Eine runde Sache: Gabor Steiner und das Wiener Riesenrad

Vor 120 Jahren, im Juli 1897, nahm im Wiener Prater das Riesenrad seine Fahrt auf. Wenig später wurde es bereits als neues Wahrzeichen der Stadt wahrgenommen. Das Verdienst, diese damals noch junge Erfindung nach Wien geholt zu haben, kommt dem Theaterunternehmer Gabor Steiner zu. Steiner griff um die Jahrhundertwende entscheidend in die Gestaltung des Praterareals ein und versorgte in seiner Ausstellungsstadt „Venedig in Wien“ Vergnügungssüchtige über Jahre hinweg mit immer neuen Attraktionen.

Gabor (Christian) Steiner wurde am 28. Mai 1858 in Temeswar (Timișoara, Rumänien) in eine Familie geboren, deren Name eng mit dem Theater an der Wien verbunden ist. Gabors Großeltern, Johann Steiner und Fanni, geb. Winkler, bestritten ihren Lebensunterhalt noch mit der Erzeugung von Meerschaumpfeifen, doch schon Gabors Vater, Maximilian Steiner (1830–1880), vertauschte das kaufmännische bald gegen das Bühnenfach. Er wirkte als Schauspieler und Regisseur in Temeswar und Hermannstadt, ehe er 1862 mit Friedrich Strampfer an das Theater an der Wien wechselte, das er ab 1869 zunächst mit Marie Geistinger, später allein führte. Hier wurde Maximilian Steiner zum Wegbereiter der Goldenen Ära der Wiener Operette.

Sein Sohn Gabor besuchte nach dem Umzug der Familie nach Wien die evangelische Volksschule sowie das Untergymnasium am Akademischen Gymnasium und begann dann in einer Tuchfirma zu arbeiten. Daneben verfolgte der Theater- und Musikbegeisterte eine Ausbildung am Fürstlich Solkowski’schen Privat-Theater, an dem er 1873 sein Debüt gab. Später war er unter seinem Vater „Kassenchef“ am Theater an der Wien und stand ab 1880 seinem älteren Bruder Franz (1855–1920), der diesem als Direktor nachfolgte, als Administrator zur Seite. Für die Saison 1883/84 ging Gabor Steiner als Direktor und Oberregisseur des Residenz-Theaters nach Hannover, wo er sich insbesondere auf Operetten-Aufführungen verlegte. Nach einer weiteren Saison als Bürochef seines Bruders am Dresdner Residenz-Theater fand er 1885-1887 als Regisseur und artistischer Sekretär bzw. artistischer Leiter am Wiener Carltheater Beschäftigung. 1889 eröffnete er in Wien eine Theater- und Konzertagentur, die auch einen „Verlag dramatischer Werke“ umfasste. Für kurze Zeit gab Steiner die Halbmonatsschrift „Neues Theaterblatt“ heraus.

Hanswurstiaden in „Alt-Wien“

An seinen späteren Hauptwirkungsort, den Wiener Prater, gelangte Steiner 1892, wo von Mai bis Oktober auf dem einstigen Weltausstellungsgelände die Internationale Ausstellung für Musik- und Theaterwesen stattfand. Organisiert hatte sie Karl Glossy mit seinem Mitarbeiterstab, als Chefarchitekt zeichnete Oskar Marmorek verantwortlich. Für Musik- und Theateraufführungen wurden eigene Gebäude errichtet, darunter eine große Musikhalle und ein Ausstellungstheater für internationale Gastspiele. Besonderen Zuspruch fand aber die Imitation eines Teils von „Alt-Wien“, wofür der Hohe Markt, wie er sich Ende des 17. Jahrhunderts präsentiert hatte, ausgewählt worden war. Die Häuser waren anhand eines historischen Plans nachgebaut oder zumindest nachempfunden worden. Vor dieser Kulisse fanden auf einer schlichten Bühne mehrmals täglich Vorführungen statt, in denen vor allem Ludwig Gottsleben als Hanswurst brillierte. Zum Leiter der Hanswurst-Bühne, die die Entwicklung der Wiener Lokalposse mit ihren Protagonisten Kasperl, Thaddädl und Staberl nachzeichnete, war Gabor Steiner bestellt worden. Die Bühne war gut besucht und brachte viele Leute mit dem Theater in Kontakt, die sonst keine Gelegenheit dazu hatten. Darüber hinaus war Steiner Sekretär des Ausstellungstheaters und organisierte ein „Alt-Wiener-Fest“, bei dem Verkaufspersonal und Servierkräfte historische Kostüme trugen.

