Die Rekonstruktion der Wandmalerei Szenen aus tausenden Putzfragmenten ist Gegenstand dieses Projekts. Nur etwa 5‒20 % des einstigen Wandprogramms sind erhalten. Unter Zuhilfenahme des Corpus minoischer und mykenischer Kunst inklusive der Kleinkunst und der Glyptik werden die Fresken rekonstruiert.

Zwei der thutmosidischen Paläste der berühmten altägyptischen Flottenstation Peru-nefer (bei Tell el-Dab‘a/‘Ezbet Helmi im östlichen Nildelta), welche in die Regierungszeiten von Thutmosis III. und Amenophis II. datieren, waren mit minoischen Fresken ausgestattet (s. Projekt »Altägyptische Paläste«). Sie fanden sich leider nicht mehr in situ auf den Wänden, sondern waren, da auf hartem Kalkputz gemalt, der für die Lehmziegelwände des Palastes ungeeignet war, infolge des Schrumpfungsprozesses der Lehmziegelwände abgeblättert und auf den Boden gefallen. Von dort wurden sie aufgesammelt, aus dem Palast getragen und die Landung der Aufgangsrampe hinuntergekippt sowie auch die Rampe hinabgetragen und unweit ihres Beginns in zahlreichen Abfallhaufen entsorgt.

Die Rekonstruktion der Wandmalereiszenen aus tausenden Putzfragmenten ist eine Herausforderung ersten Ranges. Nur etwa 5‒20 % des einstigen Wandprogramms sind erhalten. Mit bester Kenntnis des gesamten Korpus minoischer und mykenischer Kunst inklusive der Kleinkunst und der Glyptik werden die Fresken rekonstruiert. Dies erfordert ein Team der besten Spezialist*innen dieser Sparte ägäischer Kunst. Die Restaurations- und Rekonstruktionsarbeiten werden Jahre bis Jahrzehnte in Anspruch nehmen.

Die Wandmalereien datieren in die erste Hälfte der Regierungszeit Thutmosis’ III. Ihr unerwartetes Auftreten in Ägypten ist als Ausdruck einer Trendwelle im ostmediterranen Bereich zu sehen, minoische herrschaftliche Themen als symbolträchtige Bilder zur Ausschmückung von Palastanlagen zu übernehmen. Wir finden minoische und minoisierende Fresken in Palästen in Alalach, Qatna, Kabri und nunmehr im nördlichen Ägypten in der bedeutendsten Hafenstadt Ägyptens. Die Ausschmückung der Palastanlagen in Peru-nefer geht einher mit dem Auftreten von Darstellungen kretischer Delegationen mit Prestigegütern in Elitegräbern der Residenznekropole in Theben. Zur gleichen Zeit macht sich auch ein deutlicher Einfluss minoischer Kunst, sowohl in Bezug auf Ornamente als auch im Stile der thebanischen Grabmalerei, in der Komposition und in der Bewegung der Tiere, wie natürlicher Trab und fliegender Galopp, bemerkbar.

Die Malereien in den genannten thutmosidischen Palästen sind auf zum Teil hochpoliertem Kalkputz noch in feuchtem Zustand aufgetragen – eine Technik, die in Ägypten bis dahin unbekannt war und aus der Ägäis stammte. Weitere technische Details wie Schnurabdrücke zur Einteilung der Wand und die Verwendung von Schablonen mit Griffel, um gleich bleibende Figuren auf der feuchten Putzwand vorzuzeichnen, weisen abermals deutlich auf den Ursprung der Malerschulen im ägäischen Raum hin. Ebenso sind Farbkonventionen wie die Verwendung von Blau statt Grün oder Blau statt Grau und Schwarz für die minoische Kunst typisch.

Anders als in den anderen minoischen Malereien im ostmediterranen Raum sind in den Fresken von ‘Ezbet Helmi Themen vertreten, die nur aus dem palatialen Zusammenhang von Knossos bekannt sind. Zu diesen Motiven zählen der Halbrosettenfries – wohl ein Emblem des Palastes von Knossos – und emblematische Tiere wie ein Greif mit Flügeln, in derselben Größe wie im Palast von Knossos, sowie ein Löwe und ein Leopard. Diese sind vermutlich im Thronraum des Palastes F zu rekonstruieren. Außerdem sind in kleinem Format zwei aneinandergereihte Friese von Stierspringern und Stierringern erkennbar, wobei eine Szene gegen den Hintergrund eines Labyrinthes und die andere gegen den Hintergrund einer Felslandschaft komponiert wurden. Da Stierszenen in der Wandmalerei bisher, wenn man von den spätmykenischen Palästen absieht, nur im Palast von Knossos bekannt sind, wird es mehr und mehr deutlich, dass in dieser Zeit ein direkter Bezug zwischen dem ägyptischen Hof und dem Hof von Knossos existierte, der auch für den starken minoischen Einfluss in der ägyptischen Kunst verantwortlich war.

Zu den weiteren Motiven in den thutmosidischen Palästen von Peru-nefer zählen Feliden wie Leoparden, welche Damwild jagen, oder Löwen, die Huftiere wie Wildstiere verfolgen und reißen. Außerdem gibt es auch Menschen, die mit Hunden Wildtiere, darunter Akrimis, jagen; vielleicht sind sie es auch, die den Feliden nachstellen und auf diese Weise die Hierarchie in der Natur – ein Motiv im Vorderen Orient und der Ägäis – in der höfischen Kunst festhalten. Daneben finden sich auch rituelle Szenen vor dem Hintergrund von gemalten Steinfassaden. Abgesehen von diesen kleinformatigen Szenen sind auch Reste großformatiger Darstellungen von Menschen und Tieren, darunter Rinder und die erwähnten Löwen und Leoparden, erkennbar. Beachtenswert ist die lebensgroße Darstellung einer Frau in einem Reifrock mit silbernen Winkelreifen an den Beinen. Es ist unklar, ob es sich um die Darstellung einer Adorantin, einer hohen Dame oder einer Göttin handelt.

Besonders bemerkenswert sind schließlich Stuckreliefs mit Darstellungen von Stieren, Löwen oder Greifen und möglicherweise von Athleten, darunter auch die Erscheinungsszene eines Jünglings, der einen Stab in der ausgestreckten Hand hält – ein auch aus der Glyptik bekanntes Motiv. Stuckreliefs weisen abermals auf Beziehungen zum Hof von Knossos hin.

Im Zusammenhang mit der deutlich erkennbaren Verbindung der Paläste von Peru-nefer (Tell el-Dab‘a/‘Ezbet Helmi) zur minoischen Welt, insbesondere mit Knossos, ist auch an den British Museum Papyrus EA10056 zu denken. Dieser nennt neben Arbeiten an Schiffen in den Docks der Flottenstation Peru-nefer auch Keftiu-Schiffe, die von der Ägyptologie bisher als kretischer Schiffstyp aufgefasst wurden. Im Zusammenhang mit den minoischen Fresken ist nunmehr ernsthaft an original kretische Schiffe zu denken, die in der ägyptischen Flottenstation überholt wurden. Es scheint, als ob Ägypten in der Thutmosidenzeit die Nähe zur minoischen Thalassokratie gesucht habe, um die strategisch notwendige Entwicklung von einer Binnenmacht zu einer Seemacht zu fördern.

Projektleitung

    • Manfred Bietak
    • Constance von Rüden (Ruhr-Universität Bochum)

    Finanzierung

    • Institute of Aegean Prehistory, Philadelphia (INSTAP)
    • Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)