Am 31. Oktober 2016 jährt sich der 100. Todestag der österreichischen Landschaftsmalerin Tina Blau. Obwohl ihr als Frau eine akademische Kunstausbildung und die Mitgliedschaft in Künstlervereinen verwehrt bleibt, verfolgt sie ihr Ziel, die Ausbildung zur professionellen Malerin mit erstaunlicher Hartnäckigkeit. Das bedeutet, dass sie auf Privatunterricht bei Malern, die sie auf Studienreisen begleitet, angewiesen ist. Das unbegleitete Reisen ist für eine junge Frau aus Gründen der Schicklichkeit und Moral in den 1860er/70er-Jahren doch unüblich. Allen Widerständen zum Trotz reüssiert sie als Landschaftsmalerin, wobei sie immer auf ihre Unabhängigkeit Bedacht nimmt. Davon zeugen eine Malerei abseits aller modernistischen Strömungen und eine intensive Reisetätigkeit bis ins hohe Alter. Als Lehrerin an Münchner und Wiener Kunstschulen für Frauen wird sie für viele Künstlerinnen ein Vorbild. Heute zählt Tina Blau neben Maria Lassnig zu den bekanntesten Malerinnen Österreichs.
Am 15.11.1845 wird Tina (Regina Leopoldine) Blau (Blau-Lang) als Tochter des jüdischen, aus Prag stammenden Militärarztes Simon Blau (geb. Prag, Böhmen / Praha, CZ, 28. 2. 1811; gest. Wien, 2. 12. 1880) und seiner Frau Theresia, geb. Schlesinger (geb. Battelau, Mähren / Batelov, CZ, 24. 12. 1811; gest. Wien, 5. 8. 1894), in Wien geboren. Gefördert vom Vater nimmt sie mit 14 Jahren einen ersten Malunterricht bei dem Waldmüller-Schüler Antal Hanély und ab 1860 bei dem Landschaftsmaler August Schaeffer von Wienwald, dem späteren Direktor der Kaiserlichen Gemäldegalerie, der sie zum Malen in der freien Natur (Prater, Mähren, Siebenbürgen 1861/62) motiviert. 1865 frequentiert sie die Malschule von Josef Matthäus Aigner, wo sie die Korrekturen von Julius Mařák schätzt. Zwei Jahre nach ihrer ersten Ausstellungsteilnahme im Österreichischen Kunstverein 1867 verkauft sie ihr erstes Bild, „Kalkofen bei Abendbeleuchtung“. Der Erlös ermöglicht ihr einen längeren Aufenthalt in München von 1869 bis 1873. In der Hauptstadt des Königreiches Bayern besucht sie die private Malschule des Historienmalers Wilhelm Lindenschmit des Jüngeren, der sie in die lokalen Künstlerkreise einführt. Künstlerische Anregung erfährt sie durch die Internationalen Münchener Ausstellungen im Glaspalast, wo sie die Arbeiten der französischen Realisten (Schule von Barbizon) bewundert. Auf der Wiener Weltausstellung 1873 ist sie mit Bildern zur Donauregulierung in der „Deutschen Abteilung“ vertreten.
Von München reist Tina Blau regelmäßig nach Österreich. 1872 kommt sie in Kontakt mit der Künstlerkolonie um den Maler Emil Jakob Schindler, einen Wegbereiter des Stimmungsimpressionismus und einer Gruppe von Gleichgesinnten, wie Viktor Berger, Eduard Charlemont, Eugen Jettel und Franz Rumpler. 1873/74 reisen Blau und Schindler nach Ungarn (Szolnok) und 1875 nach Holland, wo ihre Bilder einen warmen rötlich-braunen Farbton annehmen. Nach dem gemeinsamen Stadtatelier in der Mayerhofgasse (1874) teilen sich die Künstler 1877 ein Atelier in einem der ehemaligen Pavillons der Wiener Weltausstellung im Prater. Ab 1879 ist Blau Alleinmieterin des Praterateliers, wo sie öfters Besuch von Prinzregent Luitpold erhält. Damals entstehen auch die ersten Praterbilder, idyllische Landschaften, beeindruckende Baumstudien, stets in wunderbare Lichtstimmungen getaucht. Dennoch zieht es sie immer wieder nach Italien: 1876 (Venedig), 1879 (Rom, Neapel) und 1885 erneut nach Rom. Unter dem Eindruck des südlichen Lichts erfolgt die Aufhellung der Farbpalette. Dazwischen übernimmt sie auch Ausstattungsaufträge in Wien, wie jenen im Palais Zierer in der Argentinierstraße 25-27. Für das von Gustav Korompay 1880 errichtete neobarocke Palais haben sich die Deckenbemalungen Blaus von 1882 erhalten (Blumenmotive auf Leinwand). Im selben Jahr exponiert sie ihr großformatiges Hauptwerk „Frühling