Eduard Winter (1896–1982) – eine enigmatische Karriere

Der insbesondere der (ost)europäischen Geistesgeschichte verschriebene Historiker Eduard Winter hatte viele Gesichter. Im Verlauf seines Lebens diente er zumindest drei großen geistigen Strömungen, man könnte auch sagen Ideologien: der katholischen Kirche, dem Nationalismus bis hin zum Nationalsozialismus und schließlich dem Kommunismus. Das Leben Winters, dessen Todestag sich im März 2017 zum 35. Male jährt, war auf den ersten Blick von einschneidenden persönlichen und politischen Brüchen geprägt. Seine Wandlungen wurden ihm von Kritikern als Opportunismus ausgelegt. Gleichzeitig bestanden über all diese Zäsuren in Winters Laufbahn hinweg auch Kontinuitäten. Bei aller Ambivalenz bleibt eines unbestritten: Eduard Winter war ein überaus produktiver Geisteswissenschaftler, dessen umfangreiches Schaffen zumeist auf die große Synthese abzielte.

Zwischen Kirche und Nation: Die Zeit in Tirol und die böhmischen Jahre

Eduard Winter wurde am 16. September 1896 in Grottau (tschechisch Hrádek nad Nisou) in Böhmen geboren. Er durchlebte eine unspektakuläre Kindheit und Jugend in der ausgehenden Habsburgermonarchie. In jenen Jahren soll er einen tiefempfundenen religiösen Glauben entwickelt haben. Nachdem Winter das Gymnasium in Böhmisch Leipa abgeschlossen hatte, folgte die erste richtungsweisende Entscheidung seines Lebens. Von der Weltkriegseuphorie erfasst, wollte er eine höhere militärische Laufbahn einschlagen, wurde allerdings aufgrund seiner körperlichen Verfassung abgelehnt. Daraufhin entschloss er sich, dem „Vaterland“ in anderer Weise zu dienen und den Priesterberuf anzustreben. Es gelang ihm, in Innsbruck an dem von Jesuiten geführten und als weltoffen geltenden Canisianum aufgenommen zu werden, während er 1915–19 ebendort an der Katholisch-Theologischen Fakultät studierte. In seinen Tiroler Jahren verbrachte er viel Zeit in der Umgebung des Achensees. Wie sein gesamtes weiteres Leben hindurch bildete er rasch Netzwerke, die immer auch einflussreiche Kreise umfassten. In Maurach am Achensee handelte es sich um die wohlhabendste Familie des Ortes; so lernte er auch die Tochter des Hauses, Maria Kögl, kennen – die er mehr als zwei Jahrzehnte und erste tiefgreifende Zäsuren später ehelichen sollte. Nicht zuletzt deshalb wurde Maurach auch zu einem Ort, mit dem Winter heimatliche Gefühle verband und an den er sowohl zur Erholung als auch zum fokussierten Arbeiten Zeit seines Lebens zurückkehrte. Nach seiner Primiz in der Innsbrucker Jesuitenkirche am 13. Juli 1919 führte ihn sein Weg zunächst aber aus den Tiroler Bergen nach Böhmen zurück. Winter konzentrierte sich nun nicht mehr auf den Dienst am „Vaterland“, sondern auf jenen am „Volk“, das für ihn die deutsche Minderheit in der Tschechoslowakei war.

Bei seiner Rückkehr entschied er sich gegen den Kirchendienst und für das Wagnis einer akademischen Laufbahn. Es wurde ihm gestattet, ein Promotionsstudium an der Theologischen Fakultät der Deutschen Universität Prag aufzunehmen, das er 1921 abschloss. Bereits 1922 erfolgte die Habilitation für Kirchengeschichte. Nach Jahren des akademischen Durchsetzungskampfes wurde er 1929 Professor. Seine wissenschaftliche Arbeit war aber niemals ausschließlich der Theologie zuzurechnen, sondern vielmehr der Geistesgeschichte verschrieben. Aus diesen und anderen Gründen begann er sich ein zweites akademisches Standbein zu schaffen und es gelang ihm, sich 1934 auch an der Philosophischen Fakultät zu habilitieren. In der Lehre blieb er weiterhin als ordentlicher Professor für Kirchengeschichte tätig.

