Auf die richtige Karte gesetzt: der Spielkartenfabrikant Ferdinand Piatnik I.

„Heiliger Piatnik, schau oba!“, ertönt es noch heute in Kartenrunden, wenn das Blatt allzu sehr zu wünschen übrig lässt. Der so Herbeibeschworene, der Fabrikant Ferdinand Piatnik I., verdient aber auch abseits der Spieltische Beachtung. Ihm gelang es in den 1840er-Jahren, in der Wiener Vorstadt Schottenfeld den Grundstein zu einer Traditionsfirma zu legen, deren Name geradezu zum Synonym für Spielkarten wurde. Die 130. Wiederkehr seines Todestages am 20. Juli 2015 nehmen wir zum Anlass, an den Ahnherrn dieser Unternehmerdynastie zu erinnern, deren Motto lautet: „Wer nicht spielt, nimmt sich viel zu ernst!“

Ferdinand Piatnik „der Erste“ kam in Ofen (Budapest) am 14. Oktober 1819 zur Welt. Er war der Sohn des Kleidermachers Ignaz Piatnik (1794–1873), der als Kämmerer bei einem Grafen Nádasdy gedient haben soll, und der Josefa, geb. Rauchenegger (auch Rauchneker). Ferdinand Piatnik besuchte die Volksschule und trat dann im Mai 1835 in seiner Vaterstadt beim Kartenmacher Johann Gravatz in die Lehre. 1839 legte er die Gesellenprüfung ab und gelangte im selben Jahr nach Wien, wo er bei dem Kartenmaler Anton Moser Arbeit fand. Als dieser wenige Jahre darauf starb, heiratete der damals 23-jährige Piatnik 1843 dessen Witwe Josepha (geb. Pöchlarn, Niederösterreich, 1794) und führte den seit 1824 bestehenden Betrieb unter seinem Namen weiter. Damit legte er den Grundstein zu einem Familienunternehmen, das schon zu Zeiten der Monarchie zu einem „big player“ auf dem Gebiet der Spielkartenerzeugung wurde.

Piatnik I. baute den in der Vorstadt Schottenfeld Nr. 407 (damals Herrngasse, heute Wien 7, Richtergasse) befindlichen Betrieb seines Vorgängers kontinuierlich aus. 1862 übersiedelte er mit ihm auf das Schottenfeld Nr. 153 (heute Kaiserstraße Nr. 56). In frühen Zeitungsannoncen aus dem Jahr 1844 bewarb er „Tarok-, Whist-, Trappolier-, Piket- und Deutsche Karten zwischen 4 und 8 Gulden, Holz, Kupfer“,  drei Jahre später kündigte er auf diesem Weg sein neues „Kaiser-Tarok aus dem Hause Habsburg“ an und wies Interessenten auf seine Geschäftsniederlage in der Inneren Stadt, Am Peter 577, hin.

Von der Kartenmalerei zur maschinellen Produktion

Das in Europa seit dem 14. Jahrhundert bekannte Kartenspiel hatte es in der Donaumonarchie zu außerordentlicher Beliebtheit gebracht, in den Wiener Kaffeehäusern ebenso wie in privaten Salons und Clubs. Die Herstellung der Karten blieb dabei lange Zeit reine Handarbeit, so auch zu Beginn von Piatniks Tätigkeit. Der erste Arbeitsschritt, der Vordruck der schwarzen Umrisszeichnung, erfolgte damals noch außer Haus durch verschiedene Druckereien. Dabei kamen die Verfahren jener Zeit, Holzschnitt, Kupferstich, Stahlstich und Steindruck, zur Anwendung. Anschließend wurden die bedruckten Bögen händisch kaschiert und mit Hilfe von Schablonen koloriert, ehe man sie zum Trocknen aufhängte. Unglücklicherweise wurde Piatnik einmal gerade so ein Trockenprozess zum Verhängnis. So berichtete „Der Humorist“ kurz vor Weihnachten 1847 von einem Brand in Piatniks Arbeitslokalitäten: Eine geborstene Röhre des Trockenofens hatte die in der Nähe befindlichen Papiermassen in Brand gesetzt. Das Feuer breitete sich auf zwei Räume aus und zerstörte mehrere Werkseinrichtungen, ehe es gelöscht werden konnte.

Damit die Spielkarten die nötige Festigkeit erhielten, wurden sie aus einzelnen Schichten Papier gefertigt, die verleimt werden mussten. Auch das abschließende Schneiden der Karten mit Spezialscheren und das Verpacken in Papierhüllen war zunächst Handarbeit. Dieses primitiv anmutende Verfahren verhinderte Schnelligkeit und Genauigkeit bei der Erzeugung. Karten mit abgerundeten Ecken, wie sie heute gebräuchlich sind, ließen sich überhaupt erst später herstellen. Das Aufkommen der (zunächst nur für Luxus-Spielkarten vorgesehenen) Oberflächenbehandlung machte einen weiteren Arbeitsschritt nötig, das Polieren. Piatnik, der besonderen Wert auf gutes Material und hohe künstlerische Fertigkeit legte, versuchte dem raschen Verschmutzen der Karten auf seine Weise beizukommen: Für seine „Erfindung, gewöhnliche Spielkarten mit einem Lacküberzuge zu versehen, damit sie mit Wasser gereinigt werden können“, erhielt er 1861 ein Privileg, das noch mehrfach verlängert wurde. Dass das Reinigen der Karten einst gewerbsmäßig betrieben wurde, zeigt die Tatsache, dass das Wiener Adressbuch, der sog. „Lehmann“, noch im Jahre 1896 vier Karten-Reinigungsanstalten verzeichnet.

