Waidhofen a. d. Ybbs, Karte
Text: Simon Hadler
Im September 1532 lagerten Akindschi – irreguläre Reitertruppen der Osmanen – mehrmals vor Waidhofen a. d. Ybbs, doch den Einwohnern der Stadt gelang es, sie zu vertreiben. Den Erlös aus der Beute verwendeten sie für die Aufstockung des Stadtturms, der vor allem am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Mittelpunkt patriotischer Gedenkveranstaltungen stand.
Geschichte
Nachdem bereits im Jahr 1529 vereinzelte osmanische Reiter in der Nähe von Waidhofen gesichtet worden waren, sie jedoch nur einige wenige Pfeile verschossen hatten, erschienen Einheiten der Akindschi im Jahr 1532 gleich mehrmals vor den Mauern der Stadt. Die wichtigste Quelle ist ein Bericht des Waidhofner Rates an den Fürstbischof Philipp von Freising (Richter 1983: 9–12), zu dessen Besitz die Stadt gehörte. Sie erzählt davon, dass am 8. September 4000 Akindschi auf der so genannten Kreilhofer Wiese (auch als „Schwarze Wiese“ bezeichnet) lagerten, nachdem sie zuvor die östlich gelegene Stadt Ybbsitz niedergebrannt hatten. Einzelne Reiter sollen sich dabei den Mauern Waidhofens genähert haben, wurden jedoch durch einen Kanonenschuss der Verteidiger verjagt. Wenig später kam es zu einem Ausfall aus der Stadt mit fünfzig Mann, welche die angeblich 4000 osmanischen Reiter in die Flucht schlagen konnten. Eine Folge davon war, dass die Akindschi 224 Gefangene töteten. Die Waidhofner sandten den sich zurückziehenden Reitern Verfolger nach und konnten noch einige Gefangene befreien.
An den nächsten beiden Tagen wiederholte sich der Vorfall. Wieder lagerte eine größere Anzahl Akindschi auf der Kreilhofer Wiese, wieder wurden sie durch einen Ausfall der Waidhofner vertrieben und wieder hinterließen sie zuvor getötete Gefangene. Insgesamt sollen an den drei Tagen fast 500 Menschen gestorben sein, davon aber praktisch kein osmanischer Reiter oder Waidhofner Bürger. Dennoch wurden auch Gefangene befreit und vor allem reichlich Beute gemacht. Besonders mit dem Verkauf eroberter Pferde – welche teilweise erst zuvor von den Osmanen gestohlen worden waren (Bote von der Ybbs 31.8.1962: 3) – konnte die Stadtkasse gefüllt und unter anderem der Ausbau des Stadtturms bezahlt werden.
Gründe für die Ausfälle aus der Stadt
Gründe für die Ausfälle aus der Stadt
Militärisch notwendig waren die Ausfälle der Waidhofner nicht. Ihre Stadt war viel zu gut befestigt, als dass die Akindschi, die nur leichte Waffen trugen und jeder Schlacht aus dem Weg gingen, sie ernsthaft attackieren hätten können. Während also der Schutz der Stadt als Motiv für die Ausfälle ebenso ausgeschlossen werden kann wie die Rettung christlicher Gefangene – denn schon nach dem ersten Tag war deutlich geworden, dass die Akindschi bei der Flucht diese töteten –, bleiben zwei andere mögliche Gründe zu erwähnen: Zum einen konnte durch die Angriffe auf die osmanischen Reiter viel Beute gemacht werden. Zum anderen aber könnte auch ein persönliches Motiv im Spiel gewesen sein. Denn der Waidhofner Stadtrichter Erhard Wild, der bei der Organisation und Durchführung der militärischen Aktionen eine wesentliche Rolle spielte, war bereits im Jahr 1529 mit osmanischen Truppen in Berührung gekommen. Zur Zeit der Ersten Wiener Türkenbelagerung hatte er sich offenbar in seiner Herkunftsstadt (Richter 2001: 5) Neumarkt a. d. Ybbs aufgehalten, wo er gefangen genommen wurde. (Preuenhuber 1740: 244) Über diese Gefangenschaft oder darüber, wie diese beendet wurde, ist nichts bekannt. Doch könnten diese Erfahrungen den Stadtrichter dazu bewogen haben, besonders aggressiv gegen die vor der Stadt lagernden osmanischen Reiter vorzugehen.
