Der mittlere Donauraum zählt mit seinen zahlreichen Freilandfundstellen zu den bedeutendsten europäischen Fundzonen der jüngeren Altsteinzeit. Durch Untersuchungen der Forschungsgruppe Quartärarchäologie konnte diese Paläolithfundlandschaft im Jahr 2014 mit dem Fundort Gösing-Setzergraben um eine weitere Station ergänzt werden. Im Zuge von Bauarbeiten wurde südwestlich der Gemeinde Gösing am Wagram ein ausgeprägter gravettienzeitlicher Begehungshorizont nachgewiesen.

Erste paläolithische Funde im Gebiet um Gösing am Wagram sind bereits aus dem 19. Jahrhundert bekannt. Besonders fundreich zeigte sich der nach Süden Richtung Donau hin abfallende Bereich um die beiden Hohlwege ›Pfundberggraben‹ und ›Setzergraben‹ südwestlich des Ortskernes. Hier wurden beim Ausbaggern einer etwa 3 × 3 m großen und 2 m tiefen Baugrube im August 2014 mehrere Kulturschichten angeschnitten und zerstört. Im Verlauf der anschließenden Untersuchungen unter der Leitung von Thomas Einwögerer konnte eine Abfolge von insgesamt vier Kulturschichten dokumentiert werden, wobei sich der oberste Horizont AH 1 am deutlichsten ausgeprägt zeigte. In der Nordostecke der Baugrube konnten in dieser Schicht noch Reste einer in situ erhaltenen, mehrphasigen Feuerstelle dokumentiert werden. 14C-Datierungen an Holzkohlen dieser Herdstelle erbrachten ein Alter von 26550 ± 80 und 26790 ± 90 Jahren BP. Mehrere in den Baugrubenprofilen sichtbare, gebrannte Sedimentbereiche lassen auf mögliche weitere Feuerstellen schließen. Die drei tiefer liegenden archäologischen Horizonte zeichneten sich als dünne, von Holzkohleflittern geprägte Schichten ab und beinhalteten nur vereinzelte Funde.

Das unkontrolliert ausgebaggerte Sediment im Ausmaß von etwa 15 m³ wurde nachträglich geschlämmt. Das Fundmaterial setzt sich aus gebrannten Steinplattenfragmenten, vielen Holzkohlen und Farbstoffen, einer relativ geringen Menge an Faunamaterial, wenigen Serpuliden (fossilen Wurmröhren) sowie einer großen Anzahl an Silices zusammen.

Das Silexinventar umfasst insgesamt 3612 Artefakte, die größtenteils aus importiertem, erratischem Flint gefertigt wurden. Lokale lithische Rohstoffe liegen dagegen nur als einzelne Stücke vor. Die Rohmaterialverteilung des Ensembles steht damit in starkem Kontrast zu bisher bekannten gravettienzeitlichen Inventaren aus dem niederösterreichischen Donauraum, etwa aus dem nahe gelegenen Fundortcluster Krems-Wachtberg, wo lokale Rohmaterialien aus Flussschottern dominieren.

Die Grundformproduktion erfolgte an Kernen, die bereits angetestet und teilweise entrindet an den Lagerplatz eingebracht oder anderswo an der Fundstelle außerhalb des untersuchten Bereiches vorpräpariert wurden. Langschmale Klingen stellten dabei die wesentlichen Zielprodukte des Kernabbaues dar. Das Werkzeugspektrum ist neben kantenretuschierten Stücken größtenteils durch mikrolithische, rückengestumpfte Formen wie Rückenmesser und Mikrosägen charakterisiert. Auffallend ist die geringe Typendiversität im Ensemble. Die Herstellung von modifizierten Stücken beschränkte sich auf wenige Typenkategorien und ist durch einen hohen Spezialisierungsgrad gekennzeichnet.

Anhand der techno-typologischen Analysen des Silexinventars und der vorliegenden 14C-Datierungen kann die chronologisch-kulturelle Stellung des Fundinventars als gesichert gelten und lässt eine Einordnung der obersten Kulturschicht AH 1 in das Pavlovien, eine Regionalgruppe des Gravettien, zu. Dies unterstreicht die Relevanz des mitteleuropäischen Donauraumes als bedeutende jungpaläolithische Fundlandschaft im Allgemeinen sowie die Rolle der Region als südwestliches Begehungsareal im Rahmen der pavlovienzeitlichen Landnutzung im Speziellen. Wenngleich die Umstände der Fundbergung Rückschlüsse auf die räumliche Organisation und Funktionalität der Fundstelle Gösing-Setzergraben erheblich einschränken, können die anhand des Silexinventars nachgewiesenen unterschiedlichen Muster der Rohmaterialversorgung an chronologisch und räumlich in engem Kontext stehenden Fundstellen zu einem besseren Verständnis von Subsistenzstrategien, Landnutzungsmustern und Fernnetzwerken während des frühen Gravettien im mittleren Donauraum beitragen.

 

 

Projektleitung

Laufzeit

seit 2014