Wilhelm Czermak (1889–1953) – Pharao „Ramses II.“ aus Wien

Am 13. März 2023 jährt sich zum 70. Mal der Todestag von Wilhelm Czermak, der zwischen 1931 und 1953 maßgeblich die Ausrichtung der Ägyptologie und Afrikanistik an der Universität Wien bestimmte. In jüngster Zeit werden immer mehr Details über weltanschauliche und politische Aspekte seiner Biographie bekannt.

Wilhelm Czermak wurde am 10. September 1889 in Wien in eine Gelehrtenfamilie hineingeboren. Er war der Sohn des Augenarztes Wilhelm Czermak sen. (1856–1906) und der Adelheid Czermak, Tochter des Rechtswissenschaftlers und Herrenhausmitglieds Leopold Pfaff (1837–1914). Czermaks Großvater wiederum war der Psychiater Joseph Czermak (1825–1872), sein Großonkel der Physiologe Johann Nepomuk Czermak (1828–1873) und sein Onkel der Physiker Paul Czermak (1857–1912).

Schüler, Student und Soldat

Nach der Matura am Wiener Schottengymnasium (1907) studierte Czermak an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien indogermanische Sprachwissenschaft, Ägyptologie, Afrikanistik, Semitistik, Arabisch und Geographie Afrikas. Zu seinen Lehrern zählten u. a. Hermann Junker, Rudolf Eugen Geyer, Joseph von Karabaček und Paul Kretschmer. 1911 promovierte er mit einer Dissertation über „Die Nominalform Fu‘lûl im Altarabischen“ im Fach Orientalische und Ägyptische Sprach- und Altertumskunde.

1911 und 1912 war er Einjährig-Freiwilliger im k. u. k. Dragonerregiment Nr. 7. Nach archäologischen Assistenzarbeiten 1912/13 für den Ägyptologen Junker bei den Pyramiden von Gizeh war er im Ersten Weltkrieg in Russland und im osmanischen Vilâyet Aleppo im Militäreinsatz und wurde dafür mehrfach ausgezeichnet.

Habilitation und Professor für Ägyptologie

Auf Basis einer phonetischen Analyse, für die er mit dem jungen katholischen Konvertiten Samuel Fadl el Maula zusammengearbeitet hatte, konnte Czermak erst nach dem Krieg seine Habilitationsschrift „Kordufānnubische Studien“ publizieren (1919). Sein Betreuer Junker bezeichnete das Werk als „wirkliches Kabinettstück philologischer Akribie“, während andere Fachkollegen es scharf kritisierten. Mit seiner Ernennung zum Privatdozenten erhielt Czermak die Lehrbefugnis für „hamito-semitische und afrikanische Sprachen“. Im Jahr 1925 erfolgte seine Bestellung zum außerordentlichen Professor für Afrikanistik.

Das Unterrichtsministerium genehmigte 1923 Hermann Junkers Antrag auf Gründung eines selbstständigen Universitätsinstituts für Ägyptologie und Afrikanistik, für das Räume in der heutigen Albertina zugewiesen wurden. Als Junker 1929 die Stelle des Direktors des Deutschen Archäologischen Instituts in Kairo antrat, schied er als Lehrstuhlinhaber für Ägyptologie in Wien aus. Die Wiederbesetzung der Lehrkanzel erfolgte 1931 mit seinem ehemaligen Studenten und Assistenten Czermak, der bis zu seinem Lebensende 1953 auch Institutsvorstand war.

Die „Wiener Schule der Ägyptologie“

Die Ausrichtung des Instituts unter Czermaks Leitung wird gelegentlich als „Wiener Schule der Ägyptologie“ bezeichnet. Sie soll ganz „‚anders‘ (…) als die Ägyptologie sonst auf der Welt“ gewesen sein, weil sie die „metaphysische“, „nicht irdische“ Ebene mit einschloss, so die spätere Ordinaria Gertrud Thausing in ihren Lebenserinnerungen (1989). Sie bezog sich wohl auch auf die Aktivitäten eines exklusiven Kreises von Ägyptologinnen und Ägyptologen, der sich ab den 1930er-Jahren regelmäßig mit Czermak zur Lektüre und Interpretation des altägyptischen Totenbuches zusammenfand. Das Institut für Ägyptologie und Afrikanistik soll „ganz von [Czermaks] Geist erfüllt“ gewesen sein. Typisch war die Anwendung einer „intuitiven“ Unterrichtsmethode mit „ungewöhnlichen“ Textanalysen unter seiner „behutsamen“ und „anregenden Führung“, die stets das Ziel hatte, zum jeweiligen „Sprachgeist“ oder „Wesenskern“ einer sprachlichen Äußerung vorzudringen.