Neben seiner akademischen Laufbahn zeigte Winter auch gesellschaftliches Engagement. Rasch avancierte er zum katholischen Jugendführer in dem von ihm 1920 mitbegründeten Bildungs- und Wanderbund „Staffelstein“. Daraus entstand erneut ein Netzwerk, das ihn sowohl beruflich als auch privat sein weiteres Leben begleiten sollte. Von seinen Schülern und Anhängern verlangte er weitgehend kritiklose Gefolgschaft und ergebene Unterstützung (von der er in seinen eigenen Arbeiten profitierte). Den zunächst reformkatholischen, in weiterer Folge aber immer deutschnationaleren „Staffelstein“ führte und prägte Winter im Alleingang; 1938 vollzog er auch dessen Auflösung in Eigenregie. Sowohl in Winters Vereinstätigkeit als auch in seiner wissenschaftlichen Arbeit ließ sich nun eine schleichende Abkehr von der Kirche und eine Hinwendung zum Nationalen erkennen. Noch war Böhmen für ihn das Land der gemeinsamen Geschichte von Deutschen und Tschechen. Dies blieb auch bis zur Publikation seiner Monographie „Tausend Jahre Geisteskampf im Sudetenraum“ (1938) so, welche den Abschluss der Befassung mit seinem Leibthema der Zwischenkriegszeit darstellte. Immer nachdrücklicher ging es ihm nun um das „sudetendeutsche Volk“; im „Staffelstein“ hatte es das Religiöse in den Hintergrund gedrängt. Entscheidender für seine Abwendung von der Amtskirche war aber vermutlich seine Auseinandersetzung mit dem böhmischen Priester, Philosophen und Mathematiker Bernhard Bolzano (1781–1848). „Bernhard Bolzano und sein Kreis“ (1933) war neben dem „Geisteskampf“ das zweite große Werk Winters vor dem Ende der Tschechoslowakei 1938/39. Insbesondere seine Forschungen zur Kirchengeschichte und sein großes Interesse an der Geschichte der Aufklärung ließen seine Zweifel an der Kirche als Institution wachsen, zugleich wandte er sich vom zölibatären Leben ab. Sein Bruch mit der Amtskirche erfolgte, als er 1940 erfolgreich um Entbindung von der Lehrtätigkeit an der Theologischen Fakultät ansuchte bzw. 1941 Maria Kögl heiratete, was seine Exkommunikation zur Folge hatte. Winter blieb dennoch bis zu seinem Lebensende Kirchensteuer zahlendes Mitglied der Ecclesia und – wie neuere Forschungen zeigen – trotz aller weiteren Brüche in seinem Leben ein gläubiger Mensch. Unmittelbaren beruflichen Schaden nahm Winter durch seinen Bruch mit der (ihm fortan natürlich nicht wohlwollend gegenüberstehenden) Kirche keinen – im Gegenteil, unter der nationalsozialistischen Herrschaft war dieser eher hilfreich.

Der Nationalsozialist: Ostforschung für den Endsieg

Bereits ab 1938 lässt sich eine Anbiederung Winters an den Nationalsozialismus beobachten. Nachdem er sich 1940 von seiner Theologieprofessur entbinden hatte lassen, gelang es ihm 1941, die Umwandlung derselben in eine Professur für Europäische Geistesgeschichte zu erreichen. Dies glückte nicht zuletzt deshalb, weil er das Ansinnen, geistesgeschichtliche Ostforschung zu betreiben, herausstrich. Zudem diente er sich dem Reichssicherheitshauptamt an und empfahl sich der Reinhard-Heydrich-Stiftung  zur „Erforschung der völkischen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse Böhmens und Mährens sowie der Völker im ost- und südosteuropäischen Raum“ mit der Nutzbarkeit seines Wissens für die NS-Eroberungspolitik. 1942 wurde das unter der Leitung Winters stehende Institut für osteuropäische Geschichte der Heydrich-Stiftung in Prag gegründet. Damit standen Winters Forschung und Lehre endgültig im Dienste des Nationalsozialismus – davon zeugen nicht nur seine Forschungsschwerpunkte, sondern vor allem seine Texte zum „innerdienstlichen Gebrauch“ der Stiftung und seine Ausarbeitungen für den Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD).

