Zoltán Imre Ödön Halmay von Erdőtelke – zu Unrecht vergessen

Am 18. Juni 2016 jährt sich der 135. Geburtstag des Schwimmers und Fabrikdirektors Zoltán Imre Ödön Halmay von Erdőtelke. 1,87 m groß, 83 kg schwer, war er bereits als Jugendlicher bestens trainiert, kräftig und muskulös gebaut und gilt als einer der herausragendsten Wassersportler seiner Zeit.

Halmays Leistungen bei olympischen Spielen, insbesondere der Gewinn von zwei Goldmedaillen in Rekordzeiten in St. Louis 1904, trugen nicht nur maßgeblich zu einer weiten Verbreitung des Schwimmsports in Ungarn bei, sondern machten Ungarn zu einer „Schwimmnation“. Doch trotz seiner Erfolge ist der Name Halmays in Ungarn weit weniger bekannt als jener von Alfréd Hajós, der 1896 in Athen die erste Schwimm-Olympiamedaille der Neuzeit und die erste olympische Goldmedaille für Ungarn gewann.

Familiärer Background

Zoltán Imre Ödön Halmay von Erdőtelke erblickte am 18. Juni 1881 im damaligen ungarischen Gehöft Dubrava bei Nagymagasfalu (heute: Dúbrava bei Vysoká pri Morave, Slowakei) als Sohn von József Halmay von Erdőtelke und seiner Gattin Maria Halmay von Erdőtelke, geb. Lobmayer, das Licht der Welt und wurde im römisch-katholischen Glauben erzogen. Halmays Mutter war eine Österreicherin, sein Vater ein Ungar aus dem niederen Adel, der im Komitat Pozsony als Gutsverwalter der Grafen Károlyi tätig war. Halmays Sohn, Zoltán Halmay von Erdőtelke (geb. Budapest, 29. 9. 1910; gest. ebd., 5. 9. 1993), trat in die Fußstapfen seines Vaters und absolvierte neben seinen Brotberufen als  Husarenoberleutnant und Obernotar von Budapest eine Karriere als Eishockeyspieler.

Um 1890 übersiedelte die Familie nach Budapest, wo Halmay die damalige Städtische Oberrealschule, das heutige bekannte Eötvös József-Gymnasium, besuchte.

Halmay, dessen Geburtsort am Ufer der March liegt, dürfte schon im Kindesalter den Schwimmsport erlernt haben. Bereits im jugendlichen Alter von 15 Jahren stellten sich erste Erfolge bei Wettkämpfen ein. Doch neben seiner sportlichen Laufbahn übte er auch einen zivilen Beruf aus.

Berufliche Karriere

Halmay, der ab 1903 journalistisch tätig war, arbeitete ab 1904 als Privatbeamter in Budapest, unterbrochen 1905 durch die Ableistung seines Einjährig-Freiwilligen-Jahrs. Zunächst Angestellter, später Direktor der Zentrale des Magyar Királyi Dohányjövedék (Pendant der Tabakregie) fungierte er ab 1937 als Direktor der Gummitextil- und Verbandszeugfabrik Hungária Gumitextil- és Kötszergyár. Von 1933 bis 1944 war Halmay Mitglied des Hauptstädtischen Munizipial-Ausschusses. Darüber hinaus soll er Sekretär der 1919 gegründeten Organisation „Egyesült Keresztény Nemzeti Liga“ (Vereinigte Christliche Nationale Liga) gewesen sein, die unter anderem 1920 die Einführung des Numerus clausus-Gesetzes forderte, wodurch der Zugang der Juden zu Universitäten eingeschränkt wurde.

Beginn der Karriere als Schwimmer

Von 1896 bis 1904 gehörte Halmay als Schwimmer und Wasserballer dem 1893 gegründeten Budapester Schwimmverein Magyar Úszó Egyesület (MUE) an. Bereits 1896 fiel er in Budapest bei einer von der MUE veranstalteten internationalen Meisterschaft auf, wo er den 100 m Freistil-Wettbewerb in seiner Altersklasse souverän für sich entschied. 1897 gewann er seinen ersten Meistertitel (1 Meile Freistil). Zu Beginn seiner Schwimmkarriere trat er in beinahe allen Distanzen an, später spezialisierte er sich auf kurze Strecken.

Von Paris bis St. Louis – Der internationale Durchbruch

Im Jahr 1900 vertrat Halmay bei den Olympischen Spielen in Paris allein den ungarischen Schwimmsport und holte zwei Silbermedaillen. Diese sportlichen Wettkämpfe, die als Nebenveranstaltung bei der Pariser Weltausstellung ausgetragen wurden, hatten allerdings keine besondere Bedeutung in der Öffentlichkeit.

