Paul Parin – Mediziner, Psychoanalytiker und Mitbegründer der Ethnopsychoanalyse

Anlässlich des 100. Geburtstags des weltbekannten Zürcher Psychoanalytikers, Pioniers der Ethnopsychoanalyse sowie Afrika-Reisenden Paul Parin war in Wien von 1. bis 16. September 2016 eine Ausstellung seiner Fotografien (Katalog: Augen Blicke West Afrika. Paul Parin als Fotograf, 2016) und zwar im Rahmen der Tagung Paul Parin (1916 – 2009): Ein Jahrhundert leben — Individuum, Gesellschaft, Psychoanalyse. Veranstaltungsreihe zum 100. Geburtstag von Paul Parin unter dem Motto: „Stellung nehmen!“ zu sehen.

Paul Parin erblickte am 20. September 1916, vermutlich in Graz, als Sohn eines jüdisch-assimilierten Großgrundbesitzers das Licht der Welt. Aufgewachsen auf dem elterlichen Landgut Novi Klošter, erhielt er bis zum 17. Lebensjahr Privatunterricht. 1934 maturierte er an einem Grazer Gymnasium. Danach studierte er Medizin an den Universitäten Graz, Zagreb und Zürich, wo er 1943 nach Abfassung seiner Dissertation zum Thema „Die Abdominaltuberkulose im Kindesalter“ zum Dr. med. promoviert wurde. 1943-44 wirkte er als Assistent für Chirurgie am Ospedale Civico in Lugano. 1944-45 unterstützte Parin als Teilnehmer der Ersten Chirurgischen Mission der Centrale Sanitaire Suisse gemeinsam mit seiner in Graz geborenen und aufgewachsenen Lebensgefährtin Elisabeth Charlotte Matthèy, genannt Goldy (1911-1997) und fünf weiteren Schweizer Ärzten die Befreiungsarmee Titos in Jugoslawien. 1946-52 vertiefte er seine Kenntnisse als Neurologe und absolvierte eine Ausbildung als Psychoanalytiker in Zürich bei Prof. Rudolf Brun. Bis 1980 betrieb er, gemeinsam mit seiner Frau Goldy Parin-Matthèy, die er 1955 geheiratet hatte, und Fritz Morgenthaler eine psychoanalytische Privatpraxis.

1954-71 unternahm Parin gemeinsam mit seiner Ehefrau, Fritz Morgenthaler und Ruth Morgenthaler-Mathis sechs Forschungsreisen nach Westafrika. Als Ergebnis dieser Reisen entstanden zahlreiche wissenschaftliche Artikel, Vorträge sowie die Studien „Die Weißen denken zuviel“ (1963) und „Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst“ (1971). In diesen für die Ethnopsychoanalyse im deutschsprachigen Raum grundlegenden Werken finden sich 32 Fotografien von den Dogon- und Agni-Gesprächspartnerinnen und -partnern. Die dort publizierten Fotos sind Teil einer Sammlung von insgesamt ca. 5.000 Aufnahmen, die auf den sechs Reisen entstanden und erstmals 2012 in einer Ausstellung im Theater in Konstanz der Öffentlichkeit präsentiert wurden.

Parin galt als einer der prominentesten Vertreter einer im Sinne radikaler Aufklärung politisch engagierten Psychoanalyse. Unkonventionell und ohne sich je von politischen Parteien vereinnahmen zu lassen, stand er zeitlebens auf der Seite von Menschen, gesellschaftlichen Bewegungen und Initiativen, die sich für ein selbstbestimmtes Leben und eine gerechtere Gesellschaftsordnung einsetzten. Seine Kindheits- und Jugenderinnerungen, die Erlebnisse im Partisanenkrieg, die Erfahrungen der Afrikareisen sowie seine Arbeit als Psychoanalytiker und politisch engagierter Zeitgenosse flossen in sein literarisches Werk ab 1980 ein. Er starb am 18. Mai 2009 in Zürich.

1986 erhielt Parin den Literaturpreis des Kantons Zürich, 1991 jenen der Stadt Zürich, 1992 den Preis der Internationalen Erich Fried Gesellschaft für Literatur und Sprache, 1997 den Sigmund Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie 1999 den Internationalen Sigmund-Freud-Preis der Stadt Wien. 1995 Dr. phil. h. c. der Universität Klagenfurt, wurde er 2001 an der Universität Maribor geehrt und bekam im selben Jahr eine „Ehrengabe“ des Kantons Zürich. 2004 wurde er Ehrenmitglied des Research Center der Slovenska akademija znanosti in umetnosti. Die Originale der Negative und seine Fotos befinden sich heute – wie der gesamte Nachlass Paul Parins (Werk, Korrespondenz, Lebensdokumente, Sammlungen; Kryptonachlass Goldy Parin-Matthèy) – an der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien.


Werke: paul-parin.info/archiv/texte/


Literatur (Auswahl): tazmag 6./7., 13./14. 5. 2006; Die Weltwoche, 31. 8. 2006; WoZ, 14. 9. 2006; Basler Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Neue Zürcher Zeitung, Tages-Anzeiger (Zürich), 20. 9. 2006; der Freitag, 22. 9. 2006; Zürcher Tagesanzeiger, 31. 8. 2016; Ursula Rütten, Im unwegsamen Gelände. Paul Parin – Erzähltes Leben, 1996; Der Aufrührer. Ethnopsychoanalytiker, in: Gabriele Goettle, Experten. Mit Fotografien von Elisabeth Kmölniger. Die andere Bibliothek, ed. Hans Magnus Enzensberger, 2004, S. 46-57; Daniel Weber, Der Gelassene. Wie der Psychoanalytiker Paul Parin in der Wüste merkte, dass er alt wurde, und weshalb er findet, die Alten könnten den Jungen nichts raten, in: NZZ Folio. Die Zeitschrift der Neuen Zürcher Zeitung, April 2006, S. 20-24; Karl Markus Gauß, Lieber Paul Parin!, in: Schweizer Monatshefte 86, Nov./Dez. 2006, S. 37-38; Ludger Lütkehaus, Die afrikanische Urreise. Mit Paul Parin auf der Jagd, ebd., S. 38-42; Leidenschaften. Paul Parin zum 90. Geburtstag, ed. Emilio Modena, 2007; paul-parin.info/wp-content/uploads/2016/08/Parin_Programm_FINAL.pdf.


(Michael Reichmayr)