Biographie des Monats Jänner 2016

Wie aus einer Brandruine „das Ronacher“ wurde: zum 175. Geburtstag Anton Ronachers

Was den jungen Kärntner mit abgebrochener Sattlerlehre bewog, eine Laufbahn als Hotelier, Theater- und Vergnügungsunternehmer im großen Stil einzuschlagen, ist ungewiss. Sicher ist jedoch, dass Anton Ronacher, „der nie mehr Betriebscapital zur Verfügung hatte als seinen findigen Kopf“, mit außerordentlichem Unternehmergeist und Überzeugungskraft ausgestattet war. So wurde er unter anderem zum Begründer jenes Vergnügungsetablissements, das bis heute seinen Namen trägt.

Anton Ronacher kam am 17. Jänner 1841 in Dellach im Gailtal zur Welt. Er stammte aus bescheidenen Verhältnissen. Sein Bruder Jacob (gest. Gries bei Bozen, 4. April 1898) ging als Kaffeesieder nach Wien, wo er 1875 ein Café in der Bäckerstraße sowie 1880 das heutige Café Sperl eröffnete und von 1885 bis 1893 ein Café am damaligen Franzensring (heute Dr.-Karl-Renner-Ring) besaß. Zuletzt führte Jacob das Restaurant Spatenbräu in Hamburg. Über Anton Ronachers Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Es heißt, er hätte das Sattlerhandwerk erlernen sollen, habe die Lehre aber abgebrochen. Dass er schließlich zur Gastronomie kam, soll die indirekte Folge einer schweren Fußverletzung gewesen sein, die er sich mit einer Axt zugezogen hatte. Ronacher musste angeblich ins Krankenhaus nach Klagenfurt gebracht werden, hatte aber nach seiner Genesung kein Geld für die Rückfahrt und fand bei einem Cafétier Beschäftigung. Seinen Militärdienst scheint Ronacher von 1860 bis 1863 beim 9. Jäger-Bataillon geleistet zu haben. Danach war er in Graz zunächst als Zahlkellner tätig. Im November 1864 heiratete er Marie, geb. Miller, die Tochter eines Schmiedemeisters, ehe er sich mit einer Gastwirtschaft und später mit einem eleganten Café selbstständig machte. Von Graz wechselte er in den späten 1860er-Jahren nach Ödenburg, wo er ein Hotel und ein Casino führte. Von 1869 bis 1871 pachtete er das Hotel und Café Erzherzog Johann in Marburg an der Drau, in dem er einen „Caffee- und Billard-Salon“ einrichtete. Der schlechte Geschäftsgang soll ihn aber, dem Bericht eines ehemaligen Mitarbeiters zufolge, von dort fortgetrieben haben. Es heißt, er habe mit einem Zweigespann die Flucht ergriffen, das „Zeug“ verkauft und sei mit dessen Erlös Weinagent in Wien geworden.

