Theophil Hansen  – big player im Wiener Baubusiness

Der vor 125 Jahren verstorbene Architekt Theophil Hansen (geboren Kopenhagen, 13. 7. 1813; gestorben Wien, 17. 2. 1891) gehörte zu den einflussreichsten und vor allem durchsetzungsfähigsten Künstlern seiner Zeit. Er war für die architektonische Entwicklung Wiens im 19. Jahrhunderts Maß gebend, sowohl was den neorenaissancistischen Wiener Stil seiner Wohnhausbauten und deren Fassadengliederung anbelangt, als auch in Hinsicht auf Monumentalbauten und den Einsatz klassischer Architekturelemente explizit griechischen Ursprungs. Auch für die stilistische Entwicklung des Historismus und dessen Grundlagen für die Wiener Moderne leistete er Bedeutendes.

Von Kopenhagen über Athen nach Wien – Stationen eines bewegten Architektenlebens

Der gebürtige Kopenhagener Theophilos Edvard (ab 1867 Ritter, ab 1884 Freiherr von) Hansen studierte von 1827 bis 1838 an der königlichen Bauakademie seiner Heimatstadt, wo er ab 1831 als Assistent bei Gustav Friedrich Hetsch arbeitete. Mit einem Stipendium bereiste er 1838 Oberitalien und Deutschland, wo er die Werke Karl Friedrich Schinkels, Leo von Klenzes und Friedrich von Gärtners studierte. Auf Einladung seines Bruders Hans-Christian Hansen, seit 1833 Hofarchitekt König Ottos I. von Griechenland, übersiedelte Hansen nach Athen, wo er am Bau der Universität mitarbeitete und die Gelegenheit zum Studium antiker und byzantinischer Architektur nutzte. Über Vermittlung Anton Ritter Prokesch von Ostens konnte Hansen 1839–1843 als Zeichenlehrer an der polytechnischen Lehranstalt in Athen arbeiten, wo er ab 1842 selbstständige Bauten wie das Haus Dimitriou für einen in Triest tätigen Griechen errichtete. Auch die Kontakte zum Bankier, Unternehmer und griechischen Konsul in Österreich Georg Simon Freiherr von Sina zu Hodos und Kizdia konnte Prokesch von Osten herstellen, die zum Bau der Sternwarte in Athen führten (1842–1846) und Jahre später zum Neubau des Wiener Innenstadtpalais sowie zum Umbau des Schlosses im niederösterreichischen Rappoltenkirchen (1869–1874) für die Familie Sina. Für den bereits in den Freiherrenstand erhobenen Prokesch von Osten wiederum entwarf Hansen den Umbau des Wohnhauses in der Grazer Vorstadt St. Leonhard (1864/1865) und die Grabkapelle für den zum Grafen nobilitierten Prokesch von Osten am Grazer St. Leonhards-Friedhof (1872). Hansens Kontakte nach Athen rissen nie ab, sodass er noch Jahrzehnte später Entwürfe für Griechenland anfertigen konnte, die vor Ort von seinem Schüler Ernst Ziller umgesetzt wurden, so die Akademie der Wissenschaften (1859–1887) oder die Nationalbibliothek (1883–1888).

