Für staatliche Bauprojekte waren in der späten Habsburgermonarchie und in der Ersten Republik Österreich das Ministerium für öffentliche Arbeiten (MföA, 1908–1918) und das Bundesministerium für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten (BMfH, gegründet 1920) zuständig. Beide Behörden wurden von der architekturhistorischen Forschung bisher nie als selbständige Institutionen hinsichtlich der Organisationsstruktur in Bauangelegenheiten, der Entscheidungsprozesse, der involvierten Personen und der ausverhandelten architektonischen Konzepte untersucht. Ziel des Forschungsprojekts ist der erstmalige Einblick in die architektonische Tätigkeit beider Ministerien für den Raum Wien um besser zu verstehen, wie die späte Habsburgermonarchie und die Erste Republik ihre Staatlichkeit im Mittel der Architektur ausdrücken wollten und konnten.

Problemstellung

Für staatliche Bauprojekte, seien es Neubauten oder Erhaltungsmaßnahmen, waren in den letzten Jahren der Habsburgermonarchie und in der österreichischen Ersten Republik zwei Ministerien zuständig: das Ministerium für öffentliche Arbeiten (MföA), das von 1908 bis 1918 existierte, und das Bundesministerium für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten (BMfH), das ab 1920 offiziell amtierte. Für das Bauwesen wurde dem MföA v. a. jene Bauabteilung des Innenministeriums inkorporiert, die bei der Anlage der Wiener Ringstraße mit der Verwirklichung einer Reihe von prestigeträchtigen öffentlichen Bauten (etwa dem Hauptgebäude der Universität) beschäftigt gewesen war, sich aber auch mit weniger prominenten Bauten abseits dieses Prachtboulevards befasst hatte bzw. sich im Rahmen des neuen Ministeriums darum kümmerte (etwa den Universitätsbauten der medizinischen und naturwissenschaftlichen Fakultäten an der Währingerstraße). Ab 1908 gab es nun ein eigenes Ministerium, das für alle öffentlichen Bauvorhaben in der cisleithanischen Reichshälfte zuständig war.

Nach 1918 bzw. mit der Neuschaffung des BMfH im Jahr 1920 übernahm dieses Amt die Verantwortung im Bereich öffentlichen Bauens. Trotz der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen infolge des historischen Umbruchs des Jahres 1918 gab es eine auffällige Kontinuität in Bezug auf das Verwaltungssystem: Zahlreiche Projekte wurden noch in der Monarchie begonnen und erst Jahre später in der Ersten Republik fertiggestellt. Innerhalb des ersten Jahrzehnts des jungen Staates konzentrierte man sich in der Hauptstadt Wien vor allem auf den Ausbau wissenschaftlicher Bildungseinrichtungen, die das MföA bereits teilweise begonnen hatte, wie etwa den Umbau der neurologischen und histologischen Institute oder den Neubau der physikalischen Institute der Universität Wien im 9. Bezirk sowie einen Institutsneubau für die Technische Universität in Wien 6. Die prekäre wirtschaftliche Lage brachte mit sich, dass im Allgemeinen weniger Neubauten als vielmehr Um- und Ausbauten sowie weitreichende Adaptierungen und Umnutzungen im Zentrum der staatlichen Bautätigkeit standen. Nach derzeitigem Forschungsstand scheint es daher, als habe der Staat im ersten Jahrzehnt nach 1918 keinen realen Ausdruck in der Architektur Wiens gefunden. Jedoch weisen einzelne, Papier gebliebene Projekte von teils außergewöhnlicher architektonischer Qualität (z. B. Turnhallenbau für die Universität Wien, 1930) darauf hin, dass gerade aus den nicht realisierten Bauten wichtige Erkenntnisse über die staatliche Architektur dieser Jahre und ihr architektursemantisches Potential gewonnen werden können. Eine Sichtung dieser Projekte in Hinblick auf diese Frage fehlt bislang gänzlich.

