Rudolf Hoernes – vor 105 Jahren verstorben, erkannte vor 140 Jahren den Zusammenhang von Erdbeben und tektonischen Lineamenten

 

Rudolf (Franz Moriz) Hoernes kam am 7. Oktober 1850 als ältester Sohn des späteren Leiters des Hof-MineralienkabinettsMoriz Hörnes  (1815–1868) und dessen Gattin Aloisia, geborene Strauss (1819–1902), in Wien zur Welt.

Zum einen durch seinen Vater gefördert, der einen ausgezeichneten Ruf als Wissenschaftler genoss, zum anderen durch seine Verwandtschaft, in der viele Personen in den Naturwissenschaften, speziell aber in den Erdwissenschaften, tätig waren, wurde Hoernes bereits früh mit den geologischen Wissenschaften vertraut.

In seiner Kindheit erhielt er zunächst Privatunterricht, trat danach in das akademische Gymnasium im 1. Wiener Gemeindebezirk ein und wechselte später an das Josefstädtergymnasium in Wien 8, wo er 1869 die Matura ablegte. Während des letzten Schuljahrs verstarb sein Vater. Ab diesem Moment hat sich sein Großvater mütterlicherseits, der Wiener Mediziner Franz Strauss um die finanzielle Absicherung für die weitere Ausbildung angenommen. Ebenso bemühte sich Eduard Suess, der wohl bedeutendste österreichische Geologe, der mit der Schwester von Hoernesʾ Mutter verheiratet war, um seinen Neffen. Mit seinem Onkel Suess stand Hoernes von Kindheit an zeitlebens in fachlicher Verbindung. Die familiäre Verwurzelung sowie die erdwissenschaftlichen Interessen der Familienmitglieder führte Hoernes auch als Grund für seine Neigung zur Geologie und Paläontologie an. So schrieb er in seinem 1875 verfassten Lebenslauf: „Seit seinen Kinderjahren wurde durch seinen Vater, durch den Umgang mit dessen Freunden, vor allem aber durch seinen Onkel Professor Ed[uard] Suess demselben Liebe zur Wissenschaft und speciell zur Geologie und Paläontologie eingepflanzt.“

Ab 1869 studierte Hoernes Geologie und Paläontologie an der Universität Wien. Sein erstes Studienjahr wurde durch die Ableistung des Einjährig-Freiwilligen Jahrs  unterbrochen, das er mit der Offiziersprüfung abschloss und 1871 zum Leutnant der Reserve ernannt wurde. Hoernes betonte, dass er trotz dieser Ablenkung vom Studium dennoch einige Vorlesungen absolvieren und sich so grundlegendes Wissen in Chemie, Physik, Mineralogie und Zoologie aneignen konnte. In den folgenden Jahren vertiefte er seine Kenntnisse in Geologie, Petrographie und Paläontologie sowie in Botanik und vergleichender Anatomie. Edmund Mojsisovics von Mojsvár, August Emanuel von Reuss, Ludwig Karl Schmarda sowie Suess waren seine akademischen Lehrer. Darüber hinaus arbeitete er 1871-73 am Hof-Naturalien-Kabinett, um sich im Bereich der Mollusken-Systematik weiterzubilden.

Im Februar 1872 trat Hoernes dem neu gegründeten Akademischen Verein der Naturhistoriker an der Universität Wien bei. Zunächst Ausschussmitglied, war er wenig später stellvertretender Vorsitzender dieses Vereins.

1872 nahm Hoernes an einer von Suess geleiteten Italien-Exkursion teil, deren Ziel es war, den Studierenden „den Vulkanismus an Ort und Stelle zu erläutern“. Als die Gruppe Anfang April den Vesuv bestieg, fand sie den Vulkan in einer durchaus aktiven Phase vor. Neben Stichflammen, die ständig aus dem Schlot ausgestoßen wurden, schleuderte der Vulkan in rhythmischen Abständen Lava aus. Dieses wohl auch nicht ungefährliche Schauspiel muss die Studenten tief beeindruckt haben. Im Anschluss an die Exkursion entstand Hoernesʼ erste Publikation, eine Studie über die Campi Flegrei („Aus den phlegräischen Feldern“ in: Jahresbericht des akademischen Vereines der Naturhistoriker in Wien 1, 1873).

