Die römische Villa von Bruckneudorf und ihre boische Vorgängersiedlung werden in einem Langzeitforschungsprojekt des ÖAI untersucht. Der vom Land Burgenland initiierte Masterplan Archäologie bietet von 2024-2026 den Rahmen für intensive wissenschaftliche Analysen und den Wissenstransfer durch Stefan Groh und Helga Sedlmayer. Die zwei Forschungsschwerpunkte sind: Die keltische Siedlungstätigkeit im Raum Bruckneudorf (civitas Boiorum) des 1. bis frühen 2. Jahrhunderts n. Chr. zum einen und die spätantike Großvilla des 4. Jahrhunderts n. Chr. zum anderen.
Bruckneudorf (Burgenland) war bereits in der Antike ein Verkehrsknotenpunkt. In der Region, wo sich heute das Autobahndreieck A4/A6 befindet, baute man im ausgehenden 1. Jahrhundert n. Chr. eine Villa rustica. Der römische Fundus wurde in das traditionelle Gebiet der hier ansässigen Boiergemeinde (»civitas Boiorum«) implementiert. Die Boier siedelten südlich der Auen des Flusses Leitha in einfachen Grubenhäusern geringen Ausmaßes, im Verlauf des 1. Jahrhunderts n. Chr. sodann auch in großflächigeren Umgangshäusern. Entscheidend für die antike Prosperität bis zum Ausbau der Großvilla von Bruckneudorf am Kulminationspunkt im 4. Jahrhundert n. Chr. war die verkehrsgünstige Lage am Verlauf der Bernsteinstraße.
Die Funktion der über 12,5 ha großen, in der Spätantike prächtig ausgestatteten Villenanlage von Bruckneudorf (Burgenland), die von 1931–2003 vom ÖAI ergraben worden ist, steht immer noch zur Diskussion. In einem neuen Forschungsansatz gelang durch geophysikalische Prospektionen die Entdeckung von zehn weiteren Gebäuden im Villenareal, die ein neues Licht auf die diachrone Entwicklung und funktionale Bereiche des Baukomplexes werfen. Im aktualisierten Plan der Gesamtanlage sticht vor allem ein Grabbau hervor, der als Mausoleum – wahrscheinlich ab tetrarchisch/konstantinischer Zeit – die »Welt der Toten« und die ›Welt der Lebenden‹ symbiotisch verbunden haben dürfte.
Die fruchtbaren Ebenen des Carnuntiner Hinterlandes wurden seit der Bronzezeit intensiv genutzt. Ein besonderer Stellenwert kommt hier dem römischen Siedlungsplatz in Bruckneudorf (Burgenland) zu, der in nur 11 km Entfernung von der Carnuntiner Zivilstadt im Einzugsgebiet der Bernsteinstraße liegt. In Bruckneudorf entwickelte sich in einer vom Leithagebirge im Westen, dem Fluss Leitha im Norden und Osten sowie dem Neusiedlersee im Süden begrenzten Ebene am Rande einer boischen Siedlung eine Villenanlage, die schon bald eine zentralörtliche Funktion ausgeübt haben dürfte.
Der auf ursprünglich keltisch-boischem Gebiet errichtete Villenkomplex – für die Frühzeit ist das Grabmal des Marcus Cocceius Caupianus, eines pr(inceps) c(ivitatis) B(oiorum) nachgewiesen – wird in der mittleren Kaiserzeit zu einem von Mauern umfriedeten, 12,5 ha großen Wirtschaftsbetrieb ausgebaut. Für die Spätantike ist eine palastartige Gestaltung des zentralen Wohngebäudes mit reicher Mosaik- und Wandmalereiausstattung bezeugt, die gerne mit der Anwesenheit der kaiserlichen Familie des Valentinianus I. in Carnuntum assoziiert wird.
In der Villenanlage fanden mit Unterbrechungen von 1931 bis 2003 archäologische Grabungen des ÖAI statt. Der bislang vorliegende Gesamtplan mit mindestens 17 Einzelgebäuden oder Baugliedern fußt auf den Grabungen von Balduin Saria (1949–1955). Gerhard Langmann (1975–1978) und Heinrich Zabehlicky (1994–2003) konzentrierten ihre Feldforschungen auf das zentrale Wohngebäude A. Außerhalb des Villenkomplexes erfolgten bereits 1851 Untersuchungen in einem spätantiken Gräberfeld und im Zuge des Autobahnbaus (A4/A6) großflächige, vom Bundesdenkmalamt betreute Grabungen der boischen Siedlung und von Abschnitten der Großvilla in den Jahren 1990, 2002–2004 sowie 2020–2021.
Was bis dahin fehlte, war eine Gesamtschau sowohl der Bauten im Villenareal als auch jener der näheren Umgebung, wie sie nur durch großflächige Grabungen oder aber non-invasive geophysikalische Prospektionen und GIS-gestützte Siedlungsanalysen generiert werden kann. Im Rahmen des neuen Projekts wurden geophysikalische Prospektionen auf einer Fläche von 9,5 ha mit Magnetik und 6,5 ha mit Georadar vorgenommen, mit dem Ziel, einerseits eine Kontrolle und lagemäßig neue Einmessung der Altbefunde zu gewähren und andererseits bislang als »unverbaut« definierte Areale zu überprüfen.
Die Prospektionsdaten erlauben nicht nur die lagerichtige Verortung der Altbefunde, sondern sogar eine neue Beurteilung des gesamten Villenkomplexes. Es konnten zehn weitere, im zentralen Areal der Villenanlage situierte, sich teilweise überlagernde Gebäude erkannt werden, deren divergierenden Orientierungen entweder auf eine diachron changierende Siedlungsentwicklung und/oder unterschiedliche Aktivitätsbereiche schließen lassen. Eine bedeutende Erkenntnis ist die Einbindung des bislang isoliert gesehenen Hauptgebäudes in einen zentralen Gebäudekomplex der ›pars urbana‹. Dieser Bereich der Villa ist in Haupt- und Nebengebäude sowie ein oder mehrere von Portiken flankierte Innenhöfe samt Badeanlage gegliedert.
Von besonderem Interesse ist der Nachweis eines im Villenareal gelegenen Grabbaus, der, in Analogie zu Befunden in Italien und den römischen Provinzen, als Mausoleum angesprochen werden kann. Dieses Grabmonument wurde zu einem noch nicht datierbaren Zeitpunkt in unmittelbarer Nähe des palastartigen Wohngebäudes errichtet und erlaubt somit einen Sichtkontakt zwischen Wohnraum und Grabdenkmal. Die ›Welt der Toten‹ und die ›Welt der Lebenden‹ dürften in dieser Zeit eine Symbiose eingegangen sein.
Weitere Erkenntnisse sind zu den Grundrissen der bereits dokumentierten Wirtschaftsgebäude der ›pars rustica‹, insbesondere dem weitläufigen Werkstättenareal im Norden, beizusteuern, wo auch eine neue, Carnuntum zugewandte, monumental ausgestaltete Toranlage identifiziert werden konnte. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts werden eine Grundlage für weiterführende Aspekte innerhalb der Siedlungsarchäologie im Carnuntiner Hinterland bilden. Einen ersten Einblick liefert die populärwissenschaftliche Publikation »Villa – Wagen – Wirtschaftswunder. Römisches Bruckneudorf«von Stefan Groh und Helga Sedlmayer.