im Prater“ im Wiener Künstlerhaus, das aufgrund seiner ungewohnten Helligkeit vorerst auf Ablehnung stößt. So urteilen die Vertreter der Jury: „Es ist so hell, daß es uns geradezu ein Loch in die Wand reißt“. Erst auf Fürsprache von Hans Makart wird das Gemälde ausgestellt, woraufhin es die Aufmerksamkeit des französischen Kulturministers Antonin Proust, einem Förderer von Édouard Manet und des Impressionismus, erregt. Proust lädt die Malerin 1883 zur Ausstellung im Pariser Salon ein, wo sie mit der „Mention honorable“ ausgezeichnet wird. In Paris entstehen kleinformatige, spontane Ölskizzen der Tuilierien. Reisen nach Barbizon und Fontainebleau, den Zentren der Freilichtmalerei, folgen. Das Gemälde „Frühling im Prater“ wird 1899 vom Kaiser Franz Joseph für die Österreichische Galerie angekauft, wo es bis zum 1. April 1938 ausgestellt ist. Nunmehr als Bild einer „jüdischen Künstlerin“ geächtet, wird es zusammen mit zwei weiteren ihrer Gemälde abgehängt.
In den Münchner Künstlerkreisen lernt sie den Pferde- und Schlachtenmaler Heinrich Lang (geb. Regensburg, Bayern/D, 24. 4. 1838; gest. München, Bayern/D, 8. 7. 1891) kennen. Für die Eheschließung konvertiert sie 1883 zum Protestantismus. Ab 1889 ist Blau als Lehrerin für Landschaft und Stillleben an der 1884 gegründeten „Damenakademie des Münchner Künstlerinnenvereins“ tätig. Von der bayrischen Metropole aus beschickt sie die Weltausstellung in Antwerpen 1885 und die Jubiläumsausstellung in Berlin 1886. Ihr Bild „Gestürzte Größe“ (1888/89), das einen wuchtigen, entwurzelten Baum im Prater zeigt, wird auf den Weltausstellungen in Paris 1889 und in Chicago 1893 ausgezeichnet. Im Münchener Kunstverein zeigt sie 1890 ihre erste, als Wanderausstellung konzipierte Kollektive (60 Werke), die anschließend in Berlin, Dresden, Düsseldorf, Hamburg und Leipzig zu sehen ist. 1894 erfolgt die Auszeichnung mit der „Königlich Bayerischen Medaille am Band“.
Nach dem Tod Heinrich Langs übersiedelt Tina Blau 1894 nach Wien. Nun entstehen Bilder mit Vorstadtmotiven, darunter auch solche mit Bauarbeiten, Straßen- und Blumenbilder. 1898 wird sie als Lehrerin an die 1897 von Adalbert Franz Seligmann und der Malerin Olga Prager gegründete „Kunstschule für Frauen und Mädchen“ in Wien berufen, wo sie bis 1915 Kurse für Landschaft und Stillleben erteilt. Erneut unternimmt sie zahlreiche Reisen, die sie 1904-08 nach Holland, Istrien und 1914 nach Ungarn führen. Obwohl sie sich von Künstlerinnenvereinen fernhält, steht sie in engem Kontakt mit einflussreichen Frauen ihrer Zeit, wie der Schriftstellerin Marie Freifrau Ebner von Eschenbach und den Frauenrechtlerinnen Auguste Fickert und Rosa Mayreder. Die Freundschaft zwischen Blau und der Essayistin Mayreder entsteht während der Malkurse, die Mayreder ab 1899 besucht. Sie unterstützt ihre Lehrerin durch Feuilletons, indem sie unter dem Pseudonym „Franz Arnold“ wohlwollende Rezensionen über Blaus Arbeiten verfasst. Um 1900 erfährt Blau nun auch in Wien große Anerkennung, wenngleich sie sich nicht der modernen Bewegung des Jugendstils anschließt. 1899 präsentiert Blau ihre erste Kollektive in Wien (Salon Pisko). Weitere umfangreiche Ausstellungen erfolgen 1900 in dem Kunstantiquariat und dem Auktionshaus Samuel Kende, wo sie 100 Werke exponiert sowie in der Galerie Arnot (1909, 1914). Alle drei Expositionen werden von Kaiser Franz Joseph besucht und von Auszeichnungen begleitet: 1897 erhält sie die „Kleine goldene Medaille“ der Wiener und 1912 die „Große goldene Staatsmedaille“ der Salzburger Künstlergenossenschaft. Ab 1909 ist sie korrespondierendes Mitglied des Aquarellisten-Clubs, eine Mitgliedschaft im Künstlerhaus bleibt ihr als Frau verwehrt. Anlässlich ihres Todes am 31.10.1916 erscheinen zahlreiche würdigende Nachrufe. Die Beisetzung erfolgt in einem Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof.
