Langeweile, Vergnügen und politische Ambitionen

Adelige Geschlechterverhältnisse zwischen ländlichem Alltagsleben und dem Wiener Hof
 

„Liebe Lotty, glücklich habe ich noch deinen verlangten Stoff aus den Klauen von Bertha Daun gerissen, denn die kauft [...] alles was schön u. theuer ist.“ Gräfin Julie Hoyos an Gräfin Caroline ‚Lotte‘ Lamberg, geb. Hoyos, 31. September 1834

Im frühen 19. Jahrhundert berichtete die Schriftstellerin Johanna Schopenhauer (1766–1838) ihre Beobachtung, dass Londoner Damen aus Vergnügen „Shopping“ gehen würden, d. h. sich in verschiedenen Geschäften Produkte zeigen ließen, oft ohne etwas zu kaufen. In Briefen von Gräfin Julie Hoyos (1816–1871) an ihre Schwester wird deutlich, dass „Shopping“ auch im Wien jener Zeit keine unbekannte Tätigkeit mehr war. Im Gegenteil, der öffentliche Raum wurde mehr und mehr Konsumbedürfnissen angepasst und erweckte gleichzeitig die Lust am Flanieren und Einkaufen. Beeinflusst und befördert wurde diese Entwicklung durch Werbeinserate und Modezeitschriften.

Das Projekt „Langeweile, Vergnügen und politische Ambitionen. Adelige Geschlechterverhältnisse zwischen ländlichem Alltagsleben und dem Wiener Hof“ untersucht aus geschlechterhistorischer Perspektive, wie adelige Frauen im frühen 19. Jahrhundert Konsum und Vergnügungsaktivitäten nutzten, um politisch zu handeln, die Position ihrer Familie zu stärken sowie ihren Beziehungs- und Aktivitäten-Radius zu erweitern. Im Fokus stehen neben Briefe der sieben zwischen 1800 und 1821 geborenen Geschwistern der gräflichen Familie Hoyos (ab 1831 Hoyos-Sprinzenstein), solche der Familie Lamberg und Schreiben von Gräfin Maria Ulrike Lazansky (1765–1852), die in ihrer Funktion als Obersthofmeisterin regelmäßig Berichte über Ereignisse am Wiener Hof an Marie Louise von Österreich (1791–1847) schickte.

In den Briefen wird deutlich, wie wichtig das Konsumieren sowie die Pflege von Gastfreundschaft und damit verbundene Unterhaltungen, wie Bälle, Theateraufführungen, Spiele, Musikabende oder Lesungen, waren. Verschiedene Formen von Unterhaltung können dabei als Orte der Aushandlung von Geschlechterrollen und Hierarchien gesehen werden, zudem werden gegenseitige Beeinflussungen und Aneignungsprozesse zwischen dem Adel und anderen sozialen Schichten deutlich. Impulse aus der Mikro- und der Konsumgeschichte, aus der Biografieforschung und Neuen Politikgeschichte werden in diesem Projekt nutzbar gemacht, um Transformationen von Selbst- und Zeitverständnis zu untersuchen. Im weiteren Sinne soll erforscht werden, in welchem Maße adelige Normen Raum für individuelle Gestaltung boten und welche Rolle geschlechterspezifische Zuschreibungen dabei spielten. Ziel ist, die Ergebnisse für ein breiteres Publikum aufzubereiten, in einschlägigen Zeitschriften zu veröffentlichen und als Habilitationsprojekt weiter zu entwickeln.

Kontakt

Dr. Waltraud Schütz


Laufzeit

bis 2026