Text: Johann Heiss
Der aus dem heutigen Polen stammende Jurist Christian Wilhelm Huhn (1654–1732) hielt sich zur Zeit der Zweiten Türkenbelagerung 1683 in Wien auf, wo er sich aktiv an der Verteidigung der Stadt beteiligte. Seine persönlichen Erfahrungen mit den „christlichen Erbfeinden“ oder „Bluthunden“, wie er die Türken nannte, fasste er 34 Jahre später in einem Geschichtswerk zusammen, das er für den „gemeinen Mann“ schrieb. Huhn verstarb 1732 in seiner Heimatstadt Breslau – seine eigene Leichenrede hatte er allerdings schon 14 Jahre früher selbst geschrieben.
Huhn wird 1683 in Wien eingeschlossen
Huhn wird 1683 in Wien eingeschlossen
Christian Wilhelm Huhn (auch Huhnius oder Hunnius), geboren am 21. Mai 1654 in Wrocław/Breslau, studierte Jura bei Gerhard von Stökken in Straßburg und beendete sein Studium im Jahr 1681 (seine Dissertation ließ er drucken, s.u.). Danach lebte er als Jurist (er war königlicher und fürstlicher Regierungsadvokat) in seiner Heimatstadt Breslau.
Wegen eines Verfahrens an der böhmischen Hofkanzlei hielt sich Huhn in Wien auf, wo er von der zweiten Türkenbelagerung überrascht und in der Stadt eingeschlossen wurde. Anlässlich des ähnlichen Schicksals eines Landsmannes fügt er in seinem Werk (Huhn 1717: 38) eine autobiographische Notiz ein; aus der Stelle wird auch seine Einschätzung der „Türken“ deutlich:
Auch befande sich unter andern in dieser Belagerung ein Schlesischer Edelmann, Ernst Siegmund von Zetteritz, welcher, wegen eines bey der K. Böhm. Hof=Cantzeley zu sollicitiren habenden Processus (dergleichen Schicksal mich, der ich dieses schreibe, nicht weniger betroffen,) sich verspättet hatte, weil er an der Sicherheit durchzukommen zweiffelte, viel lieber den Ausschlag dieser denckwürdigen Belägerung abwarten, als der Augenscheinlichen Gefahr von denen Tartar= und Türckischen Blutt=Hunden entweder gefangen, oder niedergesäbelt zu werden, sich unterwerffen wollen.
Kämpfer an vorderster Front
Kämpfer an vorderster Front
Christian Wilhelm Huhn beteiligte sich aktiv gemeinsam mit zahlreichen Ausländern, die sich damals in Wien befunden hatten, an der Stadtverteidigung, wie aus einer weiteren autobiographischen Stelle hervorgeht (Huhn 1717: 42f):
Von diesen [d.i. den Freikompanien] waren noch ferner unterschieden, die Cammer= und andere Bedienten, auch allerhand Professionen zugethane Frembde, [...] so wurden davon [...] vier Frey-Compagnien, jede 240. Mann starck aufgerichtet, und Ihnen Hr. Maximilian von Trautmannsdorff zum Obristen vorgestellet; der bey diesen Jahren noch hurtige Greiß gedachte, Hr. von Reuschelberg aber zum Obristen=Wachtmeister und vornehmsten Hauptmann ernennet; unter dessen Frey=Compagnie auch der Autor dieser Belagerungs=Geschichte zu militiren die Ehre gehabt.
Huhns Einheit war zunächst am Ungar- oder Stubentor zur Bewachung stationiert, später wurde sie auf die kaiserliche Burg verlegt. An dieser kritischen Stelle erlebte er auch das Ende der Belagerung.
Huhn schreibt seine Erfahrungen nieder
Erst 34 Jahre nach den denkwürdigen Ereignissen verfasste Huhn sein 1717 in Breslau erschienenes Werk „Nichts Neues und Nichts Altes/ Oder umbständliche Beschreibung/ Was Anno 1683. vor/bey/ und in der Denckwürdigen Türckischen Belagerung Wien/ vom 7 Julii biß 12 Septembr. täglich vorgelauffen“, auf dessen Titelblatt er sich auch als Augenzeuge der Ereignisse bezeichnete.
