Robert Schwinner – erkannte die Antriebskräfte driftender Kontinente

Mehr als vier Dezennien vor dem paradigmatischen Einzug der Plattentektonik in das Weltbild der geologischen Wissenschaften vermutete Robert Schwinner bereits, dass die treibenden Kräfte bei der Bildung von Gebirgen in thermisch induzierten Konvektionsströmen unterhalb der starren Erdkruste zu finden seien. Seiner Vorstellung nach sollte durch Wärmeströmung leichteres Krustenmaterial an alte Landmassen angegliedert werden und Kontinente selbst scheinbar gegen die Ozeane „wandern“. Die „pazifischen“ Kontinentalränder müssten dabei an den absteigenden Ästen der Konvektionszellen verortet sein. Mit diesen Vorstellungen hat Robert Schwinner den „Motor“ für die Driftbewegung von Alfred Wegeners Kontinentalverschiebungstheorie dingfest gemacht und eine wesentliche Grundlage der „modernen“ Plattentektonik geliefert.

Robert Gangolf Schwinner kam am 11. Mai 1878 im niederösterreichischen Ottenschlag als Sohn des Notars Moriz Roman Schwinner (1840-1894) und dessen Gattin Marie Anna Valentine, geborene Neudeck (1857-1895), zur Welt. 1881 übersiedelte die Familie von Ottenschlag nach Mank im Mostviertel, nachdem der Vater Moriz dorthin versetzt worden war.

Jugendzeit

Die Gymnasialzeit zwischen 1888 und 1896 verbrachte Robert Schwinner in Melk, wo er in das Konvikt des Benediktinerstifts eintrat. Schwinner zeigte bereits während seiner Schulzeit besonders große Leidenschaft für die Natur. Dieses Interesse blieb für ihn ein Leben lang bestimmend und wurde schließlich auch für seine Berufswahl ausschlaggebend.

Während Schwinners Oberstufenzeit erkrankte sein Vater an Krebs und verstarb im April 1894. Eineinhalb Jahre später, Anfang November 1895, folgte die Mutter dem Vater nach und der 17-jährige Robert, sowie seine einjährige Schwester Helene wurden zu Vollwaisen.

Im Juni 1896 bestand Schwinner die Matura. Im Reifezeugnis merkte der Mathematikprofessor zu seinem Fach den Zusatz an: „Mit einer die Forderungen des Gymnasiums überschreitenden Leistung Vorzüglich.“

Nach der Matura leistete Robert Schwinner auf eigene Kosten seinen Heeresdienst als Einjährig-Freiwilliger beim k.u.k. Eisenbahn-Telegraphenregiment in Korneuburg, wo er auch die Prüfung zum Reserveoffizier mit Erfolg ablegte.

Studienzeit

Im Oktober 1897 begann Schwinner zunächst mit dem Studium an der Technischen Hochschule in Wien. Zu dieser Zeit trat er auch der 1871 gegründeten Wiener akademischen Burschenschaft Bruna Sudetia bei. Da die Bruna Sudetia als schlagende Verbindung die Mensur pflegte, wurde auch Schwinner in die Fechtkunst eingewiesen. Während eines studentischen Fechtkampfs im Winter 1901 traf ihn der gegnerische Degen ins linke Auge. Die Verletzung war so stark, dass er einseitig erblindete.

Im Wintersemester 1899/1900 studierte Schwinner zunächst an der Universität Wien Mathematik, wechselte im Wintersemester 1901 an die Universität in Jena, wo er neben Mathematik auch Physik belegte und verbrachte schließlich das Studienjahr 1902/03 an der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

Im Sommer 1903 erkrankte Robert Schwinner. Für die nächsten drei Jahre fehlen jegliche Hinweise in seinem Leben. 1906/07 wandte er sich naturwissenschaftlichen Studien mit Schwerpunkt Meteorologie an der Wiener Universität zu, wechselte aber nochmals die Fachrichtung und übersiedelte in die Schweiz, um an der Universität Zürich Geologie zu studieren. Ab dem Sommersemester 1908 belegte er Vorlesungen aus Geologie bei Albert Heim, Exkursionen bei Paul Arbenz und Arnold Heim, Paläontologie bei Louis Rollier sowie Mineralogie und Petrographie bei Ulrich Grubenmann.

