Ein Visionär und Mäzen: Isidor Mautner

Am 13. April 2015 jährt sich zum 85. Mal der Todestag des jüdischen Textilindustriellen Isidor Mautner. Er gehörte zu den bedeutendsten Unternehmern Österreich-Ungarns und vereinigte in seiner Person visionären Unternehmergeist, soziales Verantwortungsgefühl und kulturelles Mäzenatentum

Er hatte alles, was man sich nur wünschen kann: eine schöne und gebildete Frau, begabte Kinder, eine prachtvolle Wohnung nahe der Wiener Hofburg und ein Sommerschlösschen am Rande des Wienerwalds. Er regierte einen der größten Textilkonzerne Europas, war Ehrenbürger von Schumburg und Stifter eines Waisenhauses in Wien-Dornbach. Aber er starb als armer Mann.

Geboren wurde Isidor Mautner am 7. Oktober 1852 in Nachod, einer böhmischen Kleinstadt an der Grenze zu Schlesien. Sein Vater Isaac betrieb ein kleines Textilunternehmen, das von Handwebern in den umliegenden Gebirgsorten beliefert wurde; 1867 erweiterte er das Geschäft um einen Warenkommissionshandel in Wien.

Von Nachod nach Wien

Der Börsenkrach von 1873 brachte dieses Geschäft jedoch an den Rand des Bankrotts. Isidor Mautner, der als 15-jähriger Berufsanfänger bei der Eröffnung hatte dabei sein dürfen und von der Metropole Wien tief beeindruckt war, nutzte die Situation in doppelter Hinsicht: Zum einen konnte er zeigen, was in ihm steckte, indem er das Geschäft sanierte und so rettete, und zum anderen bot sich ihm nun die Gelegenheit, seinen Wohnsitz nach Wien zu verlegen. Sein Vater nahm ihn zum Dank für die Erhaltung des Geschäfts als Inhaber auf. Von da an vertrat Isidor Mautner die Firma in Wien, die seit 1874 Isaac Mautner & Sohn hieß.

Eine gute Partie und ihre Folgen

In der Metropole führte der junge Mautner die Geschäfte so umsichtig, dass der wohlhabende Seidenhändler David Neuman gerne einwilligte, als Isidor Mautner 1876 um die Hand seiner Tochter Jenny (1856-1938) anhielt. Mit ihrer Mitgift verfügte Isidor Mautner über die notwendigen Mittel, um den Schritt ins Industriezeitalter zu wagen.

Gleich nach der Eheschließung erwarb er gemeinsam mit seinem Vater eine mechanische Weberei im nordböhmischen Schumburg. Der Betrieb florierte und bald folgte eine Expansion im Zweijahrestakt: 1878 gründete Isidor Mautner in Wien eine Konfektionsanstalt zur Belieferung der k. u. k. Landwehr mit Handelsniederlassungen in Prag, Budapest und Triest. 1880 entstand in Nachod eine weitere mechanische Baumwollweberei und wiederum zwei Jahre später errichtete er dort gemeinsam mit den Schwägern seiner Frau Moriz Benedict und Samuel Wärndorfer auf dem Gelände der Firma Isaac Mautner & Sohn eine große mechanische Baumwollspinnerei. 1896 wurde schließlich noch eine drei Jahre zuvor erworbene Holzschleiferei im niederösterreichischen Trattenbach zur dritten mechanischen Baumwollweberei umgerüstet.

Seine wohl größte unternehmerische Leistung vollbrachte Isidor Mautner allerdings außerhalb des väterlichen Unternehmens. Nachdem die ungarische Regierung ein Industrieförderungsgesetz erlassen hatte, gründete er 1894 die Ungarische Textilindustrie AG mit Sitz im nordungarischen Rosenberg, dem heutigen Ružomberok in der Slowakei. Die Anfangsschwierigkeiten waren enorm. Vor allem erwies es sich als ein Problem, in dieser ländlichen Gegend zuverlässige Arbeitskräfte zu finden. Die Anwerbung von Textilarbeitern aus Böhmen scheiterte wiederum an den unwirtlichen Lebensbedingungen.

Genau dort setzte Isidor Mautner nun an: Mit großem Aufwand ließ er moderne Wohnungen für Arbeiter und Angestellte errichten und sorgte für den Bau öffentlicher Einrichtungen wie Kindergarten, Schule, Spital, Bahnhof, Hotel, Post, Bibliothek und sogar ein Arbeiterschwimmbad. Und nicht nur das: Er kümmerte sich auch um eine umfassende soziale Absicherung der Arbeitnehmer. Die Maßnahmen wirkten und so entwickelte sich dort der größte Industriekomplex der gesamten k. u. k. Monarchie mit zahlreichen Textilbetrieben und einem Kraftwerk, das auch die Stadt Rosenberg mit Strom versorgte.

