Text: Johanna Witzeling

Das 1882 veröffentlichte Geschichtswerk des Historikers Onno Klopp, das den Anteil der Wiener Bürger an der Verteidigung Wiens 1683 kritisch hinterfragte (siehe “Onno Klopp greift an”), sorgte im Vorfeld der Säkularfeier für politischen Zündstoff und lebhafte Diskussionen in den Medien. Die dabei entstandenen Zeitungsartikel geben Einblick in die damaligen Machtkämpfe und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.

„Eine Verleumdung der Bürger Wiens“

„Eine Verleumdung der Bürger Wiens“

Die Wiener ‚Deutsche Zeitung’, die Klopps Geschichtswerk in den Ausgaben vom 18. und 19. Oktober 1882 diskutierte, warf ihm „Verleumdung der Bürger Wiens“ vor und schrieb über Onno Klopp, er gehöre zur „clerikal-particularistischen Partei im deutschen Reiche“; seine Genossen seien seit „Jahrhunderten an dem geistigen Rückgang der Völker Österreichs“ schuld. Der Verfasser des Artikels wies den Gemeinderat auf die Verpflichtung zur Prüfung der Anschuldigungen des Verrats der Wiener Bürger von 1683 hin. Diese sollten laut Klopp mit Kapitulationsgedanken gespielt haben.

Es ist geradezu Pflicht des jetzigen Gemeinderathes von Wien, diese Anschuldigungen prüfen zu lassen. Wenn Onno Klopp mit seinen Folgerungen der Wahrheit auch nur im entferntesten nahe gekommen ist, dann wird die Feier des Jahres 1883 eine verächtliche Farce sein. (Deutsche Zeitung 18.10.1882: 3)

Weiter heißt es:

Wenn Herr Onno Klopp die Wahrheit spricht, dann müssen die Gemeinderäthe von Wien im Bewusstsein der schweren Schuld ihrer Vorfahren sich von der Feier des 12. September 1883 bescheiden fernhalten; wenn ihm aber tendenziöse Verdrehungen der Thatsachen nachzuweisen ist, dann kann die Stadt Wien mit Verachtung über die Verleumdung ihres clerikalen Gegners hinwegsehen. (ebd.)

Der Wiener Gemeinderat reagierte prompt: Schon in seiner Sitzung am Tag darauf, dem 20. Oktober, setzte er sich mit dem Geschichtswerk Klopps kritisch auseinander. Das Sitzungsprotokoll wurde in verschiedenen Wiener Zeitungen publiziert und damit eine lebhafte Debatte über die Rolle der Wiener Bürgerschaft im Jahre 1683 eröffnet. Davon legen u.a. die beiden Zeitungsartikel von Onno Klopp („Offenes Sendschreiben an den Herrn Bürgermeister Uhl“; „Abermaliges offenes Sendschreiben an den Herrn Bürgermeister Uhl“) und das Gutachten des Wiener Archiv- und Bibliotheksdirektors Karl Weiss Zeugnis ab.

„Das Werk Onno Klopp’s ist ein Monument“

„Das Werk Onno Klopp’s ist ein Monument“

Am 14. August 1883 veröffentlichte das konservative Blatt ‚Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie’ einen Artikel mit dem Titel „Das Jahr 1683“, in dem an die Ereignisse von 1683 aus einer dynastisch-klerikalen Perspektive erinnert wurde. Neben der Betonung, dass die Feier zum 200-jährigen Jahrestag des Entsatzes nicht nur von Österreich, sondern von der gesamten Christenheit begangen werden würde, sprach der Verfasser des Artikels die Bedeutung des Geschichtswerkes von Onno Klopp (1882) an:

Angesichts diese hochwichtigen Erinnerungstages erscheint es uns höchst unpassend, wenn von Seite Derjenigen, welche in dem herrlichen Werke Onno Klopp’s: ‚Das Jahr 1883 [sic!] und der folgende große Türkenkrieg‘, die Wiener Bürger, die Polen oder die Ungarn benachtheiligt wähnen, über dieses monumentale Werk wüthend herfallen oder es mit kleinlicher Silbenstecherei angreifen.

