Stephansplatz 1 , Karte
Text: Johanna Witzeling
Der Marienkult erfuhr in der Gegenreformation einen beachtlichen Aufschwung. Mit seiner Hilfe konnten sich katholische Kirche und Habsburger klar von den Protestanten abgrenzen. Zusätzlich boten sich ältere Darstellungen der auf der Mondsichel stehenden Madonna – wie das Gnadenbild ‚Maria in der Sonne‘ im Wiener Stephansdom – durch Umdeutung für türkenfeindliche Propagandazwecke an. In diesem Sinne wurden nach 1683 auch andere Halbmonddarstellungen neu interpretiert. Das symbolische Auf-den-Feind-Treten stellte eine besondere Herabwürdigung und Erniedrigung des Gegners dar.
Maria auf der Mondsichel
Das spätgotische Gnadenbild ‚Maria in der Sonne’ wurde 1493/94 im Auftrag eines Wiener Bürgers am Pfeiler neben dem heute nicht mehr vorhandenen ‚Simon- und Judas-Thaddäus-Altar’ im Stephansdom angebracht. 1699 (nach anderen Quellen 1693) wurde es auf den so genannten ‚Frauenaltar’ am nördlichen Vierungspfeiler übertragen.
Maria, die Jesus auf dem linken Arm hält, steht auf der Mondsichel und wird von einem Strahlenkranz umgeben. Zwei Engel bekrönen sie. Zu Füßen der Muttergottes kniet – getrennt nach Geschlecht – die nicht identifizierbare Stifterfamilie mit Rosenkränzen in den Händen. Das Bildnis entstand im Zeitraum zwischen 1460 und 1470 (Dehio) nach der Vorlage von Martin Schongauers ‚Madonna mit dem Apfel‘.
Anstelle des ‚Simon- und Thaddäusaltars’ wurde 1699 der barocke ‚Frauenaltar’ (nach einem Entwurf von M. Steindl) errichtet. Seitdem wird der Altar mit dem Gnadenbild ‚Maria in der Sonne’ auch Marien-, Maria Empfängnis- oder Gnadenaltar genannt.
Die Symbolik von Sonne und Mond
In der christlichen Ikonographie verweist die Mondsichelmadonna – oder auch Madonna im Strahlenkranz – auf die apokalyptische Frau: – ein schwangeres, von Sternen bekröntes, mit der Sonne bekleidetes und auf dem Mond stehendes „Weib“, das dem letzten Kampf zwischen Erzengel Michael und dem Drachen beiwohnt (vgl. Offenbarung des Johannes 12,1).
Sonne und Mond besaßen im Laufe der Zeit unterschiedlichen Symbolgehalt: Sie standen u.a. für Anfang und Ende, für Christus und die vergängliche Welt, Kaiser und Papst. In der Zeit der Türkenkriege wurde der Mond, auf dem Maria steht, als das Zeichen des Halbmonds interpretiert. Das wird verdeutlicht durch Varianten der Darstellung des Mondes, auf dem Maria steht, etwa, wenn er mit dem Gesicht eines Osmanen versehen wird.
Der Halbmond und die Türken
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts gewannen zwei Gnadenbilder im Stephansdom an Bedeutung: 1693 (bzw. 1699) das Gnadenbild ‚Maria in der Sonne‘, das als Zentrum des ‚Frauenaltars’ aufgenommen wurde (bereits seit 1493/94 im Dom), sowie 1697 das Bildnis der durch mehrere Tränenwunder bekannt gewordenen ‚Mária Pócs‘. Neben der Symbolik von Sonne und Mond als Verbindung von weltlicher und geistlicher Macht, wie sie bei der ehemaligen Turmbekrönung des Stephansdomes eingesetzt wurde, wird hier nach 1683 die Mondsichel, auf der Maria steht, als Halbmond und damit Symbol für die Türken interpretiert: die Muttergottes ‚triumphiert’ über ‚die Türken’.
Maria als Retterin in der Not
Maria als Retterin in der Not
Der Marienkult wurde insbesondere von Kirche und Staat gefördert, da mit der Hervorhebung Marias eine klare Grenze zum Protestantismus gezogen werden konnte. Die katholischen Habsburger stellten sich selbst unter den Schutz Marias. So wurden zu verschiedenen Gelegenheiten Bezüge zu den Türkenkriegen und dem Anteil Marias an deren siegreichem Ausgang hergestellt. Die Hilfestellung Mariens wurde in jährlichen Kirchenfesten gefeiert:
Mit dem von Papst Pius V. 1572 angeordneten Marienfest (Rosenkranzfest), das in der Folge am ersten Sonntag im Oktober gefeiert wurde, sollte an den Sieg der Heiligen Liga über die Türken in der Seeschlacht von Lepanto am 7. Oktober 1571 erinnert werden. Nach dem Sieg Prinz Eugens über die Türken am 5. August 1716 in der Schlacht von Peterwardein (Vojvodina) wurde dieser Gedenktag auf die ganze Kirche ausgedehnt und in den römischen Kalender aufgenommen. Im Jahre 1913 wurde das Marienfest wieder auf den 7. Oktober, den Tag des Sieges von Lepanto, verlegt. Das Fest wird nach dem aktuellen liturgischen Kalender noch an diesem Tag gefeiert.