Huhn kannte, wie er im Vorwort schreibt, verschiedene Berichte über die Belagerung Wiens, die jedoch alle nicht in deutscher Sprache erschienen waren, wie er sagt, weshalb er sich entschloss, „mein Schediasma [d.i. kurze, eilig abgefasste Skizze] aus dem Bücher=Staub hervorzuziehen“. Offenbar hatte er sich schon bald nach der oder noch während der Belagerung Notizen gemacht, die er in seinem Werk verarbeitet. Diese vom Autor selbst erlebten Geschehnisse heben sich vom übrigen Text, der anderen Autoren, besonders Johann Peter von Vaelckeren, entnommen ist, durch ihre lebendige Schilderung ab. Zu seiner Vorgangsweise sagt Huhn im Vorwort (Huhn 1717: 4):
[...] worinnen [d.i. in seinem Buch] ich dem vorhin angezogenen Herrn von Völckeren/ so zu sagen/ auff unverwandten Fusse gefolget; und alle Umbstände/ aus demselben und andern angeführten Relationibus, mit Beyfügung meiner eigenen Observation, so viel nur möglich/ genau in acht genommen,
um auf der nächsten Seite fortzufahren (Huhn 1717: 5):
Die Schreib=Art deren ich mich gebrauchet/ ist theils historisch/ theils oratorisch/ weil ich des Herrn Välckeren Fußstapffen mehrenteils im Lateinischen/ welcher den Jovium [Paolo Giovio lebte 1483 – 1552 und war italienischer Historiker, Arzt und Bischof] zu imitiren scheinet/ gefolget; so habe ich auch das Wercklein welches nicht in einer Zeit/sondern nach und nach bey müßigen Stunden gefertiget worden/ bey meiner Praxi und vielen Verrichtungen/ nicht auspoliren/ und unter das Examen rigorosum ziehen können; sondern mir hatte genug gedaucht/ bey dieser Arbeit nur den Character eines treuen und wahrhafften Journalisten/ die Worte mögen gerathen seyn wie sie wollen/ davon zutragen.
Huhns Angabe, dass es keine Berichte in deutscher Sprache gab, ist keineswegs richtig: Vaelckerens „Vienna a Turcis obsessa, a Christianis eliberata“ war bereits 1684 in Linz in deutscher Übersetzung erschienen, im selben Jahr wurde auch Johann von Ghelens „Relazione compendiosa, ma veridica“ in deutscher Sprache gedruckt, ferner wurde die „Kurtze Beschreibung“ des Wiener Stadtschreibers Nikolaus Hocke 1685 veröffentlicht, um nur einige Beispiele zu nennen.
Ein Geschichtswerk für den „gemeinen Mann“
Ein Geschichtswerk für den „gemeinen Mann“
Jedenfalls schreibt Huhn sein Geschichtswerk für den „gemeinen Mann“ (Huhn 1717: 2). Der Stadthauptmann Starhemberg steht unter den „Helden“ im Vordergrund (ihn hatte der Autor ja auch immer wieder persönlich erlebt, das brachte seine Beteiligung an der Stadtverteidigung mit sich).
Huhn konnte es sich wahrscheinlich auf Grund des zeitlichen und vermutlich auch geographischen Abstandes von den Ereignissen leisten, bisweilen auch von Vorfällen zu berichten, die von den dem Hof nahestehenden Autoren (Vaelckeren, von Ghelen) verständlicher Weise keine Erwähnung fanden, etwa, wenn der Kaiser mit dem Hof noch vor der Belagerung rasch Wien verlässt und bereits vor den Toren Wiens von der Landbevölkerung beschimpft wird (Huhn 1717: 13f):
[...] setzten sie [d.i. die kaiserliche Majestät, Leopold I.] nebst Dero Käys. Gemahlin und sämbtl. Hoffstadt Ihren Weg, unter Begleitung 200 Curaßirer, so viel es sich thun liesse, schleunig gegen Lintz fort; und wurden unterwegens von dem ungehaltenen Pöbel und so genannten Ländlerischen Bauer=Volck mit Schimpf=Worten, wie dorten David von Simei, zu unterschiedenen mahlen übel angelassen; welche Schmach aber Ihro Käyserl. Majest. nach Dehro dem ErtzHertzoglichen Hauß Oesterreich angebohrnen Sanfftmuth und Gelindigkeit mit höchster Geduld überwunden, und an keinem dieser Verbrecher/ der beleidigten Majestät/ einige Rache ausüben lassen.
An anderer Stelle (Huhn 1717: 79f) berichtet der Autor von Frauen aus der Stadt, die mit dem Feind und mit der Stadtbevölkerung Geschäfte machten, aber auch von einem Überläufer:
Hingegen muste man vernehmen, das etliche Weibes=Personen so gottloß gewesen, und sich zwischen denen hin und wieder zu den heimlichen Ausfällen gelassenen Oeffnungen und Lücken zwischen denen Palisaden, in der Türcken Lager geschlichen, und ihnen Brodt verkaufft, dagegen aber allerhand Grünes aus den Gärten eingetauschet, Welchen Handel aber, nachdem der Hr. General und Commendant [d.i. Starhemberg] davon Nachricht bekommen, alsobald gesteuret, und die Löcher zugestopffet worden: Umb so viel mehr, weil an eben diesem Tage ein Corporal von der Stadt=Guarnison zum Feinde übergelauffen war.
