Seckau, Karte
Text: Marion Gollner
In der Basilika von Seckau, die beim ‚Türkeneinfall‘ des Jahres 1480 verschont blieb, befinden sich gleich mehrere Bezugspunkte, die an diese Zeit erinnern. Neben dem Mariä-Opferungsaltar, der in enger Verbindung zur 1486 in Folge des ‚Türkeneinfalls von 1480 gegründeten Marienbruderschaft steht, sind dies zwei Gemälde – eines davon zeigt zwei Kreuzzugsprediger, ein anderes die Landplagen des 15. Jahrhunderts –, ein aus ‚türkischen‘ Kanonen gegossener Renaissance-Luster sowie ein Schlussstein mit einer Darstellung Marias auf einem orientalischen Halbmond.
Die Ereignisse vom August 1480
Die Ereignisse vom August 1480
Als osmanische Heerscharen im August 1480 über Kärnten kommend in die Steiermark einfielen, teilten sie sich bei Judenburg, wo sie ein Lager errichtet hatten, in drei Haufen auf. Eine Gruppe zog daraufhin am so genannten St. Afra-Tag (7. August) in die Gegend von St. Marein, wo die Kirche geplündert und verwüstet worden sein soll. Das nur wenige Kilometer weit entfernte Stift Seckau blieb jedoch verschont. Der bekannte österreichische Sagensammler, Lehrer und Schriftsteller Johann Krainz (Pseudonym: Hans von der Sann) berichtet in seinem 1880 erschienenen und weit verbreiteten Werk „Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande“ zwar davon, dass die Osmanen „vom reichen Stifte Seckau vernommen“ hatten und es einnehmen wollten, es aber nicht finden konnten. Ein „mächtiger Nebel“, so Krainz, „hüllte das Stift und seine Kirche ein und schützte so die Klosterbrüder und ihre Schätze vor der Raubsucht der Barbaren“ (Krainz 1880: 59).
Derartige Berichte von der wundersamen Rettung einzelner Gotteshäuser finden sich in der Steiermark sehr häufig, nicht immer entsprachen sie aber der Realität, sondern wohl eher dem Wunschdenken der AutorInnen. Obwohl Stift Seckau den einmaligen Einfall der Osmanen unbeschadet überstanden haben dürfte, erinnern in der Basilika noch heute einige Kunstwerke an dieses prägende Ereignis, das sich tief ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben hat. Anders als bei den meisten Denkmälern der Umgebung (Votivbild in St. Marein, ‚Türkenkerze‘ in St. Benedikten etc.) dominieren in Seckau aber nicht Darstellungen, welche die Grausamkeit und Hinterlist der Osmanen thematisieren, sondern jene, die den anfangs erhofften und später der Gottesmutter Maria zugeschriebenen Sieg des Christentums über den Islam symbolisieren.
Bewegte Geschichte des Stifts
Bewegte Geschichte des Stifts
Adalram von Waleck hatte im Jahr 1140 mit Unterstützung des Salzburger Erzbischofs Konrad I. in St. Marein bei Knittelfeld das erste Chorherrenstift der Steiermark gegründet. Nur zwei Jahre später wurde das Kloster nach Seckau verlegt – vermutlich weil sich dort ein Steinbruch in der Nähe befand, der das benötigte Baumaterial lieferte, und der neue Standort auf der Hochebene nicht so exponiert war wie das von allen Seiten frei zugängliche St. Marein. Die Weihe der neu errichteten Stiftskirche erfolgte schließlich am 16. September 1164 durch Bischof Hartmann von Brixen. Nach einem Brand im Jahr 1259 folgten Pest, Heuschreckenplage und Verwüstungen des Umlandes durch Osmanen und andere Feinde (vgl. Roth 1964 bzw. Benediktinerabtei Seckau).
Unter den Pröpsten Andreas Ennsthaler (1436–1480) und Johannes Dürnberger (1480–1510) entwickelte sich die Kirche im Mittelalter zu einem der wichtigsten Marien-Wallfahrtsorte der Steiermark. So geht aus einer Handschrift aus dem Jahr 1345 beispielsweise hervor, dass zu dieser Zeit 16 Kirchen aus der näheren Umgebung dem Stift Seckau am Mittwoch nach Pfingsten Opfergaben aus Wachs darzubringen hatten (vgl. Roth 1964: 124f). Spezielle Opfergaben aus Wachs, die mit den Einfällen der Osmanen in die Steiermark in Verbindung gebracht wurden, finden sich unter anderem auch in den Wallfahrtskirchen Maria Buch und St. Benedikten bei Knittelfeld.