Beschreibung des Stadtturms
Das Wahrzeichen der Stadt steht heute mitten auf dem Oberen Stadtplatz, es war jedoch zur Zeit seiner Entstehung im 13. Jahrhundert Teil der Stadtbefestigung. Nach der Auseinandersetzung mit den osmanischen Reitertruppen im Jahr 1532 wurde der Turm zwischen 1535 und 1542 auf eine Höhe von 50 m ausgebaut und erhielt wahrscheinlich im 17. Jahrhundert mit dem zwiebelförmigen Dach sein heutiges Aussehen. (Überlacker 1981: 225) Auf einer Zeichnung von Lorenz Thurman aus dem Jahr 1571 ist an der Spitze noch ein Wetterhahn erkennbar, das heutige Kreuz über dem liegenden Halbmond war also auch kein ursprünglicher Bestandteil des Turms. (Richter 2001: 6) In der pathetischen Rhetorik zu Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese Symbolik folgendermaßen interpretiert:
Der glänzende Halbmonde mit dem darüber stehenden Kreuze auf der Spitze des Thurmes sollte den Sieg des Wahrzeichens des Christentums, des Kreuzes, über das Symbol des Islam, den Halbmond, andeuten, zugleich aber den spätgeborenen Enkeln die glorreichen Thaten ihrer Ahnen in das Gedächtnis rufen. (Frieß 1892: 57)
Ein weiterer Verweis auf das Jahr 1532 stellt die nach Norden ausgerichtete Turmuhr dar. Diese zeigt stets auf dreiviertel Zwölf und soll so an den Zeitpunkt der endgültigen Vertreibung der Akindschi erinnern. Es ist jedoch nicht bekannt, wie lange diese Tradition schon besteht, möglicherweise entstand sie erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Zu dieser Zeit tauchte auch erstmals die Bezeichnung „Türkenturm“ auf. (Maier 2006: 114)
Schließlich erhielt der Turm im Jahr 1932 – anlässlich der Feierlichkeiten zum 400. Jubiläum – eine markante Aufschrift mit folgendem Text:
Im Jahre 1532 schlugen
Bürger, Schmiede und Bauern
die Türken in die
Flucht und erbauten
zur Erinnerung
diesen
Turm.
Ein alternativer Vorschlag stammte vom damaligen Oberlehrer Rudolf Völker:
1532
Gemahne euch an Türkennot,
An schwerer Tage Pflichtgebot!
Seid wie die Alten
sonder Scheu,
Wehrhaft und einig
deutsch und treu!
(Bote von der Ybbs 3.6.1932: 2)
In seiner profanen Funktion war der Stadtturm bis in die Zwischenkriegszeit Arbeitsplatz und Wohnsitz des Turmwächters. Seit 1950 wurde er immer wieder als Ausstellungsort genutzt und seit 2008 beherbergt er die permanente Ausstellung „Die Welt der kleinen Leute – anno dazumal“.
Straßennamen
Straßennamen
In Waidhofen a. d. Ybbs erinnert neben dem Stadtturm auch noch anderes an den Kontakt mit den Osmanen. So gibt es einen Türkenweg und einen Erhard-Wild-Platz. Letzterer nimmt auf den 1532 amtierenden Stadtrichter Bezug, dem ein großer Anteil an der Organisation der militärischen Aktionen gegen die Akindschi zugeschrieben wurde. Wann diese Straßen ihren heutigen Namen bekamen, ist nicht bekannt. Zumindest der Erhard-Wild-Platz dürfte aber seit 1895 so heißen, als in Waidhofen das System der Orientierungsnummern eingeführt wurde. Namensvorschläge stammten damals u.a. vom Lokalhistoriker Godfried Frieß (Ausstellungs- und Festführer 1932: 41)
Das Gassaten Gehen der Sensenschmiede
Waidhofen a. d. Ybbs besitzt eine weit zurückreichende Tradition der Eisenverarbeitung. Den in diesem Gewerbe beschäftigten Schmieden, vor allem den Sensenschmieden, wird auch ein großer Anteil an der Vertreibung der osmanischen Streitscharen nachgesagt. So sollen sie am 9. September 1532 während des zweiten Ausfalls der Waidhofner den Akindschi auf dem Grasberg in den Rücken gefallen sein. (Frieß 1932: 158f) Einer Legende nach soll auch der Sensenschmied Georg Kornhuber den Pfalzgrafen Friedrich beim Entsatz Waidhofens unterstützt haben, indem er aus Rache für die Schändung seiner Frau die gefangenen Gegner mit dem Hammer zermalmte. (Frieß 1932: 139f; Kopetzky 1928: 14) Es deutet jedoch nichts darauf hin, dass diese Geschichte auch nur in einem einzigen Detail wahr ist.
