Hugo Steiner (1878–1969) – ein Leben für Esperanto

Am 1. August 2019 vor 90 Jahren wurde das Esperantomuseum als Teil der Österreichischen Nationalbibliothek feierlich eröffnet, eines der ältesten Sprachmuseen überhaupt und die bedeutendste Einrichtung ihrer Art weltweit. An das Museum angeschlossen ist die Sammlung für Plansprachen, die u. a. eine reichhaltige Fachbibliothek zu rund 500 verschiedenen Plansprachenprojekten umfasst. Die Geschichte des Museums ist auf das Engste mit Hugo Steiner verknüpft, einem der bedeutendsten österreichischen Esperantisten, dessen Todestag sich ebenfalls am 1. August zum 50. Mal jährt.

Hugo Steiner wurde am 26. Februar 1878 im niederösterreichischen Retz als jüngster Spross in eine kinderreiche Kaufmannsfamilie hineingeboren. Sein Vater Leopold stammte ursprünglich aus Böhmen und hatte die Retzerin Karoline Singer geheiratet. Nach Besuch der Volksschule und des Untergymnasiums absolvierte Steiner in Linz die Handelsakademie. Nach seinem Militärdienst hielt er sich ein halbes Jahr in London auf, um Englisch zu lernen, kehrte anlässlich des Todes seines Vaters 1898 jedoch nach Österreich zurück. Noch im selben Jahr trat er als sog. Eleve in den Dienst der Kaiser Ferdinands-Nordbahn. An seinem Dienstort Oderberg (tschechisch Bohumín) lernte er seine Frau kennen, die er 1907 heiratete und mit der er zwei Söhne hatte. Nach der Familiengründung übersiedelte Steiner 1911 nach Bisamberg, wo er für den den Rest seines Lebens wohnte. Seinen Lebensunterhalt als Bahnbeamter bestreitend, begann er sich um diese Zeit für die Plansprache Esperanto zu interessieren, eine Beschäftigung, die für sein weiteres Leben eine zentrale Rolle spielen würde. Die sog. Welthilfssprache Esperanto, 1887 von dem Warschauer Augenarzt Ludwig Zamenhof begründet, war rund um den Globus gerade stark im Aufschwung begriffen. Auf dem 8. Esperanto-Weltkongress in Krakau 1912 lernte Steiner den Initiator der Plansprache noch persönlich kennen. Ab 1913 hielt Steiner selbst Esperantokurse ab, im folgenden Jahr gründete er eine Esperanto-Gruppe in Korneuburg.

Aŭstrio – Eldorado de esperantistoj

Der 1. Weltkrieg hemmte die Esperantobewegung nur vorübergehend. Schließlich war sie ja auch ein Stück weit Friedensprojekt, die Plansprache sollte zur Völkerverständigung beitragen. Nicht von ungefähr hatten sich auch die beiden Friedensnobelpreisträger Bertha von Suttner und Alfred Hermann Fried dafür starkgemacht. 1923 gründete Steiner die Zeitschrift „Aŭstria Esperantisto“, die er über viele Jahre redigierte. Im selben Jahr ließ er sich mit verringerter Pension als Oberinspektor der Bundesbahnen in den Ruhestand versetzen, um sich ganz seiner Passion widmen zu können. Ab 1924 stand er der österreichischen Esperanto-Landesorganisation, die später den Namen „Österreichischer Esperantobund“ trug, vor. Nicht zuletzt seinem Engagement ist es zu verdanken, dass sich Österreich in der Zwischenkriegszeit zu einem wahren Eldorado für Esperantisten entwickelte. Esperantokurse wurden über den Rundfunk ausgestrahlt und in Tageszeitungen abgedruckt, daneben gab es eigenen Unterricht in der Plansprache für Bahn- und Postbedienstete sowie für Polizisten und Gendarmen. Das Symbol der Esperantisten, der grüne Stern, durfte offiziell auf Uniformen getragen werden und ab Mitte der 1920er-Jahre wurde Esperanto sogar als Wahlfach an Schulen angeboten. Esperantisten traf man in den unterschiedlichsten weltanschaulichen Gruppierungen an. Der spätere Bundespräsident Franz Jonas etwa redigierte ab 1926 die sozialdemokratische Esperanto-Zeitschrift „La Socialisto“, auch die Eltern seines späteren Amtskollegen Heinz Fischer hatten sich bei einem Esperantokurs kennengelernt. Im rechten politischen Spektrum wiederum war es beispielsweise Johann Schober, in mehreren Regierungen Minister und zweimal Bundeskanzler, der sich in der Esperantobewegung engagierte und dem 7. Österreichischen Esperantokongress 1927 präsidierte. Und bereits 1924 hatte Kardinal Piffl den in Wien stattfindenden Internationalen Katholischen Esperantokongress mit seiner Anwesenheit beehrt.