Eduard Winter wurde ab dem 1. April 1939 mit der Nummer 7.275.332 als Mitglied der NSDAP geführt, es liegt aber kein unterschriebener Mitgliedsausweis vor, weshalb seine Parteizugehörigkeit von manchen Forschern in Zweifel gezogen wurde; die Mehrzahl sieht sie jedoch als erwiesen an. Seine nahe Prag gelegene Heimatgemeinde Liboch (tschechisch Liběchov) bestätigte ihm 1945, kein NSDAP-Mitglied gewesen zu sein und er selbst bestritt eine Mitgliedschaft nach 1945 konsequent. Die tschechoslowakischen Staatsorgane behaupteten das Gegenteil. Ebenso umstritten ist, ob Winter ab dem 2. April 1938 Mitglied der Sudetendeutschen Partei Konrad Henleins war. Eine Zusammenarbeit mit dem SD kann für den Zeitraum 1940–45 als erwiesen gelten, in Dienste der Gestapo stand Winter hingegen nicht. Ob NSDAP-Mitglied oder nicht: Seine Schriften der ersten Hälfte der 1940er-Jahre zeugen davon, dass er dem NS-Regime bereitwillig zuarbeitete, ob aus Überzeugung, Opportunismus oder Karrierismus ist dabei relativ unerheblich. Die Jahre des Nationalsozialismus wurden bei der Einordnung von Winters weiterem Lebensweg lange totgeschwiegen und daher unterschätzt. Er vollzog den nächsten Bruch aber derart rasch und konsequent, dass seine wissenschaftliche Karriere nur kurzfristig darunter litt. Noch in Prag erschien 1945 „Rußland und der Papst im imperialistischen Zeitalter“, womit er ein zentrales Thema seiner künftigen Arbeiten besetzt hatte. Tatsächlich dürfte die Niederlage des „Dritten Reichs“ einen rasanten Sinneswandel bei Winter ausgelöst haben. Wie sehr er sich innerlich der Sowjetunion angenähert hatte, wird an seiner offenbar tiefen Bewunderung für Stalin deutlich, die sich auch in der Teilnahme an den Feiern anlässlich von dessen 70. Geburtstag 1949 manifestierte. Auch der selbst gern führende Winter erlag dem Personenkult des siegreichen „Generalissimus“, obwohl er zur selben Zeit die Unfehlbarkeit des Papstes ablehnte. Während er den sowjetischen Sieg gegen Hitlerdeutschland mit einer gewissen fortschrittsgläubigen Hoffnung verband, fühlte er sich durch die Kirche zunehmend verfolgt.

