Stephansplatz 1 , Karte
Text: Johanna Witzeling, Johannes Feichtinger
Das ‚Türkenbefreiungsdenkmal‘ wurde auf dem heiligen Boden des Stephansdoms anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Verteidigung Wiens gegen die Osmanen 1683 errichtet. Der Feier des Jahrestags wurde so große Bedeutung zugestanden, dass bald ein Streit darüber entbrannte, wer ein Denkmal setzen sollte – Ministerium und Kaiserhof und/oder die Bürger Wiens – und wem ein solches gesetzt werden sollte. Letztlich wurde die Errichtung zweier Denkmäler beschlossen, und zwar des Liebenberg-Denkmals zur Erinnerung an die Rolle der Bürger Wiens und des ‚Türkenbefreiungsdenkmals‘, mit dem an alle ‚Helden’ erinnert werden sollte, die an der ‚Errettung des christlichen Abendlandes‘ mitgewirkt hatten. Das ‚Türkenbefreiungsdenkmal‘ wurde 1945 von der herabstürzenden ‚Pummerin‘, die aus türkischen Kanonen gegossen war, zerstört. 1947 wurden Überreste des Denkmals an der selben Stelle wieder angebracht.
Weltliche und kirchliche Heldenfiguren
Der Wiener Kunsthistoriker Albert Ilg schilderte den Aufbau des Türkenbefreiungsdenkmals auf folgende Weise:
Sein Aufbau schließt sich der Construction des Barock-Altars, freilich in Renaissanceformen, genauest an; der Unterbau erhebt sich gleich einer Mensa mit Predella, das Haupt-Relief mit bogenförmigem Abschluss gleicht dem Altarbilde, zu dessen beiden Seiten je eine freistehende Figur das Mittel flankirt, oben aber steigt noch ein bekrönender Giebelaufbau empor, es fehlen die Säulen und Gesimse nicht, welche das Mittelstück umrahmen – bis auf das Tabernakel also ist der Aufbau eines Spät-Italienischen Altars eingehalten. (Helfert 1891: 261)
Am Sockel wurden in einer Inschrift die Namen aller beteiligten Regimenter des kaiserlichen Heeres genannt, im Mittelteil ritt Graf Rüdiger von Starhemberg, umringt von Bürgern und Studenten, durch das Wiener Stadttor den Befreiern entgegen. Die Hufe seines Pferdes standen auf einem besiegten Türken, der aus dem unteren Rahmen der Skulptur herabfiel. In vielen zeitgenössischen Beschreibungen wurde das Denkmal auch ‚Starhembergdenkmal‘ genannt (z.B. von Eitelberger in: Wiener Zeitung 04.03.1884: 3).
Andere Persönlichkeiten waren einzeln und freistehend dargestellt. Zu Starhembergs Rechter stand Paul Sorbait, Arzt, Rektor der Universität und Kommandant der akademischen Legion während der Belagerung. Über der Mittelgruppe schwebte die Figur der Siegesgöttin Victoria (eine heidnische Gottheit in einer Kirche), darüber befand sich in goldenen Lettern der Schriftzug „Gloria Victoribus“ – ‚Ruhm den Siegern‘. Links stand Bischof Leopold Karl von Kollonitsch, rechts außen der damalige Bürgermeister Andreas von Liebenberg. Im Aufbau des Denkmals standen einander zwei Gruppen von Heerführern gegenüber: Rechts Herzog Karl V. von Lothringen und Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen, links König Jan III. Sobieski von Polen und Maximilian II. Emanuel von Bayern. In der Mitte zeigte eine Kartusche die Insignien Kaiser Leopolds I. Die Bekrönungsgruppe stellte Maria im Strahlenkranz dar, unter der Papst Innozenz XI. und Kaiser Leopold I. kniend beteten.
Auffallend ist, dass die kirchlichen Charaktere mit drei Akteuren im Gegensatz zu sieben weltlichen deutlich in der Minderzahl waren. Das ‚Böse‘, der am Boden liegende Türke, fiel – wie so oft auf anderen Darstellungen – aus dem Bildrahmen. Die religiöse Figur der Madonna bekrönte das Denkmal. Im Zentrum der Darstellung stand jedoch die Figur der (heidnischen) Victoria. Das Denkmal wurde somit zwischen kirchliche und säkulare Bedeutungskontexte gestellt.
Ein Brand zerstört das Denkmal
Am Ende des Zweiten Weltkriegs steckte ein Großfeuer in der Wiener Innenstadt den Stephansdom in Brand. Als Folge davon stürzte am 12. April 1945 die ‚Pummerin’ vom Südturm des Doms herab und zerstörte das ‚Türkenbefreiungsdenkmal‘ in der Halle des Turms.
Die Meinungen über die Ursachen des Brandes gehen auseinander: Einige Quellen berichten von Plünderungen, die das Feuer auslösten, andere verweisen auf Kriegshandlungen: Der Brand soll durch ‚deutschen’ Beschuss des Stephansdomes entstanden sein (z.B. Bösel/Krasa 1994).
Im Jahr 1947 wurde die unversehrt gebliebene Bekrönungsgruppe mit Madonna, Papst Innozenz XI. und Kaiser Leopold I. an der selben Stelle und mit einer Gedenktafel versehen neu aufgestellt. Die lateinische Inschrift verfasste Erzbischof-Koadjutor Franz Jachym. Die ‚Staatsdichterin‘ und Verfasserin der österreichischen Bundeshymne Paula von Preradović übersetzte den Text frei in elegische Distichen:
Einst in der türkischen Not zu Hilfe kam rettend Maria
Stolze Gestalten in Stein zeugten vom Dank ihrer Stadt.
