Hoher Markt 10-11, Karte
Text: Simon Hadler, Martina Bogensberger
Am Hohen Markt im ersten Wiener Gemeindebezirk ist als Verbindungsstück zweier Gebäudeteile eine im Jugendstil gefertigte Uhr angebracht. Ihren Namen Ankeruhr verdankt sie der Versicherungsgesellschaft „Der Anker“, die an diesem Ort ihren Firmensitz hatte und 1911 das Kunstwerk in Auftrag gab. Die Spieluhr zeigt abwechselnd zwölf historische Persönlichkeiten, darunter auch solche, die mit den Auseinandersetzungen mit dem osmanischen Reich in Verbindung stehen: Bürgermeister Johann Andreas von Liebenberg, Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg und Prinz Eugen von Savoyen.
Anlass und Beschreibung der Ankeruhr
Die Versicherungsgesellschaft „Der Anker“ war bereits seit 1861 am Hohen Markt beheimatet und hatte ihren Sitz im damaligen „Galvagni-Hof“. Aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs wurde das Gebäude jedoch zu klein, und die Gesellschaft kaufte Stück für Stück angrenzende Liegenschaften auf. Als man 1911 die Errichtung einer zentralen Verwaltungsstelle beschloss, versuchte man trotz des Durchbruchs zum Bauernmarkt die Einheit des Gebäudekomplexes zu wahren. Aus diesem Grund wurde der Maler und Bildhauer Franz von Matsch mit der künstlerischen Gestaltung der Uhr beauftragt. (helvetia.com) Von ihm stammen Idee und Programmskizzen, selbst geschaffen hat er darüber hinaus die historischen Figuren. (vgl. Der Anker 1927: 36)
In der Mitte der etwa zehn Meter langen und 7,5 Meter hohen Brücke befindet sich die eigentliche Uhr mit einem Durchmesser von vier Metern. Über ihr ist eine Sonnenscheibe zu sehen und ihren Hintergrund bildet ein Mosaik mit dem Doppeladler und dem alten Wiener Wappen. Der historische und lokale Bezug wird jedoch vor allem über den Reigen geschichtlicher Persönlichkeiten und der dazu erklingenden Musik hergestellt. Jede Figur ist 60 Minuten lang zu sehen. Um 12 Uhr Mittag ziehen sie dann alle noch einmal vorbei, wobei jede Person von einem passenden Musikstück begleitet wird.
Eine Parade der Geschichte Wiens
Mit der Abfolge der überlebensgroßen Figuren wird eine Geschichte Wiens und Österreichs erzählt, die von Kaiser Marcus Aurelius bis zu Joseph Haydn reicht. In ihr treten bedeutende Herrscherpersönlichkeiten ebenso auf wie Künstler (u.a. Hans Puchsbaum, der Vorsteher der Bauhütte des Wiener Stephansdoms) und siegreiche Helden. (vgl.Czeike 1995) Angesichts dieser thematischen und epochalen Breite ist es bemerkenswert, dass insgesamt drei von 12 Personen in engem Bezug mit der zweiten Wiener Türkenbelagerung stehen – das unterstreicht die immense Bedeutung, die den Verteidigern der Stadt (Liebenberg und Starhemberg) sowie dem „Befreier“ des Reiches von osmanischer Herrschaft Prinz Eugen am Vorabend des Ersten Weltkrieges zugeschrieben wurde.
In der Beschreibung der Uhr durch die den Auftrag vergebende Versicherungsgesellschaft wird die Auswahl wie folgt begründet:
Nicht einfach war die Wahl der zwölf historischen Persönlichkeiten, welche täglich erscheinen, und man mußte sich eine gewisse Grenze darin setzen; anderseits sollten berühmte Männer aus verschiedenen Ständen die Reihe der Regenten unterbrechen. Es konnte daher nur ein ganz kleiner Bruchteil aller der großen und hervorragenden Menschen, die einst im Laufe der Jahrhunderte über den ,Hohen Markt‘ gingen und speziell für Wien eine große Bedeutung hatten, vorgeführt werden. (Der Anker 1927: 10)
Ein Übergewicht an Kämpfern gegen die Türken
Zwischen 8 und 9 Uhr hat der Bürgermeister zur Zeit der zweiten Wiener Türkenbelagerung im Jahr 1683, Johann Andreas von Liebenberg, seinen Auftritt. Musikalisch begleitet wird er vom ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert stammenden Volkslied „O du lieber Augustin“. Liebenberg erlangte vor allem in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts große Bekanntheit in Wien, galt er doch dem liberalen Bürgertum als Beleg für den tatkräftigen und entscheidenden Anteil der Wiener Bürger im Verteidigungskampf gegen die Türken. Ihren stärksten Ausdruck fand diese Haltung in der 1890 erfolgten Errichtung eines Monumentaldenkmals für Liebenberg gegenüber der Universität.
