Sisis Baedeker – Alexander Freiherr von Warsberg (1836‒1889)

Der Diplomat brennt für das antike Griechenland, dessen Landschaften er in seinen Reisebüchern voll Ergriffenheit und Pathos beschreibt. In Erinnerung bleibt jedoch vor allem seine Rolle als Reiseführer von Kaiserin Elisabeth und bei der Errichtung von deren antikem Traumpalast auf Korfu, dem Achilleion.

Alexander Freiherr von Warsberg wird am 30. März 1836 im südlich von Trier gelegenen Saarburg in privilegierte aristokratische Verhältnisse hineingeboren. Sein Vater ist der katholische preußische Kammerherr Joseph Alexander Freiherr von Warsberg, die Mutter Elisabeth eine geborene Freiin von Wittenbach und später Sternkreuzordensdame. Als Alexander noch ein Kind ist, verkauft der Vater die Familienbesitzungen und übersiedelt mit der Familie nach Graz. Dort besucht Alexander das Gymnasium und schreibt sich 1855 an der Universität als Student der Rechte ein. Im Folgejahr wechselt er jedoch für zwei Semester nach München, wo der an Kunst interessierte junge Mann neben dem Studium eifrig Museen besucht, das Haus des Künstlers, Schriftstellers und Musikers Franz von Pocci frequentiert und dort u. a. dem späteren bayerischen König Ludwig II. begegnet.

In Staatsdiensten

1857 nach Graz zurückgekehrt schließt Warsberg das Jusstudium ab und beginnt 1859 eine Beamtenlaufbahn, zuerst bei der Statthalterei in Venedig, im Jahr darauf bei deren Grazer Pendant. 1866 wechselt er als Konzeptsadjunkt in das Handels- und von dort 1868 in das Außenministerium nach Wien. Schon früh erkrankt er an einem Lungenleiden, das ihn den Rest seines Lebens begleiten wird. So lässt er sich bald nach seinem Eintritt ins Außenministerium aus gesundheitlichen Gründen für mehrere Jahre in Disponibilität versetzen und sucht Erholung u. a. im Süden. Ab 1882 amtiert Warsberg schließlich als Konsul auf Korfu, ehe er Ende 1887 mit der Leitung des Generalkonsulats in Venedig betraut wird.

Eine schicksalhafte Begegnung

Während seiner Zeit als Beamter in der steirischen Metropole trifft Warsberg dort 1863 auf einen anderen Sohn der Stadt, der es ‒ obschon aus eher bescheidenen Verhältnissen stammend und früh verwaist ‒ weit gebracht hat: Anton Freiherr (später Graf) Prokesch von Osten ist eine schillernde Figur, die sowohl als Militär, Kunstkenner, Numismatiker, Reiseschriftsteller und vor allem als Diplomat reüssiert hat. Zum Zeitpunkt ihrer Begegnung fungiert er als Internuntius an der Hohen Pforte, sprich als Gesandter in Konstantinopel. Sie verstehen sich auf Anhieb und trotz des Altersunterschieds von über vier Jahrzehnten entwickelt sich eine enge Freundschaft, die bis zu Prokesch-Ostens Tod 1876 andauern soll. Der Diplomat lädt Warsberg im Sommer 1864 an den Bosporus, und dieser ist überwältigt von dem dort Gesehenen und Erlebten. Wie Prokesch-Osten lässt auch ihn der Orient (worunter man damals durchaus auch den griechisch geprägten Raum subsumiert) nicht mehr los. Beide haben sich dem „ex oriente lux“ verschrieben, beide sind von der Überlegenheit orientalischer Wesensart, Geisteshaltung, Ästhetik etc. überzeugt. Warsberg formuliert es so: „Aus dem Oriente kömmt eben nicht nur das Licht, aber dort ist auch die Ruhe und Beharrlichkeit und der ewig unveränderliche Born eines ursprünglicheren und gesunderen Geistes, der die Menschheit immer wieder umtauft, wenn sie sich drüben im Okzidente an materialistischer Überfeinerung zugrunde gerichtet hat“. Bei Prokesch-Osten wie auch bei seinem jungen Freund basiert diese Orient-Verehrung bzw. Okzident-Skepsis nicht zuletzt auf einer konservativen vormärzlichen Grundhaltung, die in konstitutioneller Monarchie und Demokratie den Anfang vom Untergang des Abendlandes erblickt.