Erste Wiener Unternehmungen: Ronachers „Alhambra“ und das „Dritte Kaffeehaus“

Gut möglich aber auch, dass es die in die bevorstehende Weltausstellung gesetzten Erwartungen waren, die Ronacher schließlich in die Residenzstadt lockten. 1872 jedenfalls, ein Jahr vor dem Großereignis, eröffnete er im zweiten Bezirk sein Café-Restaurant „Alhambra“ (Glockengasse 2 bzw. Taborstraße), das er in der Folge renovierte, mit einem luxuriösen Spiegelsalon versah und im Jahr darauf ruhe- oder vergnügungssuchenden Ausstellungsbesuchern als „Einzig in seiner Art!“ anpries. Ihm versuchte er den Charakter einer Weltausstellung im Kleinen zu verleihen: „Bist du ein Holländer, Fremdling, hier findest du die Reinlichkeit deiner Heimat; bist du ein Türke, hier dein Nargileh und dein echter Mokka; bist du ein Russe, setze dich zum dampfenden Samovar! Franzose, koste von diesem echt klösterlichen Chartreuse, und du Bruder Jonathan nimm von dem göttlichen Sherry-Cobbler!“, lädt die Reklame zum „Sammelplatze aller Nationalitäten“. Aber schon im August 1873 verkaufte Ronacher das „Alhambra“ wieder und verlegte seine Tätigkeit für einige Zeit nach Klagenfurt, wo er 1874 in Zeitungsannoncen für das von ihm übernommene Hotel „Europa“ warb. Ein Inserat aus jener Zeit vermerkt als Besonderheit: „Sämmtliche Biere fließen nun mittelst Luftdruckapparat direct vom Eiskeller in das Glas“. Außerdem kaufte Ronacher das vormalige Café Beer, das er mit Lese- und Billardzimmern ausstattete. Über 70 aufliegende Zeitungen und Zeitschriften, darunter „The Illustrated London News“, „Punch“ und „La France“, sollten ein gehobenes Publikum ansprechen. Das „Europa“ führte Ronacher ebenfalls nur kurze Zeit, bis Dezember 1875. Dann ging er neuerlich nach Wien und übernahm 1878 das bekannte „Dritte Kaffeehaus“ im Prater, das er in der Folge mit großem Aufwand in „A. Ronacher’s Grand Etablissement“ umgestaltete. Die Neuerungen umfassten auch die Beleuchtung des Gartenportals und des umgebenden Gitters mittels 15.000 Gasflammen. Neben architektonischen und gastronomischen Attraktionen (in einem „indischen Café“ wurde Mokka serviert) bemühte sich Ronacher um ein Unterhaltungsprogramm, das auch Aristokratie und Hochfinanz anziehen sollte. So ließ er etwa die amerikanische Trapezkünstlerin Leona Dare auftreten und holte 1880 den Seiltänzer Charles Blondin nach Wien. Dieser hatte durch seine Überquerung der Niagarafälle auf dem Seil Berühmtheit erlangt und war nun in der Rotunde, dem Zentralbau der Wiener Weltausstellung, unter anderem beim Zubereiten eines Omeletts in luftiger Höhe zu sehen, wovon die Karikatur Blondin, der „höchste“ Koch im Satireblatt „Die Bombe“ zeugt. Ronacher lockte sein Publikum aber auch mit Militärkonzerten und Parkfesten in den Prater, und in dem 1879 eröffneten Sommertheater waren Possen, Lust- und Singspiele zu sehen. Daneben besaß Ronacher ab November 1879 ein Restaurant in der Wiener Innenstadt (Schottenbastei 3, die späteren „Harmonie-Säle“). Dass er seinen Gästen auch kulinarisch Besonderes bieten wollte, legt die silberne Medaille nahe, die er bei der Ersten Wiener Kochkunst-Ausstellung (1884) erhielt.

Streitsache Ronacher – Dreher

Ronacher, von dem es später in einem Nachruf hieß, dass er „nie mehr Betriebscapital zur Verfügung hatte als seinen findigen Kopf“ (Innsbrucker Nachrichten, 9. 11. 1894), muss es in besonderer Weise verstanden haben, Kontakte zu Politikern, Wirtschaftstreibenden und Künstlern zu knüpfen und Finanziers für seine gewagten Geschäftsideen zu gewinnen. Obwohl „ein abenteuerlicher Zug […] durch alle seine Projecte ging“, fand er beispielsweise auch bei dem Großindustriellen (Carl) Anton Dreher Unterstützung. Mit ihm kam es aber im Sommer 1885 zu einer Auseinandersetzung, die mit einer öffentlichen Erklärung Drehers und darauffolgender Gegenerklärung Ronachers in der Presse begann und vor Gericht landete. Dabei ging es um ein von Dreher gewährtes Darlehen, das Ronacher im Gegenzug zum lebenslänglichen Bezug ausschließlich Dreher’schen Biers verpflichtete. Zur Sicherstellung des Darlehens wurden Kauf- und Pachtverträge über Ronachers Lokale abgeschlossen, doch ob es sich dabei um einen Scheinkauf handelte oder diese in den Besitz Drehers übergegangen waren, wurde Gegenstand eines lang andauernden Prozesses. Ronacher warf dem Brauereibesitzer vor, schlecht geeichte Gefäße zu verwenden, überdies kam es bei der sogenannten „Ringstraßenszene“ zwischen Ronacher und dem Hof- und Gerichtsadvokaten Daniel Thum zu Handgreiflichkeiten und zerbrochenen Regenschirmen. Ronacher wurde der Ehrenbeleidigung für schuldig befunden und zu einer dreitägigen Arreststrafe verurteilt. Im Mai 1886 kündigte ihm Dreher die Pacht des Dritten Kaffeehauses und des Restaurants auf der Schottenbastei. Damit war Ronachers Interesse an Wien jedoch nicht erloschen. Im Gegenteil, schon bald darauf begründete er jenes Unternehmen, das seinen Namen bis heute trägt.