Nun da der furchtbarste Krieg zerstörte den Dom und das Denkmal
Jungfrau, Kaiser und Papst einzig verschonte der Brand.
Innozenz sehet den Elften und Leopoldus den Ersten
Knieend mahnen sie euch: Lasset zu hoffen nicht ab!
Nie wird in künftigem Sturm ihr betendes Wien sie verlassen
Österreichs Mutter, sie hilft, seid ihr nur stark und getreu.
Im Text wird eine Parallele zwischen der Zeit der Belagerung („Einst in der türkischen Not zu Hilfe kam rettend Maria“) und dem Zweiten Weltkrieg („Nun da der furchtbarste Krieg zerstörte den Dom und das Denkmal“) gezogen. Wie damals die Türken Wien belagerten, so “geschah” den Bewohnern Wiens auch der Zweite Weltkrieg. Die eigene Beteiligung wurde damit in der Hintergrund gedrängt und der Weg frei gemacht für die Erfindung des ‘Opfermythos’. Die Akteure im Zweiten Weltkrieg werden von der Dichterin durch ein abstraktes „der Krieg“, der hier als Handelnder auftritt, ersetzt. Auf diese Art werden die eigentlichen Akteure dem Verständnis der Lesenden entzogen.
Teile des zerstörten Denkmals befinden sich im Lapidarium (Gruftraum) des Stephansdoms sowie im Historischen Museum der Stadt Wien. Das erste Modell des ‚Türkenbefreiungsdenkmals‘ von Bildhauer Edmund Hellmer (mit Kaiser Leopold an der Spitze) wird im Wiener Dom- und Diözesanmuseum aufbewahrt.
Der Denkmalstreit
Aus Anlass der bevorstehenden 200-Jahrfeier der Befreiung Wiens von der Belagerung osmanischer Truppen im Jahre 1683 wurde die Idee geboren, die ‚Helden von 1683’ mit einem Denkmal zu ehren. Zur Diskussion stand, wer für die Errichtung des Monuments zuständig sei, welche Helden repräsentiert und welcher Standort gewählt werden sollte. Das Ergebnis war, dass zwei Denkmale zur Erinnerung an die ‚Helden von 1683‘ errichtet wurden: das Liebenberg-Denkmal, das die Wiener Bürger an der Stelle der demolierten Mölkerbastei aufstellen ließen, und das vom Ministerium initiierte ‘Türkenbefreiungsdenkmal’, das im Wiener Stephansdom seinen Platz fand.
Schon 1878 wies der Direktor der Wiener Stadtbibliothek und des Stadtarchivs Karl Weiss auf die Verpflichtung hin, im Rahmen der bevorstehenden 200-Jahrfeier den ‚Helden’ von 1683 angemessen zu gedenken. Weiss wandte sich an das Präsidium des Wiener Gemeinderates und schlug zur Vorbereitung der Feierlichkeiten die Errichtung einer Kommission unter dem Vorsitz des Bürgermeisters vor, in die auch Vertreter verschiedener Institutionen des öffentlichen Lebens einbezogen werden sollten (siehe auch ‚Comités‘ und ‚Commissionen‘ 1883).
Ein Erinnerungsdenkmal auf einem öffentlichen Platz
Die Vorschläge dieser Kommission wurden in einer Gemeinderatssitzung am 20. Dezember 1878 diskutiert. Unter anderem stand die Errichtung eines ‚Starhemberg-Denkmals‘ in der Votivkirche (Votivkirche: Baubeginn 1856, geweiht 1879) zur Diskussion. Dieses sollte neben dem 1879 neu aufgestellten Grabmal von Niklas Graf Salm errichtet werden. Salm hatte während der Ersten Türkenbelagerung 1529 die Verteidigung Wiens organisiert. In der erwähnten Sitzung beschloss der Gemeinderat schließlich die Errichtung eines Erinnerungsdenkmals „Zum Andenken an die heldenmüthige Vertheidigung und Befreiung [Hervorhebung durch die VerfasserInnen] Wiens“ im Jahr 1683 (Wienerisches Ehrenkränzlein 1883: 38) auf einem öffentlichen Platz, jedoch ohne jegliche Festlegung auf Form und Inhalt des Denkmals.
Drei Jahre später, in einer Plenarsitzung des Gemeinderats am 12. April 1882, wurden die Prägung einer Erinnerungsmedaille, die Unterbringung zweier historischer Gemälde im neuen Rathaus sowie die Herausgabe einer Festschrift beschlossen. Von der Errichtung eines Denkmals seitens der Stadt Wien war nun jedoch keine Rede mehr.
Der Grund dafür, die Denkmalidee fallen zu lassen, dürfte auf eine Aussprache zwischen Bürgermeister Eduard Uhl und Hofrat Professor Rudolf Eitelberger, dem Direktor des k.k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (später Museum für Angewandte Kunst, MAK), zurückzuführen sein. Eitelberger hatte Uhl darauf aufmerksam gemacht, dass das ,Ministerium für Cultus und Unterricht’ gleichfalls ein Denkmal plane, das an die ‚Helden’ von 1683 erinnern sollte. Aus der Sicht des Ministeriums beträfe das 200-Jahrjubiläum nicht nur die Stadt, sondern die gesamte Dynastie und noch mehr – das ganze Christentum. Anregungen zur Errichtung eines Erinnerungsdenkmals seitens des Ministeriums gingen vom damaligen Unterrichtsminister Conrad Freiherr von Eybesfeld und seinem Kunstbeirat aus, in welchem Hofrat Eitelberger eine führende Rolle spielte. Verhandlungen dazu sind durch ein Sitzungsprotokoll des Ministeriums vom 4. Februar 1882 belegt (vgl. Weißenhofer 1957: 74).
