Am Eisernen Tor, Graz, Karte
Text: Zsuzsa Barbarics-Hermanik
Die Marien- oder Türkensäule beim Eisernen Tor gehört zu den sichtbarsten im öffentlichen Raum stehenden Denkmälern der Stadt Graz. Sie erinnert an die Ereignisse von 1663/64, insbesondere an den Sieg der kaiserlichen Truppen in der Schlacht bei Szentgotthárd/Mogersdorf/Monošter am 1. August 1664, die – trotz des danach folgenden für die Habsburger unvorteilhaften Friedensschlusses von Vasvár/Eisenburg (10. August 1664) – von der Propaganda Kaiser Leopolds I. als entscheidender Sieg des christlichen Abendlandes groß gefeiert wurde (vgl. Barbarics-Hermanik 2010: 27, 29).
Gesteuerte Gedächtnisbildung
Neben dem Gottesplagenbild stellt die Mariensäule ein weiteres Beispiel für die von den habsburgischen Herrschern mit Unterstützung der Katholischen Kirche gesteuerte Gedächtnisbildung dar: Um den Schutz der Gottesmutter gegen einen möglichen Angriff der Osmanen zu erlangen, war man in Graz 1663 bemüht, ein neues religiöses Fest am 8. Dezember zu etablieren (vgl. Maier 1928: 8 bzw. Popelka 1959: 36). Kaiser Leopold I. regte jedoch an, anstatt oder zusätzlich zu dieser jährlichen Andacht eine Säule nach dem Wiener Vorbild zu errichten, was dann auch geschah. Dadurch wurde die selbst gestaltete Erinnerung durch die vom Herrscher gesteuerte überformt. Man hatte zwar begonnen, für die Errichtung der Mariensäule unter den Einwohnern zu sammeln, aber letztendlich musste der Kaiser selbst einen Großteil der Kosten übernehmen. Daher dauerte die Errichtung, die von der Wiener Hofkammer geleitet wurde, insgesamt sieben Jahre (vgl. Maier 1928: 11).
Der Säulenschaft der Mariensäule soll aus zwei eingeschmolzenen Kanonen angefertigt worden sein (vgl. Schuller 2003: 143), wodurch in dieser Hinsicht eine Parallele zur ‚Türkenglocke‘ besteht.
1670 wurde die Mariensäule auf dem Karmeliterplatz errichtet, wobei als Aufstellungsort auch andere Möglichkeiten, wie der Hauptplatz, der Platz vor der Jesuitenuniversität oder die Bastei unter der Dominikanerkirche in Betracht gezogen wurden (vgl. Popelka 1959: 143).
Türken und Franzosen in der Erinnerungskultur des 18. Jahrhunderts
Türken und Franzosen in der Erinnerungskultur des 18. Jahrhunderts
1796 wurde die Mariensäule auf Wunsch des Landesverordneten Andreas Edler von Jakomini vom Karmeliterplatz auf den nach ihm benannten Platz versetzt. Die Aktualisierung der Erinnerung an die ‚Türken‘ erfolgte daher bei der Grundsteinlegung auf dem Jakominiplatz am 2. Juni 1796 mit Hilfe einer Grundsteininschrift:
Dieser Grundstein trug einst die schwere Last eines christlichen Denkmals der Dankbarkeit, errichtet von Kaiser Leopold I., nach dem durch einen bei St. Gotthard an dem Flusse Raab unter dem tapferen Heerführer Montecuccoli über die herandringenden Türken, nach christlicher Zeitrechnung im Jahre 1664 den 22. Juli [die Schlacht fand aber am 1. August statt; Anm. d. Autorin] erfochtenen Sieg, Steiermark und diese glücklich gerettet wurden. (zit. nach: Tagespost 03.06.1896: 4)
Zur Aktualisierung des ‚Türkengedächtnisses‘ kam es auch bei der Einweihung der Säule am 14. August 1796, am Vorabend des Marienfestes. Im Rahmen der Feierlichkeiten soll dort an der Fassade eines Hauses folgende Inschrift beleuchtet worden sein:
Einst hast Du gegen Osten uns befreit
Von Türken=Sklaverei und Ketten,
Geruhe gegen Westen in dieser Zeit
Von Franken-Freiheit uns zu retten.