Das Studium begeisterte ihn und speziell sein späterer Doktorvater, Albert Heim, wurde ihm zum großen Vorbild. Bei ihm dissertierte Schwinner schließlich mit der Arbeit „Der Monte Spinale bei Campiglio und andere Bergstürze in den Südalpen“. Das Rigorosum fand im Juni 1911 statt, das Doktordiplom wurde ihm im November 1912 ausgefolgt.

Nach dem Rigorosum verbrachte Schwinner den Winter 1911/12 wieder in Wien, seinen Hauptwohnsitz verlegte er aber bereits im Herbst 1912 nach Graz.

Grazer Zeit

Welche Gründe Robert Schwinner nach Graz führten, ist weder aus den Schriftdokumenten noch aus Erzählungen, die von der Familie überliefert wurden, eruierbar. Als er jedenfalls im Herbst 1912 nach Graz kam, war der langjährige Vorstand des Geologie-Instituts, Rudolf Hoernes, wenige Wochen zuvor verstorben. Hoernes war auf dem Gebiet der Erdbebenforschung – er gilt als einer der Begründer der Seismotektonik – eine Kapazität und wäre für Schwinner, bezogen auf dessen geophysikalische Interessen, ein attraktiver Ansprechpartner gewesen.

1914 inskribierte Schwinner an der Universität Graz, wo er zunächst Vorlesungen von Alexius Meinong von Handschuchsheim und Hugo Spitzer hörte, um das Philosophikum nachzuholen. Noch im Herbst desselben Jahres wurde schließlich sein Zürcher Doktordiplom nostrifiziert.

Kriegsdienst (1915–1918)

Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs musste Schwinner 1914 sowie 1915 zur Landsturmmusterung, wurde aber beide Male wegen seiner einseitigen Blindheit als untauglich für den Dienst mit der Waffe befunden.

Als nach dem „Patto di Londra“ das Königreich Italien im Mai 1915 Österreich-Ungarn den Krieg erklärte und sich im Sommer am Kriegsgeschehen beteiligte, meldete sich Schwinner freiwillig für den Frontabschnitt „Judikarien“, um die Grenzen der Monarchie zu verteidigen. Diesen Schritt begründete er damit, dass er das Gebiet seit den Tagen seiner Dissertation gut kenne.

Ende August 1915 wurde Schwinner dem Kommando der Nambino-Stellung zugeteilt, im Dezember 1915 übernahm er in der Funktion des Stützpunktkommandanten den Doss dei Morti in Judikarien (Giudicarie). Als eines Tages mehrere Soldaten von einer Lawine verschüttet wurden, erstellte Schwinner mit seiner Plattenkamera Fotografien von lawinengefährdeten Gebieten, entwickelte die Bilder und zeichnete auf den Abzügen mit Tintenstift lawinensichere Wege für die Wachtposten ein, um in Zukunft solche Unglücksfälle zu vermeiden.

Für seine verdienstvollen Leistungen als Patrouillenkommandant im Verteidigungsabschnitt 4 (Bereich Valsugana/Suganertal) wurde Schwinner 1916 zum Oberleutnant befördert. Zwischen Oktober 1916 und März 1917 war er dann in Natole stationiert. Einen Fronturlaub von Mai bis Juni 1917 nützte er, um sich an der Grazer Universität für Geologie bei Vincenz Hilber zu habilitieren. Die Venia legendi erhielt er im Oktober 1917, als er bereits wieder als Geologe bei der Kriegsvermessung 11 eingeteilt war. Hier erstellte er eine „kriegsgeologische“ Karte im Maßstab 1 : 25.000 des Gebiets zwischen Lago di Ledro, Lago di Tenno, Fossa di Palude und Altissimo.

Wie für viele seiner Kriegskameraden war es auch für Schwinner ein schwerer Schlag, dass das bis Anfang November 1918 (Waffenstillstand von Villa Giusti) so verlustreich verteidigte Südtirol von den Kriegsgegnern besetzt wurde und an Italien abgetreten werden musste.