„Der letzte Grieche“

Die Sehnsucht nach dem Süden führt Warsberg (teilweise in Begleitung Prokesch-Ostens) u. a. nach Ägypten, Syrien und Libyen. Doch seine große Leidenschaft gehört den Landschaften des alten Griechenland, die er mit den Bänden der Klassiker in der Rocktasche bereist. Er nimmt sich das Goethewort „Wer den Dichter will verstehen / Muss in Dichters Lande gehen“ zu Herzen und ist überzeugt, durch das unmittelbare Erleben der Schauplätze der klassischen Dichtung zu einem tieferen Verständnis derselben vorzudringen. Bald nach der Begegnung mit Prokesch-Osten veröffentlicht er Reiseskizzen in verschiedenen Blättern, v. a. in der Augsburger „Allgemeinen Zeitung“. Die Eindrücke seiner Reise nach Konstantinopel 1864 verarbeitet er in seiner ersten Monographie „Ein Sommer im Orient“ (1869). 1870/71 hält er sich für mehrere Monate auf Ithaka auf, eine der Ionischen Inseln und mythische Heimat des Odysseus. Seine dort angefertigten Aufzeichnungen bilden den Grundstock für den Dreibänder „Odysseische Landschaften“ (1878‒79). Warsbergs Reisebücher (von denen einige erst posthum erscheinen) sind Landschaftsschilderungen, die dem Leser die unmittelbare emotionale Wirkung, die das Geschaute im Autor auslöst, nicht vorenthalten, ganz im Gegenteil: Er bekommt Schwärmerei und Gefühlsseligkeit im Übermaß serviert, denn der Autor trägt sprachlich teils recht dick auf. Da sind Frauen schon einmal „Engel der Sittsamkeit und Güte“, während er an den „weichen, wollüstigen, phäakischen Ufern des Ostens“ entlangwandelt. Es sind wohl diese zeitgebundene Übersättigung des Ausdrucks, das Romantisieren und die in seinen Werken immer wieder beobachtbare künstliche Stimmungsmache, die dafür sorgen, dass Warsbergs Bücher nach seinem Ableben relativ bald aus dem Buchhandel und dem allgemeinen Bewusstsein verschwinden. Dabei sieht er sich selbst nur als jemanden, der „nicht anders als der Maler und der Photograph [arbeitet], welche Landschaftsskizzen einsammeln“. Tatsächlich entwirft er unter dem Eindruck des Gesehenen gern Bilder oder Romanhandlungen und liefert die Namen der von ihm dafür auserkorenen Maler und Dichter auch gleich mit. In seine Texte eingeflochten sind neben statistischen Angaben auch kleine historische Skizzen. Gern baut er auch literarische Zitate ein, die Referenzwerke schlechthin stellen jedoch, wie der Titel seines Hauptwerks bereits andeutet, Homers Epen dar. Nach den „Odysseischen Landschaften“ wendet sich „der letzte Grieche“, wie ihn seine Freundin, die Schriftstellerin Rosa von Gerold, apostrophiert, der Landschaft der Ilias zu. Den Anlass bietet die Übertragung des sog. Heroon von Trysa (in der heutigen Südwesttürkei) in das Wiener Hofmuseum, ein Projekt unter der Leitung des Archäologen Otto Benndorf. Warsberg, der mit der wissenschaftlichen Annäherung an die Antike bisweilen fremdelt und deren unmittelbares Erleben vor Ort bevorzugt, begleitet Benndorf auf dieser Expedition. Später kommt es im Zusammenhang mit der Verwendung von Photographien dieser Forschungsreise in Warsbergs Publikationen zu einem Konflikt. Von dem geplanten dreibändigen Werk über das Land der Ilias erscheint nur „Eine Reise durch das Reich des Sarpedon“ (1884).