Im Frühjahr 1873 eröffnete sich für Hoernes die Möglichkeit als Geologe an einer von Alexander Conze geleiteten archäologischen Ausgrabungskampagne teilzunehmen. Für das sechswöchige Unternehmen, das wissenschaftliche Grabungen auf der Insel Samothraki in der nördlichen Ägäis zum Ziel hatte, stellte das Ministerium für Cultus und Unterricht zusätzliche finanzielle Mittel zur Verfügung, um begleitend auch geologische Untersuchungen durchzuführen. Die im Mai und Anfang Juni durchgeführten Geländearbeiten synthetisierte Hoernes zu einer Abhandlung über den geologischen Bau der Insel inklusive einer geologischen Karte („Geologischer Bau der Insel Samothrake“, in: Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 33, Abt. 2, 1874).

1874 wurde Hoernes offiziell als Praktikant der Geologischen Reichsanstalt aufgenommen und nahm noch im selben Jahr einige paläontologische bzw. stratigraphische Bestimmungen an känozoischem Fossilmaterial vor, das im Zuge von Geländeaufnahmen aufgesammelt wurde und an die Reichsanstalt gekommen war. Zusätzlich zu dieser Tätigkeit unterstützte er während der Sommermonate die von Mojsisovics geleiteten geologischen Aufnahmearbeiten in Südtirol. Vermutlich waren es die gemeinsamen alpinistischen Erlebnisse in den Südtiroler Bergen, die die Basis einer lebenslangen Freundschaft zwischen Hoernes und Mojsisovics bildeten. In der bekannten Abhandlung „Dolomit-Riffe von Südtirol und Venetien“ von 1879 merkte Mojsisovics an, dass „Herr Dr. Hoernes, welcher mich am Beginne der Arbeit durch zwei Monate begleitet hatte, […] in der Folge einen sehr hervorragenden Antheil an der eigentlichen Aufnahmsarbeit“ geleistet hat. Auch Hoernes verarbeitete seine Untersuchungsergebnisse, die er in den folgenden beiden Jahren in Südtirol fortsetzte, in einigen Publikationen. In seiner Arbeit über „Die Langkofelgruppe in Südtirol“ (in: Zeitschrift des Deutschen und Österreichischen Alpenvereines 6, 2. Abt., 1875) berichtet er von der Ende August 1874 geglückten dritten Besteigung des Langkofelgipfels (3181 m), der „lang durch seine Unersteiglichkeit berühmt“ war.

1875 erhielt Rudolf Hoernes den Doktortitel an der Universität Wien verliehen, nachdem er eine thematisch zweiteilige Dissertation, „1. Tertiär-Studien“, 2. Geologischer Bau der Insel Samothrake“ verfasst hatte. Im Juni desselben Jahres suchte er an der Universität Wien um die Habilitation als Dozent für spezielle Paläontologie an. Noch während des Habilitationsverfahrens setzte sich an der Grazer Universität eine Besetzungskommission zur Berufung eines außerordentlichen Professors für Geologie und Paläontologie auseinander. 1876 erfolgte seine Ernennung zum außerordentlichen Professor der Geologie und Paläontologie. Hoernes zog daraufhin sein Gesuch um Habilitation in Wien zurück.