Da das Ministerium die Errichtung eines Denkmals für Ernst Rüdiger Graf Starhemberg, den kaiserlichen Stadtkommandanten und Verteidiger Wiens, im Stephansdom plante, konnte die Stadt Wien nun nicht mehr – wie vorgesehen – ein Denkmal zur Erinnerung an die Verteidigung und den Entsatz errichten, sondern nur noch den Aspekt der Befreiung für sich reklamieren. 1883 gab die ‚Bürgervereinigung Liebenberg’ (gegründet 1881) das so genannte „Wienerische Ehrenkränzlein von 1683“ als erste Vereinsgabe und Festschrift heraus. Der Reinerlös war einem Befreiungsdenkmal auf dem Kahlenberg gewidmet.
Aus dem ‚Starhemberg-Denkmal‘ wird ein ‚Türkenbefreiungsdenkmal‘
Als das Ministerium das ‚Starhemberg-Denkmal‘ aber als ‚Türkenbefreiungsdenkmal‘ ausschrieb, welches offensichtlich nicht nur dem Verteidiger Starhemberg gewidmet sein, sondern Verteidigung und Entsatz repräsentieren sollte, gerieten die Wiener Bürger unter Zugzwang. Mangels finanzieller Mittel war der Plan der Bürgervereinigung, ein (Befreiungs-) Entsatz-Denkmal auf dem Kahlenberg zu errichten, nicht umsetzbar. So begnügte sie sich mit weniger monumentalen Symbolen der Erinnerung: Zum einen besetzte das städtische Bürgertum den Kahlenberg, den angeblich authentischen Ort der Befreiungsschlacht, mit einer Gedenktafel an der St. Josefskirche, zum anderen wurde ein früherer Gedanke des Gemeinderats Karl Landsteiner wieder aufgegriffen, Andreas von Liebenberg, dem Bürgermeister von 1683, ein Denkmal zu setzen. Statt eines Entsatz-Denkmals am Kahlenberg sollte an der Stelle der Mölkerbastei ein Liebenberg-Denkmal errichtet werden, um damit auch den Beitrag der Bürger an der Verteidigung hervor zu heben.
Das Ministerium errichtete das ‚Türkenbefreiungsdenkmal‘ als ein ‚All-Inclusive’ Monument. Dadurch sollte die Hervorhebung der Verdienste einzelner Gruppen bzw. Nationalitäten an der Verteidigung und Befreiung Wiens vermieden werden. Durch die dargestellten Helden sollten sich – ganz im Sinne der habsburgischen ‚Gesamtstaatsidee‘ – die Angehörigen sämtlicher Nationalitäten sowie auch die verschiedenen sozialen Schichten mit dem Denkmal identifizieren können (vgl. Bösel/ Krasa 1994: 112). Aufgrund der Wahl des Standorts im Stephansdom, dem Wahrzeichen der Haupt- und Residenzstadt, wurden allerdings Dynastie und Kirche geschickt in den Vordergrund gerückt.
Die Anfänge des Denkmals
Die Anregung zur Errichtung des Denkmals soll auf Kardinalfürsterzbischof Cölestin Joseph Ganglbauer zurückgehen (Zeissberg 1894: 35). Durch eine Ausschreibung des ,Ministeriums für Cultus und Unterricht‘ wurde der Auftrag hierfür am 26. April 1883 an Professor Edmund Hellmer vergeben. Nach Anfertigung eines Modells und mehrmaliger Abänderung konnte das Denkmal am 13. September 1894 im Stephansdom an der Westwand des südlichen Querschiffes enthüllt werden.
Zur Gewinnung von Entwürfen wurde vom genannten k.k. Ministerium auf Antrag des Ministers am 21. März 1882 ein Wettbewerb ausgeschrieben. Am 22. Juni 1882 wurde in der ‚Wiener Zeitung‘ die Zusammensetzung der Jury veröffentlicht. Durch die Ausschreibung waren Programm und Denkmalaufbau vorgegeben:
Das Monument ist als hoher, aufstrebender Bau gedacht, in welchem jene historischen Persönlichkeiten in angemessener Weise Platz zu finden haben, welche sich bei der Vertheidigung von Wien (1683) besonders hervorgethan. Den nachstehenden Persönlichkeiten ist unter allen Umständen in dem Monumente eine Stelle einzuräumen: Rüdiger von Starhemberg, dem Bürgermeister Liebenberg, dem Führer der kampffreudigen Universitätsjugend Paul Sorbait, dem Bischofe Leopold Kollonich, dem Kaiser Leopold und dem mit ihm verbündeten Reichsfürsten Carl von Lothringen, den Fürsten von Sachsen und Bayern und dem Polenkönige Sobieski. Als beiläufiges Muster des Monumentes im Großen und Ganzen wollen die analogen Monumente der Kirchen ‚ai frari‘ und S. Giovanni e Paolo in Venedig (Dogenmonumente) genommen und hinsichtlich des Styles die Mitte des 17ten Jahrhunderts eingehalten werden (zit. nach Bösel/ Krasa 1994: 112).
Ikonographische Anregungen sollten sich die Bewerber bei den historischen Schilderungen von Franz Krones und Albert Camesina holen (vgl. ebd).
Edmund Hellmer gewinnt die Ausschreibung
Ein Gesamtplan sollte bis 15. April 1883 als Zeichnung oder als Modellskizze eingereicht werden, dazu das Modell einer Hauptfigur sowie eines Reliefs. Die Ausgaben für das Monument durften laut Ausschreibung den Betrag von 50 000 Gulden (ohne Fundament) nicht überschreiten (Zum Vergleich: Ein Industriearbeiter verdiente Mitte des 19. Jahrhunderts bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von rund 80 Stunden etwa 250 Gulden im Jahr).