Freundinnen

Obschon sich der ewige Junggeselle Warsberg als „Wollüstling der Einsamkeit“ geriert, begibt er sich gern in Gesellschaft und pflegt zahlreiche Freundschaften, die sich in ausgedehnten Briefwechseln manifestieren. Neben Prokesch-Osten zählen etwa der Diplomat und Schriftsteller Alexander von Villers sowie die Grafen Karl Lanckoroński-Brzezie und Rudolf von Hoyos-Sprinzenstein, wie Warsberg beide leidenschaftliche Kunstsammler, zu seinen engeren Vertrauten. Eine besondere Rolle nehmen in seinem Freundeskreis Frauen ein, etwa Laura Minghetti, die Frau des italienischen Spitzenpolitikers Marco Minghetti, oder die bereits erwähnte Schriftstellerin und Salonière Rosa von Gerold, deren Gatte Warsbergs „Odysseische Landschaften“ verlegt. Sie ist heute ebenso weitgehend vergessen wie eine andere zu ihrer Zeit vielgelesene Frau der Feder, mit der sich Warsberg anfreundet ‒ Malwiga von Meysenbug. Er hat ihren auf Korfu angesiedelten Roman „Phädra“ gelesen und ihr per Brief dazu gratuliert. Es entspinnt sich eine rege Korrespondenz, ehe sie sich nach zwei Jahren in Rom zum ersten Mal persönlich treffen. Obschon die beiden in vielen Fragen unterschiedlicher Meinung sind (Meysenbug vertritt aufklärerisches und emanzipatorisches Gedankengut und sympathisiert mit dem Sozialismus), entdecken sie doch eine gewisse Seelenverwandtschaft und tauschen sich lebhaft über Privates, allgemein Menschliches und Ästhetisches aus.

Reisemarschall Ihrer Majestät

Als die sich ebenfalls für das griechische Altertum begeisternde Kaiserin Elisabeth 1885 einen langgehegten Wunsch in die Tat umsetzen und zu einer längeren Orientreise aufbrechen will, tritt der Hof an Warsberg mit der Bitte heran, auf dieser Fahrt als ihr Reisebegleiter und -führer zu fungieren. Dessen erster Eindruck von der Kaiserin ist wenig schmeichelhaft, er findet sie hässlich und zweifelt gar an ihrem Verstand. Doch wird er dieses Bild später gründlich revidieren. Auf der Staatsyacht „Miramar“ geht es über Korfu, Patras, Patmos, Santorin, Lesbos, Smyrna, Rhodos und Zypern bis nach Alexandrien, auf dem Rückweg läuft man erneut Korfu an. Warsberg erweist sich aus Sicht der Kaiserin als ideale Wahl und in gewisser Weise auch als Seelenverwandter ‒ an seiner Seite wird aus dieser Orientfahrt zugleich eine Zeitreise in die Antike. Doch gibt es auch manche Unbill zu ertragen, etwa wenn die Seekadetten, die mit ihnen auf Korfu den Sapphofelsen erklimmen, sich nicht zu benehmen wissen: „Dieser Rudel junger Leute schwatzte nun so und von so wenig zur Örtlichkeit passenden Dingen, dass irgendeine poetische Stimmung nicht möglich war.“ Die Fahrt ist strapaziös, wozu auch Sisis legendärer Laufschritt das Seine beiträgt, Warsbergs Gesundheit danach angegriffener denn je.

Das Achilleion, Sisis antiker Traumpalast

Im Herbst 1887 fungiert er erneut als Baedeker Ihrer Majestät, diesmal werden Korfu und Ithaka intensiv erkundet. Wieder zehrt die Reise an seinen Kräften: „Alles lag auf mir“, klagt er Malwida von Meysenbug, „niemand sonst ordnete etwas an“. Dazu gesellen sich große finanzielle Ausgaben, die er teilweise selbst zu begleichen hat. In dieser Situation kommt nun von der Kaiserin ein besonderer Auftrag: Sie möchte sich auf Korfu einen Palast errichten, ein mediterranes Refugium in antiker Ausführung, und Warsberg soll die Planungen leiten. Für ihn scheint sich damit ein Traum zu erfüllen, was ihn seine schlechte Konstitution vorerst vergessen lässt. Der Palast soll den Namen Achilleion tragen, hegt die Kaiserin doch große Bewunderung für Achill, den Helden der Ilias. Doch die hektischen Reisen nach Neapel, wo der beauftragte Architekt Raffaele Carito sein Studio hat, und zu den jeweiligen Aufenthaltsorten der Monarchin sind letztlich zu viel für ihn, sodass er die Leitung des Projekts an seinen Bruder Gustav abtreten muss.