Um den steigenden Anforderungen zu genügen und einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen, ging Piatnik schließlich zum Einsatz von Maschinen über. Als das Gebäude in der Kaiserstraße dafür zu klein wurde, ließ er es 1880 abreißen und durch einen vierstöckigen Neubau ersetzen. In ihm befand sich noch lange Zeit das Geschäftslokal, auch als die Firma längst an den heutigen Standort übersiedelt war.

Ein Karten-Haus in Familienhand – Aus Ferdinand Piatnik wird Ferd. Piatnik & Söhne

Ferdinands Bruder Ignaz Piatnik, der am 6. Mai 1866 erst 44-jährig an Tuberkulose starb, war zwar ebenfalls als Spielkartenfabrikant auf dem Schottenfeld tätig, doch bestand keine Verbindung zwischen den beiden Betrieben. Hingegen traten Ferdinands älteste Söhne Ferdinand „der Zweite“ (geb. 18. Oktober 1857, gest. 26. September 1930) und Adolf Piatnik (geb. 8. September 1859, gest. 14. September 1940) im Jahre 1882 in die Firma ein, die ab nun unter Ferd. Piatnik & Söhne firmierte. Drei Jahre darauf starb Ferdinand Piatnik am 20. Juli 1885 in Gainfarn (Bad Vöslau). In der Folge führte zunächst seine zweite Frau, die aus Nikolsburg stammende Winzerstochter Johanna, geb. Grech (geb. 5. September 1832, gest. 20. Oktober 1896) gemeinsam mit den ältesten Söhnen das Unternehmen weiter. Als sie 1890 ausschied, trat der inzwischen volljährig gewordene Rudolf Piatnik (geb. 3. Juli 1865, gest. 19. Jänner 1927), der dritte Sohn, an ihre Stelle.

Da sich der Standort in der Kaiserstraße für nötige Erweiterungen und neue Maschinen nicht eignete, ließen die Brüder 1891 ein neues Fabriksgebäude in der damaligen Vorstadt Baumgarten (Wien 14, früher Hütteldorfer Straße 1, heute 229–231) errichten, das sie später noch mehrfach ausbauten. Dort kamen bereits Spezialmaschinen zum Einsatz, die größtenteils nach den Angaben der Firma erzeugt worden waren. Die Piatniks, die sich schon bisher erfolgreich gegen Konkurrenz behaupten konnten, bauten ihre Stellung auf dem Markt weiter aus. 1896 kauften sie die in Konkurs gegangene Erste Ungarische Spielkartenfabriks Aktiengesellschaft in Budapest, die nun unter Piatnik Nándor és Fiai firmierte, 1897 begannen sie mit der schrittweisen Übernahme der Fabrik von Josef Glanz, über den sie auch die Spielkartenfabrik Ritter & Cie. in Prag erwarben. 1903 kam eine Buch- und Steindruckerei hinzu, und mit dem Kauf der Papierfabrik in Ratschach (Radeče, Slowenien) 1907 hatte man auch direkten Einfluss auf das Rohmaterial.

Vielfalt ist Trumpf – Piatniks Spielkartenprogramme

Von einfachen bis hin zu luxuriösen Ausgaben bot die Firma eine breite Palette von Spielkarten. Eine Firmenfestschrift aus dem Jahr 1924 nennt bereits über 250 verschiedene Kartendesigns. Während etwa die von Piatnik erzeugten Trappolierkarten nur noch Fachleuten ein Begriff sind, ist die Beliebtheit der „doppeldeutschen Schnapskarten“ mit den Wilhelm-Tell-Bildern bis heute ungebrochen. Einen besonderen Stellenwert nahm in Altösterreich aber das in zahlreichen Varianten verbreitete Tarockieren ein – nicht von ungefähr erschuf Fritz von Herzmanovsky-Orlando in seinem Roman „Maskenspiel der Genien“ das Fantasieland „Tarockei“, in dem er auch die Firma Ferdinand Piatnik und Söhne ansiedelte – allerdings, in dichterischer Freiheit, in St. Pölten.

