Eine Pionierin der modernen Klavierpädagogik: Marie Unschuld von Melasfeld

Am 8. Oktober jährte sich zum 50. Mal der Todestag der Pianistin Marie Unschuld von Melasfeld, einer in Österreich vollkommen vergessenen Künstlerin. Zu Unrecht, wie die folgende Spurensuche beweisen will.

Marie von Unschuld wurde am 17. Mai 1871 in Olmütz (Mähren) als Tochter des Brigade-Kommandanten Wenzel Unschuld (1814–1896) geboren, der aufgrund seiner Leistungen in der Schlacht bei Melas in den Ritterstand erhoben worden war und fortan das Prädikat „von Melasfeld“ führen durfte. Marie hatte drei ältere Brüder – Felix und Victor gingen ebenfalls zum Militär, Gustav wurde Bürgerschullehrer, ihre kleine Schwester verstarb früh. Die Familie übersiedelte 1876 nach St. Pölten und schließlich 1880 nach Krems, wo Maries Vater, als Feldmarschall-Leutnant pensioniert, seinen Ruhestand verbrachte. Die enorme musikalische Begabung des Mädchens musste sich schon sehr früh gezeigt haben: Die Schwester der Mutter erteilte Marie den ersten Klavierunterricht, dazu nahm sie ab 1883 privat auch Geigenstunden. Ein Jahr später wurde sie in der Kremser Musikschule eingeschrieben, wo sie bei deren Leiter Wenzel Heybal Klavier und bei seiner Frau Geige lernte. 1887 übersiedelte Marie von Unschuld nach Wien, um am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde bei Josef Dachs zu studieren. Daneben nahm sie noch privat Geigenunterricht bei Jacob Dont und Josef Maxincsak (Maxintsak). Drei Jahre später schloss sie ihr Klavierstudium mit einem ersten Preis ab und wurde zudem mit der silbernen Gesellschaftsmedaille ausgezeichnet, die nur hervorragende Absolventen erhielten. 1891 legte sie darüber hinaus die Staatsprüfung für Klavier wie auch für Geige mit Auszeichnung ab.

Musikalische Feldzüge

Nun folgten einige „Wanderjahre“: Marie Unschuld von Melasfeld nahm weiter Klavierunterricht bei Bernhard Stavenhagen in Weimar und konzertierte bald in ganz Europa. Vielleicht waren die vielen Reisen aber auch eine Flucht, denn kurz nach dem Tod ihres Vaters 1896 findet man eine kleine Zeitungsnotiz, wonach ihre Mutter, Marie Szabó Edle von Maxa (Maxay / Maksay, geb. 1837), für wahnsinnig erklärt und unter „Curatel“ ihres Sohnes Victor gestellt wurde.

Maries Bruder Felix wurde im 1. Weltkrieg für seine militärischen Leistungen vielfach ausgezeichnet und schließlich wie der Vater zum Feldmarschall-Leutnant ernannt. Marie sammelte dafür auf musikalischem Gebiet für ihre künstlerischen Leistungen ebenso unermüdlich Auszeichnungen und Orden, mit denen sie sich auch gerne auf Fotos schmückte. Dass sie zudem ein Protegé des großen Anton Rubinstein war, öffnete ihr Tür und Tor bei allen Fürstenhöfen. Gerne bezeichnete sie sich auch als „Hofpianistin von Carmen Sylva“, der rumänischen Königin, doch dafür ließen sich bislang keine Beweise finden. Immer wieder kam sie nach Wien zurück, wo sie ihre Kompositionsstudien bei Hermann Graedener vertiefte.

„Die Hand des Pianisten“

Gegen Ende der 1890er-Jahre wurde sie Schülerin des legendären Pianisten und Klavierpädagogen Theodor Leschetizky in Wien. Sein Unterricht wirkte prägend für ihr Leben – als „Leschetizky-Schülerin“ hatte sie darüber hinaus nun die nötige Legitimation, um eine eigene Methodik zu verfassen: „Die Hand des Pianisten. Methodische Anleitung zur Erlangung einer sicheren, brillanten Klaviertechnik modernen Stiles nach Principien des Herrn Prof. Th. Leschetitzky“ erschien 1901 in Leipzig und mutet mit seinen vielen Fotos von richtigen und falschen Handstellungen noch heute sehr „modern“ an. Auf dem Titelblatt des Buches weist sie unter ihrem Namen auch stolz auf ihre Auszeichnungen hin – so ist sie offenbar bereits Trägerin des „ottoman. Chefakatordens“. Hinzu kamen in den nächsten Jahren noch der serbische „St.-Sava-Orden“ und die rumänische Medaille „bene merenti“. In der Folge erlebte ihre Klavierschule mehrere Auflagen und wurde ins Englische und Französische übersetzt. Dass sie auch noch heute von Bedeutung ist, beweist eine Taschenbuchausgabe aus dem Jahr 2010.

1903 erfand Marie von Unschuld einen Apparat zur Dämpfung des Klaviertons zu Übungszwecken: Eine Vorrichtung, die kostengünstig und einfach zu montieren war, wie nicht nur die „Neue Musikalische Presse“ begeistert berichtete, sondern sogar die amerikanische „Music Trade Review“ einige Wochen danach vermeldete.