Auf jeden Fall soll den Sensenschmieden seither das so genannte „Gassaten gehen“ (im Sinne von: „[…] auf den Gassaten des Nachts herum gehen; insbesondere in den Gassen vor gewissen Häusern eine Nachtmusik machen.“ (Delling 1820: 197)) erlaubt worden seien. Dabei zogen die Zunftmitglieder in der Johannisnacht (die Nacht vom 23. auf den 24. Juni) mit Trommeln und Schwegel- oder Türkenpfeifen durch die Stadt und erinnerten mit dem Ruf „Auf, in Gott’s Nam, die Türken san da!“ an ihre Verdienste. (Almer 1983: 56) Ob diese Tradition tatsächlich mit den Ereignissen im September 1532 in Zusammenhang steht, ist unklar. Es könnte sich dabei ursprünglich um einen Zunftumzug gehandelt haben. (Bauer 1982: 175) Noch heute wird versucht, diese Tradition weiterzuführen, auch wenn es längst keine Sensenschmiede mehr in Waidhofen gibt und etwa im Jahr 2010 die „Türkenpfeifer“ ausgeblieben sind. (Waidhofen a. d. Ybbs)
Gedenkfeier 1892
Gedenkfeier 1892
Eine erste groß organisierte Gedenkveranstaltung fand vom 24. September bis zum 4. Oktober 1892 anlässlich des 360. Jahrestages der Ereignisse im Jahr 1532 statt. Dieses nicht ganz runde Jubiläum war möglicherweise inspiriert durch die Festlichkeiten der 200-Jahr-Feier der Zweiten Wiener Türkenbelagerung 1883, an welchen sich auch der damalige Bürgermeister Karl Frieß beteiligt hatte. (Mayr 1925: 241)
Die Feiern begannen am Abend des 24. Septembers mit einem Zapfenstreich und einem Fackelzug durch die festlich beleuchtete und beflaggte Stadt. Der folgende Tag begann mit einem Festzug vom damaligen Rathaus zur Pfarrkirche zum Gottesdienst. Angeführt von der Stadtkapelle marschierten – neben einer großen Zahl anderer Vereine und Kameradschaften – die Sensenschmiede und der Schützenverein an besonders exponierter Stelle. Schließlich wurden sie als die Nachfolger jener Gruppierungen angesehen, welche im Jahr 1532 aktiv an den Kämpfen teilgenommen hatten. Nach der Messe ging es auf den Stadtplatz, wo der Professor am Obergymnasium in Seitenstetten, Godfried Frieß, der auch eine auf Gemeindekosten gedruckte Erinnerungsschrift mit dem Titel „Die Stadt Waidhofen an der Ybbs im Frieden und im Kampfe“ (Frieß 1892) verfasst hatte, die Festrede hielt. Darin gab er die historischen Ereignisse in einer Form wieder, die es dem Publikum ermöglichen sollte, sich gut in die damalige Situation hineinzuversetzen. Die Rede endete mit dem Aufruf zur Bereitschaft, so wie in der Vergangenheit „Gut und Leben zu opfern für das theure Vaterland, für das geliebte Kaiserhaus.“ (Bote von der Ybbs 1.10.1892: 2) Überhaupt wurde des Kaisers sehr häufig gedacht, vor allem in Form von auf ihn ausgesprochenen Toasts, etwa beim folgenden Festmahl für die Ehrengäste. Den nächsten Programmpunkt stellte ein Volksfest mit Musik, Sportvorführungen, Spielen und einer Menagerie dar.