Die anhaltende ‚Türkengefahr‘, die mit hohen Abgaben des Stiftes verbunden war, führte mitunter dazu, dass die geplante Barockisierung der Kirche nicht realisiert werden konnte (vgl. Benediktinerabtei Seckau). Nachdem bereits im Jahr 1524 – trotz heftigen Widerstandes des damaligen Seckauer Dompropstes Gregor Schärdinger (1511–1531) – ein Drittel aller kirchlichen Jahreseinkünfte, die so genannte Terz, zur ‚Türkenabwehr‘ an die Landesfürsten abgeführt werden musste, erhöhten sich die Forderungen an den Klerus nach der Schlacht bei Mohács 1526 erneut. Zwei Jahre später, als die Quart zur Finanzierung der Landesverteidigung 1528 eingezogen wurde, war das Stift sogar dazu gezwungen, Güter im Enns- und Paltental zu verkaufen. Einen „derartigen Aderlass, der die Kirche ungeheuer schwächte und an dem sich besonders der Adel und das Bürgertum bereicherten“, so Roth (1964: 83), „gab es in diesem Ausmaß erst wieder unter Josef II.“ Dies erklärt einerseits, warum nur wenige Kunstwerke aus dieser Zeit erhalten geblieben sind, andererseits zeigt es, dass weniger die reale Präsenz der gefürchteten Osmanen zur nachhaltigen Verankerung des Feindbildes ‚Türke‘ beitrug als vielmehr das zur Finanzierung der ‚Türkenabwehr‘ benötigte und teils bewusst geschürte Bedrohungsszenario.
Nachdem Kaiser Joseph II. das Stift 1782 aufgehoben und den Sitz der Diözese Seckau nach Graz verlegt hatte, begann der allmähliche Verfall der Anlage, der erst durch die Übernahme des Klosters durch Benediktinermönche der Beuroner Kongregation einhundert Jahre später beendet wurde. Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde das Stift erneut aufgehoben. Auch die Mönche mussten die Steiermark verlassen und kehrten erst nach Ende des Krieges wieder nach Seckau zurück. Heute leben unter Prior Johannes Fragner noch elf Mönche im Kloster. Im Jahr 2014 feiert das Stift sein 850-jähriges Bestehen (vgl. Benediktinerabtei Seckau).
Ein Altar zum Dank für die überstandene ‚Türkengefahr‘
Ein Altar zum Dank für die überstandene ‚Türkengefahr‘
Eines der Erinnerungsstücke an den ‚Türkeneinfall‘ von 1480 ist der Mariä-Opferungsaltar, von dem heute nur noch eine Marienfigur, zwei Heiligenfiguren und eine Steinmensa übrig geblieben sind. Ursprünglich stand der Altar in der Mitte der Kirche und wurde von Propst Johannes Dürnberger im Jahr 1486 „zur dankbaren Erinnerung an die Vertreibung der Türken aus der Steiermark, insbesondere daß das Stift beim Türkeneinfall am 7. August 1480 verschont wurde“ (Roth 1964: 146), gestiftet. Die Weihe des Altars erfolgte am 14. September 1489 durch Bischof Matthias Scheit. Wie aus der Stiftsurkunde von Propst Dürnberger hervorgeht, sollte mit der Errichtung dieses Altars ausdrücklich die Marienverehrung gefördert werden, wie Roth in seiner Stiftschronik hinzufügt. Zu diesem Zweck wurde auch eine eigene Bruderschaft (ordinatio fraternitatis Beatae Mariae Virginis) gegründet, deren Mitglieder sich nicht nur dazu verpflichteten, den Marienfesten besondere Verehrung zukommen zu lassen, sondern auch folgendes Gelöbnis ablegten:
[…] wir erwählen die glorwürdige Jungfrau Maria zur Schwester und Anwältin bei Ihrem geliebten Sohne, und werfen uns mit Leib und Seele zu deren Füßen mit der flehentlichen Bitte, sie möge uns von Ihrem geliebten Sohne den Frieden und Eintracht über alle Feinde, insbesondere aber erwirken, daß die Einfälle der Ungläubigen, nämlich der grausamen Türken, und andere unserer Kirche oft zugefügten Widerwärtigkeiten aufhören […] (zit. nach Roth 1964: 147)
Wie aus dieser Textstelle hervorgeht, wurde den Osmanen, obwohl sie in diese Region nur ein einziges Mal einfielen, eine Sonderstellung eingeräumt, die vor allem auf ihrer „Ungläubigkeit“ beruhte. Die besondere Grausamkeit, mit der die Osmanen plündernd, brandschatzend, mordend und Menschen raubend durchs Land gezogen sein sollen, war jedoch keine ‚türkenspezifische‘ „Widerwertigkeit“, sondern Teil der damals üblichen Kriegsführung, wie historische Studien gezeigt haben (vgl. z.B. Göllner 1978: 24).