Gondeln für Wien – der Prater als Lagunenstadt

Auf den Prater richteten sich auch Steiners Bestrebungen, ein Vergnügungsviertel anzulegen, das der Bevölkerung während der Sommermonate Sport, Spiel, Veranstaltungen und Gastronomie zu bieten hätte. So pachtete er 1894 von der Assets Realisation Company den sogenannten Englischen Garten (Kaisergarten). In Zusammenarbeit mit Oskar Marmorek und mit Unterstützung des Journalisten und Schriftstellers Igna(t)z Schnitzer (eine Karikatur jener Zeit nannte ihn „Schnitzerini, Kaufmann von Venedig“) sollte dort eine Nachahmung der Lagunenstadt samt Palazzi, Brücken und künstlichen Kanälen entstehen. Zu Studienzwecken schickte Steiner Marmorek und den Maler Ferdinand Moser eigens nach Venedig. Die so entstandene „Paraphrase von Venedig“ (Marmorek) war im Vergleich zu ihrem Londoner Vorbild „Venice in London“ (1891–1893) mit einer Wasserfläche von 8.000 m² deutlich großzügiger angelegt. Rund um die Campi „Zobenico“, „Desdemona“ und „San Marco“ sowie unter einer Reihe pittoresker Brücken zogen sich Kanäle von über einem Kilometer Gesamtlänge. An deren Ufern ragten Kopien bekannter Palazzi auf, die mit Restaurants, Cafés und italienischen Waren lockten. Die 25 Gondeln waren in der echten Lagunenstadt gebaut worden, und auch bei den Gondolieri handelte es sich um Originale, was wohl dazu beitrug, dass eine Gondelfahrt zu den Hauptanziehungspunkten von „Venedig in Wien“ gehörte. Schon im Eröffnungsjahr 1895 will man an Sonn- und Feiertagen bis zu 50.000 Besucher gezählt haben. Im Jahr darauf wurde bereits der zweimillionste Gast erwartet. Inzwischen waren weitere Sehenswürdigkeiten hinzugekommen: der Campo di Murano mit Turm und Glasbläserei, neue Brücken und Panoramen, und nachts sorgten zahlreiche Glühlichter und Bogenlampen für Atmospäre. Musikalisch war das italienische Element etwa durch den „schönen Luigi“, den Bologneser Mandolinisten-Club oder die Truppe „La bella Napoli“ vertreten, doch auch die „Grinzinger“ und andere vertrautere Klänge waren zu hören.

Dabei machte „Venedig“ über die Jahre ständige Veränderungen durch, um die Neugier des Publikums wachzuhalten: Ob Wasserrutschbahn oder Sportpalast, Hippodrom, Kinematograph oder Automaten-Büffet – Gabor Steiner hielt stets nach Novitäten Ausschau. Als das Venezianische seine Anziehungskraft schließlich verlor, wurden die Kanäle trockengelegt und das Areal in neuer Form wiedereröffnet, als „Internationale Stadt“ (1901), „Blumenstadt“ (1902), „Elektrische Stadt“ (1903) und so fort.

Unterhaltung in Superlativen

Als Theaterunternehmer pflegte Steiner vor allem Operette, Posse und Varieté. Dazu boten ihm neben diversen kleineren Bühnen ein Possentheater, vor allem aber ein neues, großes Sommertheater, das er auf dem ersten Campo errichten ließ, den entsprechenden Rahmen. Dort machte 1898 „Der schöne Rigo“ von Carl Michael Ziehrer den Auftakt, wobei Steiner selbst inszenierte. Im Jahr darauf umfasste das Personal des Sommertheaters schon 270 Personen. Eine Reihe von Operetten erlebte in „Venedig in Wien“ ihre Premiere, darunter „Die Landstreicher“ von Ziehrer. Zu den Publikumslieblingen zählten etwa Mizzi Zwerenz und Ludwig Gottsleben, während im Kabarett „Unterbrettl“, einem der ersten Wiener Kabaretts überhaupt, Fritzi Massary und Tini Senders glänzten. Beliebt war auch das Riesen-Orchester, das in einer groß dimensionierten Halle spielte und von Meistern wie Oskar Nedbal, Franz Lehár, Richard Heuberger oder sogar Richard Strauss dirigiert wurde.

