Text: Silvia Dallinger
Die Instrumentalisierung des Kapuzinermönchs Marco d’Aviano (1631–1699) für Propagandazwecke in der Dollfuß- und Schuschnigg-Ära Mitte der 1930er Jahre zeigte Auswirkungen bis zu den 300-Jahr-Feierlichkeiten der Befreiung Wiens von den Osmanen. Im Jahr 1983 wurde Marco d’Aviano nur am Rande erwähnt, um damit eine bewusste Abgrenzung zum 250-jährigen Jubiläum und den Marco-d’Aviano-Feiern der Jahre 1933–1935 zu erreichen. Die Erinnerung an 1683 sollte den Sieg über die Osmanen nicht mehr verherrlichen, sondern vielmehr den Zusammenhalt der christlichen Länder Europas betonen, der in der Entsatzschlacht bewiesen worden sei. Für Vertreter der protestantischen Kirche wiederum war d’Aviano eine Symbolfigur der Gegenreformation, weswegen man seiner nicht gedachte.
Distanzierung vom ‚Türkenbezwinger‘
Distanzierung vom ‚Türkenbezwinger‘
Anlässlich der Seligsprechung Marco d’Avianos 2003 kritisierte der Kapuzinerpater Erhard Mayerl, dass die Erinnerung an diesen im Jahr 1983 bewusst gemieden worden sei:
Auch die Presse zeigte sich eigenartig ‚übersensibel‘: Es sei nicht opportun, heute einen ‚Türkenbezwinger‘ und noch dazu einen, der von einem diktatorischen (‚austrofaschistischen‘) System instrumentalisiert wurde, hervorzuheben oder gar seligzusprechen (zu letzterem waren allerdings die Voraussetzungen in der Causa noch nicht gegeben) – eine Anwandlung von ‚political correctness‘ offensichtlich! (Mayerl 2003)
Gerade deswegen schien es den Wiener Kapuzinern ein Anliegen zu sein, zur 300-Jahrfeier zumindest eine neue Biografie mit dem Titel „Marco d’Aviano. Beter – Apostel – Retter Wiens“ zu veröffentlichen. Das Gedenken anlässlich des 300. Todestages d’Avianos im Jahr 1999 sei im Vergleich dazu „schon deutlich entkrampft“ und weniger „übersensibel“ gewesen (ebd.).
Auch Alois Kraxner, Vorstandsmitglied des ‚Österreichischen Katholikentags‘ 1983, thematisierte in einem Interview mit der katholischen Wochenzeitung ‚Die Furche‘ die
geradezu neurotische Angst [der einen], dieses Gedenkjahr nur zu nennen. Sie fürchten, daß alte Gegensätzlichkeiten ausgegraben und neue Feindbilder geschaffen werden etc. Andere sehen in diesem Gedenkjahr einen Anlaß, alle noch vorhandenen christlichen Kräfte in Europa zu einer neuen Missionierung Europas aufzurufen. Sie wünschen sich einen Marco d’Aviano, der der Kirche in Europa überzeugend den Weg ins dritte Jahrtausend weist. (Interview mit P. Alois Kraxner 16.03.1983: 3)
Die 1983er-Gedenkveranstaltung am Kahlenberg
Die 1983er-Gedenkveranstaltung am Kahlenberg
Wie schon bei früheren Jubiläumsfeiern wurde auch anlässlich der 300-Jahrfeier des Entsatzes Wiens von den Türken eine Gedenkveranstaltung am Kahlenberg abgehalten (siehe „Jubiläumsfeiern am Kahlenberg“). Wieder war diese mit dem ‚Österreichischen Katholikentag‘ verbunden; der Papst besuchte zu diesem Anlass am 13. September die St. Josefskirche (siehe „Papstbesuch am Kahlenberg“). Obwohl die Erinnerung an d’Aviano traditionell stark mit dieser Kirche verbunden ist, erwähnte ihn der Papst in seiner Rede mit keinem Wort, der Kommentator der Übertragung – Alfons Dalma – allerdings schon (vgl. Hamminger 1986: 102).
In einem Gottesdienst in der Leopoldskirche hingegen wurde auf die berühmte Aviano-Messe vor der Entsatzschlacht bewusst verwiesen: Der Militär-Provikar Prälat Mag. Franz Gruber betonte unter Angabe von Originalquellen, dass diese am Leopoldsberg und nicht am Kahlenberg stattgefunden habe (vgl. ebd.: 110).
Der letzte Anlauf für ein Denkmal scheitert
1983 gab es zudem ein Denkmalprojekt einer kleinen Gruppe rund um die Kahlenberger St. Josefskirche, der ‚Freunde Sobieskis’, die das Ziel verfolgten, allen am Entsatz und der Verteidigung Wiens 1683 Beteiligten ein Denkmal zu widmen. Auch Marco d’Aviano sollte auf diesem Denkmal am Schmerlingplatz verewigt werden.
Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten konnte das geplante Denkmal jedoch nicht realisiert werden – es blieb bis heute beim Grundstein.
Literatur
Literatur
Ackerl, Isabella (1984): Die Türkenbefreiungsfeiern des Jahres 1933. Historische Jubiläen als politische Propagandavehikel. In: Geschichte und Gegenwart, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Gesellschaftsanalyse und politische Bildung, 3. Jg. Wien, 18–26.
Hamminger, Josef Dominicus/ Wiener Katholische Akademie (Hg.) (1986): Leopoldi Capelln am Kallenberg oder St. Josephskirche der PP Kamaldulenser auf dem Josephsberg (Sobieskikapelle in der St. Josephskirche)? Wo hat Pater Marco d’Aviano vor der Entscheidungsschlacht am 12. September 1683 die heilige Messe gefeiert? Wien.
Interview mit P. Alois Kraxner (16.03.1983): Zur Kritik am Katholikentag 1983. In: Die Furche, Jg. 39, Heft 11, 3.
Provinzialamt der Kapuziner (1983): Marco d’Aviano. Beter – Apostel – Retter Wiens. Wien.