(zit. nach: Tagespost 03.06.1896: 4)
Im letzten Vers ist die Revolution in Frankreich gemeint, vor der Maria die Stadt schützen sollte, da die Machthaber in Österreich allgemein ein Übergreifen auf die Monarchie befürchteten. In einer Erklärung wurde daher die Revolution offiziell verurteilt und dem französischen König die Unterstützung zugesichert. Im Weiteren muss darauf hingewiesen werden, dass Frankreich daraufhin Österreich den Krieg erklärte, der dann 1797 mit dem Vorfrieden von Leoben (18. April) und dem Frieden von Campoformido (17. Oktober) endete. Demnach standen die österreichischen Länder zur Zeit der Einweihung der Mariensäule noch im Krieg mit Frankreich, was auch eine weitere Erklärung für die Aktualisierung und Instrumentalisierung der Erinnerung an die ‚Türken‘ liefert. Auf diese Parallele zur ‚Franzosengefahr‘ im Zusammenhang mit der Mariensäule wurde im Jahr 1894 in den Grazer Zeitungen ebenfalls hingewiesen:
[…] heute wollen wir dem Leser einen anderen orientalischen Gast und dessen nur allzuhäufigen Besuch unseres Landes vorführen und so Gelegenheit geben, sich der Drangsale früherer Tage zu erinnern; denn obwohl erst 84 Jahre verflossen sind, seitdem anfangs 1810 die letzten Franzosenschwärme unser Land verließen, kann man sich heutzutage doch schwer das Auftreten eines so furchtbaren Feindes, wie es die Osmanen der früheren Jahrhunderte waren, vorstellen […]. (zit. nach: Grazer Extrablatt 06.04.1894: 1)
Die Umbenennung zur Türkensäule
1927 rückte die Mariensäule in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, als im Stadtrat beschlossen wurde, sie vom Jakominiplatz auf einen anderen Platz zu versetzen. Es war der „Verein Heimatschutz“, der sich in dieser Causa besonders engagierte und der Stadtleitung vorschlug, „das Denkmal fortan Türkensäule zu nennen, um so seine historische Bedeutung mehr als bisher zu betonen“ (Maier 1928: 25). Am 27. April 1928 wurde dann vom Stadtrat beschlossen, der Säule die Bezeichnung ‚Türkensäule‘ zu verleihen (vgl. Schweigert 1990: 18f [beh. pag.]), wodurch „die Erinnerung an die Türken“ – ähnlich wie bei der Umbenennung der Gaststätte „Zum Stern“ zum „Türkenloch“ – nunmehr ganz bewusst aktualisiert wurde.
In den Grazer Zeitungen gab es 1927 einen regen Meinungsaustausch darüber, wo die Marien- oder Türkensäule aufgestellt werden sollte. Ähnlich wie der „Verein Heimatschutz“ argumentierte der Kunsthistoriker Eduard Coudenhove für eine Versetzung auf den Bismarckplatz:
Will man die Mariensäule auf einen zwar reizvollen, aber für das eigentliche Stadtgebiet nicht in Betracht kommenden Platz verlegen, so beraubt man Graz eines Denkmales, das wie wenig andere, eine Epoche der heimischen, deutschen Kunstvergangenheit repräsentiert. Noch größer ist der Verlust in volksgeschichtlicher Beziehung. Man darf nicht vergessen, welche Erinnerungen die Mariensäule zu vermitteln hat. Sie wurde anläßlich des Sieges über die Türken bei St. Gotthard errichtet. Es würde geringes Verständnis für historische Zusammenhänge verraten, wollte man darin nur ein Siegesdenkmal für eine einmal zufällig gewonnene Schlacht erblicken. Diese Säule ist vielmehr das aus einem besonderen Anlaß errichtete Symbol der großen volksgeschichtlichen Aufgabe, die den östlichen Marken des alten Deutschen Reiches und nicht zuletzt der Steiermark zugefallen ist. (zit. nach: Coudenhove 1927: 1)
„UND IHR HABT DOCH GESIEGT“ – Die Türkensäule im Nationalsozialismus
„UND IHR HABT DOCH GESIEGT“ – Die Türkensäule im Nationalsozialismus
Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass der Marien- oder Türkensäule als Siegessäule – wie sie bereits im 19. Jahrhundert bezeichnet wurde (vgl. Grazer Extrablatt 06.04.1894: 1) –, auch nach dem Anschluss (12.03.1938), in der Zeit des Nationalsozialismus in der Steiermark (1938–1945), eine bedeutende Rolle zukam. Am 25. Juli 1938 verlieh Adolf Hitler der Stadt Graz den Ehrentitel „Stadt der Volkserhebung“ (Fenz 1990: 3 [beh. pag.]), den dann auch der 1941 angefertigte ‚Türken-Gobelin‘ trug.