Einige Tage später gab es speziell für Kinder eine Wiederholung dieser Veranstaltung. Weitere Höhepunkte im Laufe der Woche waren ein Festschießen, zu welchem auch Wiener Schützen eingeladen waren, sowie eine dreitägig geöffnete land- und forstwirtschaftliche und Gewerbeausstellung, für welche angeblich 12.000 Karten verkauft wurden. (Bote von der Ybbs 8.10.1892: 2)
Geplante Türkenfeier 1907
Geplante Türkenfeier 1907
Der in Wien ansässige Verein „Deutsche Heimat“ regte Anfang 1906 die Veranstaltung eines Türkenfestes in Waidhofen für das Jahr 1907 an. (Bote von der Ybbs 13.1.1906: 3) Diese Idee stieß anfangs auf großes Interesse. Es bildete sich ein Ausschuss, dem Mitglieder verschiedener Vereine wie der Deutsche Schulverein, der Verein Südmark, der Männergesangsverein oder der Verschönerungsverein angehörten. (Deutsche Heimat 1.1.1906: 3f) Geplant war unter anderem ein Festspiel unter dem Titel „Eisen bricht Not“ (Deutsche Heimat 1.1.1907: 80), außerdem war wohl auch ein Volksfest und ein Umzug in historischen Kostümen angedacht, wie sie der Verein auch bei anderen Anlässen veranstaltete (z.B. am 16. und 23. Juni 1907 am Kahlenberg unter dem Titel „Wien unter Kaiser Leopold I. vor 1683“ (Deutsche Heimat 1.8.1907: 245–248)).
Doch am Ende wurde nichts aus all den Plänen. Am 16. Februar 1907 beschloss man bei einer weiteren Ausschusssitzung, das Fest abzusagen. Als Gründe wurden unter anderem angegeben, dass die Renovierung des Stadtturms zeitlich mit dem vorgesehenen Termin zusammenfalle und dass zu wenige Unterbringungsmöglichkeiten für Gäste vorhanden wären. (Bote von der Ybbs 23.2.1907: 5) Zwar wurde angekündigt, die Feier stattdessen im Jahr 1908 zu veranstalten, doch auch diese Idee scheint nicht verwirklicht worden zu sein. Der Verein „Deutsche Heimat“ engagierte sich weiterhin für die Erinnerung an 1532 in Waidhofen. So ließ er 1907 das so genannte Türkenkreuz renovieren und daneben einen Steinblock mit erklärender Inschrift errichten. (Deutsche Heimat 1.7.1907: 226)
Gedenkfeier 1932
Die umfangreichsten Feierlichkeiten zur Erinnerung an das Jahr 1532 fanden anlässlich des 400. Jahrestages in der Woche vom 13. bis 21. August 1932 statt. Es begann mit einer Gedenkfeier und einer Kranzniederlegung beim Türkenkreuz auf der Kreilhofer Wiese, wo der Opfer der Kämpfe gedacht wurde. Ob damit jene Gefangenen gemeint waren, deren Tötung durch die Waidhofner Ausfälle provoziert wurde, ist nicht bekannt. Am Abend wurden die Sehenswürdigkeiten der Stadt beleuchtet, außerdem brannten auf den umliegenden Hügeln Höhenfeuer.
