Erlebnisse, Erfahrungen und Schicksale jüdischer Soldaten im Dienst der Habsburger (1788-1820)


Einer der Höhepunkte der zweitägigen Schlacht von Wagram war der erfolgreiche Gegenangriff des 42. Infanterieregiments Erbach am ersten Abend der Kämpfe. Wie in fast allen österreichischen Einheiten im Krieg von 1809 fochten auch in diesem Regiment jüdischen Soldaten. Einer davon war der 23jährige Gemeiner Isack Böhm aus Glum, ein kleines, zur Luditzer Herrschaft gehörendes Dorf in West Böhmen [heute Chlum und Žlutice in Tschechien]. Isack wurde am 21. April, ungefähr zehn Tage nach dem Kriegsausbruch gegen das Napoleonische Frankreich einberufen. Nach einer kurzen Übungszeit im Reservebataillon ist er in die Hauptarmee versetzt worden. Am 5. Juli überlebte er die Attacke seines Regimentes unversehrt. Am zweiten Tag der Schlacht von Wagram wurde Isack am rechten Oberarm schwer verwundet. Diese Verletzung führte zu ständiger Schwäche und im Herbst 1810 wurde von Ärzten entschieden, dass er für den weiteren Militärdienst untauglich war. Als verwundeter Kriegsveteran erhielt Isack eine Pension und in Folge dessen wandte er sich wieder seinem Geburtsort zu, mit dem Recht zu einem späteren Zeitpunkt in das Prager Invalidenhaus wieder aufgenommen zu werden. Dieser Fall ist repräsentativ für tausende individuelle Lebensgeschichten, die hinter diesem Forschungsprojekt stehen.

Beinahe vergessen, war die Habsburgermonarchie der erste Staat der Neuzeit, der seine jüdische Bevölkerung zum Wehrdienst verpflichtete. Bereits Mitte der 1790er Jahre standen jüdische Soldaten im Dienst von deutschen Infanterieregimenten. Nach 1800 wurden auch in Ungarn Juden zum Militärdienst eingezogen. Die Gesamtzahl der jüdischen Soldaten, die zwischen dem letzten Habsburgisch-Osmanischen Krieg und der endgültigen Niederlage Napoleons dienten, beläuft sich auf mindestens 40.000 Männer. Basierend auf den Originaldienstakten von mehreren tausend jüdischen Unteroffizieren und gemeinen Soldaten, ist dieses Projekt der erste Versuch, deren persönliche Erlebnisse zu rekonstruieren und zu bewerten: Woher kamen sie? Wie genau sind sie in die Armee eingetreten? In welchen Einheiten und in welchen Rollen dienten sie? Wie und in welchem Ausmaß unterschieden sich ihre Dienstbedingungen von denen ihrer nichtjüdischen Kameraden? Inwieweit wurde die Politik der Zentralbehörden gegenüber jüdischen Soldaten von den einzelnen Regimentern umgesetzt? Die Erfahrungen jüdischer Soldaten in diesen Jahren bieten eine spannende Perspektive von unten auf die tatsächliche Funktionsweise der multiethnischen und multikonfessionellen Armee der Habsburgermonarchie.

Wie beim Projekt Mobilisierung für die Moderne? werden die im Rahmen dieser Forschung erstellten Datenbanken regelmäßig in den Online-Speicherdienst Zenodo hochgeladen. In der Regel dokumentieren einzelne Datenbanken bestimmte Armeeeinheiten und umfassen die Dienstläufe aller jüdischen Soldaten über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Der Wiederaufbau vollständiger Militärkarrieren liefert zahlreiche Informationen, die über militärgeschichtliche Themen hinausgehen: von veränderten Namensmoden bis hin zur Frage wie genau verteilte sich die jüdische Bevölkerung innerhalb der Habsburgermonarchie. Einberufungslisten aus Ungarn eignen sich besonders gut zur Bewertung von interner Migration. Der Vergleich zwischen Körpergrößen einzelner Soldaten und ihren Geburtsjahren und -orten liefert Hinweise auf den Ernährungsstandard in den jeweiligen habsburgischen Ländern. Diese Forschungsressource ist open access öffentlich zugänglich. Auf der Zenodo-Community-Webseite des Projektes werden auch diverse Veröffentlichungen zugänglich.