Ja höchst bedauerlich ist dieses Verfahren gegenüber der großen gemeinsamen That von 1683! Das Werk Onno Klopp’s ist ein Monument, von dem trefflichen und gewissenhaften Historiker errichtet dem Ruhme des glorreichen Hauses Habsburg und des kaiserlichen Heeres, errichtet zum ewigen Gedächtnisse des einigen Zusammenwirkens so vieler christlicher Nationen unter dem Segen des Oberhauptes der Christenheit, der die großartigste Hilfe leistenden Papstes Innozenz XI., zu dem einen großen entscheidenden Ziele! (ebd.: 1)

„Nicht der äußere, aber der innere Feind“

„Nicht der äußere, aber der innere Feind“

In der ‚Neuen Freien Presse’ erschien am 12. September 1883 ein Beitrag mit dem Titel „Wien, 11. September“ auf Seite 1. In diesem Artikel wurde, gemäß dem politischen Hintergrund des liberalen Blattes, die Rolle der Bürgerschaft besonders hervorgehoben. Anlässlich der Eröffnung des neuen Rathauses wurde die Gelegenheit genutzt, die Bedeutung der Bürger von ‚einst und heute‘ zu betonen. Ebenso wird eindeutig auf die aktuellen politischen Machtverhältnisse in Wien verwiesen. In dem Artikel heißt es unter anderem:

Wo einst die Bürger Wiens sich des Feindes erwehrten, erhebt sich in ruhiger Größe ein edler Palast.

Das Bürgerthum, daß sich in dem neuen Rathhause selbst verherrlichte, kennt die schweren Probleme, die es zu lösen hat. Was nützen die Versuche, seine Reihen zu durchbrechen, den Geist der Zwietracht zu entflammen, den Neid und Haß zu entfesseln, um die geschlossene Phalanx des modernen Staates aufzulösen? Das Evangelium der Ausbeutung wurde von hohen Protectoren der Ausbeutung verkündet, eine tiefe Kluft sollte den Besitz von der Arbeit trennen, das süße Gift der Verführung wurde ahnungslosen Gemüthern eingeflößt. Es ist eine böse Zeit, wo niedrige Teufel und vornehme Engel sich verbinden, um die Macht des Liberalismus zu brechen, wo nicht der äußere, aber der innere Feind die Stadt bedrängt. Doch das Bürgertum wäre unwürdig, wenn es nicht den Muth fände, seine Stellung zu vertheidigen, wenn es nicht die geistige Spannkraft hätte, dem Arbeiter mit Offenheit zu begegnen, ihn ohne verächtliche Feigheit, aber durch Gerechtigkeit und Versöhnlichkeit zu gewinnen. […]

Wien ist die Zeltstange der Monarchie, die Bürger dieser Stadt sind die besten Vorkämpfer Oesterreichs. Es mögen Perioden kommen, wo dieses historische Verhältnis angefochten wird, aber es ist mächtiger als die kleinen Menschen, die es bekämpfen, und das Rathhaus wird noch gefeiert werden als das herrlichste Gebäude der großen Residenz, wenn man nur mit Lächeln der Verirrungen erwähnen wird, unter welchen die Gegenwart schwer leidet.

Liebenberg „hat keine Heldenrolle gespielt“

Liebenberg „hat keine Heldenrolle gespielt“

Anlässlich der Enthüllung des Liebenberg-Denkmals vor der Mölkerbastei veröffentlichte das konservative Blatt ‚Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie’ am 12. September 1890, am Jahrestag der siegreichen Entsatzschlacht, einen Artikel mit der Überschrift „Die Helden von 1683. Zur Enthüllung des Liebenbergdenkmales“.

In diesem Medienbericht wurde die Rolle des damaligen Wiener Bürgermeisters Johann Andreas von Liebenberg bei der Verteidigung Wiens 1683 in Frage gestellt und auf Klopps Anschuldigungen verwiesen. Die ‚wahren Helden’ wären, gemäß der Färbung des Blattes und der positiven Bezugnahme auf den klerikalen und dynastietreuen Onno Klopp, der Kirche und der Dynastie zuzuordnen: Papst Innozenz XI., Kaiser Leopold I., Graf Leopold Kollonitsch, Marco d’Aviano, Karl V. von Lothringen, Ernst Rüdiger Graf von Starhemberg sowie der Jungfrau Maria.