Die zentrale Feier fand am folgenden Tag statt. Am frühen Vormittag wurde der Ehrengast, Bundespräsident Wilhelm Miklas, von Vertretern des Festausschusses, der Stadt und des Landes begrüßt. Durch ein eigens errichtetes Tor, das dem auf dem Stadtwappen glich, schritt man zum Festplatz auf dem Freisingerberg, wo eine Feldmesse gelesen wurde und Oberlehrer Rudolf Völker die Festrede hielt. Darin erinnerte er an den „heldenmütigen Abwehrkampf“ und bezeichnete den Stadtturm als „Denkmal an diese Heldenzeit“. „Die Rede klang in einem Gelöbnis aus, die Idealbegriffe Gott, Volk, Heimat und Vaterland hochzuhalten […]“, wie die Linzer Tages-Post berichtete. (Tages-Post 17.8.1932: 8) Danach wurde der Schriftzug auf dem Turm enthüllt, Bürgermeister und Bundespräsident sprachen noch zum zahlreich erschienenen Publikum, ehe sich die Menge auf den Weg zur Pfarrkirche machte, wo man beim Kriegerdenkmal der Gefallenen des Ersten Weltkrieges gedachte.
Die militärische Note fand auch auf andere Weise ihren Niederschlag, vor allem in der Anwesenheit verschiedener Kriegerverbände, angefangen vom Kameradschaftsverein und dem Bürgerkorp in historischen Uniformen bis hin zur Schützengesellschaft und Einheiten des Hesser-Bundes (nach dem Niederösterreichischen Infanterieregiment „Freiherr von Hess“), der dieser Tage in Waidhofen ein Treffen organisiert hatte. Auch vor der Oberrealschule, wo nicht nur ein Teil der Gewerbe- und Kunstausstellung untergebracht war, sondern wo man auch das 80-jährige Bestehen feierte, gedachte man der Opfer des Weltkrieges. Zwischendurch wurde Miklas auch von den Sensenschmieden und ihren Türkenpfeifen begrüßt, ehe er wie auch die anderen Ehrengäste dem Volksliederspiel „Helden der Heimat“ von Eduard Freunthaller beiwohnte, über das die Tages-Post schrieb: „Es ist erdverbunden, bodenständig und es sprechen und klingen aus ihm Töne der Heimat.“ (Tages-Post 17.8.1932: 8)
Weitere Programmpunkte der Festwoche waren die schon erwähnte Landwirtschafts- und Kunstausstellung, verbunden mit einer landwirtschaftlichen Schau und einem Fotowettbewerb, ein Erinnerungsfestschießen und ein Musiktreffen. Außerdem erschien eine Gedenkschrift von Edmund Frieß (Frieß 1932), die ab Mitte Mai auch im Boten von der Ybbs abgedruckt wurde.
Die Helden der Geschichte als Vorbilder für die Gegenwart
Zu keiner Zeit wurde der Ereignisse von 1532 so intensiv gedacht wie vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Zwischenkriegszeit. Während der beiden Feierlichkeiten wurde aus der historischen Episode eine heroische Verteidigung von Stadt, Heimat und Vaterland. Beide Jubiläen wurden begleitet von Festschriften und Reden, in welchen die Ereignisse dargestellt waren, als wären die Erzähler hautnah dabei gewesen. Die Taten der Waidhofner Bürger und Schmiede wurden verherrlicht, während weder die wesentliche Quelle noch die Motive der handelnden Personen hinterfragt wurden oder gar die den Ereignissen zum Opfer Gefallenen das Ansehen der Helden geschmälert hätten.