Seinen wachen Unternehmungsgeist bewies Isidor Mautner neuerlich, als er von der Erfindung einer neuartigen Webmaschine in den USA erfuhr. Er schickte seinen Generaldirektor Julius Jolesch zur Begutachtung in die Vereinigten Staaten, erwarb die Lizenz und gründete 1900 die Ungarisch-Amerikanische Northrop-Webstuhl- und Textilfabriks AG mit Werken in Budapest und Rosenberg.

Der Börsengang der Österreichischen Textilwerke AG

Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1901 sah Isidor Mautner den Zeitpunkt gekommen, auch das väterliche Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Unter dem Namen Österreichische Textilwerke AG vormals Isaac Mautner & Sohn wurde es zum Jahresbeginn 1906 von der Bodencreditanstalt an die Börse gebracht.

Das frische Kapital sorgte für einen erneuten Aufschwung: In Böhmen wurden vier weitere Webereien sowie eine Spinnerei in Prag erworben. Zudem übernahm Isidor Mautner 1907 die gemeinsam mit Benedict und Wärndorfer gegründete Spinnerei in Nachod und kaufte außerdem 1911 eine große Textilfabrik im schlesischen Langenbielau. Nach dem Erwerb einer Baumwollspinnerei in Plauen wurden 1915 beide Unternehmen zu den Deutschen Textilwerken Mautner AG zusammengelegt.

Textilien aus Papier

Im Ersten Weltkrieg erfuhr der Konzern eine weitere enorme Expansion, als 1916 die Vereinigte Österreichische Textilindustrie AG übernommen wurde. Dieser größte Spinnereikonzern der Monarchie, zu dem zahlreiche Fabriken in Böhmen, Niederösterreich, der Krain und dem Küstenland gehörten, war in Not geraten, nachdem seine an der Isonzo-Front gelegenen Betriebe zerstört worden waren. Um diese zu ersetzen, erwarb Isidor Mautner drei weitere Textilunternehmen in Niederösterreich und Böhmen.

Die Kriegsgegner hatten ab 1915 eine sehr wirksame Seeblockade verhängt, mangels Baumwolle drohten den Betrieben Stilllegung und Entlassungen. Man stellte deshalb auf Kunstbaumwolle um und es wurde eine Streichgarnspinnerei im böhmischen Friedland gekauft.

All dies konnte jedoch den akuten Rohstoffmangel nicht beheben. Da besann man sich auf ein Verfahren, das es ermöglichte, aus Papier Garn zu spinnen – eine abenteuerlich anmutende Idee, die Isidor Mautner aber tatkräftig umsetzte. Zur Herstellung des erforderlichen Spinnpapiers wurden ab 1916 drei Papierfabriken aufgekauft und umgerüstet, ebenso wurden alle Spinnereien und Webereien entsprechend umgestellt und schon bald konnten Armee und Haushalte mit Papiertextilien aller Art beliefert werden. Um nicht von ausländischen Lieferanten abhängig zu sein und um Devisen zu sparen, wurde zudem eine Webmaschinenfabrik in Böhmen übernommen.

Auf diese Weise entstand innerhalb weniger Jahre einer der größten Konzerne Europas mit 42 Betrieben und an die 23.000 Mitarbeitern. Es ehrt Isidor Mautner, dass er in dieser Situation auch an seine Arbeiter dachte: 1917 schuf er anlässlich seines fünfzigjährigen Geschäftsjubiläums den Mautner-Fonds, eine großzügige unternehmenseigene Sozialversicherung.

Fünf Staaten und ein Neubeginn

Nach dem Krieg war die k. u. k. Monarchie zerfallen. Isidor Mautners Fabriken verteilten sich auf fünf Staaten mit verschiedenen Währungen, Zollgrenzen und Handelsgesetzen. Da half nur eines: Der Konzern musste grundlegend umgebaut werden. Das Stammunternehmen wurde in Textilwerke Mautner AG umbenannt, Mautner verlegte den Firmensitz 1920 von Wien nach Prag, von wo aus sämtliche in der Tschechoslowakei liegenden Betriebe verwaltet wurden. Die Fabriken in Österreich wurden der Österreichischen Textilindustrie AG zugeordnet. Entsprechend den bereits bestehenden Deutschen Textilwerken Mautner AG wurden nun auch in Ungarn und Jugoslawien nationale Gesellschaften gegründet. Isidor Mautner selbst behielt von Wien aus die Kontrolle über seinen Konzern.

Die Maßnahmen waren erfolgreich. Nachdem die Fabriken wieder auf Baumwolle umgestellt worden waren, verkaufte Mautner die Papierfabriken und ab 1920 konnte er in fast allen Unternehmen wieder Gewinne erwirtschaften.

Die Neue Wiener Bankgesellschaft

Trotzdem waren die Verhältnissen alles andere als geordnet. In Österreich herrschte nach dem Krieg eine Hyperinflation, die eine Gelegenheit für Spekulanten aller Art bot. Selbst die Bodencreditanstalt mischte munter mit und sorgte durch ständige Neuemissionen dafür, dass Isidor Mautner die Aktienmehrheit an seinen Unternehmen verlor. Deshalb veranlasste er 1921 die Gründung der Neuen Wiener Bankgesellschaft AG, ließ seinen Sohn Stephan zum Präsidenten wählen und investierte einen Großteil seines Vermögens in diese Bank.

