Teresa Feodorowna Ries ergriff den „unweiblichen“ Beruf einer Bildhauerin und avancierte zur beliebten Porträtistin der Wiener Gesellschaft. Sie starb vergessen im Exil in der Schweiz.
Teresa Feodorowna Ries wurde am 30. Jänner 1866 in Budapest in eine wohlhabende jüdische Familie geboren. Ihr Geburtsjahr wird auch mit 1874 (sogar 1878) angegeben, was das Bild der jugendlichen, frühreifen Künstlerin bekräftigt, das sie von sich zeichnet. Ihre Eltern waren der Chemiker Gutman Ries, Privilegieninhaber für Pestizide und russischer Hoflieferant, und Bertha Ries, geb. Stern. Das Paar hatte noch vier Söhne, Wilhelm, Louis, Simeon und Julius.
Die Familie zog nach Moskau, als Teresa noch ein Kind war; sie besuchte dort ein Mädchenpensionat. In ihrer 1928 erschienenen, mit zahlreichen Topoi der Künstlerlegende gespickten Autobiografie „Die Sprache des Steines“ erzählt sie, wie sie sich im Zuge der Vorbereitung auf die Ehe beim Kneten des Teiges ihrer künstlerischen Begabung bewusst wurde.
1885 heiratete sie im Wiener Tempel den Prager Bierbrauer Ottokar Löwit, doch hielt diese Ehe nicht lange. Nach dem Tod eines Kindes kehrte Ries schließlich in ihr Elternhaus zurück.
Als junge Frau habe sie sich, wie sie erzählt, die Aufnahme an der Moskauer Kunstakademie mit einem Porträt, das ein Maler von ihrer Großmutter angefertigt hatte, erschwindelt. Tatsächlich studierte sie 1890/91 an der Moskauer Schule für Malerei, Bildhauerei und Architektur. Als sie das Studium aus disziplinären Gründen abbrechen musste – sie sei den Professoren „über den Kopf gewachsen“ –, arbeitete sie im Haus der Eltern weiter, wo ihre erste Skulptur, „Die Somnambule“, entstand.
1893 oder 1894 zog die Familie nach Wien. Im Juli 1894 eröffnete Gutman Ries in der Großen Neugasse im 4. Bezirk ein Zweiglaboratorium zur Herstellung seiner international bekannten „russischen kosmetischen Spezialitäten“. Die Adresse war zugleich die Wohnadresse; ab 1896 lebte die Familie in der Laurenzgasse 3 im 5. Bezirk.
Ries blieb die Aufnahme an die Akademie der bildenden Künste Wien verwehrt, da Frauen erst ab 1920/21 zum Studium zugelassen waren. Und so nahm sie der Akademieprofessor Edmund von Hellmer – ein wenig widerwillig – als Privatschülerin auf. Als Unterrichts- und Arbeitsort wurden Ries Räume im Souterrain der Akademie am Schillerplatz zugewiesen (die Bildhauerateliers befanden sich damals nahe dem Oberen Belvedere). In der Folge unterstützte Ries ihren Lehrer bei seinen Aufträgen und arbeitete auch selbstständig.
1891–1896 war Ries einige Male auf Ausstellungen der Moskauer Gesellschaft der Kunstliebhaber vertreten, bei der Künstlerhaus-Ausstellung 1896 in Wien zeigte sie ihre Skulptur „Hexe, Toilette machend zur Walpurgisnacht“. Angeregt zu dieser Arbeit wurde sie, wie sie erzählt, als sie, durch die Betrachtung von Abgüssen antiker Hände und Füße euphorisiert, über einen Besen stolperte.
Die kauernde Frauenfigur, die sich mit einer Schere die Fußnägel schneidet und deren Geschlechtsmerkmale und dämonisch-spitze Ohren durch das offene Haar kaum verdeckt sind, erregte nicht nur aufgrund der Nacktheit, sondern auch wegen des ungewohnten Themas und weil die Bildhauerei als einer Frau höchst unangemessene Kunst galt, großes Aufsehen. Ries erlangte durch diese Skulptur rasch Bekanntheit und damit ein Eintrittsbillett in die gehobene Gesellschaft.
1899–1905 war Ries auch in der Secession vertreten (etwa 1899 mit einer Büste Hellmers und 1900 mit „Der Kuss“). 1900 nahm sie mit der Gruppe „Die Unbesiegbaren“ an der Pariser Weltausstellung teil. Ihr Lehrer Hellmer erhielt dort für seine „Lampenträgerin“, die laut Ries von ihr ausgeführt worden war, die Grande Medaille d’Or. In Paris lernte sie Auguste Rodin kennen und bestritt in den Folgejahren einige Ausstellungen im Rahmen der von ihr 1901 mitbegründeten Gruppe Acht Künstlerinnen.
