In Tell el-Dabʿa sind Schrift- und Bildquellen die große Ausnahme. Um daher Einblicke in ehemalige Kultpraktiken zu erlangen, können ausschließlich archäologische Relikte zu Rate gezogen werden. In dem großen Sakralbezirk in Areal A/II sind umfangreiche Ablagerungen erhalten, die in diesem Projekt näher untersucht werden und wichtige Einblicke in die kultischen Praktiken erlauben.

Bereits zu Beginn der Ausgrabungen des ÖAI in Tell el-Dabʿa/Avaris ab 1966 durch Manfred Bietak wurde in Areal A/II ein Sakralbezirk der 2. Zwischenzeit (Ende 18. – Mitte 16. Jh. v. Chr.) entdeckt. Dieser setzt sich aus zwei syrisch-palästinensischen Tempeln, zwei ägyptischen Tempeln und einem Haus für kultische Mahlzeiten zusammen (zum architektonischen Befund s. Projekte von M. Bietak). Sie spiegeln somit die für Tell el-Dabʿa/Avaris, der Hauptstadt der Hyksos, typische Mischbevölkerung mit ihren jeweiligen religiösen Praktiken wider. Bereits die Analyse der auf den Tempelvorplätzen eingetieften Opfergruben (Dissertation V. Müller 1996, Publikation 2008) erbrachte hier praktizierte Kultaktivitäten, die sich noch bis in das frühe Neue Reich (2. Hälfte 15. Jh. v. Chr.) fortsetzten. Diese belegen somit, dass auch nach der Eroberung von Avaris durch die oberägyptischen Thebaner an diesem Ort die alte levantinischen Kultbräuche fortgesetzt wurden.

Den ägyptischen Tempeln ist jeweils ein Friedhof angeschlossen, sodass diese wohl weitgehend mit dem Totenkult in Verbindung zu stehen scheinen. Die syrisch-palästinensischen Tempel scheinen hingegen vorwiegend dem Götterkult vorbehalten gewesen zu sein. Nur die Mauern des ägyptischen Tempels I waren noch so hoch erhalten, dass ehemaliges Tempelinventar in Form von Keramikgefäßen angetroffen wurden. Dieser Bereich wurde 1991 von Manfred Bietak in einer umfangreichen Publikation vorgelegt (Tell el-Dabʿa V). Die anderen Tempel konnten hingegen nur noch teilweise in ihren Fundamentmauern erfasst werden, sodass sich über das ehemalige Inventar nichts mehr aussagen lässt. Allerdings blieben stellenweise auf den Tempelvorplätzen, auf denen sich jeweils ein aufgemauerter Brandopferaltar befunden hatet, umfangreiche Ablagerungen von Keramikgefäßen und Tierknochen erhalten, die Einblicke in die hier praktizierten Kulthandlungen erlauben.

Projektleitung

  • Manfred Bietak

Kooperation

Joris Peters (Ludwig-Maximilians-Universität München)