Maria Buch, Karte
Text: Marion Gollner
Die Kirche von Maria Buch bei Judenburg, die nicht nur als bedeutendste Wallfahrtskirche des oberen Murtales, sondern auch als eine der ältesten der Steiermark gilt (vgl. Pötscher o.J.: 2), beherbergt insgesamt sechs ‚Türkenkerzen‘. Diese sollen an einen Vorfall im Jahr 1480 erinnern, bei dem die Osmanen angeblich versuchten, das Gotteshaus mit List in die Luft zu sprengen. Tatsächlich wurden die Kerzen aber erst rund 200 Jahre später angefertigt, um Maria angesichts der erneuten ‚Türkengefahr‘ um Hilfe zu bitten. Die Legende von einer mit Schießpulver gefüllten Kerze kommt nicht nur in Maria Buch, sondern auch in benachbarten Regionen wie St. Benedikten bei Knittelfeld vor.
Die missglückte Sprengung der Kirche
Die missglückte Sprengung der Kirche
In der Kirche von Maria Buch befinden sich rechts und links vom Altar jeweils drei so genannte ‚Türkenkerzen‘, die der Legende nach auf den ‚Türkeneinfall‘ von 1480 zurückzuführen sind: Zu dieser Zeit sollen die „Renner und Brenner“ – wie es bei Viktor Jabornik (1931: 5–6) heißt – versucht haben, die Kirche von Maria Buch zu zerstören. Sobald sie sich ihr näherten, soll sie aber durch den „besonderen Schutz ihrer erhabenen Patronin“ unsichtbar geworden sein. Daher griffen die ‚Türken‘ zu einer List, „heuchelten Frömmigkeit und Gottesfurcht“ und teilten dem Pfarrer mit, sich zum Christentum bekehren zu wollen. Im Rahmen der geplanten Tauffeierlichkeit sollten zwölf große Kerzen entzündet werden, die die ‚Türken‘ der Kirche vorher zum Geschenk gemacht hatten. Der Mesner war jedoch so ungeschickt, dass er eine der Kerzen fallen ließ und der darin befindliche Sprengstoff zum Vorschein kam. Als die ‚Türken‘ erkannten, dass ihr Plan, die Kirche mit samt den Gläubigen in die Luft zu sprengen, missglückt war, zogen sie schließlich unverrichteter Dinge ab. Zur Erinnerung an die „glückliche Errettung der Kirche aus der Türkengefahr“ wurden zu beiden Seiten des Altars drei große Kerzen angebracht. So wird zumindest in der Sage berichtet.
Bei Franz Brauner, dem Herausgeber der Steirischen Heimathefte „Was die Heimat erzählt“, weicht die Erzählung etwas ab. In diesem Fall opferten die Osmanen nicht zwölf, sondern neun Wachskerzen, die bei der Weihnachtsmesse entzündet werden sollten. Doch auch hier vereitelte der Mesner mit seiner Ungeschicklichkeit „die teuflische List und Absicht der grausamen Türken“ (Brauner 1950: 44). In einem Aufsatz von Leopold Schmidt (1950: 76), der im selben Jahr veröffentlich wurde, ist wiederum davon zu lesen, dass die ‚Türken‘ die mit Sprengstoff präparierte Kerze gegen eine bereits bestehende Opferkerze ausgetauscht hätten.
Historischer Hintergrund der Sage von den ‚Türkenkerzen‘
Die Kirche von Maria Buch wurde zwar im August 1480 von osmanischen Streifscharen, die von Judenburg kommend über Weißkirchen und Obdach weiter nach Kärnten zogen, verwüstet, wie eine verschwundene Freskoinschrift aus der Barockzeit über dem Portal der Kirche (vgl. Andritsch 1992: 24) und die Aufzeichnungen des Kärntner Pfarrers Jakob Unrest belegen, die Geschichte von den ‚Türkenkerzen‘ entbehrt jedoch jeder geschichtlichen Grundlage. Zudem ist der Entstehungskontext dieser Sagen durchaus kritisch zu hinterfragen.
