Wissen als Kultur zu begreifen heißt, gesellschaftliche Formationen und deren Wissensbestände in ihrem gegenseitigen Austauschverhältnis zu sehen. Wissen ist in diesem Sinne nicht nur Resultat und Objekt kultureller Pflege, vielmehr stellt Wissen Deutungszusammenhänge aktiv zur Verfügung und leitet kulturelle Praktiken an. Eine wissensgeschichtliche Beschäftigung mit dem südöstlichen Europa der Vormoderne verknüpft u.a. folgende Bereiche:
1) das Zusammenspiel von mündlichen und schriftlichen Wissensformen sowie die konstitutive Bedeutung von Vielsprachigkeit und Vielschriftlichkeit,
2) die Rolle des Wissens in und für die Begründung, Tradierung und Umsetzung von Herrschaftsansprüchen,
3) die Pluralität der Wissensformen inklusive des Umdeutens oder gar Verlusts derselben im zeitlichen Wandel,
4) die besondere Rolle des Religiösen als dominierende und alle anderen Formen legitimierende Wissensform der Frühen Neuzeit.
Von besonderem Interesse sind in all diesen Zusammenhängen die spezifischen institutionellen Verflechtungen. Institutionen bringen ein bestimmtes Wissen hervor, während sie sich zugleich darauf stützen und ihrerseits durch neue oder umorganisierte Wissensformen hervorgebracht werden können. Für die Geschichte des südöstlichen Europas bietet die Erforschung von Institutionalisierungsvorgängen jenseits des offenkundigen Interesses an Staats- und Nationsbildungsprozessen ein noch auszuschöpfendes Erkenntnispotenzial. Im Sinne einer kulturwissenschaftlich angereicherten Institutionsgeschichte werden im Rahmen dieses Schwerpunkts Prozeduren der Verschriftlichung, Verrechtlichung oder Normierung in den Blick genommen. Ziel ist es, jene Bereiche zu identifizieren, in denen die angesprochenen Prozesse besonders greifbar zusammenlaufen, und einen Langzeitschwerpunkt zur Erforschung der Sattelzeit in Südosteuropa zu etablieren.