Doch die Spekulation wurde immer bedenkenloser, immer mehr Wiener, die einen Ausweg aus dem Nachkriegselend suchten, nahmen Kredite auf, um an schnelles Geld zu kommen. Im März 1924 brachen schließlich zahlreiche Banken zusammen, auch der Neuen Wiener Bankgesellschaft drohte der Bankrott und damit stand Isidor Mautner vor dem Verlust seines ganzen Vermögens. Um die Bank zu retten, verpfändete er bei der Nationalbank sein gesamtes Immobilienvermögen, vorerst mit Erfolg, die Bank erhielt eine neue Lizenz. Allerdings mussten nun dringend lukrative Investitionsmöglichkeiten gefunden werden. In einem kühnen Schritt verkaufte Isidor Mautner sämtliche Anteile an der Rosenberger Fabrik und erwarb 1925 das Textilunternehmen Trumau-Marienthal vor den Toren Wiens, das auf die Herstellung von Kunstseide umgestellt wurde.

Der Zusammenbruch

Vielleicht hätte diese wagemutige Investition sogar zum Erfolg geführt, wenn nicht im Herbst 1926 die Neue Wiener Bankgesellschaft endgültig in Konkurs gegangen wäre. Damit war Isidor Mautner die finanzielle Basis entzogen. Die Bodencreditanstalt übernahm das Unternehmen in Trumau-Marienthal, 1928 trat Isidor Mautner von der Leitung der Textilwerke Mautner AG zurück und legte danach fast alle anderen Führungspositionen nieder. Ein Jahr später war der Konzern am Ende und riss die Bodencreditanstalt mit in den Untergang. Zahlreiche Betriebe wurden stillgelegt, darunter auch die Textilfabrik in Trumau-Marienthal. Über die beschäftigungslos gewordene Arbeiterschaft verfassten Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel 1933 eine wegweisende soziologische Studie („Die Arbeitslosen von Marienthal. Ein soziographischer Versuch über die Wirkungen langandauernder Arbeitslosigkeit“).

Was bleibt?

Isidor Mautner starb verarmt und hoch verschuldet am 13. April 1930 in Wien. Zu seinem Begräbnis fanden sich mehrere hundert Personen aus Wirtschaft, Kultur und Politik auf dem Döblinger Friedhof ein, und sogar in der „Arbeiterzeitung“ erschien eine Traueranzeige der Betriebsräte des „ehemaligen Mautner-Konzerns“.
Isidor und Jenny Mautner, die 1926 mit vielen prominenten Gästen ihre Goldene Hochzeit gefeiert hatten, hatten vier Kinder, darunter den in Auschwitz ermordeten Maler und Schriftsteller Stephan Mautner (1877-1944) und den bedeutenden Volkstumsforscher Konrad Mautner (1880–1924). Mautners jüngste Tochter Marie heiratete 1919 den Regisseur und Schauspiellehrer Paul Kalbeck.

Das Geymüller-Schlössel in Wien-Pötzleinsdorf, das Isidor Mautner 1888 seiner Frau zum Geburtstag geschenkt hatte, war über vierzig Jahre lang Treffpunkt berühmter Schriftsteller, Musiker und Schauspieler wie Gerhart Hauptmann, Richard Strauss und Josef Kainz, mit denen die Mautners eng befreundet waren. Auch die Schauspielerin Paula Wessely zählte dazu.

Isidor Mautner unterstützte den Regisseur Max Reinhardt bei der Umgestaltung des Theaters in der Josefstadt und war 1924–1928 Präsident der Wiener Schauspielhaus AG. Heute erinnert an Isidor Mautner in Wien noch ein von Ferdinand Schmutzer verfertigtes Portrait im Erdgeschoss des Geymüller-Schlössels, heute eine Expositur des Österreichischen Museums für angewandte Kunst.


Literatur: Neue Freie Presse, Prager Tagblatt, 15. 4. 1930 (Parten); Ungarische Textilindustrie Actiengesellschaft in Rószahegy-Fonogyar. Geschichte ihrer Gründung und Entwicklung, (1917), passim (mit Bild); Prager Börsen-Courier 6, 1930, H. 40, S. 338f.; Der deutsche Volkswirt 4, 1930, S. 107ff.; R. J. B. Kinnen, Die Entwicklung der Banken in Österreich von 1919 bis 1929, wirtschaftswissenschaftliche Diplomarbeit Wien, 1979, passim; R. Müller: Marienthal. Das Dorf – Die Arbeitslosen – Die Studie, 2008, S. 142ff.; W. Hafer: Die anderen Mautners. Das Schicksal einer jüdischen Unternehmerfamilie, 2014, passim (mit Bild).


(Wolfgang Hafer)