1904 wechselte Halmay als Schwimmer und Wasserballer zum 1888 gegründeten Budapester Sportverein Magyar Testgyakorlók Köre (MTK). Das Ungarische Olympische Komitee hätte für die Olympischen Spiele in St. Louis 1904 ausschließlich die Teilnahme von Halmay finanzieren können. Dieser wandte sich daher an den Industriellen und Sportmäzen des MTK Alfréd Brüll mit der Bitte, die Teilnahmekosten des Schwimmer-Kollegen Géza Kiss zu finanzieren. Als Gegenleistung versprachen Halmay und Kiss den Verein zu wechseln, wo Halmay dann bis 1910 verblieb.

1904 wurden in St. Louis die Olympischen Spiele wiederum als Nebenveranstaltung einer Weltausstellung, diesmal der Louisiana Purchase Exposition, ausgetragen. In Übersee waren die rundum Bedingungen jedoch alles andere als erfreulich. Die Unterbringung der Sportler war katastrophal. Es gab keine funktionierende Wasserversorgung, zahlreiche ungarische Teilnehmer litten an Vergiftungserscheinungen, wobei Halmay davon zumindest verschont blieb. Darüber hinaus gab es Probleme mit der Wasserströmung, sodass die Spiele insgesamt gesehen unter keinem guten Stern standen. Halmay holte jedoch zwei Goldmedaillen, die Presse war hingerissen. Er wurde als Wunderschwimmer Europas apostrophiert, der schneller schwimmt als ein Hai.

In den Jahren 1900 bis 1910 gewann Halmay zudem zahlreiche Schwimmwettbewerbe in Österreich. Zeitgenössische Sportberichte belegen, dass er immer wieder das Wiener Publikum begeisterte. Neben den ungarischen Meistertiteln konnte er daher auch österreichische, ebenso wie englische und deutsche erwerben. Neben zahlreichen Landesrekorden stellte er zudem einige Weltrekorde auf. So schwamm er 1905 als Erster die Distanz 50 yards Freistil unter einer Minute, 1905 erreichte Halmay in Wien eine Rekordzeit über 100 Meter Freistil, die drei Jahre lang hielt, und 1908 wurde er erster Weltrekordhalter auf der Distanz von 220 yards Freistil.

Halmay brachte die von Ödön Gräfl entwickelte – „ungarisches Tempo“ (magyar tempó) genannte – Technik, die auf ein Schwimmen ohne Beinarbeit basierte, zur Vollendung und gilt als erfolgreichster Freistilschwimmer, der dies anwandte. Er war aber auch der letzte, der damit internationale Erfolge feiern konnte.

1906 Athen – erste Wolken

1906 war Halmay bei diesen vom Internationalen Olympischen Komitee nicht anerkannten Zwischenspielen in Athen wieder erfolgreich, doch wurde er erstmals von seinem Rivalen Charles Meldreum Daniels besiegt. Daniels schwamm Kraul, Halmay noch immer ohne Beinarbeit und errang deshalb nur die Silbermedaille auf 100 m Freistil.

1908 London – physischer Einbruch

1908 erreichte Halmay in London nur zweimal Silber, während Daniels auf 100 m Freistil erneut Gold gewann und sich mit dem neuen Schwimmstil „Kraul“ endgültig durchsetzte.

Besonders schmerzvoll war jedoch für Halmay das Verpassen der Goldmedaille im 200 m Staffel-Wettbewerb. Halmay startete als letzter der Staffel, alles schien gut zu laufen, doch nach der Wende wurde er immer langsamer und die Kräfte verließen ihn. Ungarn wurde nur zweiter und Halmay konnte diese Niederlage nie ganz verkraften.
Sein physischer Zusammenbruch hing wohl in erster Linie damit zusammen, dass er sich vor und während der Spiele nicht 100-prozentig auf seine körperliche und mentale Vorbereitung konzentrieren konnte, da er zusätzlich auch als Mannschaftstrainer, Masseur und Zeugwart fungierte sowie diverse administrative Aufgaben erfüllen musste.

Ende der Karriere als Schwimmer aufgrund eines Unfalls?

1910 trat Halmay in Magdeburg noch zu einem Schwimmwettkampf zwischen Deutschland und Ungarn an. Ende dieses Jahres erlitt er allerdings einen Unfall in einem Dampfbad in Budapest. Da ihn dies bei der Ausübung des Schwimmsports maßgeblich beeinträchtigte, klagte er 1911 und machte eine Schadenersatzforderung in der Höhe von 100.000 Kronen geltend.