Heute fällt die Hülle von dem Denkmale eines Mannes, dessen Name verknüpft ist mit Wiens Türkengefahr von 1683. Für Liebenberg ist durch die Bemühungen eines zu diesem Zwecke gebildeten Vereines ein Monument zu Stande gekommen. Liebenberg stand 1683 an der Spitze der Wiener Stadtgemeinde, und es war ihm daher während der Zeit der Bedrängnis eine wichtige Rolle zugefallen; hatte er doch als Oberhaupt der Bürgerschaft die unumgänglich nothwendige Mitwirkung derselben zur Vertheidigung der Stadt und zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu leiten und zu überwachen, sollte er doch das Bindeglied sein zwischen dem militärischen und bürgerlichen Factor im belagerten Wien. Daß er seiner Aufgabe im Großen und Ganzen, wie man zu sagen pflegt, recht und schlecht nachgekommen, mag man daraus schließen, daß keine positiven Zeugnisse des Gegentheiles vorliegen. Jedenfalls hat er alles Ungemach jener acht Wochen bis zu seinem Tode, kurz vor dem Entsatze mitgelitten, hat er theilgenommen an allen Schrecken der Belagerung, hat er schwer empfunden die Last seines verantwortungsvollen Amtes. Und darum gönnen wir ihm die Denksäule, welche dankbarer Bürgersinn ihm errichtet hat. Doch unparteiische, auf der Grundlage strenger historischer Wahrheit ruhende Würdigung der Personen und Thatsachen jener Epoche [Fußnote: Die namentlich Onno Klopp’s ‚1683’ auf Grund der besten Quellen gesichert hat. Die Red.] drängt zu der Frage: ist Liebenberg die einzige Gestalt in jener Gruppe von Individualitäten, deren Zusammenwirken Wiens und damit des Reiches und der occidentalischen Christenheit Bewahrung vor islamistischer Unterjochung herbeiführte? Oder kann Liebenberg vielleicht einen ganz besonderen Antheil am Ruhme und Verdienste der Verteidigung und Rettung der Kaiserstadt beanspruchen? Die Geschichte antwortet: Nein. Der damalige Bürgermeister – soweit wir auch entfernt sind, gegen ihn Vorwürfe zu erheben – hat keine Heldenrolle gespielt, er gebührt ihm kein Platz in der ersten Reihe einer Ehrenhalle von 1683, er gehört nicht zu den Sommitäten [Höchsten, Vornehmsten] seiner Zeit.

So wenig wir uns also gegen das granitene Denkzeichen Liebenberg’s erklären, und so sehr wir den Zweck achten, den damit die ‚Bürgervereinigung Liebenberg’ im Auge hatte: ‚Die Stärkung und Hebung des österreichischen Bürgersinns, die Pflege von Erinnerungen an alle jene Momente, welche von jeher als voranleuchtende Beispiele in diesem Sinne galten, und nach Umständen Feier derselben im Vereinskreise oder in der Oeffentlichkeit’: so fordert es doch die Gerechtigkeit, bei diesem Anlasse auf jene Männer hinzuweisen, die in wahrhaft heroischem Maße zum Gelingen des großen Werkes beitrugen, denen daher Wien in erster Linie die Dankesschuld abzutragen hat, für deren Denkmäler jedoch – der Marmor noch nicht gebrochen und das Erz noch nicht gegossen ist.

Literatur

Literatur

Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie (14.08.1883): Das Jahr 1683, 1–2, 26.08.2009.

Das Vaterland. Zeitung für die österreichische Monarchie (12.09.1890): Die Helden von 1683. Zur Enthüllung Liebenbergdenkmales, 1–3, 26.08.2009.

Deutsche Zeitung (18.10.1882): Eine Verleumdung der Bürger Wiens, 1–3.

Deutsche Zeitung (19.10.1882): Die Verleumdung der Bürger Wiens. 2. Teil, 1–3.

Kölgen, Ferdinand (1883): Schmucklose Blumen zur Feier des 12. September 1883 dem 200jährigen Gedächtnistage der Befreiung Wiens von der Türkenbelagerung im Jahre 1683 gewidmet von dem Blinden Ferdinand Kölgen sen., Wien.

Neue Freie Presse (12.09.1883): Wien, 11. September, 1, 26.08.2009.