Als Aufstellungsort war von Beginn an die Halle des hohen Turmes des Wiener Stephansdomes vorgesehen. Von einer kleinen steinernen Bank (Starhemberg-Bankerl) aus, die heute noch im inneren Stiegenaufgang des Südturmes sichtbar ist, soll Graf Rüdiger von Starhemberg die Verteidigung der Stadt Wien überwacht haben. Die Jury unter dem Vorsitz Hofrat Eitelbergers bestand aus Mitgliedern der Ministerialkommission (Rudolf von Eitelberger, Heinrich von Ferstel, Nikolaus Dumba), der Akademie der bildenden Künste (der Architekt Friedrich Schmidt, der Historienmaler Joseph Matthias Trenkwald, der Bildhauer Carl Kundmann) und Mitgliedern der Genossenschaft der bildenden Künste (der Historienmaler Hans Markat, der Wiener Gemeinderat und Architekt Andreas Streit und der Bildhauer Viktor Tilgner). In der Jurysitzung am 26. April 1883 wurde der erste Preis im Wert von 2000 Gulden einstimmig an den Bildhauer und Architekten Edmund Hellmer vergeben.
Der Entwurf muss überarbeitet werden
Die Madonna als Bekrönung
Im ersten Modellentwurf Hellmers bekrönte Kaiser Leopold I. das Denkmal: Aufgrund kirchlicher Kritik wurde der Kaiser durch die Madonna als Bekrönungsfigur ersetzt. Hinzugefügt wurde auch Papst Innozenz XI., der neben Kaiser Leopold I. zu ihren Füßen kniete. Im Zentrum stand von Anfang an der kaiserliche Stadtkommandant Starhemberg, über dem die Siegesgöttin Victoria schwebend dargestellt war; seitlich sollten auch die Befreier verewigt werden. Später wurde die Madonna noch von einem Strahlenkranz umfasst.
Liebenberg als „kranker Mann“
Auch der Wiener Bürgermeister Liebenberg wurde am staatlichen Monument dargestellt: Während ihn das städtische Bürgertum um 1883 als Identifikationsfigur entdeckte, wurde der Verteidiger Liebenberg dem Bürgertum symbolisch entwendet, in das Befreiungsdenkmal integriert und anstatt als Held „als kranker Mann im Pelz“ (Weißenhofer: 1956: 77) dargestellt. Der Staat degradierte ihn so zur Randfigur.
Das Portrait-Medaillon von Graf Kaplíř
Das Holzmodell zeigte zuerst ein Relief der Entsatzschlacht, später, um 1884 war aufgrund einer parlamentarischen Anfrage des ‚Nationalitäten-Clubs‘ der tschechisch-nationalen Föderalisten ein Portrait-Medaillon des Grafen Kaspar Zdeněk Kaplíř, des zivilen kaiserlichen Verteidigers der Stadt, am Sockel vorgesehen. Schließlich wurde eine von zwei Genien gehaltene Inschriften-Tafel mit den Namen der Regimenter des kaiserlichen Heeres ausgeführt. Der erste Entwurf Hellmers ist heute im Wiener Dom- und Diözesanmuseum ausgestellt.
Fundraising
Fundraising
Bereits zu Beginn des Denkmalprojekts wurde ein Werbedienst eingeschaltet. Unter dem Vorsitz des Kardinal Fürsterzbischofs Cölestin Ganglbauer (nach seinem Tod Erzbischof Dr. Anton Josef Gruscha) trat am 28. Februar 1884 ein ‚constituierendes Comité’ zusammen. Weiters wurde ein ‚Executiv-Comité’ gegründet, das sich für die Finanzierung des Denkmals zuständig erklärte (siehe auch ‚Comités‘ und ‚Commissionen‘ 1883).
Das ‚constituierende Comité‘, das 1884 gegründet wurde, setzte sich aus folgenden Personen zusammen:
- Vorsitzender: Fürsterzbischof (ab 1884 Kardinal) Cölestin Josef Ganglbauer
- Ehrenpräsident: Fürst Johann Adolf II. zu Schwarzenberg
- Vize-Präsidenten: Anton Hye Freiherr v. Gluneck, Ernst Hauswirth, Prälat des Schottenstiftes und Bürgermeister Eduard Uhl
Am ‚Executiv-Comité‘ wirkten folgende Personen mit:
- Nikolaus Dumba, Industrieller, liberaler Politiker
- Rudolf von Eitelberger, Kunsthistoriker, erster Professor für Kunstgeschichte in Wien (1852); Initiator und erster Leiter des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie
- Edmund Hellmer, k.k. Professor, Künstler, Architekt, Bildhauer
- Wenzel Kaindl
- Franz Kornheisl, ab 1875 Kanonikus von St. Stephan, ab 1877 päpstlicher Hausprälat
- Josef Matzenauer, 1870–1900 Gemeinderat in Wien, 1891–1894 Stadtrat, 1894–1895 2. Vizebürgermeister von Wien. Er war auch in der Säkularfeierkommission und im Subkomitee der Historischen Ausstellung 1883 tätig.
- Johann Newald, Historiker und Numismatiker
- Friedrich Schmidt, Dombaumeister
- Carl Zeller, österreichischer Jurist, Ministerialrat, Leiter des Kunstreferates im Unterrichtsministerium und Komponist
Das ‚Gesamt-Comité’ veröffentlichte schließlich folgenden Aufruf zur Spendensammlung.