Lungenbraten statt Grillparzer: Aus der Brandruine des Stadttheaters wird „das Ronacher“

Für die Summe von 350.000 Gulden kaufte Ronacher 1887 die Ruine des drei Jahre zuvor abgebrannten Wiener Stadttheaters. Das nach Plänen von Ferdinand Fellner I. auf der Seilerstätte errichtete und 1872 von Heinrich Laube eröffnete Theater war 1884 einem Brand zum Opfer gefallen. Das Gebäudeinnere wurde dabei völlig vernichtet, nur die Fassade blieb unversehrt. Während das Liquidationskomitee der Wiener Stadttheater-Gesellschaft plante, die Mauern niederzureißen und ein Zinshaus zu errichten, warb Ronacher bei Wiener Industriellen um finanzielle und ideelle Unterstützung für sein Vorhaben: die Errichtung eines Varietétheaters unter Einbeziehung der erhaltenen Fassade. Rasch erfolgte nach Plänen von Ferdinand Fellner II. unter Stadtbaumeister Alois Schumacher der Umbau in ein Vergnügungsetablissement von gewaltigen Dimensionen. An Kritikern fehlte es nicht, die Schlimmes befürchteten, wenn ein Theater in die Hände eines Gastwirts gelangte: „Die Stelle der Musen nehmen flinke Kellner ein, der Theaterzettel weicht dem Speisezettel und anstatt des Schauspiels wird das Lungenbratl geboten“, liest man in der „Wiener Presse“ (6. 12. 1886).

Nach seiner Fertigstellung umfasste „das Ronacher“ zwei große Säle, die bei Bedarf durch eine verschiebbare Rollwand verbunden werden konnten. Der vorwiegend in Weiß, Gold und Rot gehaltene „Productions-Saal“ im Barockstil bot im Parkett 1.200 Besuchern Platz. Diese hatten an aufgestellten Tischen auch Gelegenheit zu speisen. Hinzu kamen zwei Galerien mit 60 offenen Logen, einschließlich einer Hofloge. Der Orchestergraben wurde nach Bayreuther Muster tiefgelegt. Zu den Anziehungspunkten zählten ferner ein Wintergarten mit Springbrunnen und exotischen Pflanzen, ein Buffetsaal sowie Chambres séparées. Auf dem Areal waren außerdem ein dreistöckiges Hotel mit etwa 50 Zimmern und ein elegantes Café entstanden. Das Souterrain des Ronacher beherbergte Küchenräume, Vorratskammern, Eisgruben, Bier-, Wein- und Champagnerkeller, Abwaschräume sowie den Maschinenraum. Von den Wirtschaftsräumen führten Aufzüge in die anderen Teile des Etablissements. Als erstes Wiener Theater besaß das Ronacher elektrische Beleuchtung – 20 Bogenlichter und mehr als 1.200 Glühlampen, die jedoch ausgerechnet bei der Eröffnungsvorstellung am 21. April 1888 für einige Zeit den Dienst versagten. Unter der Nummer 1122 war das Ronacher auch schon per Telefon zu erreichen.

Equilibristen, Illusionisten, Ventriloquisten, …

Ronachers Konzession zum Betrieb einer Singspielhalle war verbunden „mit der weiteren Berechtigung zur Veranstaltung von akrobatischen, gymnastischen, equilibristischen und Tanzproductionen, sowie von Pantomimen und Schaustellung dressirter Thiere (…)“. Damit ist schon das Programm umrissen, das Ronacher für sein Haus vorschwebte. Er engagierte internationale Kräfte, darunter amerikanische Turner, die sich am dreifachen Reck zeigten, die Luftgymnastikertruppe The family Cee-Mee, ein Schnellzeichner, der sich auch mit dressierten Gänsen produzierte, ein Tierstimmenimitator, ein Bauchredner, eine Jongleuse auf rollender Kugel, Illusionisten, eine indische Schlangenbändigerin, die American Knockabouts und viele andere. Das Musikprogramm bestritten unter anderem sogenannte Exzentrique-Sängerinnen, die zwölf „Original-Wiener Sängerinnen“, der Pariser Sänger Paulus, der Gesangskomiker Josef Modl sowie die Militärkapelle Hoch- und Deutschmeister Nr. 4 mit ihren Promenadekonzerten. Das Ronacher hatte außerdem ein eigenes, 30 Mann starkes Orchester, das unter der Leitung von Karl Kratzl stand. Damit trat Ronacher in Konkurrenz zu einem anderen Wiener „Maître de Plaisir“, dem Direktor des Orpheums, Carl Wenzel Pertl.