Hellasʼ in Mitteleuropa – griechisch-byzantinische Zitate in Hansens Werk

Unmittelbar nach Fertigstellung der Sina-Sternwarte reiste Hansen nach Wien, um mit dem renommierten Architekten, Verleger und Unternehmer Ludwig Christian Friedrich Förster, dessen Tochter Sophie Hansen 1851 ehelichte (Sophie Hansen starb allerdings noch im ersten Ehejahr), eine Ateliergemeinschaft zu gründen, die bis 1852 bestand. Neben seiner Tätigkeit als Zivillehrer an der militärischen k. k. Ingenieur-Akademie entstanden gemeinsame Bauten wie die evangelische Gustav-Adolf-Kirche in Wien-Gumpendorf (1846–1849), das Palais des Bauunternehmers Franz Klein in Brünn (1847–1848) oder das Haus Wollzeile-Riemergasse-Schulerstraße in der Inneren Stadt Wien (1848–1849), deren Baumaterialwahl mit bemerkenswerten Konstruktionen und Bauformen einhergingen – seien es Eisenkonstruktionen wie in Brünn oder großflächiger Einsatz von Terrakottaplatten zur Fassadendekoration wie am Wiener Wohnhaus. Gemeinsam geplante Villenbauten konnten entweder klassische Stilvarianten (Villa Gräfin Abensberg-Traun in Baden, 1846) oder byzantinische (Villa Ludwig Pereira in Wördern, Niederösterreich, 1846–1849) zeigen, zeugen jedoch immer von Hansens Affinität zu griechischen Vorbildern, die sich zu einer Art stilistischen Markenzeichens Hansens entwickelten. Der gemeinsam mit Förster begonnene Bau des Waffenmuseums im Arsenal (heute Heeresgeschichtliches Museum, 1850–1857) erlebte das Zerwürfnis der beiden Architekten, sodass Hansen das Museum alleine vollenden konnte. Die an diesem Bau eingesetzten byzantinischen, islamischen und mittelalterlichen Stilelemente charakterisieren auch Hansens Invalidenhaus in Lemberg (vermischt mit Elementen des castellated style, 1854–1861), die evangelische Kirche des Matzleinsdorfer Friedhofs (1858–1860) und die Kirche der nichtunierten Griechen am Fleischmarkt (1857–1861). Im Sakralbau sollte sich Hansen noch 1874 byzantinisierender Formen bedienen, wie für die Evangelische Kirche von Käsmark/Kežmarok (Slowakei).

Vom Dachstuhl bis zum Tintenfass – Hansens Bauten als Gesamtkunstwerke

1856 begannen Umbau und Innenausstattung des Schlosses Hernstein für Erzherzog Leopold in gotisierenden Formen als frühes Beispiel eines „Gesamtkunstwerks“, bei dem bis ins Detail nicht nur das Gebäude, sondern auch seine Innenausstattung und Möblierung bis hin zu Türschnallen und Tintenfassgarnituren vom entwerfenden Architekten als Teil eines großen Gesamtkonzepts geplant wurden. Auch später entwarf Hansen Möbel und kunstgewerbliche Arbeiten wie Schmuck für den Hofjuwelier Alexander Emanuel Köchert. Darüber hinaus arbeitete Hansen intensiv mit den Malern Karl Rahl (u. a. Entwürfe für das Waffenmuseum und das Palais Todesco), Christian Griepenkerl und Eduard Bitterlich zusammen, die die malerische Ausstattung vieler seiner Bauten herstellten.

Urheber des „Wiener Stils“

Mit seinem Wettbewerbsbeitrag für das Bank- und Börsengebäude in der Herrengasse schuf Hansen bereits 1855 jene stilistischen Grundlagen der später als „Wiener Stil“ bezeichneten Ausprägung der Neorenaissance mit dreizonigem Fassadenaufriss aus Sockelgeschoß, Haupt- und abschließender Zone sowie mit klassischen Dekorationsformen nach venezianischen und römischen Vorbildern (v. a. Jacopo Sansovinos Bibliotheca Marciana), die die bisherige Forschung mit dem Palais Sina am Hohen Markt, das erst 1859–1860 entstand (nach 1945 demoliert), und der Evangelischen Schule am Wiener Karlsplatz (1860–1862) als einem der ersten öffentlichen Bauten der Ringstraßenzone in Verbindung brachte. Der Heinrichhof für Heinrich von Drasche-Wartinberg (1861–1863, nach 1945 demoliert) wurde als monumentale Form der Blockbebauung, der einheitlichen Gestaltung eines aus mehreren Parzellen bestehenden Häuserblocks, vorbildhaft für den Wiener Zinshausbau und von anderen Architekten in vielen Variationen umgesetzt; eine eigene Variante schuf Hansen in der Baugruppe Schottenring (1869–1873, heute Kempinski-Hotel). In der neu angelegten Ringstraßenzone (1859 war Hansen Mitglied der Beurteilungskommission für den Grundplan) schuf Hansen zahlreiche öffentliche Monumentalbauten (etwa das Haus der Gesellschaft der Musikfreunde, 1867–1870, oder die Börse, 1872–1877) sowie private Paläste für Mitglieder der Kaiserfamilie wie den Hoch- und Deutschmeisterpalast für Erzherzog Wilhelm (1864–1868) und für Bankiers überwiegend der Zweiten Gesellschaft wie die Innenausstattung des Palais Todesco (1865), das Palais Gustav Ritter Epstein (1868–1873) oder das Palais Ignaz Ritter Ephrussi (1869–1873), schließlich auch den für die Ringstraßenzone einzigartigen Rudolfhof (1871–1872) als Wohnhaus für Beamte aus den Mittelschichten. Um 1870 entstanden schließlich auch eine Reihe repräsentativer Bauten in Brünn wie das Landeskrankenhaus St. Anna (1864–1868), das Besední dům (1869–1872) oder das Palais Alois Pražák (1872–1874, heute Teil der Mährischen Galerie), die beide Weiterentwicklungen der Ideen des Palais Epstein darstellen.