Seit Jahrhunderten hatte der Mohammedanismus die Stamm und Wiegenländer des Christentums unterjocht. Nach dem Fall von Konstantinopel, durch 230 Jahre, ließ die auf weiten Gebieten der Nachbarländer sich vollziehende Vernichtung des auf dem Christentum aufgebauten Kulturstandes die außerordentlichen Gefahren erkennen, von denen die österreichischen Länder, ja ganz Mitteleuropa unmittelbar bedroht waren.
Die Kulturerfolge, welche seit einem Jahrtausend auf dem Boden unseres Vaterlandes unter dem gestaltenden und erhaltenden Einfluss des Christentums herangereift waren; was in den Städten der Gewerbe- und Kunstfleiß eines selbstbewussten Bürgertums geschaffen und gesammelt; was auf dem Lande, von den Klöstern und Herrschaftssitzen ausgehend, zur Verbesserung des Loses der Bevölkerung begründet und gepflegt worden war, schien unrettbar der Verwüstung und Barbarei verfallen.
Bis zur ersten Türkeninvasion im Jahre 1529 kennt die Geschichte unseres Vaterlandes keine Periode von gleicher Bedrängnis, wie die angsterfüllten Wochen der Belagerung von Wien im Jahre 1683.
Darum wird auch die Vindobona den reichsten Lorbeer dem Andenken an die ruhmreichen Verteidiger und ein Blatt tiefempfundenen Dankes der Ausdauer und dem Opfermut der damaligen Bürgerschaft unserer Stadt widmen.
Neben den Verteidigern von Wien haben aber auch jene Männer hohen Ruhm erworben, welche in umsichtiger Weise den Entsatz der hart bedrängten Stadt vorbereiteten, durch das tapfere Zurückschlagen des Feindes von der linken Donauseite die Verteidiger zur Standhaftigkeit und Ausdauer anspornten und schließlich die Befreiung und Rettung in erfolgreicher Weise zum Abschlusse brachten.
Von den glanzvoll verteidigten Wällen Wiens hob sich der kaiserliche Doppeladler zu jener gewaltigen Siegesbahn empor, auf welcher er dem Christentum und dem darauf gestützten Kulturleben weite Ländergebiete zurückeroberte. Die Stadt Wien hatte aufgehört, ein fort und fort von der Türkengefahr bedrohter Grenzort zu sein; sie wurde wieder die Zentrale eines mächtigen Reiches, die sich alsbald in gedeihlicher Weise entwickelte.
Die Rettung von Wien aus der Türkennot im Jahre 1683 war ein Ereignis, wie seit Jahrhunderten kein zweites eine gleiche welthistorische Bedeutung hatte. Auf und vor den Mauern unserer Stadt wurde die österreichische Monarchie, und weil diese das Bollwerk des ganzen Abendlandes gegen die lawinenartig angewachsene Macht des Osmanentums war, auch das Christentum Europas gerettet.
Wenn wir die Erhaltung Wiens nach ihrer außerordentlichen Tragweite würdigen, so werden wir an die patriotische Verpflichtung gemahnt, das Andenken jener, welche an dem Rettungswerke beteiligt waren, in dankbarer Erinnerung hoch zu halten.
Wie dem zu entsprechen? Das k.k. Unterrichtsministerium hatte eine Konkurrenz zur Einbringung von Entwürfen für ein im St. Stephansdome zu errichtendes Denkmal auf die Rettung von Wien aus der Türkengefahr 1683 ausgeschrieben und wurde auf das von Herrn Professor Edmund Hellmer eingebrachte Projekt mit dem ersten Preise beteilt.
Das unterfertigte Komitee hat sich die Ausführung dieses Denkmals und demgemäß die Beschaffung der erforderlichen Geldmittel zur Aufgabe gestellt.
Treten wir mit patriotischer Opferfreudigkeit zusammen, um ‚mit vereinten Kräften‘ ein der hochbedenksamen Veranlassung würdiges Denkmal der Erinnerung an die Rettung von Wien im Jahre 1683 verdienten Männer zu widmen. Wir sind dies dem Ruhme unseres Vaterlandes schuldig.
Wir fördern damit zugleich die weitere Entfaltung der Kunsttätigkeit in unserer Stadt auf ihrer bisher so glanzvoll verfolgten Bahn.
An alle Vaterlandsfreunde wird die Bitte um Unterstützung dieses patriotischen Unternehmens gerichtet. (Truxa 1891: 10ff)
Kaiser Franz Joseph I. ging mit ‚leuchtendem Beispiel’ voran und spendete die Summe von 6000 Gulden aus eigener Kasse aufgeteilt über einen Zeitraum von sechs Jahren. Ihm schlossen sich zahlreiche Mitglieder des Kaiserhauses und der Bevölkerung an. 54 000 Gulden konnten so für den Bau des Denkmals aufgebracht werden. Allerdings zeigte sich bald, dass die für den Wettbewerb festgesetzte Summe von 50 000 Gulden viel zu niedrig war. Deshalb forderte das ‚Executiv-Comitè’ im März 1892 erneut zum Spenden auf.
Wieder steuerte der Kaiser nunmehr 16 000 Gulden bei, um die Mittelgruppe in Marmor ausführen zu lassen. Ihm folgten Papst Leo III., der die Marmorfigur des Papstes Innozenz XI. stiftete, Erzbischof Dr. Anton Josef Gruscha finanzierte die Figur des Kollonitsch, die adeligen Frauen die Figur der Madonna und der liberale Politiker und Kunstmäzen Nikolaus Dumba die Figur des Bürgermeisters Liebenberg. Die Kosten für die übrigen Figuren wurden von der Stadt Wien und dem Stadterweiterungsfonds übernommen.