Franz Brauner, der Herausgeber der Steirischen Heimathefte „Was die Heimat erzählt“, trat 1934 der NSDAP bei. Ebenso wie Viktor Jabornik, der 1933 in Judenburg verstarb, war Brauner als Lehrer tätig und trug somit dazu bei, dass deutschnationales Gedankengut in Form von patriotischen Sagen und Legenden Eingang in den Schulunterricht fand (vgl. Barbarics-Hermanik 2010: 13).
„Ein Fürbittgebet bedrängter Menschen“
Tatsächlich wurden die ‚Türkenkerzen‘ von Maria Buch nicht im Jahr 1480, das als Jahr der drei großen Gottesplagen ‚Türken, Pest und Heuschrecken‘ in die steirischen Geschichtsbücher eingegangen ist (vgl. Gottesplagenbild, Graz), angefertigt, sondern – wie eine Kirchenrechnung aus dem Jahr 1682 belegt – fast genau 200 Jahre später, als Gesandtschaftsberichte aus Istanbul einen Krieg mit den Habsburgern bereits als unausweichlich bezeichneten und erste Abwehrmaßnahmen entlang der Grenze getroffen wurden. (vgl. Andritsch 1992 bzw. Posch 1983: 6) Bereits wenige Monate später begann der osmanische Eroberungsfeldzug mit dem Ziel, den „Goldenen Apfel“ Wien einzunehmen. Anders als im Jahr 1664 bei der Schlacht von St. Gotthard/ Mogersdorf, als die Route der Osmanen der Raab entlang führte, waren 1683 nicht die südöstlichen Gebiete der Steiermark bedroht, sondern in erster Linie der Nordosten des Landes und in weiterer Folge auch das Murtal. Daher sind die ‚Türkenkerzen‘, wie Karl Pötscher (o.J.: 13) im Kirchenführer Maria Buch betont, als „ein Fürbittgebet bedrängter Menschen“ zu verstehen, die sich angesichts der neuerlichen Bedrohung verständlicherweise an frühere Einfälle der Osmanen erinnerten, wie Andritsch (1992: 60) hinzufügt.
In diesem Entstehungskontext ist auch die Motivwahl der ‚Türkenkerzen‘ zu verstehen. Auf jeder der neun Kilogramm schweren Kerzen, die in Kapfenberg gegossen und von einem Maler aus Bruck an der Mur kunstvoll verziert wurden, ist die Gottesmutter Maria mit dem Jesukind auf dem Arm abgebildet, umgeben von dekorativen Rosengirlanden. Rechts und links werden die drei Kerzen von barocken Engelsfiguren flankiert, die vom Judenburger Künstler Balthasar Prandstätter hergestellt wurden. Beim „kostbarsten Schatz“ der Wallfahrtskirche, einer lebensgroßen Marienstatue, die im Gegensatz zu den ‚Türkenkerzen‘ tatsächlich aus dem Jahr 1480 stammen dürfte (vgl. Pötscher: 4), steht Maria mit dem Kind zusätzlich auf einem Halbmond. Seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sollen derlei Darstellungen, die Maria als „Schutzmantelmadonna“ oder „Madonna mit der Sichel“ zeigen, zunehmend auch in den Alpenländern Verbreitung gefunden haben (vgl. Andritsch 1992: 28). „Daher kommen die Legenden von den ‚Türkenkerzen‘ auch zu dieser Zeit auf und prägen das religiöse Bild, die Zuflucht zur Gottesmutter, zur Retterin vor dem Halbmond“, wie Andritsch hinzufügt (ebd.: 60).
Marienwallfahrten nach Maria Buch
Marienwallfahrten nach Maria Buch
Wie die Aufzeichnungen des Judenburger Dechants Joseph Moog aus dem Jahr 1767 belegen, zog die Kirche von Maria Buch seit ihrem Bestehen zahlreiche Wallfahrer aus den benachbarten Regionen an. Viele dieser Marienwallfahrten fanden sogar mehrmals im Jahr statt (vgl. Pötscher o.J.: 15). Gläubige der nahe gelegenen Stadt Judenburg unternahmen dabei nicht nur Fußwallfahrten nach Maria Buch, sondern auch nach Maria-Waitschach. Als Geschenk sollen sie bereits seit dem Jahr 1523 eine mit Wachs umwickelte Stange mitgeführt haben. Andritsch (1992: 60) zieht daher den Schluss, dass eine derartige „Wachsabgabe“ bereits früher üblich war, „die Motivation zu Türkenkerzen“ aber erst „mit der neuen Bedrohung aus dem Osten“ wieder aufkam.