Forschungsstand

Das MföA fand in der architekturhistorischen Forschung bisher vor allem im Zusammenhang mit Architektenbiografien Beachtung (siehe hier besonders das Architektenlexikon Wien 1770–1945 des Architekturzentrum Wien), dabei jedoch meistens nur in der Erwähnung als Arbeit- oder Auftraggeber, nie als selbständig agierende Institution. Einen verwaltungsgeschichtlichen Überblick zum Ministerium als Administrationsbehörde lieferte Walter Goldinger. Anlassbezogen erwähnt wurde das MföA bei der monographischen Behandlung einzelner Bauten, Baugruppen oder Architekten. Eine systematische kunstwissenschaftliche Untersuchung der Aktivitäten dieses Ministeriums im Bereich der Architektur (etwa seiner Organisationsstruktur in Bauangelegenheiten, der Entscheidungsprozesse bei Bauprojekten, der involvierten Personenkreise und der ausverhandelten architektonischen Ideen und Konzepte) hat bisher nicht stattgefunden.

Das gleiche gilt für das BMfH: Während wir durch zahlreiche Forschungen, Studien und Publikationen – gerade erst wieder im Jahr 2019 durch die Ausstellungen anlässlich des Jubiläums “100 Jahre Rotes Wien” – detaillierte Kenntnisse über die Bautätigkeit der Gemeinde Wien haben, sind die Bauten und Projekte von staatlicher Seite der 1920er- und frühen 1930er-Jahre bislang nicht bzw. nur peripher untersucht worden. Im Gegensatz dazu liegen für die darauffolgenden Jahre des Austrofaschismus mehrere Publikationen vor.

Ziele und Fragestellungen

Übergeordnetes Ziel des Projekts ist es, erstmals einen Einblick in die architektonische Tätigkeit beider Ministerien zu geben und ihren Einfluss auf staatliche Bauvorhaben bis zum Ende der Ersten Republik quantitativ wie qualitativ zu untersuchen. Konkretes Ziel ist es dabei, diesen Themenkomplex anhand der Bauten und Bauprojekte für die Hauptstadt Wien im Zeitraum von 1908 bis 1933/34 in Form einer systematischen Daten-Auflistung darzustellen, die als Ausgangsbasis für weitere Forschungen dienen soll.

Mit unserem Projekt wollen wir auf Grundlage systematischen Quellenstudiums zum klareren Verständnis beitragen, wie die späte Habsburgermonarchie und die Erste Republik ihre Staatlichkeit mit den Mitteln der Architektur ausdrücken wollten und konnten. Ein Blick in Nachbarländer wie Deutschland zeigt, dass gerade Forschungen wie die von Christian Welzbacher in diesem Bereich weitreichende, neue Erkenntnisse bringen. In der Gegenüberstellung der Tätigkeit der beiden Ministerien vor und  nach dem politisch entscheidenden Datum 1918 stellen wir die Frage nach der Bedeutung der Zäsur des Ersten Weltkriegs, nach der Ambivalenz von Kontinuitäten und Brüchen im Prozess der jeweiligen Projektentwicklung, Entscheidungsfindung und in Folge der eingesetzten architektonischen Sprache (“modern” versus “traditionell/konservativ”). Verschob sich durch die Zäsur von 1918 die vordringliche Aufmerksamkeit vom repräsentativen, palastartigen Monumentalbau zum vereinheitlichten, unspektakulären Erscheinungsbild von Verwaltungs- und Infrastrukturbauten oder fand “nur” eine stärkere Berücksichtigung der letzteren statt? Wer waren die Baubeamten der beiden Ministerien, die als ausgebildete Architekten, Ingenieure oder Verwaltungspersonal die Strategien staatlicher Repräsentation auf dem Feld der Architektur maßgeblich mitverhandelten und entscheidend beeinflussten?

Kontakt

Dr. Richard Kurdiovsky


Freie Mitarbeiterin

Dr. Anna Stuhlpfarrer


Laufzeit

August 2020 – Oktober 2021


Finanzierung

Stadt Wien, MA 7 – Kultur, Wissenschafts- und Forschungsförderung