Das Wiener Intermezzo und die Frage der sowjetischen Anbindung

Mangelndes Tempo bei der Anpassung an neue Verhältnisse kann man Winter jedenfalls nicht unterstellen. Sofort nach dem Einrücken der Roten Armee diente sich Winter den Sowjets an und darin scheint auch seine ab diesem Zeitpunkt offenkundige, wenn auch bisher quellenmäßig nicht hinreichend bewiesene Protektion durch sowjetische Stellen herzurühren. Offenbar gelang es ihm, einen sowjetischen Offizier namens Evgenij Ivanov davon zu überzeugen, dass er kein NSDAP-Mitglied gewesen sei, und dieser sorgte dafür, dass er nicht als „Deutscher“ vertrieben wurde, sondern in seiner Begleitung nach Österreich ausreisen konnte. Ob dies die ganze Geschichte ist, lässt sich vorerst nicht belegen. Es liegt jedenfalls die Vermutung nahe, dass die Sowjetunion und ihre Dienste (insbesondere die militärischen) großes Interesse an Winters Osteuropaexpertise hatten. Wie dem auch sei, am 31. Juli 1945 gelangte Winter in Begleitung Ivanovs nach Österreich. Dort bemühte er sich um eine nahtlose Fortsetzung seiner akademischen Laufbahn. Rasch erlangte er eine unbesoldete Anstellung als Hilfskraft am Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien, dass er in Wahrheit eine Professur anstrebte, war allen klar. Winters enge Verbindung zu sowjetischen Stellen und dem als Offizier der Roten Armee nach Wien heimgekehrten Leo Stern trugen wohl kaum dazu bei, seine Chancen in einem demokratischen Österreich zu erhöhen. Winter entfaltete auch in Wien eine rege Aktivität, dazu zählte seine Mitwirkung an dem von Stern geleiteten Institut für Wissenschaft und Kunst ab 1946. Stern setzte sich massiv, aber letztendlich erfolglos für Winters Etablierung in Wien ein und sorgte in weiterer Folge dafür, dass seine Karriere andernorts eine Fortsetzung erfuhr. Winters wissenschaftliches Engagement unter sowjetischen Vorzeichen erregte Aufmerksamkeit und führte zu Kritik, in der auch seine NS-Vergangenheit thematisiert wurde. Genau dies sollte sich als unüberwindbare Hürde auf dem Weg zur Professur für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien herausstellen. Die amerikanische Besatzungsmacht stellte sich bereits 1945 gegen seine Ambitionen (was seitens der marxistischen Historiographie als Hinderungsgrund überbetont wurde). Winter wurde zwar Ende 1946 für die angestrebte Professur erstgereiht, schließlich aber dennoch nicht berufen. Er selbst machte primär katholisch-reaktionäre Intrigen (ausgehend von Theodor Kardinal Innitzer) für sein Scheitern in Wien verantwortlich. Ausschlaggebend dürften aber neben aus Prag nach Wien gelangten Informationen über Winters NS-Vergangenheit (um deren Einholung sich übrigens auch die KPÖ bemüht hatte) auch (ob vorgeschoben oder nicht) fachliche Gründe gewesen sein. Es bestanden Zweifel, ob Winters Qualifikation und bisheriges wissenschaftliches Œuvre für den Osteuropa-Lehrstuhl ausreichten. Selbiges wurde auch in Halle an der Saale in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands (SBZ) hinterfragt, die dortige Universität hatte 1946 dennoch einen Ruf ausgesprochen. Als sich Winters Hoffnungen auf eine Professur in Wien endgültig zerschlugen, hatte er in Halle bereits seinen Dienst angetreten. Damals dürfte er noch die Hoffnung gehegt haben, eventuell zu einem späteren Zeitpunkt nach Wien zurückkehren zu können. Ein anderes wichtiges Ziel seines Wiener Intermezzos hatte Winter hingegen erreicht, 1946 wurde ihm die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Diese stellte ein wichtiges Kapital für sein weiteres Leben hinter dem Eisernen Vorhang dar, zumal sie ihm dessen Überwindung dauerhaft ermöglichen sollte.

Der DDR-Historiker bleibt in seinem Element

Parallel zu seinem Scheitern in Wien hatten sich in der SBZ berufliche Optionen für Winter aufgetan. Dies kann nur auf Betreiben, zumindest aber unter Billigung der Sowjetunion geschehen sein und Moskau zog wohl irgendeinen Nutzen daraus – warum sonst hätte sie einen abgefallenen Priester und Ex-Nazi protegieren sollen? Stellte Winter sein Wissen nun also wirklich primär in den Dienst der Verständigung mit der Sowjetunion oder in bisher unbekannter Weise doch eher in den Dienst der Sowjetunion? Auch wenn sich Winters Wiener Hauptprotegé Leo Stern bereits früh von ihm abgewandt haben dürfte, blieb eine schützende Hand über Winters weiterer Laufbahn. Ines Luft, Autorin der rezentesten Winter-Biographie, hielt mit Blick auf den Umgang des ostdeutschen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) mit Winter fest: „diese und viele andere Vorgänge legen den Verdacht nahe, dass es eine Schutzmacht für ihm gab, die weiter reichte als das MfS und die SED“. Einen direkten Beweis dafür gibt es bisher aber nicht. Die Stasi ließ Winter immer wieder observieren und sammelte Informationen über ihn. Auch seine NS-Vergangenheit war dort auf Basis von Informationen des tschechoslowakischen Bruderdienstes bekannt, Folgen hatte dies aber keine. Im Gegenteil: Die Unbedenklichkeitsbescheinigung seiner böhmischen Heimatgemeinde und der sowjetische Persilschein, auf die sich Winter seit 1945 berufen konnte, reichten aus, um in der DDR Karriere machen zu können. In der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) dürfte jedenfalls Kurt Hager, langjähriges Politbüromitglied, bei dem Winter in seinen frühen Ost-Berliner Jahren Vorlesungen über Marxismus-Leninismus gehörte hatte, seine schützende Hand über den „altösterreichischen Historiker“ gehalten und ihm somit eine imposante Karriere ermöglicht haben. Auch in der DDR hatte der Intellektuelle im Laufe der Jahre Kontakte nach oben, zu den Eliten des SED-Staates, zu knüpfen vermocht.