Das Geologische Institut in Graz

Anfang Oktober 1919 trat Schwinner eine Assistentenstelle am Geologischen Institut in Graz an. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits im 42. Lebensjahr.

Bereits im Mai 1919 hielt er einen beachteten Vortrag über Zusammenhänge zwischen Gebirgsbildung und Vulkanismus. Es ist stark anzunehmen, dass er in diesem Vortrag die Ideen seiner zum Druck eingereichten Publikation präsentierte und Konvektionsströmungen innerhalb der „Tektonosphäre“ für gebirgsbildende Prozesse verantwortlich machte. Mit dieser Vorstellung hatte er die treibenden Kräfte für die Drift der Kontinente erkannt!

1923 erhielt Schwinner den Titel eines außerordentlichen Professors; er sollte aber erst 1940, also im Alter von 62 Jahren, von seinen Assistentenverpflichtungen befreit werden. Zu Ende des Jahres 1928 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt.

Im November 1941 betraute der Dekan und Ordinarius für Geographie, Otto Maull, Schwinner mit der Verwaltung des Physikalischen Instituts und der Erdbebenwarte.

Während der Osterfeiertage 1945, als Kanonendonner aus der Oststeiermark zu hören war und in der Grazer Innenstadt Panzerbarrikaden errichtet wurden, verließ Schwinner mit seiner Familie Graz, um vorläufig nach Klagenfurt zu übersiedeln, wo die Universität Graz ein Außeninstitut für Kärntner Landesforschung hatte. Nach Kriegsende kehrte Schwinner nach Graz zurück und übernahm im November 1945 die interimistische Leitung des Instituts für Geologie und Paläontologie. Ende Dezember bekam er ein „Employment-Certificate“ als Geologieprofessor von der englischen Militärregierung ausgestellt. 1946 wurde Schwinner mit Rücksicht auf sein fortgeschrittenes Alter und seinen Gesundheitszustand in den dauernden Ruhestand versetzt.

Am 10. November 1953 verstarb er nach längerem Leiden in Graz.

Wissenschaftliches Œuvre

Robert Schwinners 145 Publikationen spannen den Bogen von tektonischen Fragestellungen über kristallingeologische Untersuchungen, bis hin zu Beiträgen zur Stratigraphie ostalpiner Serien und zu geophysikalischen Arbeiten. Da ihm „geologisches“, wie „geophysikalisches Denken“ geläufig waren, schlug er in vielen Arbeiten die Brücke zwischen beiden Wissenschaften und versuchte „die Herstellung einer fähigeren, sinnvollen Verbindung zwischen geophysikalischer und geologischer Forschung, sowohl in allgemeiner wie in regionaler Hinsicht“. Heute wird Schwinner durch seine Arbeiten im Bereich der physikalischen Geologie als „Vorkämpfer der Plattentektonik“ gesehen.


Weitere Werke: s. Clar; Metz; Flügel; Hubmann - Fritschl; Hubmann.


Literatur (Auswahl): Eberhard Clar, Von Robert Schwinners Beitrag zur Geologie von Kärnten, in: Der Karinthin, 28, 1954, S. 37-41 (mit Werkverzeichnis); Karl Metz, Robert Schwinner, in: Mitteilungen der Geologischen Gesellschaft in Wien 47, 1956, S. 317-320 (mit Bild und Werkverzeichnis); Helmut W. Flügel, A. Wegener – O. Ampferer – R. Schwinner: The First Chapter of the „New Global Tectonic“, in: Earth Sciences History 3/2, 1984, S. 178-186 (mit Bild und Werkverzeichnis); Bernhard Hubmann - Else Fritschl, Robert Schwinner (1878-1953), ein Vorkämpfer der Plattentektonik, 2003 (mit Bild und Werkverzeichnis); Bernhard Hubmann, Robert Schwinners Lehrbuch der Physikalischen Geologie. Band II: Physik der Erdfeste (= Scripta geo-historica 5), 2012 (mit Bild und Werkverzeichnis)

(Bernhard Hubmann)