Spiegel gesellschaftlicher und politischer Umbrüche


Ziel des Buchprojekts ist die Schließung historiographischer Lücken in der Beziehungsgeschichte von Kaisertum und Papsttum. Die Allianz zwischen Thron und Altar war eine der politischen Grundlagen der Habsburgermonarchie, dennoch sind die Beziehungen zwischen Wien und dem Papsttum nur teilweise erforscht. Grundlegend sind für das 19. Jahrhundert die Studien von Alan J. Reinerman (Austria and the Papacy in the Age of Metternich 1809–1838) für die erste und von Friedrich Engel-Janosi (Österreich und der Vatikan 1846–1918) für die zweite Jahrhunderthälfte. Beide Werke basieren auf den Berichten der habsburgischen Botschafter in Rom, die vatikanischen Quellen hingegen wurden nur von Reinerman bis 1838 herangezogen, Engel-Janosi konnte sie nicht einsehen.

Viele Bereiche sind zudem nur schlaglichtartig beleuchtet, insbesondere eine Analyse der Regierungszeit Ferdinands I. fehlt völlig, obwohl es eine spannungsgeladene Zeit war: Der Kirchenstaat verweigerte sich den von Metternich eingeforderten Reformen, war aber bei der Unterdrückung sozialer und politischer Unruhen auf die Unterstützung der Habsburgermonarchie angewiesen. Gleichzeitig forderte Rom von Wien eine radikalere Abkehr vom josephinischen Staatskirchensystem.

Im Zuge der quellenbasierten Analyse wird ein besonderer Fokus auf die Rolle der diplomatischen Akteure gelegt: Rudolf von Lützow vertrat die Habsburgermonarchie von 1826 bis 1847 beim Hl. Stuhl. Er und seine Nachfolger – unter ihnen Alexander von Bach (1859–1865) und Alexander von Hübner (1865–1867) – zählten zu den bedeutendsten habsburgischen Diplomaten ihrer Zeit. Auch unter den päpstlichen Nuntien in Wien finden sich herausragende Persönlichkeiten, etwa Ludovico Altieri (1836–1845) und Michele Viale-Prelà (1845–1856).

Die außenpolitische Schwäche des Papsttums und der Niedergang des Kirchenstaates standen im Widerspruch zur angestrebten Stärkung der päpstlichen Macht und zum Anspruch des Papsttums auf die moralische Führung in der westlich-christlichen Welt. Durch seine Doppelrolle als Kirchen- und Staatsoberhaupt stand der Papst in einem Spannungsverhältnis zwischen theologischen Ansprüchen und politischer Realität. Aufgrund ihrer seit dem Wiener Kongress ausgeübten Funktion als Ordnungsmacht in Italien war die Habsburgermonarchie eng in diese Entwicklungen involviert. Innenpolitisch kam die kaiserliche Regierung den päpstlichen Vorstellungen durch die Neuordnung des Staat-Kirche-Verhältnisses im Konkordat von 1855 entgegen, der Widerstand der Liberalen dagegen brachte die Habsburgermonarchie jedoch an den Rand eines Kulturkampfes.

Daraus ergibt sich der Zeitrahmen des Forschungsprojekts mit dem Regierungsantritt Ferdinands I. bis zum Ende des Kirchenstaates, wobei vor allem das in der Forschung vernachlässigte Jahrzehnt vor 1848 sowie die Auswirkungen des mit dem Revolutionsjahr einhergehenden Paradigmenwechsels auf das Verhältnis zwischen Kaiser und Papsttum im Mittelpunkt der Untersuchung stehen.