Inschriften auf Stein, Bronze und Ton stellen für die Rechtsgeschichte des antiken griechischen Raumes neben den literarischen Texten die wichtigste Quellengattung dar. Die dokumentarische Überlieferung steht seit einigen Jahrzehnten wieder vermehrt im Mittelpunkt der Forschung. Epigrafische Zeugnisse unterrichten gleichermaßen über Privatrecht wie öffentliches Recht, über prozessuale und materielle Vorschriften, die Verfassung und Verwaltung antiker Städte sowie das zwischenstaatliche Recht. 

Auch das Funktionieren von Vereinigungen und Kollegien bliebe ohne diese direkten Zeugnisse im Dunkeln. Die Arbeit in der Forschungsgruppe »Antike Rechtsgeschichte« konzentriert sich auf die prozessrechtlichen Inschriften der griechischen Poleis, deren Neuedition und Kommentierung als Sach-Corpus auf Anregung von Hans Julius Wolff unter dem Obmann Walter Selb begonnen wurde. Durch das Verständnis des Ablaufs verschiedener öffentlicher und privater Gerichtsverfahren und der Administration des Justizwesens innerhalb der antiken Polis sind oftmals auch wertvolle Erkenntnisse zu deren politischen und sozialen Verhältnissen möglich. Dabei versteht sich die Antike Rechtsgeschichte nicht als isoliertes Fach, sondern als Teil der Altertumswissenschaften. Die enge Verbindung zwischen der juristischen und historischen Forschung ist gerade in der Forschungsgruppe »Antike Rechtsgeschichte« sowohl personell als auch in den verschiedenen Vorhaben verwirklicht. 

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Erforschung des griechischen Rechts – abgesehen von der Papyrologie – immer mehr von einem zunächst beinahe ausschließlich auf Athen konzentrierten und mit den literarischen Quellen arbeitenden Wissenschaftszweig zu einem der Kernforschungsbereiche der griechischen Epigrafik entwickelt. Die Fülle von Texten, die aus den griechischen Städten bereits publiziert sind, wird kontinuierlich durch Neufunde erweitert. Den Mitgliedern und Mitarbeiter*innen der Forschungsgruppe »Antike Rechtsgeschichte« wird dabei oft die Möglichkeit geboten, noch unpubliziertes Material sichten zu können und an der Erstedition mitzuwirken. Neben der Einzelinterpretation der Texte stehen vermehrt auch Fragen nach den grundlegenden Prinzipien des griechischen Rechts und die stets aktuelle Debatte um dessen Einheit oder Vielfalt im Mittelpunkt. 

Die Serie der Kommentare zu den epigrafischen Zeugnissen für das Prozessrecht der griechischen Polis wurde 1978 und 1981 mit zwei Einzelstudien zu Texten aus Samos eröffnet, 1994 wurde der erste Sammelband »Arkadien« (G. Thür/H. Taeuber) publiziert. Derzeit werden die Inschriften der Argolis für den Druck vorbereitet (G. Thür/K. Harter-Uibopuu), daneben laufen Arbeiten an dem Großprojekt Athen (G. Thür/K. Harter-Uibopuu).

Seit 2010 wird ein Forschungsprojekt des FWF »Sepulkralmulten im griechisch-römischen Kleinasien« unter der Leitung von Kaja Harter-Uibopuu durchgeführt, das sich der ausführlichen rechtshistorischen Analyse der kaiserzeitlichen Grabinschriften Westkleinasiens widmet.