Beide Feierlichkeiten wurden auch zum Anlass genommen, an die Teilnehmenden zu appellieren, die „Vorfahren“ zum Vorbild zu nehmen und stets bereit zu sein, die Heimat zu verteidigen. 1892 war dies mit einer Opferbereitschaft für den Kaiser verbunden, 1932 konnte diese Heimat zwar auch Österreich bedeuten, sehr deutlich war jedoch ebenso die deutschnationale Interpretation. Diese fand sich vor allem im Lokalblatt Bote von der Ybbs, das zu dieser Zeit den Leitspruch „Ein Volk, ein Reich“ führte. So schloss ein Artikel in der Festbeilage mit folgenden Worten:
So wie die Vorfahren Waidhofens vor 400 Jahren die schwerste Zeit der Türkenbelagerung und die verhängnisvollen Folgen eines 30jährigen Krieges überwunden haben, so soll auch in der Jetztzeit nicht die Verzweiflung herrschen, sondern Mut und Zuversicht sollen uns aufrecht halten und vorbereiten für den großen Tag, an dem das gesamte deutsche Volk Mitteleuropas zu einem Reiche vereinigt ist. Mit der politischen wird auch die wirtschaftliche Not weichen müssen. (Bote von der Ybbs 12.8.1932: 2)
So sehr Waidhofen in den 1930er Jahren deutschnational dominiert war und dies gerade während der Türkenfeier deutlich zum Ausdruck kam, so kann dennoch nicht davon ausgegangen werden, dass die gesamte Bevölkerung das Jubiläum euphorisch beging. Das sozialdemokratische regionale Wochenblatt „Eisenwurzen“ berichtete etwa nur spärlich von der geplanten Veranstaltung. Auf einen abschließenden Bericht verzichtete es, der Grund könnte das Verbot einer Kundgebung durch den Stadtrat kurz vor den Jubiläumsfeierlichkeiten sein. (Eisenwurzen 12.8.1932: 8) Doch selbst in dem die Feier von Anfang an enthusiastisch begleitenden Boten von der Ybbs schrieb man von einem „Katzenjammer“ am Ende der Veranstaltungsreihe: „Gott sei Dank leben wir bis zum nächsten Jubiläum nicht mehr und wird nichts mehr von uns reden, höchstens, daß ein zufälliger Chronist die Festwoche mit all den Ereignissen zu Papier gebracht hat.“ (Bote von der Ybbs 16.9.1932: 3)
Die Entzauberung der Waidhofner Helden
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich die Interpretation der Geschichte nur langsam. Ein Führer durch Waidhofen aus dem Jahr 1964, vom Autor des 1932 aufgeführten Volksliedtheaters „Helden der Heimat“, Eduard Freunthaller, geschrieben, fasst die Ereignisse vom September 1532 folgendermaßen zusammen:
Am 8. September 1532 zogen sie [die Türken; Anm. S.H.] gegen Waidhofen, lagerten auf der „Schwarzen Wiese“ bei Krailhof und bedrohten die Stadt. Tags darauf entschlossen sich die wehrhaften Männer der Stadt, die Feinde anzugreifen. Der Angriff der Handwerker, Sensenschmiede, Bürger und Bauern hatte Erfolg und sie jagten die Türken in die Flucht, befreiten 150 Gefangene und machten große Beute, worunter sich 275 Pferde befanden. Es war ein voller Sieg. Als dauerndes Wahrzeichen des Triumphes über die Türken wurde der Stadtturm erbaut. (Freunthaller 1964: 14)
Auch den Boten von der Ybbs gab es noch immer, doch auch in dieser früher so nationalistischen und pathetischen Zeitung änderte sich der Ton der Erzählung. 1962 druckte das Blatt den Bericht des Waidhofner Rates an den Fürstbischof Philipp von Freising von 1532 in zeitgemäßer Sprache ab. Von einer kritischen Betrachtung kann man zwar noch nicht sprechen, doch zumindest beleuchtete die Quelle nun nur mehr „einigermaßen die damalige Lage“, es ist auch von einer „blutigen Begebenheit“ die Rede und von einem Partisanen- statt einem Abwehrkrieg. Und auch die Zahl der Toten wurde als „hohe Verlustliste“ begriffen. (Bote von der Ybbs 31.8.1962: 3)