Mehr als ein Museum: Steiner und das „Internacia Esperanto-Muzeo“

Auf dem 19. Weltkongress 1927 in Danzig wurde von Felix Zamenhof, dem Bruder des Esperanto-Begründers, angeregt, eine zentrale Esperanto-Bibliothek einzurichten. Steiner nahm die Anregung sogleich auf und erwirkte, nicht zuletzt auf Grund seiner guten Kontakte zu einflussreichen Persönlichkeiten wie dem damaligen Bundeskanzler Ignaz Seipel, die Bereitstellung von Räumlichkeiten für das Projekt. Die im Entstehen begriffene Sammlung wurde zuerst im Keller des Landwirtschaftsministeriums in der Liebiggasse untergebracht, 1928 übersiedelte sie in ehemalige Stallungen im damaligen Rechnungshofgebäude in der Annagasse. Im Jahr darauf übernahm schließlich die Nationalbibliothek die Sammlung als Sonderbestand und am 1. August 1929 wurde unter Anwesenheit von viel Prominenz im Prunksaal der Nationalbibliothek das Internationale Esperantomuseum eröffnet. Zuerst im sog. Augustinerstöckl der Hofburg untergebracht, erfolgte 1930 die Übersiedlung in großzügigere Räumlichkeiten im zweiten Geschoß der Neuen Burg. Die Bezeichnung „Museum“, die die neu gegründete Einrichtung führte, ist eigentlich missverständlich, denn nach Steiners Konzept sollte es sich um ein umfangreiches Dokumentationszentrum mit Bibliothek und Archiv handeln, als Grundlage für die Erforschung von Geschichte und Verbreitung des Esperanto und weiterer Plansprachen. Anlässlich der Eröffnung des Museums wurde Steiner zum Regierungsrat ernannt, 1935 erfolgte die Verleihung des Hofratstitels. Einen weiteren Höhepunkt in seinem Wirken stellte der 28. Esperanto-Weltkongress dar, der im August 1936 in Wien über die Bühne ging. Zum umfangreichen Rahmenprogramm gehörte u. a. eine Aufführung der Operette „Im weißen Rössl“ auf Esperanto („La blanka ĉevaleto“) sowie eine Österreich-Rundreise, das betreffende Plakat versprach neĝkovritaj montoj (schneebedeckte Berge) und bluaj alpolagoj (blaue Alpenseen).

Verbot und Neubeginn

Während unter dem Stalinismus in der UdSSR die Esperantobewegung zwar nicht verboten war, zahlreiche Esperantisten jedoch im Lager endeten oder ermordet wurden, stand das nationalsozialistische Deutschland dem als „Judensprache“ diffamierten Esperanto auch offiziell feindlich gegenüber. 1936 erfolgte die Auflösung der betreffenden Verbände. Unmittelbar nach dem „Anschluss“ von 1938 wurde das Wiener Esperantomuseum geschlossen und sein Vermögen beschlagnahmt, auch die Einlaufbücher und der Zettelkatalog wurden konfisziert. Eigentlich plante das Reichssicherheitshauptamt, das Material nach Berlin abzutransportieren, doch legte sich dagegen der kommissarische Leiter der Nationalbibliothek, Paul Heigl, quer. Der Bestand überdauerte so, in Kisten verpackt, den Weltkrieg unbeschadet in einem Keller der Hofburg. Die Gestapo durchsuchte Steiners Haus in Bisamberg und nahm ihn selbst in eine zweimonatige „Schutzhaft“. Steiners Herkunftsfamilie war jüdisch, er selbst jedoch 1903 in Brünn zum Katholizismus konvertiert. Wie er einer massiveren weiteren Verfolgung durch die Nationalsozialisten entging, ist nicht restlos geklärt. Bis Kriegsende stand er offenbar unter Gestapo-Beobachtung. Schreckliche Gewissheit ist jedenfalls, dass zwei seiner Schwestern von den Nationalsozialisten ermordet wurden, eine weitere überlebte Theresienstadt. Auch seine beiden Mitarbeiter im Museum, Hugo Maier und Gustav Weber, fielen dem Nazi-Regime zum Opfer.