Kaum in der SBZ angekommen, stand dem neuberufenen Professor ein weiterer Karriereschritt bevor. 1948–51 fungierte Winter als Rektor der Universität Halle, für die er die optimale, ob seiner Arbeit international als Wissenschaftler anerkannte „Übergangsmagnifizenz“ darstellte, bevor ein SED-Parteigänger diesen Posten übernehmen konnte. Bereits 1950 erfolgte die von Winter angestrebte Berufung an die im Vergleich zur Hallenser Uni renommiertere Humboldt-Universität zu Berlin, wo er bis zu seiner Emeritierung tätig blieb. 1955 erreichte Winter ein weiteres Ziel, für das er ausdauernd gekämpft hatte: er wurde Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DAW, ab 1972 Akademie der Wissenschaften der DDR). 1956 erhielt Winter anlässlich seines 60. Geburtstags eine erste Festschrift und den Nationalpreis der DDR II. Klasse. Weitere Festschriften und staatliche Auszeichnungen sollten bis an sein Lebensende folgen, so 1981 der Vaterländische Verdienstorden in Gold. Derartige Ehren wären ohne politische Kompatibilität mit dem Regime undenkbar gewesen. Seiner Post-1945-Ausrichtung folgend gehörte er 1949 zu den Gründungsmitgliedern der Deutsch-Sowjetischen Freundschaftsgesellschaft. 1954 legte er ein öffentliches Bekenntnis zur Jugendweihe ab, das ihm wohl endgültig jede Option einer wissenschaftlichen Karriere außerhalb der DDR verbaute. Zu einschneidenden politischen Ereignissen wie der Niederschlagung des Aufstands 1953 durch sowjetische Panzer, den Enthüllungen und Erschütterungen des Jahres 1956 oder dem Mauerbau 1961 schwieg er öffentlich – wenn es ihm von Nutzen schien, rechtfertigte er die Maßnahmen intern. Auch sein wissenschaftliches Schaffen war nun zum Teil an den Notwendigkeiten des Sozialismus und der DDR ausgerichtet. Zu seinen großen Werken gehörten u. a. „Russland und das Papsttum“ (2 Bde., 1960–61) sowie der Folgeband „Die Sowjetunion und der Vatikan“ (1972), in dem er von einem „dreißigjährigen Krieg“ Roms gegen den Kommunismus sprach. Diese Werke spiegeln sowohl seine eigene biographisch gewachsene Ablehnung der Amtskirche als auch sein berufliches Umfeld in der DDR wider. Darüber hinaus näherte sich Winter großen geistesgeschichtlichen Frage gerne über einen biographischen Ansatz, wie seine – alle Brüche überstehende – Auseinandersetzung mit Bolzano belegt, zu dem er noch mehrere Monographien, Herausgeberschaften und unzählige Aufsätze folgen ließ. Seine erste größere Arbeit zur Geistesgeschichte der Habsburgermonarchie „Der Josefinismus und seine Geschichte“ hatte Winter bereits 1943 vorgelegt. Auch diesem Thema blieb er den Rest seines Lebens treu.

Als Winter 1965 in den Ruhestand versetzt wurde, gelang es ihm dennoch wissenschaftlich aktiv zu bleiben. Die DAW stellte ihm bis zu seinem Tod die dafür notwendige personelle Unterstützung und Infrastruktur zur Verfügung. Schließlich gelang es ihm im Spätherbst seiner Karriere zumindest einen Fuß auch in die österreichische akademische Landschaft zu setzen. 1969 wurde eine Bolzano-Subkommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) eingerichtet und Winter nutzte diese Plattform weidlich aus. Er fehlte fast nie bei einer Sitzung und wurde als Herz der Kommission eingeschätzt. 1975 konnte er „Robert Zimmermanns Philosophische Propädeutik und die Vorlagen aus der Wissenschaftslehre Bernhard Bolzanos“ im Verlag der ÖAW veröffentlichen. Einige seiner sowohl dem Zeitgeist der österreichischen Ausformung der Détente im Kalten Krieg als auch einer aus dem Sozialismus kommenden, doch etwas teleologisch-fortschrittsorientierten Geschichtsinterpretation entsprechenden Synthesen zur Geistesgeschichte der Habsburgermonarchie erschienen bereits ab Ende der 1960er-Jahre im Europa Verlag in Wien, darunter: „Frühliberalismus in der Donaumonarchie“ (1968), „Revolution, Neoabsolutismus und Liberalismus in der Donaumonarchie“ (1969), „Barock, Absolutismus und Aufklärung in der Donaumonarchie“ (1971) sowie eine für den westlichen Markt bestimmte Synthese seiner Forschungen über das Verhältnis des Heiligen Stuhls zu Russland und der Sowjetunion mit dem Titel „Rom und Moskau“ (1972).

