Im Laufe des „langen“ 19. Jahrhunderts entstanden auf dem Balkan aus den territorialen Verlusten des Osmanischen Reiches sechs „Nationalstaaten“: Griechenland (1828/1830), Serbien (1833/1878), Rumänien (1859/1866/1878), Montenegro (1852/1878), Bulgarien (1878) und schließlich Albanien (1912) gingen als „Gewinner“ aus dem hart umkämpften Spiel der Staatswerdung und des Staatsaufbaus in der Region hervor. Ein derartiges Ergebnis war weder vollständig kontingent noch komplett vorherbestimmt. Die europäischen Großmächte spielten eine entscheidende Rolle im vergleichsweise stürmischen Staatsgründungsprozess in der Region: Es lag in großem Maße an ihnen zu bestimmen, ob überhaupt ein neuer Staat geschaffen werden sollte, wo seine Grenzen gezogen würden, ob der Staat autonom oder souverän werden sollte und welche europäische Dynastie den entstehenden Staat regieren würde. Der Erfolg von Revolten gegen das Osmanische Reich bzw. lokale osmanische warlords hing von der Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft (oder zumindest eines der „Big Players“) ab, die christlichen Rebellen (oder Revolutionäre) zu unterstützen und einen Wechsel von Herrschaft und Loyalitäten herbeizuführen und zu fördern. Damit agierten die Großmächte (mehr oder weniger gewollt) einerseits als Totengräber des Osmanische Reiches und andererseits als Geburtshelfer für die neuen christlichen Staaten am Balkan.

In der Studie mit dem Arbeitstitel „Vom Sandžak Smederevo zum Fürstentum Serbien: Sicherheit, Steuern und Staatsaufbau in einer osmanisch-habsburgischen Grenzregion (1792-1839)“ wird angestrebt, der langsame aber im Rückblick scheinbar unaufhaltsame Rückzug des Osmanischen Reiches am Balkan mit dem Staatsaufbau in jener Region zu verknüpfen, die spätestens ab den 1830er Jahren unter dem Namen „Fürstentum Serbien“ (Knjažestvo Srbija, Knjaževina Srbija, Kneževina Srbije) bekannt geworden ist. Kurz: Es geht um die Transformation einer osmanisch-imperialen Grenzregion zu einem (zumal dem Anspruch nach) modernen Nationalstaat. Auch wenn dieser Prozess in manchen Bereichen bereits gut erforscht ist, besteht in einem wesentlichen Punkt Aufholbedarf: Die osmanische Perspektive wird in der Regel mit Blick auf die Geschichte Südosteuropas im 19. Jahrhundert kaum berücksichtigt. Für dieses Buch wurden nebst Quellen aus Wien und Belgrad rund 150 relevante Dokumente aus dem osmanischen Archiv in Istanbul ausgewählt, transkribiert und übersetzt. Es ist dies ein erster bescheidener Versuch, die Geschichte des Balkans auch als osmanische Geschichte zu verstehen und zu schreiben.