Unter den noch zu Lebzeiten Piatniks I.  entstandenen Spielen befand sich etwa ein Tarock mit vierzig „Szenen aus der vaterländischen Geschichte“ (1850), das die Zeitspanne von der Wahl Rudolfs I. zum römisch-deutschen König bis hin zu Joseph II. umfasst, der hier dargestellt wird, wie er mit dem Pflug die legendäre „Furche von Slawikowitz“ zieht. Satirisch geht es hingegen in dem um 1863 von Josef Sürch entworfenen „Narren-Tarock“ zu, das vom „politischen Narren“ über den „Ballet-Narren“, den „Zukunftsmusik-Narren“ oder die „Hunde-Närrin“ allerlei menschliche Schwächen karikiert und dabei auch den „Spielnarren“ aufs Korn nimmt. Ebenfalls erfolgreich war das Wiener Veduten-Tarock (um 1870), das pro Karte je zwei Stahlstichbildchen von Bauwerken und Plätzen in und um Wien zeigt: neben dem Stephansdom etwa das Sofienbad, das Polytechnische Institut, die Kaiser-Ferdinands-Wasserleitung, das Equitationsinstitut, den Landungsplatz bei Nußdorf oder das Ritterschloss in Laxenburg. Kurioserweise war in dem Spiel dem Belvedere als Gegenbild ausgerechnet das „Neue Irrenhaus“ beigegeben.

Vielleicht die letzte noch vom Firmengründer herausgebrachte Novität waren die „Militär-Tarok-Karten“, mit denen man die „Welt der Tarok-Spieler aufs Angenehmste überraschen“ wollte, wie es in den Annoncen 1884 heißt: Die Karten zeigten Darstellungen des Feldzugs in Bosnien, wobei als Besonderheit hervorgehoben wurde, dass die Könige, Damen und Cavalls die Gesichtszüge österreichischer Hofschauspieler tragen.
Für ihre Produkte erhielt die Firma hohe Auszeichnungen wie die Verdienst-Medaille, die während der Wiener Weltausstellung 1873 verliehen wurde – es war dies jene Medaille, die vor allem Güte und Vollendung der Arbeit, Umfang der Produktion, Eröffnung neuer Absatzwege etc. berücksichtigte. Auch die Teilnahme an der Weltausstellung in Paris 1878 war erfolgreich, sie trug der Firma eine Bronzemedaille ein.

Die Marke mit dem Jockey

Das bekannte Markenzeichen, der Jockey auf dem Pferd, entstand übrigens erst einige Jahre nach dem Tod des Firmengründers. Es zeugt von der Verbundenheit der Familie mit dem Trabrennsport (Ferdinand Piatnik II. war Obmann des Wiener Trabrennvereins). Das Unternehmen wird heute von direkten Nachkommen Ferdinand Piatniks I. geleitet, wenngleich man sich längst nicht mehr auf die Spielkartenproduktion allein konzentriert, sondern auch Hunderte von Gesellschaftsspielen im Angebot hat. An den Stammherrn erinnert heute der Ferdinand-Piatnik-Weg im 14. Wiener Gemeindebezirk, und auch einige der alten Tarockkarten laden wieder zum Spiel ein – sie sind als Faksimileausgabe im Rahmen der Piatnik Edition erhältlich.


Literatur: Der Humorist, 21. 12. 1847; Czeike; NDB; ÖBL; Weltausstellung 1873 in Wien. Amtliches Verzeichniss der Aussteller, welchen von der internationalen Jury Ehrenpreise zuerkannt worden sind, 1873, S. 341; Zum hundertjährigen Bestande der Spielkartenfabrik Ferdinand Piatnik und Söhne A. G., 1924 (mit Bild); R. Granichstaedten-Czerva – J. Mentschl – G. Otruba, Altösterreichische Unternehmer, 1969, s. Reg.; E. R. Ragg, in: Penzinger Museumsblätter 21/22, 1969, S. 46ff.; D. Hoffmann, Spielkartensammlung Piatnik. Eine Auswahl, 1970; D. Hoffmann, Die Welt der Spielkarte, 1972, s. Reg.; 150 Jahre Piatnik 1824–1974, 1974 (mit Bild); A. Durstmüller, 500 Jahre Druck in Österreich 2, 1985, s. Reg.; P. Grätz, 165 Jahre Wiener Spielkartenfabrik Ferdinand Piatnik & Söhne. Eine historische Betriebsanalyse, DA Wirtschaftsuniversität Wien, 1989; W. Altfahrt, Wiener Kartenmacher des 19. Jahrhunderts, 1990, S. 24f.; M. Schreiber, Ausstellung 175 Jahre Piatnik, 1999 (mit Bild); Piatnik, ed. Wiener Spielkartenfabrik Ferd. Piatnik & Söhne, 2004 (mit Bild); W.  Kühnelt, Berühmte Dynastien. Geschichte und Geschichten großer österreichischer Unternehmerfamilien, 2005; P. R. Frank – J. Frimmel, Buchwesen in Wien 1750–1850, 2008; Spiele der Stadt. Glück, Gewinn und Zeitvertreib, ed. E. Strouhal – M. Zollinger – B. Felderer, Wien 2012, passim (Kat.); actapublica.eu (Matriken Mikulov); Matricula – Onlineportal für Kirchenbücher (diverse Kirchenbücher der Pfarre Schottenfeld); WStLA, Wien.


(Eva Offenthaler)


Für die großzügige Unterstützung mit Bildmaterial und bereitwillige Auskünfte danken wir herzlich der Wiener Spielkartenfabrik Ferd. Piatnik & Söhne, der Sigmund Freud Privatstiftung und dem Rollettmuseum Baden – Städtische Sammlungen!

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