Als sich am 12. September der Erfolg des Entsatzheeres abzuzeichnen begann, war man erleichtert und zum Feiern aufgelegt; Huhn schildert bei dieser Gelegenheit ein eigenes Erlebnis (Huhn 1717: 206 – 208):
Auff eine so gutte Zeitung, ohnerachtet es schon spät in der Nacht, ließ der Herr von Raitz, Königl. Böhmischer Hoff=Agent, ein Paar Bouteillen, von guttem St. Georger=Außbruch aus seinem Keller kommen, da wir uns dann als gutte Cameraden und Rott=Gesellen, selbdritte in dem Zimmer, nach dem ich eben von der Schildwacht abgelöset worden, über einem kleinen Oval=Tischgen zusammen setzten, und zum Valete dieser nahmhafften Belagerung der Käys. Residentz=Stadt Wien, auf einen glückl. Entsatz der alliirten Armee, und dero commandirenden hohen Generalität Gesundheit trincken wolten; als ich aber das mir zugebrachte Glaß Wein über dem Tisch zu mir nehmen wolte, schoß ein Janitschar aus seinem Rohr in eben dem Tempo die Zusammenfügung zwischen dem Kelch und Fusse dergestalt abgefasset entzwey, daß mir und meiner Gesellschaft der Wein in die Augen sprützete; die Kugel aber pralte von der gegenüberstehenden Mauer, biß an die Helfte des grossen Zimmers zurücke; Wir urtheilten daraus, des Feindes Batterien müsten von aussen denen Burg=Fenstern, da wir Hoff=befreyten logiret waren, gleich hoch aufgeführet worden seyn; daß sie alle unsere Actiones so genau beobachten, und so schnur gerade, das abgezweckte Ziel erreichen, und so zu sagen, auff einen Nagel treffen könten. Wurffen dannenhero unsern Tisch Augenblicks übern Hauffen, und setzten uns, nach Türckischer Mode, auff die Erde, den Rücken an die zu unserer Defension und Schutz aufgerichteten Sand=Säcke lehnende, da wir unsern Wein mit mehrer Sicherheit und weniger Gefahr außtruncken.
Von „Erbfeinden“ und „Bluthunden“
Von „Erbfeinden“ und „Bluthunden“
In seinem Werk reproduziert Huhn durchgehend die gängigen Vorurteile gegen die „Türken“, indem er sie als „Erbfeind“, „Erbfeind christlichen Namens“ oder als „Bluthunde“ bezeichnet oder ihnen „barbarische Grausamkeit“, „Wut und Blutdürstigkeit“ zuschrieb.
Huhns Buch war offenbar erfolgreich, denn es wurde in Breslau 1728 nochmals aufgelegt. Zur Feier des hundertsten Jahrestages des Entsatzes von Wien wurde es 1783 in Wien mit dem Titel „Raritäten oder umständliche Beschreibung, was anno 1683 vor, bey, und in der denkwürdigen türkischen Belagerung Wien vom 7. Julii bis 12. September täglich vorgelaufen“ wieder gedruckt (diese Ausgabe wird als zweite Auflage bezeichnet).
Huhn verfasst seine eigene Leichenrede
Huhn verfasst seine eigene Leichenrede
Im Jahr 1718 schrieb Huhn seine eigene Leichenrede (Funebria ante funebria, s.u.), versehen mit einem Lebenslauf. Vierzehn Jahre später, am 18. November 1732, starb er in seiner Heimatstadt.
Werke Huhns
Werke Huhns
Huhn, Christian Wilhelm (1681): Disputatio juridica de donationibus illicitis, quam … praeside … Gerardo von Stökken … placidae eruditorum disquisitioni solenniter exhibet Christianus Wilhelmus Huhn … auth. & resp. ad diem [ ] M.DC.LXXXI. horis locisque [sic] solitis. Argentorati: typis Johannis Welperi (Huhns Dissertation vom 2. Juli 1681, Strassburg).
Huhn, Christian Wilhelm (1717): Nichts Neues und Nichts Altes/ Oder umbständliche Beschreibung/ Was Anno 1683. vor/bey/ und in der Denckwürdigen Türckischen Belagerung Wien/ vom 7 Julii biß 12 Septembr. täglich vorgelauffen. Breslau.
Huhn, Christian Wilhelm (1718): Funebria ante funebria Christiani Guilielmi Huhnii… oder von ihm selbst gehaltene Leichen-Sermon und beschriebener Lebens-Lauff anno 1718 in Bresslau. Bresslau: in der Baumannischen Erben Buchdruckerey druckts Johann Theophilus Straubel, Factor.
Huhn, Christian Wilhelm (1783): Raritäten, oder umständliche Beschreibung, was Anno 1683 vor, bey, und in der denkwürdigen türkischen Belagerung Wien, vom 7. Julii bis 12. September täglich vorgelaufen. Wien, Johann Georg Mößle.