Als Propst Paul Franz Poiz (1703–1733) die Mariä-Opferungs-Bruderschaft wiederbeleben wollte, ließ er auch den Altar 1729 neu gestalten. Der unter Dürnberger errichtete Altar von 1486 wurde – wie Roth beschreibt – „barockisiert, indem man die Hauptfigur mit einem barocken Baldachin zierte und die Plastik der ‚Zeitmode‘ gemäß kleidete“ (Roth 1964: 148). Die Beuroner Benediktiner, die das Stift nach der Auflösung unter Joseph II. 1883 übernommen hatten, stellten lange Zeit hindurch nur die Hauptfigur des Altars auf. Seit 1950 sind die noch vorhandenen Elemente des Mariä-Opferungsaltars wieder in der Südturm-Kapelle aufgestellt.
„Orientalische Heuschrecken“ – Zwei Plagen aus dem Osten
„Orientalische Heuschrecken“ – Zwei Plagen aus dem Osten
Neben der Neugestaltung des Mariä-Opferungsaltars soll Propst Poiz im Jahr 1729 auch ein Votivbild in Auftrag gegeben haben, das – ähnlich wie das bekannte ‚Landplagenbild’ von Thomas von Villach an der Außenseite des Grazer Doms – an die Heimsuchungen des 15. Jahrhunderts erinnern sollte. Auf dem ovalen Bild ist in der Mitte das barocke Stift Seckau zu sehen, das von Heuschreckenschwärmen (1478) und Osmanen (1480) bedroht wird. Während das Volk im Vordergrund des Bildes kniend und betend um Erlösung bittet, schwebt über dem Stift die Gottesmutter Maria, der zu Ehren im Jahr 1486 eine eigene Bruderschaft gegründet worden war. Zwei nah beieinanderliegende Ereignisse, die weniger dem Stift als vielmehr der unbefestigten Umgebung hart zusetzten, wurden so künstlerisch zusammengefasst und religiös codiert. Sowohl die ‚Türkengefahr‘ als auch die Heuschreckenschwärme wurden als Bestrafung Gottes gedeutet, die nur durch die Rückbesinnung auf ein frommes, den Lehren der katholischen Kirche entsprechendes Leben abgewendet werden konnten. Die Gottesmutter Maria verkörperte dabei Zuflucht und Zuversicht zugleich. Interessanterweise kommt es auf der erklärenden Votivtafel, die auf den Aufzeichnungen des Seckauer Stiftschronisten Mathias Ferdinand Gauster (1699–1749) basieren dürfte, nicht nur zu einer zeitlichen, sondern auch zu einer inhaltlichen Vermengung der beiden Ereignisse. Dort ist nämlich zu lesen, dass am 18. August des Jahres 1478 eine „große Menge orientalischer Heuschrecken in der Größe eines Zeisigs oder einer Meise von Osten in unser Tal“ kam und erst durch „Glockengeläute, das Knallen der Donnerbüchsen und das Geschrei der ermutigten Landleute“ (zit. nach Hammer 1959: 54) vertrieben werden konnte. Da in einer früheren Quelle ohne Autor lediglich eine „vber große menig der haberschreckh“ (ebd.: 55) vorkommt, ist anzunehmen, dass die Heuschrecken erst später „orientalisiert“ wurden. Die Botschaft dahinter war klar: Alles Böse und Verderbliche, seien es ‚Türken‘ oder gefräßige Insekten, kommt aus dem Osten.