Der Entwurf löst heftige Debatten aus
Vor allem das liberale Wiener Bürgertum kritisierte die Entscheidung des Ministeriums, die Halle des Stephansdoms als Standort zu wählen. Insbesondere in der liberalen Zeitung ‚Die Neue Freie Presse‘ wurde der Missmut der Bürgerschaft laut, was die Verstimmung zwischen Staat und Stadt widerspiegelte. Zum einen wurde beanstandet, dass das Monument den Bürgern und Bürgerinnen nicht an einem ‚öffentlichen’ Platz zugänglich sei. Zum anderen müssten die Vorgaben für den Wettbewerb wie „eine Zwangsjacke wirken auf die schöpferische Kraft eines jeden Künstlers von richtigem Stylgefühl“ (Neue Freie Presse 12.05.1883: 1). Insgesamt habe das Denkmal einen zu kirchlichen Beigeschmack.
Auch Vertreter der Kirche kritisierten die Ausführung des ‘Türkenbefreiungsdenkmals’. Der erste Entwurf Hellmers (ohne Madonna und Papst) war – mit keinerlei kirchlichen Bezügen – zu weltlich, um im Stephansdom aufgestellt zu werden. Da der „ganze Feldzug unter der Schutzpatronin Maria unternommen wurde“, sei eine klerikale Bekrönung nur allzu berechtigt, so Rudolf Eitelberger im Feuilleton der ‚Wiener Zeitung‘ vom 3. März 1884. Die Figur des Papstes war zu Anfang noch nicht geplant, erst in einer Erklärung des Entwurfes vom 28. April 1884 wurde Papst Innozenz neben dem Kaiser als die Madonna anbetende Freifigur angedacht.
Auf Darstellungen des Kapuzinermönchs Marco d’Aviano, welchen insbesondere Vertreter der Kirche als zentralen Helden und Retter des Christentums zelebrierten, wurde gänzlich verzichtet, was u.a. der Historiker Onno Klopp bemängelte. Dieser stellte zugleich die wichtige Verteidigerrolle der Wiener Bürger 1683 in Frage, worauf heftige mediale Debatten entbrannten (siehe “Onno Klopp greift an” und “Onno Klopp und die Medien”).
Der Stephansdom als geeigneter Aufstellungsort
Schon im Jahr 1882 wurde der Stephansdom als Standort für das Monument in Erwägung gezogen. Ein wesentlicher Grund, an diesem Plan festzuhalten, lag in den damaligen politischen Verhältnissen – rund um das Jubiläumsjahr gab es unter den Nationalitätenvertretern unterschiedliche Auslegungen und Hervorhebungen jener ‚nationalen’ Helden, die an Verteidigung und Entsatz beteiligt waren. So wurde zum Beispiel in Krakau die Rolle des polnischen Königs Sobieski an der Befreiung Wiens besonders betont. Um etwaige nationale oder parteipolitische Gefühle nicht zu verletzten und nicht noch weitere peinliche Schmähungen durch andere Nationalitäten in Kauf nehmen zu müssen, sollte das ‘Türkenbefreiungsdenkmals’ von Anfang an nicht “auf offener Straße”, “sondern in den stillen Hallen des Domes” aufgestellt werden (Truxa 1891: 260), an einem (für nationalliberale Bürger) nicht ‚öffentlichen’ Ort. Insbesondere von tschechischer Seite wurde heftige Kritik laut.
Der in Prag geborene Wiener konservative Historiker und Politiker Joseph Alexander Freiherr von Helfert veröffentlichte zum Jubiläum 1883 eine Schrift, in der er auf die Bedeutung des ‚Chef[s] der Wiener Stadtverteidigung‘ Graf Kaspar Zdeněk Kaplíř verwies. Bezugnehmend auf Helferts Werk beanspruchte der ‚Nationalitäten-Club‘ der tschechisch-nationalen Föderalisten durch parlamentarische Intervention, nämlich durch eine Eingabe an das ‚Ministerium für Cultus und Unterricht‘, eine Hervorhebung der Rolle des Grafen Kaplíř, der am Türkenbefreiungsdenkmal nicht bedacht wurde. Damit erwirkte der ‚Nationalitäten-Club‘ eine – wenn auch nur vorübergehende – inhaltliche Änderung am ‘Türkenbefreiungsdenkmal’: Wurde im Jahr 1884 in einem Spendenaufruf des Denkmalkomitees noch angekündigt, dass eine Reliefdarstelllung des Grafen Kaplíř am Sockel des Denkmals geplant sei, so wurde dieser Plan letztlich doch nicht umgesetzt (vgl. Bösel/ Krasa 1994: 113).
