Stress hat einen erheblichen Einfluss auf Gesundheit, Wohlbefinden und die Lebenserfahrung. Die Bewertung von Stress in der Vergangenheit ist jedoch schwierig, da sich Stress-Biomarker in Weichteilgeweben im Laufe der Zeit abbauen. Kürzlich wurde das »Stresshormon« Cortisol sowohl in Zähnen lebender Menschen als auch in archäologischen Kontexten nachgewiesen. DE-STRESS entwickelt Methoden zur Bestimmung von Cortisol in Zähnen, um Stresserfahrungen über verschiedene Zeiträume hinweg zu rekonstruieren - von mittelalterlichen Bevölkerungsgruppen, einschließlich Pestopfern, bis hin zu Menschen der Gegenwart.

Stress in der Vergangenheit

Obwohl Stress nahezu jeden Aspekt unseres Lebens beeinflussen kann, stellt die Erkennung und Interpretation von Stress in der Vergangenheit eine Herausforderung dar. In Studien an lebenden Populationen spiegeln die klassischen Messverfahren nur die jüngsten Erfahrungen wider, die einige Stunden bis einige Wochen zurückliegen. Stressanalysen an prähistorischen Populationen erfordern einen sehr guten Erhaltungszustand des zu untersuchenden Skeletts. Üblicherweise werden im Rahmen dieser Analysen Knochen und Zähne auf bestimmte Veränderungen und Verletzungen untersucht. Diese Merkmale sind oft schwierig zu interpretieren, da es sich um unspezifische und indirekte Indikatoren für Stress handelt, die möglicherweise das Vorhandensein von »gestressten« Individuen verschleiern. Daher sind neue Methoden und Konzepte erforderlich, um die Untersuchung der Lebensbedingungen und der Erfahrung von Stress in der Vergangenheit voranzutreiben.

Gesundheit, Stress und Cortisol

Cortisol ist ein Glucocorticoid-Hormon, das als Reaktion auf Stressfaktoren gebildet wird und Veränderungen in mehreren Körpersystemen auslöst, darunter die Unterdrückung von Immunreaktion Entzündungen. Daher fungiert Cortisol als primärer Pfad, über den externe Stressoren im Körper verinnerlicht werden und Gesundheit und Wohlbefinden beeinträchtigen. Da die Cortisolkonzentration bei Stress ansteigt, wird Cortisol im Allgemeinen in Blut, Speichel und Haaren von lebenden Menschen und Tieren als sensitiver Indikator für kürzlich erlebte Stresserfahrung bestimmt. Diese Gewebe werden jedoch schnell abgebaut und sind für Archäolog:innen und Anthropolog:innen, die sich üblicherweise mit Skeletten befassen, nicht verfügbar. Auch die Analyse von pränatalem Stress, Stress in der frühen Kindheit oder länger zurückliegendem Stress in lebenden Populationen wird hierdurch unmöglich. Somit haben rezente wie auch archäologische Studien ein gemeinsames Problem, nämlich den Zugang zu einer wirksamen Methode für die Analyse von länger zurückliegenden Stresserfahrungen.

Zähne haben Vorteile

In jüngsten Forschungsarbeiten konnte Cortisol erfolgreich in Zähnen von lebenden sowie archäologischen Populationen nachgewiesen werden. Zahngewebe speichert während seiner Entwicklung die Auswirkungen verschiedener Umwelteinflüsse. Da die Entwicklung der Zähne bereits im Mutterleib beginnt, speichern sie wichtige Informationen über frühkindliche Lebensbedingungen. Außerdem erhalten sich Zähne in archäologischen Kontexten sehr gut und stellen somit für die Analyse von Stress ein wichtiges Archiv dar. DE-STRESS entwickelt Methoden zur Messung von Cortisol in Zähnen und zielt damit darauf die aktuellen Herausforderungen in der Erforschung von Stresserfahrungen zu überwinden, sowohl im individuellen Lebensverlauf als auch breiteren Zeithorizonten, in lebenden wie in archäologischen Populationen.

St. Pölten-Domplatz, ein mittelalterlicher Friedhof

DE-STRESS untersucht Stress bei Personen, die auf dem städtischen Friedhof St. Pölten-Domplatz (ca. 9. Jahrhundert n. Chr. bis 1779) beigesetzt wurden. Ziel ist es, die Variation der dentalen Cortisolkonzentrationen der mittelalterlichen Individuen mit deren Stresserfahrung zu korrelieren. Zusätzlich zu den Einzelgräbern weist der Friedhof mehrere Massengräber auf, von denen man annimmt, dass sie mit einer Pestepidemie (dem Schwarzen Tod) in Zusammenhang stehen. Dentales Cortisol wird bei Individuen, die in Einzel- und Massengräbern beigesetzt wurden, analysiert, um die Auswirkungen von frühkindlichem Stress auf den Krankheitsverlauf bei Pestinfektionen zu erforschen.

Zeitgenössische Populationen

DE-STRESS wird in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Universität Wien und dem Dunn Lab an der Purdue University (USA) auch die Beziehung zwischen Stress und Cortisol in Zähnen lebender Personen untersuchen. Diese Forschung hat das Potenzial, neue Ansätze zum Verständnis der Auswirkungen von Stress auf die Knochenbildung in vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Populationen zu eröffnen.

Projektleitung
Kooperationen
Laufzeit

01/2025-01/2027

Finanzierung
  • Marie Skłodowska-Curie Postdoctoral Fellowship, Project number: 101149256