Die Seckauer Gregoriusmesse
Die Seckauer Gregoriusmesse
Nachdem Papst Sixtus IV. ein Jahr nach dem besagten ‚Türkeneinfall‘ von 1480 zum Kreuzzug gegen die ‚Türken‘ aufgerufen hatte, kamen zwei Kreuzzugsprediger auch in die Gegend von Seckau. Es handelte sich dabei um den Minoriten Fr. Bernadinus von Ingolstadt und den Dominikaner Bartholomäus de Camerone, die als Kommissäre der päpstlichen Kreuzzugsarmee „überall allen Wohltätern der Armee geistliche Vorteile verkündeten“ (Roth 1964: 153). Ein Gemälde aus dem Jahr 1486 mit dem damals weit verbreiteten christlichen Motiv der Gregoriusmesse soll den Aufenthalt dieser beiden Kreuzzugsprediger im Stift Seckau künstlerisch festgehalten haben. Benno Roth, dessen Ausführungen sich auf die Angaben des Stiftschronisten Gauster stützen, beschreibt ihre Darstellung folgendermaßen: „Hinter dem Papst stehen zwei in Purpur gekleidete und mit Kardinalshüten gezierte Gestalten, die eine die Tiara haltend, die andere mit einem Papstkreuz und einer in Buchform verschlossenen Handschrift, wohl die Ablaßbulle!“ (Roth 1964: 157)
Die Ablassbulle erklärt sich aus dem Umstand, dass das Motiv der Gregoriusmesse zumeist mit Ablassverheißungen verbunden war. Hinter den beiden sind zwei weitere Personen abgebildet, die Roth als Brüderpaar Laurentius und Johann (bzw. Hans) Zwickel identifiziert, die das Gemälde 1486 in Auftrag gegeben haben sollen. Ersterer war damals Weltpriester und Pfarrer von St. Margareten bei Knittelfeld, sein Bruder Pfarrer in St. Marein, wo das Gemälde ursprünglich aufgestellt war. Dort habe sich beim St.-Andreas-Altar, der 1490 geweiht wurde, heute jedoch nicht mehr vorhanden ist, eine zweite Gregoriusmesse befunden, die mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls von den Brüdern Zwickel in Auftrag gegeben wurde. Als Grund für die Spendenfreudigkeit der Brüder vermutet Roth, dass diese – im Gegensatz zu rund 500 anderen Priestern – nicht von den Osmanen verschleppt wurden, wie dies Propst Dürnberger in seinen Aufzeichnungen behauptete (vgl. Roth 1964: 158). Daher scheint es für Roth auch nicht weiter verwunderlich, „daß gerade in St. Marein bei Knittelfeld ein zeitgeschichtliches Ereignis, der Türkeneinfall von 1480, einen dankbaren Anlaß für die Herstellung dieses Tafelgemäldes bot.“ (ebd.)
Schlussstein mit ‚Türkenkopf‘
Schlussstein mit ‚Türkenkopf‘
Ein unmittelbarer Bezugspunkt zum ‚Türkeneinfall‘ des Jahres 1480 findet sich auch im Mönchschor der Seckauer Basilika. Dort bildet eine Darstellung der Gottesmutter Maria mit Jesuskind, die auf einem Halbmond mit ‚Türkenkopf‘ steht, sowohl den Schlussstein als auch die Krönung des Netzgewölbes (vgl. Roth 1950: 6).
Ein Luster aus ‚türkischen‘ Kanonen?
Ein Luster aus ‚türkischen‘ Kanonen?
Im so genannten Huldigungssaal, der den Pröpsten früher als Repräsentationsraum diente und heute u.a. als Konzert- und Veranstaltungssaal genutzt wird, befindet sich zudem ein Kronleuchter aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, der aus osmanischen Kanonen gegossen worden sein soll. Der „seltene Renaissanceluster“ (Roth: 224) wurde von Propst Antonius von Potys (bzw. Potiis) (1619–1657) in Auftrag gegeben und befand sich früher im Langhaus der Basilika. Der zwölfarmige Leuchter ist ebenfalls mit einer Darstellung der Gottesmutter Maria geschmückt, die auf einem Halbmond steht, der in übertragener Weise für das Osmanische Reich bzw. die ‚Türken‘ allgemein steht (vgl. Roth 1964: 224 bzw. Kultur Service Gesellschaft Steiermark). Auf die Zeit der osmanischen Bedrohung geht auch die heute nur noch teilweise erhaltende Wehrmauer zurück, die das Stift einst vor feindlichen Übergriffen schützen sollte und u.a. auch mit Schießscharten ausgestattet war (vgl. Roth 1964: 224).
Literatur
Literatur
Brauner, Franz (1950): Aus der Vergangenheit von Knittelfeld. In: Was die Heimat erzählt (Steirische Heimathefte). Judenburg und Umgebung. Knittelfeld und Umgebung, Heft 5, 73–75.
Göllner, Karl (1978): Die Türkenfrage in der öffentlichen Meinung Europas im 16. Jahrhundert. Baden-Baden.
Hammer, Lois (1959): Aus Knittelfelds Vergangenheit. Knittelfeld.
Krainz, Johann (1880): Mythen und Sagen aus dem steirischen Hochlande. Bruck an der Mur.
Roth, Benno (1950): Führer durch den Dom von Seckau. Seckau.
Roth, Benno (1964): Seckau. Geschichte und Kultur. 1164-1964. Zur 800-Jahr-Feier der Weihe der Basilika. Wien/München.
Wikipedia: Abtei Seckau, 20.09.2020.