Im September 1982, also zum 450. Jahrestag, druckte die Zeitung zwar eine eher fiktionale als faktenorientierte Darstellung ab (Bote von der Ybbs 17.9.1982), doch im Dezember folgte eine tatsächlich kritische Auseinandersetzung des damaligen Stadtarchivars und heutigen Landeshauptmann-Stellvertreters Wolfgang Sobotka. Der Autor erinnerte beispielsweise daran, dass die Quelle aus dem Jahr 1532 die Ereignisse nur sehr einseitig darstellt, dass außerdem die darin enthaltenen Größenordnungen der feindlichen Einheiten äußerst unrealistisch seien und dass die beiden Gedenkschriften von Godfried und Edmund Frieß „dem nationalen Bewußtsein des späten 19. und frühen 20. Jahrhundert Rechnung“ trugen. (Bote von der Ybbs 24.12.1982: 3) Mit seiner begründeten Vermutung, dass es den Waidhofner Bürgern von 1532 weder um die Befreiung christlicher Gefangener noch um die Rettung ihrer Heimat, sondern um möglichst große Beute ging, schloss er sich einer in diesem Jahr bereits von seinem Vorgänger im Archiv Friedrich Richter geäußerten These an. Dieser hielt den Eröffnungsvortrag zur Ausstellung „450 Jahre Türken in Waidhofen a. d. Ybbs“ in der örtlichen Sparkasse, der einzigen offiziellen Veranstaltung im Gedenkjahr. Darin bemerkte er, dass die Vorstellung von den Ereignissen im Jahr 1532 auf den Gedenkschriften von 1892 und 1932 basieren. Doch deren beide Autoren waren
der absolut nicht zutreffenden Ansicht, daß die Stadt Waidhofen durch die Türken unmittelbar in Gefahr war. Deshalb glorifizierten sie auch die Aktivitäten der Waidhofner entsprechend. Unglücklicherweise prägte irgendwer irgendwann auch noch den Ausspruch von der „Türkenbelagerung Waidhofens“, der sich, seither kontinuierlich und fein säuberlich abgeschrieben, in allen dieses Thema berührenden Berichten und Artikeln wiederfindet. (Richter 1983: 1)
Die Auseinandersetzung mit den Akindschi wird weiterhin als das „markanteste Ereignis der Stadtgeschichte“ (Kleine Stadtgeschichte) bezeichnet. Doch seit den genannten kritischen Bemerkungen im Jubiläumsjahr 1982 distanziert man sich nun von der Heroisierung früherer Zeiten und nimmt davon Abstand, diese Geschichte für die Gegenwart zu instrumentalisieren.
Literatur
Literatur
Almer, Friedrich (1983): Bilddokumente unserer Heimat (Serie 7). In: Waidhofner Heimatblätter. Hrsg. vom Musealverein Waidhofen an der Ybbs und Umgebung. 9. Jg. 51–56.
Ausstellungs- und Festführer zur 400-Jahr-Feier der Befreiung aus Türkennot in Waidhofen an der Ybbs. 13. bis 21. August 1932 (1932). Wien.
Bauer, Josef (1982): Die Türken in Österreich. Geschichten Sagen Legenden. St. Pölten.
Bote von der Ybbs (1.10.1892). Wochenblatt. Nr. 40 (7.Jg.): Die Jubiläumsfeier in Waidhofen. 1.
Bote von der Ybbs (8.10.1892). Wochenblatt. Nr. 41 (7. Jg.): Die Jubiläumsfeier in Waidhofen a. d. Ybbs. Ausstellung und Festschießen. 1f.
Bote von der Ybbs (13.1.1906). Nr. 41 (21. Jg.): Türken-Festspiele 1907. 3.
Bote von der Ybbs (23.2.1907). Nr. 8 (22. Jg.): Türkenfest in Waidhofen a. d. Ybbs. 5.
Bote von der Ybbs (3.6.1932). Sonderbeilage der „Wiener Neuesten Nachrichten“. Waidhofen an der Ybbs. Die Stadt der Eisenwurzen: „Wehrhaft, einig, deutsch und treu!“ Aus der Geschichte der Stadt.
Bote von der Ybbs (12.8.1932). Festbeilage. Folge 32 (47. Jg.): Scherbaum: Unser liebes Waidhofen a. d. Ybbs. 1f.
Bote von der Ybbs (16.9.1932). Türkendenkmal auf dem Krailhoferfelde. Einweihung. 3.
Bote von der Ybbs (31.8.1962). Ybbstaler Wochenblatt. Nr. 35 (77. Jg.): Hierhammer, Otto: Wie die Waidhofner die Türken vertrieben. Ein Tatsachenbericht aus dem Jahre 1532. 3.
Bote von der Ybbs (17.9.1982). Unabhängige Wochenzeitung. Nr. 37 (97. Jg.): Janda, R.: Auf, auf, die Türken kommen! 6f.