Erdbebenforschung

Ein Jahr nach seiner Berufung nach Graz begann Hoernes sich mit Erdbeben auseinander zu setzen. 1877 hielt er im Rahmen der Monatsversammlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins für Steiermark einen Vortrag über das Erdbeben vom Juni 1873 in Belluno (Venetien, Oberitalien). In diesem Vortrag stellte Hoernes „unwiderlegliche Beweise für das Zusammenfallen … [von] Stosslinien mit wirklichen Querbrüchen“ vor und führte den Begriff „tectonische Erdbeben“ ein. Zudem entwickelte er die noch heute gültige Einteilung der Erdbeben in Einsturzbeben, vulkanische Beben und tektonische Beben. In weiterer Folge korrelierte Hoernes die Lage und Orientierung der Schüttergebiete einzelner Erdbeben im Bereich der Süd- und Ostalpen mit von ihm geologisch kartierten Verwerfungen und wies einen kausalen Zusammenhang zwischen Gebirgsbildung und tektonischen Erdbeben nach. Diesen Ansatz vertiefte er später in seinem 1893 publizierten Lehrbuch der „Erdbebenkunde“. Hoernes betonte in seinen Abhandlungen nicht nur die Bedeutung tektonischer Erdbeben, sondern zog – im Gegensatz zu vielen anderen Autoren, die jeweils ausschließlich einzelne Ursachen von Erdbeben favorisierten (z. B. lediglich vulkanische Mechanismen oder nur Einstürze unterirdischer Hohlräume), – diese als zusätzliche Alternativen in Betracht. Zudem erkannte er, dass tektonische Erdbeben vergleichsweise zu Beben mit anderen Ursachen weitaus häufiger auftreten.

1883 erfolgte seine Ernennung zum ordentlichen Professor der Geologie und Paläontologie an der Universität Graz und 1899 wurde er zum korrespondierenden Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien gewählt.

Gegen Ende des ersten Dezenniums des 20. Jahrhunderts wurde Rudolf Hoernes in unterschiedliche Auseinandersetzungen verstrickt, die – über die Tagespresse transportiert – in der Öffentlichkeit geführt wurden. Zu diesen Konflikten zählen der sogenannte Grazer Bauernsturm auf die Universität, als ein Mitglied der katholischen Verbindung Carolina in Couleur – gegen heftigen Widerstand der freisinnigen Burschenschaften – promovieren wollte und die Auseinandersetzung rund um den christlich (evangelisch) orientierten Keplerbund zur Förderung der Naturerkenntnis, der keine Evolution im Sinne Charles Darwins zuließ.

Die klare und unbeugsame Haltung Hoernesʼ in Diskussionen, speziell wenn es um politische, gesellschaftliche oder weltanschauliche Einflussnahme auf die Universität ging, fand bei seinen Schülern großen Respekt. Er wurde von ihnen daher als „Kämpfer für die Freiheit der Wissenschaft“ bezeichnet.

Eine weitere Facette von Rudolf Hoernes ist von Bedeutung: sein Engagement für freie Bildung, unabhängig von gesellschaftlichem Stand und Weltanschauung. Ab 1905 versuchte er mit Bildungsprogrammen auch die Arbeiterschaft zu erreichen, deren primäres Interesse in der Bewältigung des täglichen Lebenskampfes und weniger in der Bildung ihrer Kinder bestand. In diesem Zusammenhang trat er vehement für die „Freie Schule“ ein.

Mit den beginnenden 1910er-Jahren machte sich wiederholt der labile Gesundheitszustand von Hoernes bemerkbar, am 20. August 1912 verstarb er in Judendorf bei Graz.


Weitere Werke: siehe Heritsch; Hubmann – Wagmeier.


Literatur: Grazer Tagblatt, 21. 8. 1912; NDB; ÖBL; F. Heritsch, Druckschriften von Dr. Rudolf Hoernes 1872-1905, 1906; J. Dreger, in: Verhandlungen der kaiserlich-königlichen geologischen Reichsanstalt, 1912, S. 265ff.; E. Spengler, in: Mitteilungen der Geologischen Gesellschaft in Wien 5, 1912, S. 309ff.; E. Spengler, in: Deutsche Rundschau für Geographie 35, 1912, S. 232f.; F. Heritsch, in: Mitteilungen des Naturwissenschaftlichen Vereines für Steiermark 49, 1913, S. 2ff. (mit Bild und Werkverzeichnis); C. Kothmeier, Rudolf Hoernes (1850 - 1912) und die Abstammungslehre an der Wende zum 20. Jahrhundert, Diplomarbeit Universität Graz, 2014; B. Hubmann - C. Wagmeier, in: Berichte der Geologischen Bundesanstalt 122, 2017 (mit Bild und Werkverzeichnis); Universitätsarchiv, Wien; Universitätsarchiv Graz, Steiermark.

(B. Hubmann)