Aus interdisziplinärer Perspektive konzentriert sich das Projekt auf den Vergleich und die Analyse der Entwicklung irreligiöser Positionen und Ausdrucksformen des Zweifels in den antiken Mittelmeerreligionen, insbesondere im antiken Griechenland und Rom. Das Hauptziel besteht darin, zu untersuchen, wie Individuen im griechisch-römischen Kontext skeptische Positionen gegenüber religiösen Praktiken und Glaubensvorstellungen materialisierten.

In den letzten Jahren hat die Erforschung von Atheismus und Unglauben zugenommen, insbesondere im Rahmen der so genannten Non-Religion Studies. Postsäkulare Gesellschaften haben gezeigt, dass sich skeptische und ungläubige Positionen mit neuen spirituellen Ausdrucksformen vermischt haben, was das religiöse Feld spätmoderner Gesellschaften äußerst komplex macht. Diese sozio-religiöse Dynamik hat neue Wege der Untersuchung und Annäherung an religiöse Manifestationen hervorgebracht, die nicht nur die Methodologie der Religionswissenschaft verändert haben, sondern auch neue theoretische Vorschläge für die Untersuchung religionskritischer Positionen hervorgebracht haben. Neuere soziologische Veröffentlichungen, die sich auf die Untersuchung nichtreligiöser Positionen konzentrieren, haben gezeigt, dass neue Ansätze notwendig sind, um die enorme Variabilität von Positionen, die Religion in Frage stellen, zu verstehen. Sowohl kämpferische antireligiöse Äußerungen als auch Gleichgültigkeit gegenüber Religion haben zu einem Rückgang der Religionszugehörigkeit und des Besuchs von Gotteshäusern geführt, was im Kontext der religiösen (und nicht-religiösen) Pluralität, die die heutigen Gesellschaften kennzeichnet, analysiert werden muss. Interessanterweise hat diese Prämisse nicht nur die Art und Weise verändert, wie Atheismus und Unglaube heute erforscht werden, sondern auch neue Ansätze für die Untersuchung von Religionskritik in historischen Gesellschaften hervorgebracht. Jüngste Publikationen zur Geschichte des Atheismus zeigen, dass die Komplexität des Unglaubens, wie sie in empirischen Studien der Religionssoziologie deutlich wird, auch in historischen Studien zu Skepsis und religiösem Zweifel berücksichtigt werden muss. Genau diese Überschneidung zwischen zeitgenössischen postsäkularen Gesellschaften und der historischen Betrachtung von Atheismus und Unglauben strukturiert dieses Projekt.

In Fortführung einiger Ideen, die in der Dissertation »Unbelief in Self-World Relations. A Relational Approach to Atheistic Positions in Classical Athens« entwickelt wurden, zielt dieses Projekt darauf ab, die Manifestationen antiker ungläubiger Positionen aus einer materialistischen und phänomenologischen Perspektive zu analysieren und ungläubige Äußerungen als »Materialisierungen« spezifischer Weltbilder zu verstehen, die versuchen, normative Welt-Beziehungen herzustellen. Zu diesem Zweck wird vorgeschlagen, Religion im methodischen Rahmen des Ansatzes der »lived religion« zu analysieren, der in jüngster Zeit in der Alten Geschichte Anwendung gefunden hat. Aus dieser Perspektive sind Erzählungen, Körper und religiöse Objekte die Quellen, die analysiert werden müssen, um die Materialisierung der Welt-Beziehungen zu verstehen. Bei der Aushandlung dieser Beziehungen zur Welt können auch nichtreligiöse Positionen zur Sprache kommen. Daher konzentriert sich diese Untersuchung auf die hermeneutische Interpretation literarischer und epigraphischer Quellen in der antiken griechischen und römischen Religiosität. Ausgehend von der vorangegangenen Studie über atheistische Positionen im klassischen Athen wird vorgeschlagen, den zeitlichen Rahmen durch die Anwendung eines ähnlichen Ansatzes in den hellenistischen Schulen und im Kontext der römischen Religion zu erweitern.

 

Projektleitung

    Laufzeit

    ab 2023

    Finanzierung

    ÖAW-ÖAI