Eine Enthüllungsfeier „abseits vom Volk“
Am 13. September 1894, zwölf Jahre nach der Ausschreibung, wurde das ‚Türkenbefreiungsdenkmal’ im Wiener Stephansdom enthüllt. Wieder wurde Kritik von Seiten des Wiener Bürgertums laut, die in einem ausführlichen Bericht in der Abendpost der Neuen Freien Presse vom 13. September 1894 deutlich wird. Die Feier habe „abseits vom Volk stattgefunden“, nur wenige Würdenträger hätten „im Halbdunkel des Stephansdomes“ der Feier beigewohnt:
Ganz anders als heute sah es an dem denkwürdigen Morgen vom 13. September 1683 im Stephansdome aus. Damals drängten sich Befreier und Befreite unter jubelnden Rufen durch das Kirchenthor in den Dom, heute war der riesige Raum halbleer, nur einige hundert Personen umstanden die Thurmhalle, wo Meister Hellmers Denkmal an die hohe Wand gefügt ist. (Neue Freue Presse 13.09.1894: 2)
Gegenüber dem Denkmal war eine Estrade für den Kaiser und die teilnehmenden Erzherzöge sowie eine Tribüne für die Würdenträger aufgebaut. Als besonders wichtiger Gast wurde in der ‚Neuen Freien Presse‘ ein Nachkomme Starhembergs hervorgehoben: der „Sieger vom Distanzritte, Dragoner-Oberlieutenant Ernst Grafen Starhemberg“. Kardinal Fürsterzbischof Dr. Gruscha hielt anlässlich der Denkmalsenthüllung eine Ansprache an den Kaiser, in der er die kirchlichen Bezüge des Denkmals, auf den Inhalt des Denkmals und den Aufstellungsort bezogen, besonders betonte: Das Denkmal
erhebt sich an würdiger Stätte, im Inneren des Stephansdoms, im Inneren jenes Thurmes, der einst gegen die Feinde Wiens zur kriegerischen Macht wurde, des Thurmes, der wie ein Finger Gottes hinwies auf Jenen, der als Herr der Heerschaaren Krieg und Frieden in seiner allmächtigen Hand hat; er weist auf den Herrn hin, zu dem im Augenblicke der höchsten Bedrängniß und Gefahr Wien und das ganze Reich gebetet mit den kurzen, aber innigen, heute noch in gottesdienstlicher Uebung stehende Gebete: ‚Sei du, o Herr, ein starker Thurm uns wider unsere Feinde‘. Am Fuße dieses starken Thurmes zerschellte das Haupt der Christenfeinde. Und dieser Thurm selbst wurde ein Denkmal. (Neue Freue Presse 13.09.1894: 2)
Die hochkonservative Zeitung: ‚Das Vaterland: Zeitung für die österreichische Monarchie’ hob in einem Artikel am 13. September 1894, der auf die Säkularfeierlichkeiten 1883 Bezug nimmt und anlässlich der Enthüllung des ‘Türkenbefreiungsdenkmals’ veröffentlicht wurde, gemäß ihrer Interessen die Bedeutung der Monarchie und des Christentums hervor.
In der Erinnerung an die Vertheidigung und an den Entsatz der Stadt Wien begegnen und vereinigen sich der berechtigte Localpatriotismus, die schönste Begeisterung für Kaiser und Reich, die erhabensten religiösen Gefühle im Danke zu Gott dem Herrn für die glorreiche Rettung aus höchster Gefahr. Darum steigt mit ergreifender Gewalt am Gedenktage der Befreiung das Bild der großen Entscheidungsschlacht, nicht nur für Wien, sondern für das im Werden begriffene Oesterreich, ja für die ganze christliche Welt, immer wieder auf, vor unserem geistigen Auge. (Das Vaterland 13.09.1894: 1)
Auch ‚Das Fremdenblatt‘ stellt den Kaiser als Schutzherrn in den Vordergrund und zieht eine Parallele zwischen ‚damals und heute‘:
Die Hallen jenes altersgrauen Domes, der zum Himmel aufragt als ein herrliches Wahrzeichen der alten Kaiserstadt Wien, sind um einen Schmuck, um ein Denkmal reicher geworden. […] Heute wie damals schwebt der Kaiseraar schützend und schirmend über der Kaiserstadt; wie damals ein erlauchter Herrscher aus Habsburgs Stamme die erlöste Donau-Stadt aus ihren Trümmern emporhob zu neuer Wohlfahrt, zu neuer Blüthe, so hat Franz Joseph, sein würdiger Nachfolger auf Habsburgs Throne, Sein theures Wien emporgehoben und erneut zu nie geahntem Glanze. (Wiener Abendpost 13.09.1894: 1f)
Die Aufgabe des Kaisers war es, die Enthüllung des Denkmals mittels Kopfnicken anzuordnen.
Ein Ereignis wird erstmals denkmalwürdig
Das ‘Türkenbefreiungsdenkmal’ ist wohl das bedeutendste Monument, das die Erinnerung an die Befreiung und Verteidigung Wiens 1683 seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wachhielt. Ziel war es, der ‚Rettung des gesamten Christentums Europas‘ manifesten Ausdruck zu verleihen. Dieser Aspekt wird durch die Bekrönung des Denkmals mit der Figur Mariens unterstrichen. Mit diesem Monument taucht zugleich ein neuer Denkmaltypus auf: Bis zu diesem Zeitpunkt waren in Wien – mit Ausnahme des ‚Löwen von Aspern’ – Monumentaldenkmäler allein für Mitglieder der Dynastie bzw. für große Feldherren (Prinz Eugen Denkmal am Heldenplatz) errichtet worden. Mit dem ‘Türkenbefreiungsdenkmal’ wurde „erstmals ein historisch bedeutsames Ereignis“ denkmalwürdig (Telesko 2008: 35; Kristan 1998: 106).
Strategisch geschickt errichtete das Ministerium ein ‚All-Inclusive-Monument‘, mit dem gleich mehrere Ziele verfolgt wurden: Durch seinen ‘halböffentlichen’ Aufstellungsort – dem Stephansdom – und der Auswahl der repräsentierten Figuren hielt es das ‚Türkengedächtnis’ wach. Zugleich ließ es sich aber schwer für national-liberale Ansprüche verwenden. Zum einen wurden national vereinnahmbare Symbolfiguren (Graf Kaspar Zdeněk Kaplíř) nicht aufgenommen. Zum anderen wurden liberal besetzte Helden wie Andreas von Liebenberg zwar im Denkmal repräsentiert: Im Stephansdom aufgestellt wurde Liebenberg dem liberalen Bürgertum als Identifikationsfigur entwendet, zugleich aber an den Rand des Denkmals gedrängt.