Schon bald geriet Ronacher in finanzielle Schwierigkeiten. Auf dem Haus lasteten nach dem Umbau hohe Schulden, und die Einnahmen hielten sich mit den Ausgaben die Waage, zumal Ronacher hohe Gagen zahlte. Schließlich verkaufte Ronacher das Etablissement an ein englisches Konsortium, die in London gebildete Ronacher Limited, deren Verwaltungsrat auch Alois Schumacher und Baurat Ferdinand Fellner angehörten. Ronacher behielt zunächst die Direktion und die künstlerische Leitung, musste aber im Zuge von Unstimmigkeiten im Jänner 1890 seinen Rücktritt bekannt geben.

Pläne für Berlin – Das Theater Unter den Linden

Zu jener Zeit hatte Ronacher seine Fühler bereits nach Berlin ausgestreckt, um dort einen Vergnügungspalast nach Wiener Muster zu errichten. Aus dem einstigen Gebäudekomplex der „Berliner Waarenbörse“ sollte das Theater Unter den Linden entstehen, das Ronacher als Pächter übernehmen wollte. Die Pläne des später in Metropol-Theater umbenannten Gebäudes (heute Komische Oper) stammten von Ferdinand Fellner II. und Hermann Helmer. Noch im Sommer 1891 machte sich Ronacher von Bremen aus auf Akquisitionstournee in die USA, um in New York und Chicago Künstler für sein Berliner Etablissement zu engagieren. Die Fertigstellung des Theaters und dessen für den 15. September 1892 angesetzte Eröffnung erlebte er jedoch nicht mehr. Wegen eines Leberleidens begab er sich nach Karlsbad und verstarb schließlich am 24. Juni 1892 im Wiener Sanatorium Loew. Ronacher wurde in einem ehrenhalber gewidmeten Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt. Er hinterließ neben seiner Witwe die Söhne Alois, Rudolf, Hugo, Julius und Anton.

„Sein Erstes im Himmel wird sein, ein großes Anlehen aufzunehmen und ein Orpheum im Elysium, eine Walhalla in Walhall zu gründen und hiezu Engel und Teufel einzuladen“, hieß es in einem Nachruf in der „Neuen Freien Presse“, und weiter: „Er besaß ein Genie des Schaffens, aber nicht des Erhaltens […], und so hatte der populäre Mann nur einen einzigen Feind – sich selber.“


Literatur: Der Floh, 13. 4. 1879 (mit Bild), Wiener Theater-Zeitung, 16. 4. 1888 (mit Bild); Neue Freie Presse, 25., 26. (Parte), 29. 6. 1892; Die Presse, Wiener Zeitung (Abendausg.), 25. 6. 1892; Grazer Tagblatt, 26., 27. 6. 1892; Innsbrucker Nachrichten, 9. 11. 1894; Czeike; NDB; Tagbl.Archiv; Das Etablissement Ronacher in Wort und Bild. Nebst einem ausführlichen Fremdenführer, 1888 (mit Bild); H. Ihlau, Das Ronacher als Varietétheater, grund- und integrativwiss. Diss. Wien, 1978, S. 8ff.; L. E. Seelig, Ronacher. Die Geschichte eines Hauses, 1986, S. 19ff. (mit Bild); G. Eberstaller, Ronacher. Ein Theater in seiner Zeit, 1993, S. 7ff. (mit Bild); B. Lang, in: Circus- gestern, heute 30, 1996, S. 190ff. (mit Bild); A. Kreuzer, Kärntner. Biographische Skizzen. 19./20. Jh., 1996, S. 102ff.; WStLA, Wien.


(Eva Offenthaler)