Das Parlament – Hansens Glanzstück an der Ringstraße

Als herausragender Architekt angesehen erhielt Hansen besondere Unterstützung von Kollegen und Kulturkritikern, v. a. im Zusammenhang mit dem konfliktreichen Wettbewerb um die Hofmuseen 1866–1868, da man seinen Weggang aus Wien befürchtete, wenn er keine prestigeträchtigen öffentlichen Bauaufträge bekäme: An seinem Hauptwerk, dem Reichsratsgebäude (heute Parlament, 1871–1883), das auf älteren Entwürfen für ein Herren- und ein Abgeordnetenhaus (1865) aufbaute, verband er die von ihm bevorzugten hellenischen Architekturformen in letztlich barocker Baukörpergliederung mit auf strengem Achsensystem funktional hochentwickelten Grundrisslösungen, mit der Berücksichtigung des umgebenden Stadtraums und dem Versuch der Anwendung von Polychromie. Als Professor an der Akademie der bildenden Künste (1868–1884), deren Gebäude am Schillerplatz nach seinen Entwürfen 1872–1877 gebaut wurde, war Hansen einer der einflussreichsten Architekten der zweiten Jahrhunderthälfte in Wien. Zu seinen Ehren wurde der Hansen-Club gegründet (1881–1927), der 1887 den Hansen-Preis für Antikenstudien stiftete. Nach seiner Pensionierung beteiligte sich Hansen am Wettbewerb um den Berliner Reichstag (1882) und die dortige Museumsinsel (1883). Außerdem schuf er Projekte für Athen (Akropolismuseum, 1887/1888, Königsschloss in Piräus, 1888) und Kopenhagen (Königspalast und Parlament, 1884–1887).

Hochdekorierter Neo-Österreicher

Hansen war Mitglied der Genossenschaft der bildenden Künstler Wiens (ab 1861), des Österreichischen Ingenieur- und Architekten-Vereines (ab 1864), der Akademie der bildenden Künste (ab 1866, 1884: Ernennung zum Ehrenmitglied) und erhielt 1866 die österreichische Staatsbürgerschaft mit dem Heimatrecht in Wien. 1868 zum Oberbaurat ernannt wurde er 1883 Ehrendoktor der philosophischen Fakultät der Universität Wien, Ehrenbürger der Stadt Wien und Ehrenmitglied des Ungarischen Ingenieur- und Architektenvereines. Dagegen wurde er erst 1888 Mitglied des Royal Institute of British Architects. Hansen war Träger zahlreicher nationaler und internationaler Auszeichnungen und Orden, u. a. der kleinen und großen Goldmedaille der Kopenhagener Kunstakademie 1835 bzw. 1838, der Goldenen Medaille des Royal Institute of British Architects 1888, des griechischen Erlöser-Ordens, des dänischen Danebrog-Ordens, des bayrischen Maximilian-Ordens, des schwedischen Wasa-Ordens, der französischen Ehrenlegion sowie des Ordens der Eisernen Krone und des Franz Joseph-Ordens.