Liebenbergs Auftritt folgt mit Graf Ernst Rüdiger von Starhemberg der kaiserliche Stadtkommandant Wiens während der zweiten Türkenbelagerung. Er wird von einem historischen Kriegslied begleitet.
Direkt im Anschluss tritt Prinz Eugen von Savoyen auf mit dem Stück „Prinz Eugenius der Edle Ritter“. Dieses Lied, das an die Eroberung Belgrads im Jahr 1717 erinnert, erfreute sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit. Eine Vielzahl an Variationen existieren von diesem Stück, ganz besonders in der Militärmusik.
Patriotische Inszenierung im Ersten Weltkrieg
Patriotische Inszenierung im Ersten Weltkrieg
Die Fertigstellung der Uhr fiel mit dem Ersten Weltkrieg zusammen. Nicht zuletzt deswegen waren die ersten öffentlichen Vorführungen als patriotische Kundgebungen konzipiert. Das war zwar schon in der Auswahl der Figuren sowie im abschließenden Musikstück Joseph Haydns – der Kaiserhymne – angelegt. Doch als die Uhr Anfang Dezember 1914 erstmals vor einer „Tausende zählenden Menschenmenge“ gezeigt wurde, spielte man auch weiteres patriotisch-militärisches Liedgut wie „Der gute Kamerad“ oder „Die Wacht am Rhein“. (Österreichische Volks-Zeitung 03.12.1914: 6) Aus Zeitungsberichten geht hervor, dass die einzelnen Figuren nicht immer eindeutig zu erkennen waren – weder Kaiser Joseph noch Beethoven waren jedenfalls Teil der Parade. (Österreichische Volks-Zeitung 01.12.1914: 4)
Oft war die Ankeruhr während des Ersten Weltkriegs nicht in Betrieb; war sie es aber, so unterstrichen ihre Betreiber durch die Aufführung von Liedern wie der „Wacht am Rhein“ oder „Heil dir im Siegerkranz“, der deutschen Kaiserhymne, deutsche Nationsverbundenheit und Siegeswillen, wie z.B. anlässlich des Geburtstags Kaiser Franz Josephs am 18. August 1915. (Die Neue Zeitung 19.08.1915: 6)
Mit dem Ende des Habsburgerreiches war auch eine Änderung des musikalischen Repertoires verbunden: Anstelle des „Gott erhalte“ ist seitdem ein Ausschnitt aus Haydns „Schöpfung“ zu hören. Zwischenzeitlich wurde auch das Prinz Eugen-Lied als „nicht mehr zeitgemäß“ erachtet und durch ein Musikstück des Komponisten und Kapellmeisters Johann Joseph Fux ersetzt, wie in einer Beschreibung des Denkmals im Jahr 1927 zu lesen ist. (Der Anker 1927: o.S.)
Veränderungen und Restaurierungen
In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs wurde die Ankeruhr beschädigt und die Orgel konnte im Zuge der Restaurierung nicht wiederhergestellt werden. Bei weiteren Renovierungsarbeiten Ende der 1970er Jahre wurden die Musikstücke, die seitdem vom Band kommen, neu eingespielt. Die letzte umfangreiche Instandsetzung erfolgte im Jahr 2005. (vgl. derstandard.at 11.10.2005) Ein Jahr später übernahm die österreichische Niederlassung der Versicherung „Der Anker“ den Namen ihrer Muttergesellschaft „Helvetia“.
Literatur
Literatur
Czeike, Felix (1995): Historisches Lexikon Wien. Band 4. Wien.
Der Anker (1927): Die Kunstuhr des „Anker“. Wien.
derstandard.at (11.10.2005): Die Ankeruhr am Hohen Markt spielt wieder auf. (20.09.2020)
Die Neue Zeitung 19.08.1915: Generalprobe der „Anker“=Uhr am Hohen Markt.
Österreichische Volks-Zeitung (01.12.1914): Die Kunstuhr auf dem Hohen Markt.
Österreichische Volks-Zeitung (03.12.1914): Ein Orgelkonzert im Freien.