Der „Ruhm der Sieger“ („Gloria Victoribus“) gebührte vornehmlich der Kirche, vertreten durch die strahlenumgrenzte Madonna mit Kind und den Papst; sodann dem Kaiser, seiner Armee (Karl V. von Lothringen) und dem von ihm herbeigerufenen Ensatzheer (Johann Georg III. von Sachsen, Johann III. Sobieski von Polen und Maximilian II. Emanuel von Bayern); und schließlich dem von Leopold I. eingesetzten Verteidiger der Stadt Ernst Rüdiger Graf von Starhemberg. Im Volksmund hieß das Denkmal auch ‚Starhembergdenkmal’. Das Monument zeugt daher vom (wohl gelungenen) Versuch des Ministeriums, sowohl die Verteidigung als auch die Befreiung von 1683 als Heldentat der Dynastie bzw. des Staates – und nicht der Stadt – darzustellen.
Literatur
Literatur
Albert Ilg. In: Österreichisches Biographisches Lexikon (ÖBL) 1815–1950. Bd. 3 (Lfg. 11, 1961), S. 27.
Bösel, Richard/ Krasa, Selma (1994): Monumente. Wiener Denkmäler vom Klassizismus zur Secession. Eine Ausstellung des Kulturkreises Looshaus und der Graphischen Sammlung Albertina. Looshaus, 5. Mai bis 3. Juli 1994. Wien.
Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie (13.09.1884): Die Rettung Wiens aus der höchsten und letzten Türkennoth,1–2, 20.09.2020.
Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie (13.09.1884): Das Denkmal zur Erinnerung an die Befreiung Wiens im Jahre 1683 im St. Stephansdome,1–2, 20.09.2020.
Eitelberger, Rudolf von (04.03.1884): Wiener Bildhauer. Aus Anlaß der Ausführung des Starhemberg-Denkmals in der St. Stephans-Kirche. In: Wiener Zeitung, 3–4.
Feichtinger, Johannes (2010): „Auf dem Zauberhaufen“. Der Burgravelin und die Funktionalisierung des Gedächtnisses an den Entsatz Wiens von den Türken 1683, in: ÖZKD. Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, Jg. 64, Heft 1–2 (Sonderheft: Wiener Stadt- und Burgbefestigung, konzipiert und koordiniert von Markus Jeitler, Richard Kurdiovsky, Anna Mader-Kratky), 108–115.
Flieder, Viktor/ Loidl, Franz (1967): Stephansdom – Zerstörung und Wiederaufbau. Chronik und Dokumentation. Veröffentlichungen des Kirchenhistorischen Instituts der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Wien.
Heiss, Johann; Feichtinger, Johannes (2009): Wiener “Türkengedächtnis” im Wandel. Historische und anthropologische Perspektiven. In: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft (ÖZP) 2, 249–263.
Kassal-Mikula, Renata (Red.) (1997): 850 Jahre St. Stephan. Symbol und Mitte in Wien 1147–1997. 226. Sonderausstellung des Historischen Museum der Stadt Wien. 24. April bis 31. August 1997. Wien.
Krasa, Selma (1982): Das historische Ereignis und seine Rezeption. In: Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.): Die Türken vor Wien. Europa und die Entscheidung an der Donau 1683. Salzburg/Wien, 304–318.
Kristan, Markus (1998): Denkmäler der Gründerzeit in Wien. In: Stephan Riesenfellner (Hg.) Steinernes Bewusstsein I. Die öffentliche Repräsentation staatlicher und nationaler Identität Österreichs in seinen Denkmälern. Wien/Köln/Weimar, 77–165.
Neue Freie Presse (13.09.1894): Das Befreiungsdenkmal im Stephansdom, 2, 20.09.2020.
Neue Freie Presse (13.09.1894): Das Denkmal der Befreiung Wiens 1683, 6, 20.09.2020.
Neue Freie Presse (13.09.1894): Die Enthüllung des Türkenbefreiungsdenkmals, 2, 20.09.2020.
Ranzoni, Emmerich (12.05.1883): Denkmal der Befreiung Wiens 1683. In: Neue Freie Presse, 1–2, 28.06.1883.
Telesko, Werner (2008), Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts. Wien/Köln/Weimar.
Truxa, Hans Maria (1891): Das für den St. Stephansdom zu Wien bestimmte Denkmal. In: Erinnerungsdenkmäler der Befreiung Wiens aus der Türkennoth des Jahres 1683. Wien, 9–17.
Truxa, Hans Maria (1891): Das für den St. Stephansdom zu Wien bestimmte Denkmal. In: Oesterreichisches Jahrbuch. Für den österreichischen Volksschriften-Verein, hg. und geleitet von Frhr. v. Helfert. 15. Jg. Wien, 255–262.
Weißenhofer, Anselm (1956): Zur Geschichte des Türkenbefreiungsdenkmales im Stephansdom in Wien. In: Wiener Geschichtsblätter, Jg. 11, Nr. 4, 73–80.
Wienerisches Ehrenkränzlein von 1683 (1883): Unparteiische Prüfung der Anschuldigungen des Herrn Onno Klopp durch eine Vereinigung von Wiener Bürgern. Herausgegeben als erste Vereinsgabe der ‚Bürgervereinigung Liebenberg‘. Wien.
Wiener Zeitung (22.06.1882): Nichtamtlicher Theil. Oesterreich. Wien, 21. Juni, 1, 20.09.2020.
Wiener Abendpost (13.09.1894): Zeitungsstimmen, 1f, 20.09.2020.
Zeissberg, Heinrich, Ritter von (1894): Denkschrift zur Erinnerung an die zweite Türkenbelagerung Wiens im Jahre 1683 anlässlich der am 13. September 1894 erfolgten Enthüllung des Denkmales im St. Stephansdome zu Wien. Im Auftrag des Denkmal-Executiv-Comités. Wien.