DiAGRAM – Digitising Aspects of Graphical Representation in Ancient Music

Seit Beginn des Internetzeitalters haben Altertumswissenschafter*innen nach Wegen gesucht, wie man die neuen technischen Möglichkeiten am besten nutzen könnte, um das Erbe der Antike besser zugänglich zu machen, als es die Buchform erlaubt. Eine besondere Herausforderung stellt dabei die Darstellung komplexer Überlieferungsstränge dar – etwa wenn ein antiker Text über viele Jahrhunderte händisch abgeschrieben wurde, wobei kein Exemplar dem anderen ganz gleicht. Unser Projekt nimmt sich eines besonders spannenden Themas an: der erhaltenen antiken Melodien. Anders als herkömmliche Texte besteht auch die antike Musiknotation nicht einfach aus einer eindimensionalen Serie von Zeichen, sondern verteilt den Liedtext, die eigentlichen Noten und rhythmische Zeichen über die zwei Dimensionen der Schreibfläche.

Um die Komplexität zu erfassen, müssen wir zunächst passende Dateistandards definieren und die nötige Software schreiben, um damit alle bekannten Musikfragmente der hellenistischen und römischen Zeit in einer Online-Edition zu erfassen. Diese wird nicht nur Übertragungen in moderne Notenschrift und einen Kommentar bereitstellen, sondern auch die Möglichkeit, die Melodien einer lang vergangenen Epoche in der korrekten Tonhöhe anzuhören, und zwar unter Verwendung der raffinierten Instrumentenstimmungen, die von zeitgenössischen Autoren überliefert wurden. Die zugrundeliegende vollständige Datenbank antiker Musik wird zugleich eine unverzichtbare Grundlage für künftige Forschungen liefern. Zusätzlich erstellen wir eine neue Ausgabe eines antiken Musikschulbuchs – eines der wenigen, die ganz selbstverständlich auf Notenzeichen zurückgreifen und so zeigen, dass deren Kenntnis offenbar durchaus weit verbreitet war.

Die Arbeit an der Software, die antike Notation in ein modernes Notenbild überführt, wird uns dazu zwingen, das Verhältnis von Notation und Musikpraxis präzise zu definieren: Welche Aspekte waren tatsächlich kodiert, und welche mussten von den Aufführenden aus ihrem Vorverständnis oder ihrer eigenen Kreativität ergänzt werden? Wird es sich zum Beispiel als möglich erweisen, alle Beispiele für Rhythmuszeichen mit einer einheitlichen Computerroutine zu interpretieren, oder werden wir letztlich zum Schluss kommen müssen, dass die antiken Komponist*innen hier selbst noch kein ganz kohärentes System etabliert hatten?