1480 – 1683 – 1983
1480 – 1683 – 1983
300 Jahre nachdem die Osmanen bereits zum zweiten Mal bis nach Wien vorgedrungen waren und die ‚Türkenangst‘ erneut im ganzen Land kursierte, wurde das Jubiläumsjahr 1983 auch in der Steiermark dazu genutzt, die Kerzen von Maria Buch zu restaurieren. Sie wurden nicht nur gereinigt, sondern zusätzlich auch mit einigen Biedermeierzieraten geschmückt. Gleichzeitig wurde damit aber auch die Erinnerung an den Türkeneinfall von 1480 „aufgefrischt“ und eine gewisse Kontinuität im ‚Türkengedächtnis‘ entlang der Achse 1480 – 1683 – 1983 konstruiert.
Das Motiv der ‚Türkenkerzen‘ – ein weit verbreitetes Phänomen?
Das Motiv der ‚Türkenkerzen‘ – ein weit verbreitetes Phänomen?
Wann die Sage von den ‚Türkenkerzen‘ aufkam, ist unklar. Dem Wiener Volkskundler Leopold Schmidt (1950: 75) zufolge ist das Motiv der mit Sprengstoff gefüllten Kerzen aber „das bezeichnendste der Türkenzeit“, das – abgesehen von einigen lokalen Unterschieden – in gleich mehreren Wallfahrtsorten der Steiermark, Kärntens und im Salzburger Lungau vorkommt: in Maria Buch bei Weißkirchen, St. Benedikten bei Knittelfeld, Maria Rast bei Maribor, St. Johann bei Gansdorf im Rosental und in einem nicht näher definierter Ort auf der Saualpe im Kärntner Lavanttal. St. Leonhard bei Tamsweg im Lungau zählt Schmidt ebenfalls dazu, obwohl der dort überlieferte Anschlag auf die Kirche angeblich von den Franzosen und nicht von den Osmanen verübt worden sein soll. In Niederösterreich und dem Burgenland hätte es bislang keinen Anhaltspunkt für das Vorhandensein dieses Türkenmotivs gegeben, wie Schmidt hinzufügt. Der Kern der Legende ist in allen Regionen ähnlich: eine oder mehrere mit Schießpulver gefüllte Kerze(n), die bei ihrer Entzündung die Kirche in die Luft sprengen soll(ten). Entweder wurden diese Kerzen von den ‚Türken‘ zurückgelassen, vertauscht oder als Geschenk überreicht. „Wie durch eine Wunder“ sei die List jedoch in allen Fällen rechtzeitig erkannt und die Sprengkörper entschärft worden.