1979 schrieb Winter dem über ideologische und kulturelle Fragen wachenden SED-Politbüromitglied Kurt Hager, dass sein dreibändiges, auch ins Russische übersetzte Papst-Werk angesichts der Aktivitäten des neuen Pontifex Johannes Paul II. „überraschend aktuell“ geworden sei. Da Winter keiner merkbaren inhaltlichen Beschränkung seines wissenschaftlichen Schaffens unterlag und vermutlich nicht zuletzt aufgrund seiner Reisefreiheit kamen ihm erst im Verlauf der 1970er-Jahre gewisse Zweifel an der Beschaffenheit und prospektiven Entwicklung der DDR. Nur 1976, unmittelbar nach dem Tod seiner Frau Maria, die ihn stets uneigennützig und mit aller Kraft unterstützt hatte, dachte er kurz daran, den „Arbeiter- und Bauernstaat“ zu verlassen. Angesichts seiner dortigen wissenschaftlichen Möglichkeiten entschied er sich jedoch zu bleiben und verstarb am 3. März 1982 als renommierter DDR-Historiker in Ost-Berlin.

Mit Näherrücken seiner Emeritierung hatte Winter in den 1960er-Jahren ein bis zu seinem Tod fortgesetztes autobiographisches Suchen nach sich selbst begonnen, in dem er seine eigene Lebensgeschichte entsprechend seinem offiziellen Lebenslauf konstruierte. Die Autobiographie mit dem Titel „Mein Leben im Dienst des Völkerverständnisses“ erschien 1981. Sein Selbstbild prägte das, was über ihn geschrieben wurde, weshalb die Zeit von 1940 bis 1945 darin kaum eine Rolle spielte. Eine kritische Aufarbeitung hat erst nach 1989 begonnen und viele, die biographisch zu ihm forschten, waren daran wohl aus ideologischen Gründen nicht interessiert. Neuere Arbeiten haben dieses Desiderat erfüllt. Winters Nachlässe und sein umfangreiches Schaffen bieten auch weiterhin Grund zur Beschäftigung mit seinem Werk und den daraus resultierenden Prägungen. Bahnbrechende neue Erkenntnisse zu seiner Person wären – wenn überhaupt – in russischen Archiven zu finden. Die Person Winters wird jedenfalls auch in Zukunft umstritten bleiben – genauso wie dieser essayistische Versuch über ihn gewiss ein streitbarer ist.


Literatur: E. Winter, Erinnerungen (1945–1976), ed. G. Oberkofler, 1994; A. Míšková, Die Deutsche (Karls-)Universität vom Münchener Abkommen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, 2007; G. Oberkofler, in: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, 2011, Nr. 3, S. 9ff.; I. Luft, Eduard Winter zwischen Gott, Kirche und Karriere 2016 (mit ausführlichem Werksverzeichnis; der vorliegende Text ist ausdrücklich auch als würdigende Rezension dieses Werks zu lesen, Anm. des Autors); H. Eberle u. a., in: Catalogus Professorum Halensis (online, Zugriff 28. 2. 2017); I.-S. Kowalczuk, in: Wer war wer in der DDR? (online, Zugriff 28. 2. 2017); P. Mast, in: Kulturportal West-Ost (online, Zugriff 28. 2. 2017).

(Maximilian Graf)

Wir danken der Humboldt-Universität zu Berlin, dem Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien) sowie Marieluise und Andreas Fischerleitner (Thaur) für die Bereitstellung von Bildmaterial.