Standfest und erfolgreich auf dem glatten Wiener Parkett

Hansen war nicht nur hoch talentiert und international aktiv, sondern verstand es auch außerordentlich geschickt im Kunst- und kulturpolitischen Leben der Reichshaupt- und Residenzstadt zu agieren. Wiens größter und auch international meist beachteter Spielplatz war die prestigeträchtige und dementsprechend heiß umfehdete Ringstraße. Hansens Zeitgenossen, sowohl seinen Unterstützern und Förderern, als auch seinen Konkurrenten, war dies nur allzu deutlich bewusst. Hansens äußerst erfolgreicher Kampf um Aufträge und einflussreiche Positionen (an vorderster Stelle die eines Professors für Architektur an der Wiener Akademie der bildenden Künste) fand nicht zuletzt auch einen architektonischen Ausdruck: Seinen Heinrichhof, das private Bauunternehmen eines Vertreters der Zweiten Gesellschaft, des Ziegelmagnaten Heinrich von Drasche-Wartinberg, konnte Hansen unter größtem Lob und höchstem Beifall der Presse Jahre früher vollenden und der Öffentlichkeit Wiens präsentieren (nämlich 1863), als das für das städtebauliche Gegenüber gelang, den staatlich finanzierten Monumentalbau der k. k. Hofoper der Akademieprofessoren August Sicard von Sicardsburg und Eduard van der Nüll (erst 1869 eröffnet). Und diesen Bau und weitere öffentliche Wettbewerbe um Staats- und Hofbauten wie die beiden Hofmuseen (das Kunst- und das Naturhistorische Museum) hatte in den späten 1860er-Jahren eine derart heftige und bezogen auf die architektonischen Leistungen der Architekten so gehässige Pressekampagne begleitet, dass nach dem Tod und Selbstmord der Hofopernarchitekten so etwas wie eine betretene Katerstimmung in der Wiener Architekturszene folgte. Auch wenn Sicardsburg und van der Nüll nicht verhindern konnten, dass Hansen die nach ihnen verwaiste Professur an der Akademie antrat, so fand sich letztlich doch ein Kompromiss, der sich (neben der gleichwertigen Verleihung des beachtenswert hohen Adelstitels „Freiherr“) in den beruflichen Positionen der „Ringstraßenbarone“ ablesen lässt: Heinrich Freiherr von Ferstel als Professor am polytechnischen Institut, der heutigen Technischen Universität, Friedrich Freiherr von Schmidt und Theophil Hansen als Leiter der Spezialschulen für Architektur an der Akademie, und Carl Freiherr von Hasenauer, der einstige Favorit Sicardsburgs und van der Nülls, als Nachfolger Hansens.


L.: Wiener Zeitung, 18. 2. 1891; Die Presse, 19. 2. 1891; Die Wiener Ringstraße 1, 2, 3, 4, 7, 8/4, 11; Neue Deutsche Biographie; Thieme-Becker; Th. Hansen und seine Werke, ed. G. Niemann - F. v. Feldegg, 1893 (mit Bild); Allgemeines Künstlerlexikon 69, 2011; Th. Hansen und die Bibliothek der Akademie der bildenden Künste Wien, ed. B. Bastl u. a., 2011 (mit Bild); Th. Hansen. Architekt und Designer, ed. C. Reiter - R. Stalla, Wien 2013 (Katalog, mit Bild); Th. Hansen. Ein Resümee, ed. B. Bastl u. a., 2013; Architektenlexikon Wien 1770-1945 (mit Bild, Zugriff 20. 3. 2015); Akademie der bildenden Künste, Wien.


(Richard Kurdiovsky)

 

Wir danken dem Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek und der Albertina/Sammlungen Online für die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Bilder.