In vergleichbarem Zusammenhang wurde auch das Fest Mariä Namen (12. September) für die Weltkirche eingeführt. Marias Hilfe wurde der Sieg, der an diesem Tag über die Osmanen vor Wien erfochten wurde, zugeschrieben:
Am Morgen des 12. September 1683 las Marco d´Aviano die Messe vor der Kopie des Gnadenbildes von Czenstochau, die der polnische König Jan III. Sobieski anläßlich des Türkenfeldzuges auf dem Jasna Gora bekommen hatte. Die katholischen Truppen griffen die Osmanen mit dem Schlachtruf „Maria, reine Jungfrau“ an. Abraham a Sancta Clara, der während der Belagerung nicht in Wien weilte, bemerkte später, daß – neben Gott – Maria Wien gerettet hätte. Weiters führte Abraham a Sancta Clara aus, daß militärische Erfolge, die im September stattfänden, eindeutig der Hilfe Mariens zuzuschreiben seien, da dies ihr Geburtsmonat wäre. Beispiele sind außer dem Entsatz von Wien, die Eroberung von Ofen (1686), Esseg (1687) und der Sieg bei Zenta (1697). (Tomenendal 2000: 33f)
Um Mariengnadenbilder ranken sich zahlreiche wunderliche Legenden. Zu ihren Motiven gehört u.a. die Rettung des Gnadenbildes, das Zerstörung – beispielsweise ein Feuer – wie durch ein Wunder übersteht. Bevorstehende Gefahren werden bisweilen dadurch angekündigt, dass ein Gnadenbild Tränen oder Blut vergießt (vgl. Tomenendal 2000: 34).
Weitere Gnadenbilder in Wien
Weitere Gnadenbilder in Wien
Außer dem Gnadenbild ‚Maria in der Sonne‘ im Stephansdom gibt es ähnliche Mariendarstellungen in zahlreichen Wiener Gemeindebezirken. Hier seien ausgewählte Beispiele genannt (eine umfassende Auflistung bietet Aurenhammer 1956: 82–166)
- 1. Bezirk: Stephansdom: Mária Pócs,
- Peterskirche: Mariahilfbild
- Schottenkirche: Mariengnadenstatue
- Michaelerkirche: Maria Kandia
- Franziskanerkirche: Maria mit der Axt
- 6. Bezirk: Mariahilferkirche: Mariahilf
- 9. Bezirk: Servitenkirche: verschollene Tandel-Muttergottes
- 12. Bezirk: Moldauerkapelle: Kreuz mit Muttergottes
- 13. Bezirk: Wallfahrtskirche Maria Hietzing: Maria Hietzing
- 17. Bezirk: Pfarrkirche Hernals: Türkenmuttergottes
- Herz-Jesu-Sühnekirche: Mariensgraffito an der Westfront des Pfarrhauses
- 19. Bezirk: Kaasgrabenkirche Maria Schmerzen: Schwalbenmuttergottes
- St. Josefskirche am Kahlenberg: Schwarze Madonna vom Kahlenberg
- Leopoldskirche am Leopoldsberg: Maria Türkenhilfe
Literatur
Literatur
Aurenhammer, Hans (1956): Die Mariengnadenbilder Wiens und Niederösterreichs in der Barockzeit, Wien.
Der Dom. Mitteilungsblatt des Wiener Domerhaltungsvereines. Folge 1/2004.
Gruber, Reinhard H. (o.J.) Die Domkirche Sankt Stephan zu Wien. Wien.
Historisches Museum der Stadt Wien (1997): 850 Jahre St. Stephan. Symbol und Mitte in Wien 1147-1997. Dom- und Metropolitankapitel Wien: 226.Sonderausstellung. 24. April bis 31. August 1997, Wien.
Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.) (1982): Die Türken vor Wien. Europa und die Entscheidung an der Donau 1683. Salzburg/Wien.
Tomenendal, Kerstin (2000): Das türkische Gesicht Wiens. Auf den Spuren der Türken in Wien. Wien/Köln/Weimar.