Tina Blau ist als Freilichtmalerin unter der Wiener Künstlerschaft ihrer Zeit eine Ausnahmeerscheinung. Sie orientiert sich nicht am romantisch geprägten Stimmungsimpressionismus, sondern entwickelt unter Anregung der französischen Realisten eine nüchterne, wirklichkeitsnahe Malweise. Die anfänglich noch tonig gemalten Bilder werden nach den Italienreisen immer heller und kleinteiliger. Neben kleinen Skizzen entstehen großformatige Bilder mit fleckig impressionistischem Farbauftrag unter Einbeziehung der ortsspezifischen Lichtverhältnisse, z.T. mit kräftigen Farben. In vielen Bildern schildert Tina Blau das moderne Leben der kleinen Leute, wobei sie ihren Motiven eine unsentimentale, kühle, fast wissenschaftliche Objektivität der Natursicht zugrundelegt.
Anlässlich ihres 100. Todestages erinnern zwei Ausstellungen in Wien an die Malerin:
Im Oberen Belvedere widmet sich die Ausstellung: „Meisterwerke im Fokus“ dem Hauptwerk Tina Blaus „Frühling im Prater“, 1882 (vom 16. Dezember 2016 bis 9. April 2017) und das Jüdische Museum Wien zeigt im Rahmen der Ausstellung „Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938“ eine repräsentative Auswahl von Tina Blaus Bildern (4. November 2016 bis 1. Mai 2017).
Weitere W.: s. ÖKL; Versteigerung; Roser-de Palma; Pleinair; Natter – Jesina. – Teilnachlass: Österreichische Nationalbibliothek (Sammlung von Handschriften und alten Drucken), Wienbibliothek im Rathaus (Handschriftensammlung), beide Wien.
L.: AKL; Czeike; Fuchs, 19. Jh.; Fuchs, Erg.Bd.; ÖKL (mit W.); Thieme–Becker; Vollmer; K. Murau, Wiener Malerinnen, 1895, S. 5ff.; A. Hirsch, Die bildenden Künstlerinnen der Neuzeit, 1905, S. 72ff.; Versteigerung des Künstlerischen Nachlasses der Landschaftsmalerin T. B., 1917 (mit W.); Z. Ebenstein, in: Mitteilungen der Österreichischen Galerie 12, 1968, Nr. 56, S. 71ff.; A. Roser-de Palma, Die Landschaftsmalerin T. B., phil. Diss. Wien, 1971 (mit W.); Z. Ebenstein, T. B. 1845–1916. Eine Wiener Malerin, Wien 1971 (Kat.); dies., in: Mitteilungen der Österreichischen Galerie 18, 1974, Nr. 62, S. 97ff.; H. Giese, in: Parnass 12, 1992, Nr. 4, S. 36ff.; S. Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich 1897–1938, 1994, s. Reg.; Pleinair. Die Landschaftsmalerin T. B. 1845–1916, ed. T. G. Natter, Wien 1996 (Kat., mit Bild und W.); J. Stelzer, Die holländischen Arbeiten im Werk von T. B., geisteswiss. DA Wien, 1999; T. G. Natter – C. Jesina, T. B. (1845–1916), 1999 (mit Bild und W.); A. Ch. Winklbauer, in: Jahrhundert der Frauen, ed. I. Brugger, Wien 1999, S. 61ff., 338 (Kat.); Geschichte der bildenden Kunst in Österreich 5, ed. G. Frodl, 2002, s. Reg.; A. Winklbauer, in: Stimmungsimpressionismus, ed. G. Frodl – V. Traeger, Wien 2004, S. 64ff. (Kat., mit Bild); J. M. Johnson, The Memory Factory. The Forgotten Women Artists of Vienna 1900, 2012, S. 19ff.
(Sabine Plakolm-Forsthuber)
Wir danken dem Belvedere Wien und dem Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek für die Erlaubnis zur Veröffentlichung der Bilder.