Wien bekommt ein neues Wahrzeichen

1896 musste der „Turm von Murano“ einem neuen Spektakel weichen, denn nach Chicago und Blackpool sollte auch Wien ein Ferris Wheel erhalten. Das als Vienna Gigantic Wheel angekündigte Bauwerk war als Attraktion der Internationalen Ausstellung neuer Erfindungen im Englischen Garten 1897 gedacht. Seine Errichtung erfolgte unter Einsatz englischen Know-hows und Materials. Neben Walter B. Basset (er wurde auch der Erstbesitzer des Riesenrads) standen dem Wiener Ingenieur Robert Feilendorf der Ingenieur Harry Hitchins sowie ein Team britischer Monteure zur Seite. In feierlichem Rahmen befestigte schließlich im Juni 1897 die Frau des englischen Botschafters in Wien mit drei symbolischen Hammerschlägen die letzte Schraube des Riesenrads. Nach geglückter Probefahrt, an der unter anderem Steiner und Bassett teilgenommen hatten, wurde die neue Attraktion (im Volksmund „Riesenhaspel“) am 3. Juli der Öffentlichkeit übergeben. Eine Fahrt im knapp 65 Meter hohen Riesenrad dauerte damals etwa 10 Minuten. Die 30 Waggons fassten je 30 Personen und waren mit elektrischer Beleuchtung ausgestattet. Es dauerte nur wenige Tage, bis das Riesenrad in der Presse zum neuen Wahrzeichen von Wien erklärt wurde.

„Danzers Orpheum“ und „Varieté-Theater Ronacher“

Von 1900 bis 1907 war Steiner auch Direktor von „Danzers Orpheum“, eines Theaters in der Wasagasse (Wien 9), das er großzügig renovieren und prächtig ausstatten ließ. Es diente als Winterspielstätte von „Venedig in Wien“. 1908 musste er infolge der großen Investitionen jedoch Konkurs anmelden und auch die Direktion von „Venedig in Wien“ aufgeben. Als Pächter und Direktor des „Varieté-Theaters Ronacher“ 1909–1912 zeigte Steiner ebenfalls Operetten und große Ausstattungsrevuen, wie beispielsweise „Das sündige Wien“ (1909), dazu ein bunt gemischtes Varieté-Programm. Ein Versuch, 1912 nochmals die Direktion von „Venedig in Wien“ zu übernehmen, scheiterte noch vor Saisonende. Steiner übergab die Leitung des „Ronacher“ seinem Sohn und verließ, finanziell ruiniert, die Stadt, um einer Schuldhaft zu entgehen. In den folgenden Jahren hielt er sich in London, in Interlaken und schließlich in New York auf, wo ein Bruder und ein Neffe ebenfalls im Varieté-Geschäft tätig waren. Nach Wien zurückgekehrt, versuchte Steiner sich 1923/24 als Musikverleger (Gabor-Steiner-Verlag), konnte aber beruflich nicht mehr Fuß fassen.

Exiljahre

Nach dem „Anschluss“ Österreichs war Gabor Steiner seiner jüdischen Herkunft wegen zur Flucht gezwungen. Im September 1938 meldete sich der nun 80-Jährige aus Hadersdorf-Weidlingau, wo er zuletzt gelebt hatte, ab und emigierte in die USA. Dabei unterstützte ihn sein Sohn Max(imilian) Raoul (1888–1971), der bereits seit 1914 in den Vereinigten Staaten lebte und als Filmkomponist Berühmtheit erlangen sollte („Gone with the wind“, „Casablanca“). Seine letzten Jahre verbrachte Gabor Steiner in Hollywood. Er starb in Beverly Hills am 9. September 1944. Sein Grab befindet sich im Forest Lawn Memorial Park (Glendale).


Literatur: G. Steiner, Als Wien frohe Feste feierte …, in: Illustrierte Wochenpost, 14. 11. 1930–30. 1. 1931 (mit Bild); Kosch, Theaterlex.; OEBL; N. Rubey – P. Schoenwald, Venedig in Wien. Theater- und Vergnügungsstadt der Jahrhundertwende, 1996 (mit Bildern, auch von Franz, Maximilian und Max Steiner); M. Kristan, Oskar Marmorek. Architekt und Zionist 1863–1909, 1996, 178ff., 186ff.; E. Wernig, Venezianischer Mythos als gebautes Architekturzitat. Wiens verschwundenes Venedig und der wiederentdeckte Dogenhof, DA TU Wien, 2008; Wien Geschichte Wiki; WStLA, Wien (Meldezettel).

(Eva Offenthaler)

Zum Weiterlesen:
Ausführlicher Bildbericht über „Venedig in Wien“ in der „Oesterreichischen Illustrirten Zeitung“ vom 21. 6. 1895


Wir danken dem Bildarchiv Austria für die Überlassung von Bildmaterial.