Kahlenberg, Karte
Text: Silvia Dallinger
Im Jahr 1938 wurde von den Nationalsozialisten ein erneuter Anlauf für ein Bronzerelief am Kahlenberg genommen. Dieses sollte nicht dem „Helden“ des Austrofaschismus Marco d’Aviano gewidmet sein, sondern den „Kampf des Deutschtums gegen den Osten“ repräsentieren. Das von Hans Andre (1902–1991) gefertigte Relief wurde jedoch nie aufgestellt und 1953 eingeschmolzen. Es verkörperte nicht mehr den ‚Türken‘ sondern den ‚Juden‘ als Feindbild.
Neue Feindbilder
Neue Feindbilder
Nachdem bereits ein früherer Wettbewerb zur Errichtung eines Denkmals am Kahlenberg im Sand verlaufen war, schrieb das Kulturamt Wien nach dem ‚Anschluss‘ Österreichs an Deutschland 1938 einen neuerlichen Wettbewerb für ein Bronzerelief am Kahlenberg aus. Dieses sollte sich von der ‚austrofaschistischen‘ Ideologie abgrenzen und dem Nationalsozialismus gerecht werden. Die bisherige Leitfigur Marco d’Aviano, die im Austrofaschismus symbolisch für die Verbundenheit Österreichs mit der Kirche und die Abwehr der ‚antireligiösen Kräfte’ Nationalsozialismus und Kommunismus stand, wurde durch eine antisemitische Symbolik ersetzt. Das Motiv des Sieges über die Türken 1683, das sich politisch gut verwenden ließ, wurde nahtlos aufgegriffen und gemäß nationalsozialistischer Zielvorstellungen umgedeutet.
„Der Kampf des Deutschtums gegen den Osten“
„Der Kampf des Deutschtums gegen den Osten“
Der Wettbewerb des Jahres 1938 fand unter dem Titel „Der Kampf des Deutschtums gegen den Osten“ statt. Ausgeschrieben wurde ein sechs Meter langes Bronzerelief für den Kahlenberg. Hans Andre, ein Mitarbeiter von Clemens Holzmeister und später (1954–1967) Professor an der Wiener Akademie der bildenden Künste, wurde gemeinsam mit dem Architekten Oswald Haerdtl (1899–1959), der 1935 den österreichischen Pavillon für die Weltausstellung in Brüssel entworfen hatte, zum Gewinner der Ausschreibung gekürt.
Das Relief wird 1953 eingeschmolzen
Das Relief wird 1953 eingeschmolzen
Der Gewinner des Wettbewerbs Hans Andre fertigte das Relief zwar wie vorgesehen an, es wurde aber nie aufgestellt und 1953 eingeschmolzen.
Das Relief zeigte u.a. eine türkische Fahne mit einem Davidstern an der Spitze und einem Reichsadler darüber. Damit wurde das alte Türkenfeindbild in ein neues Feindbild der Juden umfunktioniert (vgl. Krasa, in: Historisches Museum der Stadt Wien 1983: 384).
Immer wieder wurde das Gedenken an 1683 in der Zeit des Nationalsozialismus für die jeweiligen propagandistischen Zwecke verwendet. Besonders in den letzten Monaten vor Ende des Krieges wurden Parallelen zur Zweiten Wiener Türkenbelagerung gezogen. Auch 1683 sei die Situation der Wiener und Wienerinnen ausweglos erschienen, bis die Entsatzschlacht doch zugunsten Österreichs entschieden werden konnte. Durch das positive Beispiel der tapferen Vorahnen sollten die kriegsmüden Österreicher und Österreicherinnen von 1944/45 zum weiteren Ausharren und Kämpfen ermutigt werden: „Wir Wiener von heute denken an unsre Vorfahren zurück und sind stolz auf sie; ihre Tapferkeit und ihre opferbereite Heimattreue sind Beispiel für unsre Zeit“ (Kleine Wiener Kriegszeitung 26.09.1944: 4). Das Sujet der Entsatzschlacht von 1683 war sogar als eines von mehreren Gobelins, die eine Auswahl der ‚großen Schlachten der deutschen Geschichte‘ darstellen sollten, für die Neue Reichskanzlei in Berlin geplant und sollte von Werner Peiner gestaltet werden (vgl. Krasa, in: Historisches Museum der Stadt Wien 1983: 384).
Bereits im Jahr 1939 beteiligte sich das Team Andre/Haerdtl erneut an einem mit 15 000 Reichsmark dotierten Wettbewerb des Wiener Kulturamtes für ein Denkmal am Kahlenberg. Dieses Mal sollte ein Walther-von-der-Vogelweide-Denkmal als neues Wahrzeichen am Kahlenberg aufgestellt werden. Der Entwurf wurde jedoch abgelehnt.
Literatur
Literatur
Böhm, Jasmine (2001): „Türken-Images“ im öffentlichen Raum. Eine ethnologische Spurensuche in Wien. Diplomarbeit der Universität Wien.
Czerny, Wolfgang/ Kastel, Ingrid (1996): Dehio-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs. Wien X. bis XIX. und XXI. Bis XXIII. Bezirk. Wien.
Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.) (1983): Die Türken vor Wien. Europa und die Entscheidung an der Donau 1683. Katalog zur 82. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. 5. Mai bis 30. Oktober 1983. Wien.
Kleine Wiener Kriegszeitung (26.09.1944): Die Stadt Wien als Retterin des Abendlandes. Unbeugsamer Lebenswille besiegt die Not, 4.
Krasa, Selma (1982): Das historische Ereignis und seine Rezeption. Zum Nachleben der Zweiten Türkenbelagerung Wiens in der österreichischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. In: Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.): Die Türken vor Wien. Europa und die Entscheidung an der Donau 1683. Salzburg/Wien, 304–317.
Rampold, Reinhard (2001): Hans Andre. Bildhauer und Maler. 1902–1991. Innsbruck/Wien.
Tomenendal, Kerstin (2000): Das türkische Gesicht Wiens. Auf den Spuren der Türken in Wien. Wien/Köln/Weimar.
Wikipedia: Kahlenberg, 20.09.2020.