Die dazu gehörige Siegesfeier, die am gleichen Tag stattfand, wurde an der Siegessäule abgehalten, welche die Nazis mit rotem Stoff verkleideten, worauf ein Hakenkreuzadler sowie folgende Inschrift gedruckt waren: UND IHR HABT DOCH GESIEGT (Fenz 1990: 3 [beh. pag.]).
Damit wurde die Funktion der Marien- oder Türkensäule – als Symbol des Sieges über die ‚Türken‘ – den machtpolitischen Interessen der Nationalsozialisten entsprechend überformt: Die Siegesfeier am umhüllten ‚Türkendenkmal‘ fand exakt vier Jahre nach dem gescheiterten Putsch der Nazis und damit ihrer versuchten Machtergreifung in Wien statt (am 25. Juli 1934). Damit haben die Nazis mit der oben zitierten Inschrift sich selbst gemeint und ihren Sieg „DOCH“ gegen den Austrofaschismus in Österreich gefeiert (vgl. Fenz 1990). Gleichzeitig war das auch eine Kampfansage gegen ihre aktuellen Feinde wie Juden und Bolschewisten.
1664 – 1964
1664 – 1964
Bei den Feierlichkeiten, die aus Anlass des 300-jährigen Jubiläums der Schlacht bei Mogersdorf (Szentgotthárd) im Jahr 1964 abgehalten wurden, wurden in einer Grazer Zeitung (Grazer Sonntagsblatt 09.08.1964: 6–8) bewusst Analogien zwischen der „Bedrohung aus dem Osten“ in der Frühen Neuzeit (1664, die Osmanen) und der am Ende des Zweiten Weltkrieges (1945, Russen, rote Armee) sowie in der damaligen Gegenwart (1964, Sozialismus/Kommunismus) hergestellt. Der Verfasser projiziert dabei die politischen Zielsetzungen seiner Gegenwart, nämlich den „Wunsch nach einer Einheit Europas“ (ebd.: 6), in die Vergangenheit, wobei er teilweise sogar das Vokabular der ‚antitürkischen‘ Flugschriften und Flugblätter des 16. bis 17. Jahrhunderts sowie der ‚Türkensagen‘ verwendet. So schreibt er von den „Armeen des christlichen Abendlandes“, die „in gemeinsamer Verteidigung ihrer Heimat sich sammelten“:
„Die Gegenwart bekommt oft von der Tiefe der Geschichte neue wesentliche Konturen“, stellte Bundeskanzler Dr. Klaus vor den Zehntausenden fest, die sich am Sonntag, den 2. August, auf dem Schlösselberg bei Mogersdorf eingefunden hatten, um der Opfer der blutigen Schlacht des Jahres 1664 zu gedenken. Zuvor hatte Bischof Dr. Stephan László vor der Gedenkstätte einen Pontifikalgottesdienst gefeiert und das neue Mahnmal geweiht. Der verbindende Rahmen für das festliche Geschehen auf jenem Hügel, auf dem einst die Armeen des christlichen Abendlandes in gemeinsamer Verteidigung ihrer Heimat sich sammelten, war der Wunsch nach einer Einheit Europas und Sehnsucht nach Frieden, der Kerngedanke aller mahnenden und hoffnungsvollen Worte, die aus diesem Anlaß gesprochen wurden. – Was in jenen Tagen vor 300 Jahren die Grazer Bürger an Furcht und Not erlitten, davon berichten die folgenden Zeilen. […]
Der Großwesir stieß an die Raab vor; er plante ganz offensichtlich, in die Steiermark einzudringen. Diese Erkenntnis rief in Stadt und Land eine ungeheure Aufregung hervor. […] Zur völligen Panik steigerte sich die allgemeine Erregung, als am 2. August Flüchtlinge und Fahnenflüchtige das Schreckensgerücht verbreiteten, die Kaiserlichen seien schwer geschlagen worden; die Türken stünden vor Fürstenfeld. Kreidschüsse und Kreidfeuer verkündeten weithin die vermeintlich aufs höchste gesteigerte Gefahr. Das Bauernvolk der Umgebung rettete sich in die befestigte Hauptstadt, die Stadtbevölkerung insbesondere die Frauen und Kinder, setzte sich nach Obersteier ab. Die Ähnlichkeiten der Situation mit den Geschehnissen von Ostern 1945 dürfte jedermann auffallen. (zit. nach: Grazer Sonntagsblatt 09.08.1964: 6f)
Die Marien- oder Türkensäule – als Mahnmal
Die Marien- oder Türkensäule – als Mahnmal
Für die Gedenkausstellung „Bezugspunkte 38/88“, die 1988 Teil des Kulturprogrammes „steirischer herbst“ mit dem Titel „Schuld und Unschuld der Kunst“ war, wurde die Marien- oder Türkensäule als Kunstinstallation und Mahnmal wieder in die „Siegessäule“ des Nazi-Regimes verwandelt (vgl. Fenz 1990 bzw. Schweigert 1990). Der Holzobelisk trug die Inschrift „UND IHR HABT DOCH GESIEGT“ und am Fundament waren die Namen der getöteten Juden, Roma und weiterer Opfer des Nationalsozialismus zu lesen (vgl. Breitegger 04.11.1988: 8 und 11.11.1988: 11).
