Die Wiener Hofburg zählt zu den historisch und künstlerisch bedeutendsten Profanbaukomplexen Europas. Als Regierungssitz der Herzöge und Erzherzöge von Österreich, der römisch-deutschen Könige und Kaiser sowie der Kaiser von Österreich stand sie vom 13. Jahrhundert bis 1918 im Mittelpunkt europäischer Politik. Die zentrale Position der Hofburg spiegelt sich auch in ihrer baulichen Entwicklung wider: von der mittelalterlichen Kastellburg des Schweizertraktes führt sie über Palastbauten der Renaissance und des 17. Jahrhunderts (Amalienburg, Stallburg und Leopoldinischer Trakt) zu den großen, nur zum Teil realisierten Ausbauprojekten unter Kaiser Karl VI. (Hofbibliothek, Hofstallungen, Reichskanzleitrakt, Winterreitschule, Michaelertrakt) und Maria Theresia im 18. Jahrhundert. Mit dem nie vollendeten „Kaiserforum“ wurde schließlich im 19. Jahrhundert versucht, die Hofburg dem neu geschaffenen urbanen Kontext der Ringstraße zu integrieren. Dennoch erhielt die Hofburg nie ein einheitliches Erscheinungsbild; beinahe alle Planungen, die in diese Richtung tendierten, blieben Papier. Dies gilt auch für die Projekte, die nach 1918 bis in die 1940er Jahre entstanden.

Die architektonische und städtebauliche Komplexität der Hofburg hat die Kommission für Kunstgeschichte der ÖAW (seit 2013 Abteilung Kunstgeschichte des IKM) zum Anlass genommen, ein groß angelegtes Forschungsprojekt zu entwickeln. Die sieben Jahrhunderte umfassende, komplexe Planungs- und Baugeschichte der Wiener Residenz machte eine Teilung des Großprojektes in fünf Forscherteams notwendig (siehe rechts). Rund 30 WissenschafterInnen – KunsthistorikerInnen, BauarchäologInnen, HistorikerInnen, Gartenhistoriker und FilmwissenchafterInnen – untersuchen breit angelegte Themenkreise: Planungs-, Bau- und Funktionsgeschichte, Architektur und Gartenanlagen, urbanistischer Kontext, bildnerische Ausstattung und Einrichtung und die dahinter stehenden programmatischen Konzepte von Bauherren und Architekten.

Grundlage und Ausgangspunkt der Untersuchungen sind umfangreiche, aber erst in Teilen bekannt gemachte Archivalien. Das Material besteht einerseits aus zahlreichen Aktenstücken des Österreichischen Staatsarchivs, die zum Teil detailliert Auskunft geben über Abläufe und Hintergründe von Planungen und deren Realisierung bzw. deren Verwerfung; zum anderen Teil besteht es aus ca. 10.000 Plänen, Architekturzeichnungen und Veduten vorwiegend aus der Albertina, dem Österreichischen Staatsarchiv und dem Wien Museum. Die Berücksichtigung von Printmedien, Film- und Tondokumenten lässt ebenfalls neue Aufschlüsse über diesen zentralen Ort der österreichischen (Kunst-)Geschichte erwarten.

Die Projekteinheiten unterscheiden sich zwar in der Quantität des Bestandes an Bild- und Schriftquellen sowie durch die unterschiedliche Dichte der erhaltenen Bausubstanz (etwa der mittelalterlichen Bautrakte im Verhältnis zu jenen des 19. Jahrhunderts), methodische und inhaltliche Leitlinien garantieren aber eine einheitliche Annäherung an das Thema. Am Ende der Forschungstätigkeit steht eine fünf Bände umfassende Publikation, deren reiche Ausstattung auch das bisher unveröffentlichte Plan- und Bildmaterial vorstellt (Veröffentlichungen zur Bau- und Funktionsgeschichte der Wiener Hofburg; erscheint 2012–2017 im Verlag der ÖAW).

Die geisteswissenschaftliche Grundlagenforschung und kunsthistorische Analyse der Hofburg, die die WissenschafterInnen seit 2005 leisten, soll eine Lücke in der internationalen Residenzforschung schließen und zu weiteren Arbeiten unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen auf dem Gebiet der Residenzkultur anregen. Die Steigerung des öffentlichen Interesses an der Wiener Hofburg steht im Vordergrund aller publizistischen Aktivitäten, und die Medienpräsenz, die das Projekt laufend erfährt, ist ein Indikator für die große Aufmerksamkeit, die dem Forschungsprojekt und seinem Gegenstand zukommt.