Ehemalige Studierende erinnerten sich an Czermaks minutiös geplante Vorträge, sein charismatisches Auftreten und seine charakteristische „rauchige Stimme“. Gelegentlich wurde er wegen seiner hageren Statur und auffallenden Physiognomie scherzhaft mit der Mumie von Pharao Ramses II. verglichen.

In seinen Publikationen setzte Czermak Schwerpunkte mit Texten über das „rhythmische Element“, die „Lokalvorstellung“ und den grammatischen Aufbau von Sprachen. Er behandelte aber auch sprach- und völkerpsychologische, sprachphilosophische und kulturhistorische Aspekte sowie Fragen zur altägyptischen Religion.

Antisemitische Netzwerke

Czermak gehörte mehreren wissenschaftlichen Institutionen an, wie beispielsweise der Anthropologischen Gesellschaft in Wien oder dem International African Institute in London, agierte aber auch in (hochschul)politischen und antisemitischen Netzwerken. So war er etwa Profiteur und Akteur in jener geheim operierenden Clique aus christlichsozialen, deutschnationalen und antisemitischen Professoren der Philosophischen Fakultät der Universität Wien, die ab den 1920er-Jahren unter dem Decknamen „Bärenhöhle“ zum eigenen Vorteil Habilitationen und Berufungen jüdischer und linker Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verhinderte. Im Geheimbund „Deutsche Gemeinschaft“ (1919–1930) sowie im „Deutschen Klub“ (1908–1939), dem bedeutendsten parapolitischen Verein im Zusammenhang mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, engagierte sich Czermak ebenfalls. Außerdem leitete er zwischen 1927 und ca. 1930 die „Akademische Legion“, den Wehrverband der Wiener Hochschüler, in deren Verein nur „Jung- und Altakademiker deutscharischer Abstammung“ als Mitglieder zugelassen waren.

Zweiter Weltkrieg

Als Professor legte Czermak 1938 den obligatorischen Eid auf Adolf Hitler ab. Wenngleich er selbst nie Mitglied der NSDAP war, hatte er einflussreiche Nationalsozialisten in seinem Kollegen-, Freundes- und Verwandtenkreis. Sie konnten die Zweifel über seine politische Zuverlässigkeit für das neue Regime erfolgreich ausräumen. Er behielt seine Stelle als Hochschullehrer.

Die Österreichische Akademie der Wissenschaften nahm Czermak 1939 unter der Leitung ihres Präsidenten Heinrich Srbik, einem einstigen Mitglied der „Bärenhöhle“ und des Deutschen Klubs, als korrespondierendes Mitglied im Inland auf.

Zur Löschung von Czermaks Namen aus der sogenannten Gegner-Kartei der NSDAP (1942) dürfte sein Engagement im Kontext von nationalsozialistischen Kolonialplänen beigetragen haben. Darunter fielen die Organisation von Lehrgängen in afrikanischen Sprachen für Offiziere und Wachtmeister der Ordnungspolizei an seinem Institut (1940/41), die Teilnahme an kolonialwissenschaftlichen Tagungen in Berlin und Leipzig und die Mitwirkung bei der Formulierung einer Stellungnahme für die Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e.V. der SS an den Reichsforschungsrat zum möglichen Einsatz von einschlägig spezialisierten Wissenschaftlern nach der geplanten Rückeroberung von deutschen Kolonien in Afrika.