Nach Kriegsende setzte sich Steiner umgehend für die von den Nationalsozialisten weggesperrte Sammlung sowie die Wiedereröffnung des Museums ein. Nach Vorsprache bei Bundeskanzler Leopold Figl bekam er im 3. Stock des Michaelertrakts der Hofburg drei Räume zugewiesen, die allerdings erst saniert werden mussten. Auch deshalb dauerte es noch eine Weile, bis das Museum 1947 erneut seine Pforten öffnete. In den folgenden Jahren arbeitete Steiner rastlos an der Katalogisierung der stetig wachsenden Sammlung. 1958 erhielt das Museum, das bis dahin nur ehrenamtlich bzw. auf Werkvertragsbasis betreut wurde, einen Planposten seitens der Nationalbibliothek zugewiesen, was eine erhebliche Verbesserung darstellte. Steiner, der auch mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet wurde, war bis wenige Monate vor seinem Tod für „sein“ Museum tätig. Zudem verfasste er ab den 1920er-Jahren, neben seiner Mitarbeit an mehreren Periodika, eine Fülle von Büchern, darunter Esperanto-Lehr- und Wörterbücher sowie Reiseführer auf Esperanto, und gestaltete einschlägige Radiosendungen. Beeindruckend ist auch die Liste der von ihm in die Plansprache übertragenen Werke, darunter Johann Nestroys „Frühere Verhältnisse“ oder Otto Habsburgs „Gedanken zur Staatsform“. Hugo Steiner verstarb hochbetagt am 1. August 1969 im Krankenhaus von Korneuburg. Als er wenige Tage später auf dem städtischen Friedhof beigesetzt wurde, hielt der Präsident des Österreichischen Esperantobunds, Emil Vokal, seine Grabrede auf Esperanto, und auf den Schleifen des Kranzes, den das Esperantomuseum gestiftet hatte, entbot ihm die Einrichtung, die sein Lebenswerk darstellte, letzte Grüße – „Lastajn salutojn“ – in seiner Herzenssprache.


Werke (Auswahl): Taschenwörterbuch Deutsch-Esperanto. Enthaltend über 6000 Wörter, (ca. 1945); Esperanto-Schlüssel, 1946; Freude durch Esperanto! Ein Lehrgang für Kurse, den Rundfunk und Selbstunterricht, 1946; Österreich 950 Jahre, 1946; Esperanto-Fernkurs. In 15 Wochenbriefen, (1948); Katalogo pri la kolektoj de Internacia Esperanto-Muzeo en Wien, 2 Bde., 1957–58; Südtirol im Jahre 1960, 1960; Alfabeta katalogo pri la kolektoj de Internacia Esperanto-Muzeo en Wien, 2 Bde., 1969–75.


Literatur: J. Ulrich, Hofrat Hugo Steiner 1878–1969, 2003 (mit Bild); Ch. Köstner, in: Language Problems and Language Planning 29, 2005, S. 177ff.; B. Tuider, in: Jahrbuch der Gesellschaft für Interlinguistik 2018, 2018, S. 133ff.; B. Tuider, in: Forschungsblog der Österreichischen Nationalbibliothek (Eintrag vom 25. 7. 2019); Sammlung für Plansprachen der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien; Římskokatolická farnost u kostela sv. Jakuba v Brně (matriky), Moravský zemský archiv, Brno (CZ); Mitteilung B. Tuider, Wien.

(Hubert Bergmann)

Der Autor bedankt sich bei Bernhard Tuider vom Esperantomuseum der Österreichischen Nationalbibliothek für die Unterstützung bei den Recherchen zu diesem Beitrag. Dem Bildarchiv Austria danken wir für die Bereitstellung von Bildmaterial.