Halmay, der bereits von 1908 bis 1910 als Nationaltrainer des Ungarischen Schwimmverbands gearbeitet hatte, übernahm dann auch von 1919 bis 1928 diese Funktion.

Erfolge in anderen Sportarten

Den Gepflogenheit der damaligen Zeit entsprechend war Halmay in mehreren Sportdisziplinen aktiv und galt auch als ausgezeichneter Wasserballspieler, Eisschnellläufer, Eishockeyspieler, Ruderer und Fußballspieler. Als Leistungssportler trat er neben dem Schwimmsport als Eisschnellläufer und Wasserballspieler in Erscheinung.

Bei der Ungarischen Eisschnelllauf-Meisterschaft 1900 belegte er den 1. Platz auf der 5.000-Meter-Strecke im Streckenkombinationswettbewerb. Als Wasserballer nahm Halmay 1899 in Siófok am ersten offiziellen Wasserballmatch in Ungarn teil, das zwischen zwei Mannschaften des Magyar Úszó Egyesület (MUE) ausgetragen wurde und 1:1 endete. Des Weiteren spielte er 1901 in Wien beim ersten internationalen Wasserballspiel einer ungarischen Mannschaft: MUE verlor 0:14 (das Spiel fand auf Einladung des Wiener Athletik Sport Clubs statt, MUE spielte vermutlich gegen den Schwimm Club Austria). Das zweite internationale Österreichisch-Ungarische Derby fand 1902 in Ungarn statt: MUE – Schwimm Club Austria 5:3.

In seinen letzten Lebensjahren litt Halmay an der Parkinson-Krankheit und wurde vom US-Amerikanischen Schwimmverband sowie von seinem ehemaligen Rivalen Charles Meldreum Daniels mit Medikamenten versorgt. Er starb am 20. Mai 1956 in Budapest.

Ehrungen und Andenken

1968 wurde Halmay in die International Swimming Hall of Fame aufgenommen. 1996 wurde in Szombathely der Verein „Halmay Zoltán Olimpiai Hagyományőrző Egyesület“ gegründet.

Sportdiplomatischer Eklat zwischen der Slowakei und Ungarn

Zwischen 1998 und 2003 kam es zu sportdiplomatischen Differenzen zwischen der Slowakei und Ungarn, da das Slowakische Olympische Komitee Halmay sowie drei weitere ungarische Olympia-Medaillengewinner in mehreren Publikationen als slowakische Medaillengewinner anführte, argumentierend, dass diese Sportler auf dem Gebiet der heutigen Slowakei geboren wurden. Allerdings gingen sie vor 1918 selbstredend als Mitglieder der Olympiamannschaft des Königreichs Ungarn an den Start.


Literatur (Auswahl): Neues Wiener Tagblatt, 31. 10. 1904, 28. 11. 1904, 3. und 5. 12. 1904, 4. 12. 1905; Neuigkeits-Weltblatt, 17. 11. 1907; Salzburger Volksblatt, 12. 1. 1911; Illustriertes Österreichisches Sportblatt, 24. 1. 1911; Ferenc Mező, Golden book of Hungarian Olympic Champions – Livre d'or des champions olympiques hongrois, 1955 (mit Bild); Dr. István Bárány, A magyar úszósport útja, 1955, passim; Budapest Lexikon, 1973; Pál Gulyás, Magyar írók élete és munkái 12, 1993; Magyar nagylexikon 9, 1999; Melinda Bíró, A vízilabdajáték kialakulásának története, versenysporttá válása, in: Acta Academiae Agriensis, Sectio Sport 37, 2010, S. 17–37; László Rózsaligeti, Magyar olimpiai lexikon 1896–2012, 2012; Halmay Zoltán Olimpiai Hagyományőrző Egyesület (online, Zugriff 11. 5. 2016); www.mob.hu (online, Zugriff 11. 5. 2016); www.sports-reference.com (online, Zugriff 11. 5. 2016); www.databaseolympics.com (online, Zugriff 11. 5. 2016); International Swimming Hall of Fame (online, Zugriff 11. 5. 2016); Endre Sal, Az elhallgatott Halmay Zoltán, in: Nemzeti Sport Online, 3. 12. 2002 (online, Zugriff 11. 5. 2016); Magyar olimpiai aranyakat követel magának Szlovákia, in: index, 11. 6. 2003 (online, Zugriff 11. 5. 2016); Magyar Sportmúzeum (online, Zugriff 13. 5. 2016); Slovakia Church and Synagogue Books, 1592–1910 (online, Zugriff 13. 5. 2016).


(Daniela Angetter – Ágoston Zénó Bernád)