Bote von der Ybbs (24.12.1982). Unabhängige Wochenzeitung. Weihnachtsbeilage. Nr. 51/52 (96. (sic!) Jg.): Sobotka, Wolfgang: Die Türken vor Waidhofen an der Ybbs. 2f.
Delling, Johann von (1820): Beiträge zu einem baierischen Idiotikon. Erster Theil. München.
Deutsche Heimat (1.1.1906). Blatt für deutsche Heimatkunde und Heimatschutz in Österreich. Nr. 1 (1. Jg.). 3f.
Deutsche Heimat (1.1.1907). Blatt für deutsche Volkskunde und Kulturgeschichte in Österreich. Nr. 7/8 (2. Jg.). 80.
Deutsche Heimat (1.7.1907). Blatt für deutsche Volkskunde und Kulturgeschichte in Österreich. Nr. 19/20 (2. Jg.). Lustig, Karl: Das Türkenkreuz. 226.
Deutsche Heimat (1.8.1907). Blatt für deutsche Volkskunde und Kulturgeschichte in Österreich. Nr. 21/22 (2. Jg.): Wien unter Kaiser Leopold I. vor 1683. 16. und 23. Juni 1907. Festbericht von cand. ing. Georg Judex. 245–248.
Eisenwurzen (12.8.1932). Wochenblatt für das werktätige Volk im Wahlkreis Eisenwurzen. Nr. 33. 5. Jg.: Der Stadtrat von Waidhofen verbietet unsere Kundgebung. Unter Drohungen der Faschisten. 8.
Frieß, Edmund (1932): Die Osmanenabwehr von Waidhofen a. d. Ybbs und ihr Zusammenhang mit den Grundlagen der städtischen Bürgergemeinde. Gedenkworte zur 400-Jahr-Feier der Akindschivertreibung im Jahre 1532. Waidhofen a. d. Ybbs.
Frieß, Godfried Edmund (1892): Die Stadt Waidhofen an der Ybbs im Frieden und im Kampfe. Waidhofen an der Ybbs.
Freunthaller, Eduard (1964): Ich führe sie durch Waidhofen an der Ybbs. Wegweiser durch Landschaft und Geschichte. o.O.
Kleine Stadtgeschichte. In: https://www.waidhofen.at, 17.7.2012.
Kopetzky, Arthur (1928): Führer durch Waidhofen a. d. Ybbs und Umgebung nebst einem Anhang: Die Berge im Gesäuse und um Eisenerz. Waidhofen a. d. Ybbs.
Maier, Peter (2006): Waidhofen a. d. Ybbs. Spuren der Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Waidhofen an der Ybbs.
Mayr, Thomas (1925): Aus den Chroniken der Stadt Waidhofen a. d. Ybbs 1797–1921. St. Pölten.
Preuenhueber, Valentin (1740): Valentin Preuenhuebers Annales Styrenses, samt dessen übrigen Historisch- und Genealogischen Schriften. Zur nöthigen Erläuterung der Oesterreichischen, Steyermärckischen und Steyerischen Geschichten; Aus der Stadt Steyer uralten Archiv und andern glaubwürdigen Urkunden, Actis Publicis und bewährten Fontibus, mit besondern Fleiß verfasset. Nürnberg.
Richter, Friedrich (1983): Die Akindschi vor Waidhofen a. d. Ybbs. In: Waidhofner Heimatblätter. Hrsg. vom Musealverein Waidhofen an der Ybbs und Umgebung. 9. Jg. S. 1–12.
Richter, Friedrich (2001): Erhard Wild – Ratsherr und Stadtrichter der freisingischen Stadt Waidhofen a. d. Ybbs. In: Bote von der Ybbs (20.12.2001). Weihnachstbeilage 2001. 5f.
Tages-Post. Mittagsblatt (17.8.1932). Nr. 189 (68. Jg.): Das Türkenfest in Waidhofen a. Ybbs. Eröffnung der Ausstellung durch den Bundespräsidenten. 8, 17.10.2011.
Eva Dietl-Schuller: Die Türkenpfeifer ziehen wieder durch die Gasse (12.6.2014). In: meinbezirk.at, 15.10.2020.