Erster Dekan der wiedereröffneten Universität Wien

Am 8. Mai 1945 endete mit der vollständigen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht auch in Österreich offiziell der Zweite Weltkrieg. Schon am 15. April 1945 hatte Czermak mit fünf weiteren Mitgliedern des Lehrkörpers an einer Sitzung zur Wiedereröffnung der Universität Wien teilgenommen, die der erst 22-jährige Orientalist und spätere Doyen der österreichischen Judaistik Kurt Schubert als selbsternannter „Studentenrektor“ einberufen hatte.

Diese Sitzung fand am Institut für Ägyptologie und Afrikanistik in der Frankgasse 1 im neunten Wiener Gemeindebezirk statt, woran noch heute eine 1995 am Gebäude angebrachte Gedenktafel erinnert. Auf die zahlreichen Vertreibungen von Lehrenden und Studierenden von der Universität Wien wird dort ebenso wenig hingewiesen wie auf Czermaks antisemitische Aktivitäten bereits vor dem Krieg und die Tatsache, dass die Wiedereröffnung der Universität in einer „arisierten“ Wohnung des emigrierten Malers Armin Horovitz und dessen Frau stattfand, in der das Institut für Ägyptologie zwischen 1939 und 2014 untergebracht war.

Noch im April 1945 wurde Czermak zum Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Wien gewählt, eine Funktion, die er bis zum Studienjahr 1946/47 ausübte. Im Oktober 1945 erfolgte seine Wahl zum wirklichen Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Tod an der Spitze der akademischen Pyramide

Mit seiner Wahl zum Rektor der Universität Wien für das Studienjahr 1952/53 stand Wilhelm Czermak schließlich im Zenit seines Ruhms. Doch nur wenige Monate nach seiner Inauguration wurde im großen Festsaal der Universität Wien sein Leichnam aufgebahrt: Er war am 13. März 1953 unmittelbar nach der Abhaltung einer Promotion in seinem Amtszimmer an der Universität zusammengebrochen und erlag vor Ort einem Herzinfarkt. Den Sarg flankierten nichtfarbentragende Studenten und chargierte Totenwachen der Katholischen akademischen Verbindung Bajuvaria, deren Ehrenmitglied Czermak war – unter dem Couleurnamen „Cheops“ ...


Weitere Werke: Kordofan-Texte (gemeinsam mit H. Junker), 1913; Parallelerscheinungen im Nubischen und Türkischen, in: Anthropos 16/17, 1921/22; Zur Phonetik des Somali, in: Wiener Zeitschrift für die Kunde des Morgenlandes 31, 1924; Zur Sprache der Ewe-Neger, 1924; Sprechcharakter und Rassenseele, in: Wiener Medizinische Wochenschrift 35, 1926; Die Lokalvorstellung und ihre Bedeutung für den grammatischen Aufbau afrikanischer Sprachen, in: Festschrift Meinhof. Sprachwissenschaftliche und andere Studien, ed. F. Boas, 1927; Die Laute der ägyptischen Sprache, 2 Teile, 1931–34; Vom Sinn der vokallosen Schriften, in: Die Sprache 1, 1949; Über den „Monolog des Urgottes“ in einem Kapitel über die Weltschöpfung im altägyptischen „Totenbuch“. Inaugurationsvortrag, gehalten am 27. November 1952, 1952.


Literatur: G. Thausing, Tarudet, 1989, passim; G. Krotkoff, in: Essays in Egyptology in honor of Hans Goedicke, ed B. M. Bryan u. a., 1994, S. 125ff.; H. Jungraithmayr, in: Paideuma 52, 2006, S. 7ff; K. Schubert, Erlebte Geschichte, 2007; C. Gütl, in: 650 Jahre Universität Wien 4, ed K. A. Fröschl u. a., 2015, S. 501ff.; C. Gütl, Hermann Junker. Eine Spurensuche im Schatten der österreichischen Ägyptologie und Afrikanistik, 2017, passim; A. Huber u. a., Der Deutsche Klub, 2020, s. Reg; Alservorstadtpfarre, Wien.

(Clemens Gütl)

Wir danken dem Archiv der Universität Wien, dem Bildarchiv Austria sowie dem KHM-Museumsverband für die kostenlose Bereitstellung des Bildmaterials.