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Sicherlich hatte Marie von Unschuld zu diesem Zeitpunkt bereits Kontakte nach Amerika geknüpft. Wann und warum sie jedoch den Entschluss fasste, nach Washington, D.C. auszuwandern, ist nicht bekannt. Jedenfalls erfahren wir durch einen Artikel in „The Washington Times“ vom 17. Jänner 1904, dass sie von Baroness Hengelmüller, der Frau des österreichischen Botschafters, mit einem kleinen Konzert in die Gesellschaft eingeführt wurde. Ihr klavierpädagogischer Eifer ließ sie aber auch in der neuen Heimat nicht ruhen – noch im selben Jahr gründete sie die University of Music and Dramatic Art, „Patterned after the conservatories in Vienna, Brussels and Paris“, wie am 25. September in „The Washington Times“ steht. Später nannte man sie auch kurz The Unschuld University of Music, deren Präsidentin Marie von Unschuld war. Und damit nicht genug: Zwei Jahre später richtete sie in Newport die Summer School of Music ein und leitete bis 1921 die Klavierabteilung des Trinity College. Zudem publizierte sie eine Ergänzung zu ihrer „Hand des Pianisten“ wie auch noch weitere musikpädagogische Werke.

Als Solistin machte sie sich mit einem Konzert mit dem Washington Symphony Orchestra schon früh einen Namen, daneben war sie auch als Kammermusikerin äußerst aktiv: Sie gründete mehrere Ensembles wie das Unschuld Piano Quartet mit Johannes Miersch (Violine), Charles Finckel (Viola) und Mirko Bellinski (Violoncello) sowie das Unschuld Trio mit Daniel Breeskin (Violine) und L. E. Monoly (Violoncello). Die Künstlerin initiierte zudem eigene Konzertreihen für Arbeiter, für Blinde und unentgeltliche Sonntagnachmittagskonzerte für Jugendliche und deren Eltern. Ihr soziales Engagement zeigte sie überdies mit den von ihr gestifteten Stipendien für jährlich vier Musikstudenten sowie mit Benefizkonzerten zugunsten Bedürftiger in Wien, die sie 1920 organisierte und spielte.

Die Klavierstunde im Zeitalter der Massenkommunikation

1907 heiratete Marie von Unschuld den aus Paris gebürtigen Bankier Henry Lazard, der später Sekretär der argentinischen Botschaft in Washington, D.C. wurde. Ein Jahr später kam ihre Tochter Madeline zur Welt, die sehr bald zum Demonstrationsobjekt der Klavierschule ihrer Mutter wurde: Bereits ab dem zwölften Lebensjahr trat Madeline gemeinsam mit ihr auf Tourneen durch die USA und Europa auf.

Marie von Unschuld ließ ihre Unterrichtsmethode 1915 patentieren, später auch den Klavierunterricht als schriftlichen Fernkurs – sie suchte ständig nach neuen Wegen, um noch mehr Schüler zu erreichen: 1931 gab sie im Auftrag der Jenkins Television Corporation of New York erstmals Klavierunterricht im Fernsehen, wofür sie ebenfalls ein Patent erwarb. Bis 1964 war sie Präsidentin ihrer Musikuniversität, dann musste sie krankheitsbedingt im Alter von 93 Jahren emeritieren.

Ihre vielfachen Aktivitäten bezeugen ihre Mitgliedschaft bei der National League of American Pen Women wie auch bei der Washingtoner Handelskammer. Von Unschuld soll darüber hinaus auch komponiert haben – allerdings gelten ihre Werke als verschollen und man findet in keiner Konzertkritik einen Hinweis, dass sie eigene Kompositionen gespielt hätte. Doch zumindest ein Stück kann zweifelsfrei als ihr Werk bezeichnet werden: Ein Copyright aus dem Jahr 1916 gibt Zeugnis von einem Marsch für Klavier mit dem Titel „Our country first“. Ein kämpferischer Titel, so kämpferisch wie diese unermüdliche Frau selbst.

Marie von Unschuld-Lazard starb am 8. Oktober 1965 in Wheaton, Maryland. Sie wurde auf dem Gate of Heaven Cemetery in Silver Spring, Montgomery County, Maryland, begraben.


Weitere Werke: Supplement to „The Pianist’s Hand“, 1906; Nineteen Études …, 1909; Scale Practice. Practical Aid to Pianoforte Technic throughout the Circle of Fifths ... In three grades, 1911; The „Von Unschuld Method“ of Pianoforte-Playing and Teaching, 1911; The Graded Course, 1912; Arts and Means for Pianoforte-Instruction, 1915; Handbook of General Musical Knowledge, 1915.

Literatur: The New York Herald, 14. 1. 1904 (mit Bild); 31. 3. 1907 (mit Bild); The Washington Times, 15. 5. 1904; The Minneapolis journal, 10. 6. 1906 (Part VIII, Drama Section, mit Bild); The Washington Herald, 31. 3. 1907 (mit Bild); The Sunday Star, 3. 11. 1912 (mit Bild); The Lewiston Daily Sun, 14. 9. 1931; The Washington Post, 10. 10. 1965 (mit Bild); Neue Musikalische Presse 7, 1888, Nr. 11, S. 7 (Bild), 9, 8, 1899, Nr. 46, S. 1 (Bild), 12, 1903, Nr. 2, S. 10, 12, 1903, Nr 4, S. 67; S. 14; Deutsche Kunst- und Musik-Zeitung, 1899, Heft 21, S. 129 (mit Bild); Grove’s dictionary of music and musicians. American Supplement, 1920; 210 österreichische Komponistinnen …, ed. E. Marx – G. Haas, 2001, S. 543f.; Woman’s who’s who of America, 1914–15; Catalogue of Copyright Entries. Part 3: Musical compositions. New series, Volume 11, Part 1, First Half of 1916, Nos. 1–7, 1916, S. 125; Catalogue of Copyright Entries. Part 1, Group 3, Dramatic Compositions and Motion Pictures. For the Year 1931. Volume 4, 1932, S. 179. – Madeleine von Unschuld Lazard: The Washington Herald, 11. 7. 1920 (mit Bild).


(Ruth Müller)