Dieses Mahnmal des Künstlers Hans Hacke löste eine große Diskussion aus und wurde sogar Ziel eines Brandanschlags. Dabei verbrannte nicht nur die Kunstinstallation, sondern auch das ‚Türkendenkmal‘ wurde stark beschädigt. Bei der Einvernahme der drei Täter begründeten diese ihre Tat mit nationalsozialistischen Motiven. Sie wurden wegen Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinn verurteilt, wobei der „Schuldspruch als Abwehr gegen eine feindliche Ideologie“ interpretiert wurde. Damit hätte „sich die Schutzfunktion Marias bis ins 20. Jahrhundert ausgeweitet“ (Turnsek 1992: 41). Die Wiedereinweihung fand dann am 13. Juni 1990 (am Vorabend von Fronleichnam) durch den steirischen Diözesanbischof Johann Weber statt (vgl. Fenz 1990 bzw. Schweigert 1990).
Literatur
Literatur
Barbarics-Hermanik, Zsuzsa (Hg.) (2010): Türkenbilder und Türkengedächtnis in Graz und in der Steiermark. Katalog zu einer Ausstellung aus Anlass des Jubiläums „40 Jahre Südosteuropäische Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz“, Universitätsbibliothek – 10. Juni – 31. Oktober 2010. Graz, 27–29.
Breitegger, Hans (04.11.1988): Brandanschlag auf „Siegessäule“. In: Kleine Zeitung, 8f.
Breitegger, Hans (11.11.1988): Täter wurde angestiftet. In: Kleine Zeitung, 11.
Coudenhove, Eduard (07.06.1927): Die Grazer Mariensäule. In: Montagszeitung Nr. 23, 1f.
Fenz, Werner (1990): UND IHR HABT DOCH. Ein gegenwärtiger Blick auf Haackes Grazer Mahnmal. In: steirischer herbst (Hg.): Die Grazer Mariensäule 1664, 1938, 1988, 1990. Graz.
Grazer Extrablatt (06.04.1894): Feuilleton. Türkeneinfälle in Steiermark und die Siegessäule am Jakominiplatze, Nr. 32, 1.
Grazer Sonntagsblatt (09.08.1964): Graz 1664: Angst und Befreiung, Nr. 32, 6–8.
Kleine Zeitung (02.09.1928): Die Aufstellung der Mariensäule auf dem Bismarckplatz, Nr. 243, 6.
Maier, Rudolf (1928): Mariensäule (Türkensäule). Geschichte des Denkmales bis zur Neuaufstellung auf dem Bismarckplatz 1928. Graz.
Popelka, Fritz (1959): Geschichte der Stadt Graz. Bd. I. Graz/Wien/Köln.
Schuller, Michaela (2003): Zwischen „Turkophobie“ und „Turkophilie“. Zeugnisse historischen Erbes aus der Zeit der Türkenkriege in Graz. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz Bd. 33, 137–151.
Schweigert, Horst (1990): Die Grazer Mariensäule („Türkensäule“) am Eisernen Tor-Platz: Geschichte und Bedeutung eines barocken Glaubensdenkmals. In: steirischer herbst (Hg.): Die Grazer Mariensäule 1664, 1938, 1988, 1990. Graz.
Tagespost (03.06.1896): Die Grundsteinlegung zur Marien=Säule auf dem Jacominiplatze (2. Juni 1796), Nr. 151, 4.
Turnsek, Verena (1992): Die Rechtsverhältnisse an öffentlichen Denkmälern am Beispiel der Mariensäule am Eisernen Tor. Diplomarbeit der Universität Graz.