in einer vom Leithagebirge im Westen, dem Fluss Leitha im Norden und Osten sowie dem Neusiedlersee im Süden begrenzten Ebene eine Villenanlage, die schon bald eine zentralörtliche Funktion ausgeübt haben dürfte. Sie ist spätestens ab dem 2. Jahrhundert n Chr. von einer aus einzelnen Gebäuden mit Steinfundamentmauerwerk bestehenden Streusiedlung umgeben.

Der auf ursprünglich keltisch-boischem Gebiet errichtete Villenkomplex – für die Frühzeit ist das Grabmal des Marcus Cocceius Caupianus, eines pr(inceps) c(ivitatis) B(oiorum) nachgewiesen – wird in der mittleren Kaiserzeit zu einem von Mauern umfriedeten, 12,5 ha großen Wirtschaftsbetrieb ausgebaut. Für die Spätantike ist eine palastartige Gestaltung des zentralen Wohngebäudes mit reicher Mosaik- und Wandmalereiausstattung bezeugt, die gerne mit der Anwesenheit der kaiserlichen Familie des Valentinianus I in Carnuntum assoziiert wird.

 

Archäologische Feldforschungen

In der Villenanlage fanden – mit Unterbrechungen – von 1931–2003 vom ÖAI getragene archäologische Grabungen statt; der bislang vorliegende Gesamtplan mit mindestens 17 Einzelgebäuden oder Baugliedern fußt auf den Grabungen von Balduin Saria (1949–1955). Gerhard Langmann (1975–1978) und Heinz Zabehlicky (1994–2003) konzentrierten ihre Feldforschungen auf das zentrale Wohngebäude A. Außerhalb des Villenkomplexes erfolgten bereits 1851 Untersuchungen in einem spätantiken Gräberfeld und im Zuge des Autobahnbaus (A4/A6) großflächige, vom Bundesdenkmalamt betreute Grabungen in den Jahren 1990 sowie 2002–2004. Die Resultate geben Einblicke in die nördlich und nordwestlich der Villa gelegenen frühgeschichtlichen und römischen Baustrukturen sowie Nekropolen.

Was bis dahin fehlte, war eine Gesamtschau sowohl der Bauten im Villenareal als auch jener der näheren Umgebung, wie sie nur durch großflächige Grabungen oder aber non-invasive geophysikalische Prospektionen und GIS-gestützte Siedlungsanalysen generiert werden kann. Im Rahmen des neuen Projekts wurden geophysikalische Prospektionen auf einer Fläche von 9,5 ha mit Magnetik und 6,5 ha mit Georadar vorgenommen, mit dem Ziel, einerseits eine Kontrolle und lagemäßig neue Einmessung der Altbefunde zu gewähren und andererseits bislang als ›unverbaut‹ definierte Areale zu überprüfen.

Erste Ergebnisse des Forschungsprojekts

Die Prospektionsdaten erlauben nicht nur die lagerichtige Verortung der Altbefunde, sondern sogar eine neue Beurteilung des gesamten Villenkomplexes. Es konnten zehn weitere, im zentralen Areal der Villenanlage situierte, sich teilweise überlagernde Gebäude erkannt werden, deren divergierenden Orientierungen entweder auf eine diachron changierende Siedlungsentwicklung und/oder unterschiedliche Aktivitätsbereiche schließen lassen. Eine bedeutende Erkenntnis ist die Einbindung des bislang isoliert gesehenen Hauptgebäudes A (›Palast‹) in einen zentralen Gebäudekomplex der ›pars urbana‹. Dieser Bereich der Villa ist in Haupt- und Nebengebäude sowie ein oder mehrere von Portiken flankierte Innenhöfe samt Badeanlage gegliedert.

Von besonderem Interesse ist der Nachweis eines im Villenareal gelegenen Grabbaus, der, in Analogie zu Befunden in Italien und den römischen Provinzen, als Mausoleum angesprochen werden kann. Dieses Grabmonument wird zu einem noch nicht datierbaren Zeitpunkt in unmittelbarer Nähe des palastartigen Wohngebäudes errichtet und erlaubt somit einen Sichtkontakt zwischen Wohnraum und Grabdenkmal. Die ›Welt der Toten‹ und die ›Welt der Lebenden‹ dürften in dieser Zeit eine Symbiose eingegangen sein.

Weitere Erkenntnisse sind zu den Grundrissen der bereits dokumentierten Wirtschaftsgebäude der ›pars rustica‹, insbesondere dem weitläufigen Werkstättenareal L im Norden, beizusteuern, wo auch eine neue, Carnuntum zugewandte, monumental ausgestaltete Toranlage identifiziert werden konnte. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts werden eine Grundlage für weiterführende Aspekte innerhalb der Siedlungsarchäologie im Carnuntiner Hinterland bilden.

Projektleitung

Kooperation

Bundesdenkmalamt

Laufzeit

seit 2021

Finanzierung

ÖAW-ÖAI