Tod in Venedig

Wohl auch als Zeichen der Wertschätzung ernennt man Warsberg Ende 1887 zum Generalkonsul in Venedig. Er stürzt sich sogleich auf die neue diplomatische Aufgabe, doch seine kurze Amtszeit wird überschattet von dem zusehends seine Kräfte übersteigenden Engagement für den Prunkbau auf Korfu und von seiner sich stetig verschlechternden Gesundheit. Venedig ist erst knapp zwanzig Jahre zuvor von Österreich zu Italien gewechselt und es herrschen noch antiösterreichische Ressentiments in der Stadt, die Warsberg zu überwinden trachtet. Um repräsentieren zu können, mietet er den Palazzo Savorgnan am Canale di Canareggio an, der rückwärts über einen großen Garten verfügt. Es soll seine letzte Bleibe werden. Als er am 28. Mai 1889 stirbt, ist sein Bruder bei ihm und Malwida von Meysenbug, die eilends aus Rom angereist ist. Warsbergs Leichnam wird nach Graz überführt und am St.-Leonhard-Friedhof beigesetzt. Das im Stil der italienischen Frührenaissance gehaltene Grabmal mit einer in Majolika ausgeführten Madonna mit Kind ist 1878 anlässlich des Todes von Warsbergs Mutter errichtet worden. Es liegt nicht weit von dem deutlich auffallenderen, von Theophil Ritter von Hansen in byzantinischem Stil ausgeführten Mausoleum für Warsbergs Lebensfreund Prokesch-Osten entfernt.


Weitere Werke: Ithaka, 1887; Die Kunstwerke Athens …, 1892; Eine Wallfahrt nach Dodona, ed. J. Frischauf, 1893; Von Palermo zur Scylla und Charybdis, 1901; Dalmatien, 1904. – Teilnachlässe: Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Österreichische Nationalbibliothek (Handschriftensammlung), Wienbibliothek im Rathaus, alle Wien.


Literatur: Wiener Zeitung, 28., Neue Freie Presse, 29. 5., Neues Wiener Tagblatt, 5. 6. 1889; Reichspost, 26. 4. 1921; C. v. Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich … 53, 1886; R. v. Gerold, in: Allgemeine Kunst-Chronik 13, 1889, S. 345f.; Allgemeine Deutsche Biographie 41, 1896; A. Berger, Warsberg. Ein Kapitel österreichischer Literaturgeschichte, 1922 (mit Bild); M. v. Meysenbug, Memoiren einer Idealistin … 2, 42.43. Aufl., 1927, S. 405ff.; Ch. Jakub, Alexander von Warsberg, phil. Diss. Wien, 1946; K. Rossacher, Alexander von Warsbergs „Odysseeische Landschaften“, phil. Diss. Wien, 1947; E. Howald, in: Neue Zürcher Zeitung, 18. 1. 1964; P. Müller, in: A. v. Warsberg, Das Land der Griechen, ed. P. Müller, 1984, S. 7ff. (mit Bild); G. Kurzmann, in: G. Kurzmann – O. Hafner, Tot in Graz. Lebendige österreichische Geschichte auf dem St. Leonhard-Friedhof, 1980 (mit Bild); St. Haderer, Im Schatten Homers. Kaiserin Elisabeth in Griechenland, 2021, s. Reg. (mit Bild); Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien; Universitätsarchiv, Graz, Steiermark.

(Hubert Bergmann)

Wir bedanken uns herzlich bei Stefan Dreier (Graz) für die kostenlose Überlassung von Bildmaterial.