Schlossberg, Graz, Karte
Text: Zsuzsa Barbarics-Hermanik
Der so genannte ‚Türkenbrunnen‘ wurde nach den Plänen des Baumeisters Domenico dell’ Aglio in der Periode von 1554 bis September 1558 für 4846 Gulden 2 Schilling 18 Pfennig errichtet, um die Wasserversorgung am Grazer Schlossberg zu sichern (vgl. Frizberg/Emersdorfer 2008: 112 bzw. Kramer/Toifl 2002: 99). Die steirischen Landstände, die den Brunnen, dessen Schacht bis zum Grundwasser der Mur reichen sollte, Ende 1553 in Auftrag gaben, nannten ihn „Tiefen Brunnen“. Die Bezeichnung ‚Türkenbrunnen‘ stammt aus dem 19. Jahrhundert, als man aufgrund einer damals kursierenden Legende annahm, dass die Grabungsarbeiten zwischen 1554 und 1556 von ‚türkischen‘ Kriegsgefangenen durchgeführt worden wären (vgl. Kramer/Toifl 2002: 97).
Die Geschichte des ,Türkenbrunnens‘
Aufgrund der Akten des Steiermärkischen Landesarchivs konnte jedoch festgestellt werden, dass grundsätzlich zwei Gruppen von Gefangenen zu den Grabungsarbeiten verpflichtet wurden: Einerseits die sog. ‚Martolosen‘ und andererseits die in den Quellen mit dem Attribut „deutsch“ bezeichneten Gefangenen. Obwohl einige Personen von der letzteren Gruppe namentlich bekannt sind, ist das bei der ersten Gruppe nicht der Fall. Diether Kramer und Leo Toifl erklären den Begriff ‚Martolosen‘ wie folgt: „christliche Überläufer aus dem türkisch besetzten Bosnien“, die in diesem Fall irgendwann straffällig geworden sind (Kramer/Toifl 2002: 97). Ab Februar 1555 wurden die ‚Martolosen‘ durch Taglöhner ersetzt, die bei der schweren Arbeit durch die Gesteinsschichten auch durch Bergleute unterstützt wurden. Ein funktionsfähiges Schöpfwerk wurde dann zum Abschluss der Bauarbeiten vom Radkersburger Bürger Leopold Aumüller eingebaut (vgl. Kramer/Toifl 2002: 99).
Im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts kam es zu Veränderungen: 1665 erhielt der Brunnen ein neues Schöpfwerk. Die vom Hofkriegsrat geplante mechanische Pumpe konnte wegen Geldmangels nicht verwirklicht werden, 1744 ließ der Hofbrunnenmeister den Brunnen ausräumen und säubern (vgl. Kramer/Toifl 2002: 99).
Seine eigentliche Funktion als „Wasserquelle für den Ernstfall“ übte der „Tiefe Brunnen“ 1809 aus, als Graz von den napoleonischen Truppen besetzt war. Am 16. November 1809 sprengten die Franzosen den Brunnenkranz, das Schöpfwerk sowie den obersten Teil des Schachtes. Die bei der Zerstörung der Festung entstandenen Schuttmassen wurden im Brunnen entsorgt, wodurch er seine Rolle als Wasserversorger komplett verlor (vgl. Kramer/Toifl 2002: 100).
Im Oktober 1820 kaufte der Grazer Rechtsanwalt Bonaventura/Josef Hödl von den Landständen mehrere Gründe am Schlossberg, wodurch u.a. auch die Reste des „Tiefen Brunnens“ in seinen Besitz übergingen. Hödl ließ ihn mit Hilfe einer Geldsammelaktion unter den Grazer Bürgern für 6500 Gulden wieder freilegen und nutzbar machen, um die Wasserversorgung der neu errichteten Parkanlagen des Schlossberges zu sichern (vgl. Kramer/Toifl 2002: 100). Er soll auch das Gebäude aus Holz, das über den Brunnen zu sehen war, zu dieser Zeit in Auftrag gegeben haben (Steiner 1951: 47). Die Familie Hödl musste allerdings den Brunnen aus finanziellen Gründen 1839 an die Landstände verkaufen (vgl. Frizberg/Emersdorfer 2008: 112).
Im Juni 1885 wurden dann der gesamte Schlossberg und damit auch der Brunnen von der Stadt Graz übernommen. Im Vertrag, in dem die Übernahme durch die Stadt geregelt wird, wird der Brunnen nicht mehr „tiefer Brunnen“, sondern „Türkenbrunnen“ genannt. Seine heutige Form erhielt der ‚Türkenbrunnen‘ erst 1934, als das baufällige Brunnenhaus abgerissen wurde (vgl. Kramer/Toifl 2002: 100, 103).
Eine bewusste Instrumentalisierung dieses Denkmals – im Sinne seiner Verwendung im 19. Jahrhundert, als die Umbenennung auf ‚Türkenbrunnen‘ passierte – ist auch in der neuesten Zeit zu beobachten: Der Archäologe Diether Kramer und der Grazer Stadthistoriker Leopold Toifl schließen ihren Aufsatz zum ‚Türkenbrunnen‘, der die einzige rezente Arbeit zu diesem Denkmal darstellt und bis zur Schlussbemerkung eine relativ objektive, auf archivalische Quellen basierende Darstellung der Geschichte des „Tiefen Brunnens“ bietet, mit folgenden Zeilen:
Wenn wir heute auch wissen, dass der Brunnen nicht von kriegsgefangenen Türken, sondern von professionellen Bergleuten im Verein mit Taglöhnern gegraben wurde, so dürfen wir doch nicht übersehen, dass er in einer Zeit entstand, die durch außerordentliche Türkengefahr gekennzeichnet war. Zielsetzung der am Schloßberg errichteten Festung war unter anderem, die Stadt Graz bei eventuellen türkischen Angriffen wirkungsvoll zu beschützen. Diese Funktion hätte die Burg aber ohne eine geeignete und gut funktionierende Wasserversorgung nicht erfüllen können. Ziehen wir nun in Betracht, dass der Brunnen deswegen gegraben wurde, erscheint seine geläufige Bezeichnung „Türkenbrunnen“ als durchaus gerechtfertigt. (Kramer/Toifl 2002: 104).
Literatur
Literatur
Frizberg, Anna-Katerina/ Emersdorfer, Martin (2008): Graz. Rundgänge durch die Geschichte. Erfurt.
Kramer, Diether/ Toifl, Leo (2002): Der Türkenbrunnen. In: Joaneum Graz (Hg.): Von Burgen, Gräbern, Brunnentiefen. Graz, 97–105. (= Schild von Steier, Kleine Schriften, 19)
Popelka, Fritz (1959): Geschichte der Stadt Graz. Graz.
Steiner, Konrad (1951): Vom alten Graz. Graz.
Toifl, Leopold (1999): Zur Schleifung der Grazer Schloßbergfestung vor 190 Jahren. In: Blätter für Heimatkunde, Jg. 73, Heft 4, 123–143.