Für den Ursprung der Legende gibt es mehrere Erklärungsansätze: Sie könnte entweder eine Abwandlung so genannter „Frevler- und Ketzerlegenden“ sein oder, wie Gustav Gugitz (vgl. 1944: 374) vermutet, einen realen Hintergrund haben: die Spreng- und Minierkunst der ‚Türken‘. Leopold Schmidt vermutet hingegen, dass die Legende von den mit Pulver gefüllten Kerzen aus der Mittelmeerregion stammen könnte. Konkret bezieht er sich auf die etwas komplexere „Erzählung vom Wunder des heiligen Michael, des Panormiti, auf Rhodos“ (vgl. Hallgarten 1929: 60ff.), laut der drei zu Sprengkörpern umfunktionierte Leuchter mit Kerzen nicht von den Osmanen selbst, sondern von drei bestochenen Christen in die Kirche gebracht wurden, um diese in die Luft zu sprengen. Diese „Greuellegende“ sei Schmidt zufolge nicht nur glaubwürdiger als die österreichischen Abwandlungen, sie sei angeblich auch „im ganzen Grenzbereich des Islam erzählt“ worden (Schmidt 1950: 79). Vom östlichen Mittelmeerraum könnte sich die Sage Schmidt zufolge dann Richtung Norden hin ausgebreitet haben und überall dort hängen geblieben sein, wo es ebenfalls ‚Türkeneinfälle‘ gab. Die Verbreitung bzw. lokale Adaption dieser Legende habe ein ganz pragmatisches Ziel verfolgt, das weniger mit den tatsächlich verübten Gräueltaten der ‚Türken‘, als mit „Rissen und Sprüngen“ in der katholischen Tradition zu tun gehabt habe, die zur Zeit der Reformation entstanden wären. Schmidt geht davon aus, „daß sich die durch Predigten, vielleicht auch Flugschriften usw. verbreitete Wanderlegende jeweils an örtliche Denkmäler anschloß, zu denen kein lebendiges Verhältnis mehr bestand. Also an große Votivkerzen, welche der betreffenden Gemeinde nicht mehr durch geübten Gebrauch verständlich waren.“ (Schmidt 1950: 79) Weitere Belege für Schmidts Theorie konnten jedoch nicht gefunden werden.
Zusammenfassend können die ‚Türkenkerzen‘ und die dahinterliegende Legende in Anlehnung an Schmidt als gegenreformatorisches Instrument der katholischen Kirche interpretiert werden, das in Zeiten äußerer Bedrohung konfessionelle Einheit unter dem Schutzmantel Marias herstellen sollte. Dafür spricht auch der Umstand, dass die ‚Türkenkerzen‘ von Maria Buch nicht – wie in der Sage behauptet – 1480 gestiftet wurden, sondern erst 200 Jahre später.
Literatur
Literatur
Andritsch, Johann (1992): Maria Buch. Kirchen- und Ortsgeschichte. Judenburg.
Barbarics-Hermanik, Zsuzsa (Hg.) (2010): Türkenbilder und Türkengedächtnis in Graz und in der Steiermark. Katalog zu einer Ausstellung aus Anlass des Jubiläums „40 Jahre Südosteuropäische Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz“, Universitätsbibliothek, 10. Juni–31. Oktober 2010. Graz.
Brauner, Franz (1950): Die Türkenkerzen von Mariabuch. In: Was die Heimat erzählt (Steirische Heimathefte). Judenburg und Umgebung. Knittelfeld und Umgebung, Heft 5, 43–44.
Gollner, Marion (2012): „Der Türk‘ bricht wieder ein“– Erinnerungen an die osmanischen Einfälle im steirischen Mur- und Mürztal. In: Feichtinger, Johannes/ Heiss, Johann (Hg.): Geschichtspolitik und „Türkenbelagerung“. Wien.
Gugitz, Gustav (1944): Das Türkenmotiv in den Gnadenstätten der Ostmark. In: Jahrbuch für Landeskunde von Niederdonau. Wien, 363–405.
Hallgarten, Paul (1929): Rhodos. Die Märchen und Schwänke der Insel. Frankfurt am Main.
Jabornik, Viktor (1931): 94 Sagen aus den Bezirken Judenburg, Knittelfeld, Obdach und Oberzeiring. Judenburg.
Posch, Fritz (1983): Was geschah im Türkenjahr 1683 in der Steiermark? In: Zeitschrift des historischen Vereines für Steiermark. Graz.
Pötscher, Karl (o.J.): Wallfahrtskirche Maria Buch. Kirchenführer herausgegeben vom Kuratbenefizium Maria Buch. Judenburg.
Schmidt, Leopold (1950): Die Legende von der mit Pulver gefüllten Kerze. Zu einem Türkenmotiv der innerösterreichischen Wallfahrten. In: Blätter für Heimatkunde. 24. Jahrgang, Heft 3. Graz, 75–80.
Toifl, Leopold/ Leitgeb, Hildegard (1991): Die Türkeneinfälle in der Steiermark und in Kärnten vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. Wien.
Unrest, Jakob (1957): Österreichische Chronik. Hrsg. v. Karl Grossmann. Weimar.