1903 und 1910 war sie bei der Internationalen Kunstausstellung in Venedig (der heutigen Biennale) vertreten, 1908 im Münchner Glaspalast („Lachende Frau“, Grabmal Strauss). Bei der Internationalen Kunstausstellung in Rom 1911 waren die „Unbesiegbaren“ zunächst im russischen, die „Eva“ im österreichischen Pavillon aufgestellt. Da jeder Künstler nur ein Land repräsentieren konnte, zog sie die „Unbesiegbaren“ jedoch zurück; warum auch die „Eva“ nicht gezeigt wurde, ist unklar. 1913 präsentierte sie bei der Internationalen Frauenkunst-Ausstellung in Turin die Porträtbüste eines russischen Aristokraten.
Ries, die noch um die Jahrhundertwende als jugendliche russische oder österreichische Bildhauerin gehandelt wurde, erhielt etliche Ehrungen und Preise, etwa 1897 die Karl-Ludwig-Medaille für „Luzifer“, den Titel Officier de l’Académie für die 1900 in Paris gezeigten „Unbesiegbaren“ und 1907 auf Empfehlung des Direktors des Archivio di Stato di Venezia Carlo Malagola die Mitgliedschaft der Accademia di Belle Arti Ravenna.
1897 machte sich Ries, wie sie schreibt auf Anraten Hellmers, mit einem eigenen Atelier selbstständig. In der Salmgasse 8 in Wien-Landstraße hielt sie jeden Sonntag „zwischen halb 12 und halb 2“ Jour (diese Sitte habe sie aus Paris importiert, wie die Medien schrieben). Hier ging die Wiener Gesellschaft ein und aus, Minister, Adelige, aber auch ausländische Berühmtheiten ließen sich von ihr porträtieren, etwa 1898 Mark Twain. Eine Begegnung mit Theodor Herzl beeindruckte sie tief. Eng verbunden war sie mit der Familie des Forschers und Mitbegründers der Wiener Freiwilligen Rettungsgesellschaft Johann Nepomuk Graf Wilczek. Seine Töchter porträtierte sie 1897, ihn selbst 1901/02.
Ihr großbürgerlicher Hintergrund ermöglichte ihr auch eine rege Reisetätigkeit: Über Jahre scheint sie etwa mit ihren Eltern bzw. der Mutter (ihr Vater starb 1903) in den Karlsbader Kurlisten auf. Häufig fuhr sie an den Lido di Venezia, wo sie, wie in Karlsbad, Porträtbüsten fertigte. 1900 begleitete sie ihre Eltern nach Moskau und reiste von dort, was für eine Frau sehr mutig war, ohne Begleitung mit der Transsibirischen Eisenbahn an den Baikalsee.
Danach beteiligte sie sich an einem Wettbewerb für die Marinekirche Madonna del Mare in Pola (Pula), wo 1904 ihre „Heilige Barbara“ (für die Elisabeth Gräfin Kinsky-Wilczek Modell gestanden hatte) über dem Portal der Kirche angebracht wurde. Dank der Fürsprache Graf Wilczeks konnte sie 1906 ihr Atelier in ein Nebengebäude des Gartenpalais Liechtenstein im 9. Bezirk verlegen, der „Jour“ zog mit.
Neben der Tätigkeit als Bildhauerin und der Teilnahme an Ausstellungen widmete sie sich vermehrt der Malerei und unterrichtete Schülerinnen, von denen bislang nur Elisabeth Bachofen-Echt identifiziert werden konnte.
1912/13 schuf sie für die Wiener Börse das Auftragswerk „Die Textilindustrie“ (zerstört beim Brand 1956) und andere Arbeiten, deren Verbleib unbekannt ist. Der Zenit ihres Schaffens war in diesen Jahren bereits überschritten und sie schien nun hauptsächlich in den Gesellschaftskolumnen der zeitgenössischen Medien auf. Den Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebte sie, gesundheitlich angeschlagen, in Venedig.
Die Kriegsjahre verbrachte sie mit ihrer Mutter in der Schweiz, wo sie schriftstellerisch tätig wurde.
Nach ihrer Rückkehr nach Wien 1920 gerieten die beiden Frauen jedoch in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Das Familienvermögen war infolge der Russischen Revolution verloren gegangen, Privataufträge gab es kaum, und Aufträge der öffentlichen Hand waren für Frauen schon vor dem Krieg kaum zu bekommen gewesen.
1921 schenkte Ries ihre Werke dem jüdischen Nationalmuseum in Palästina, bis zur Abholung sollte alles in ihrem Atelier bleiben (das diesbezügliche Schriftstück ist Teil ihres Nachlasses, der 2018 in Monaco versteigert wurde). In den 1930er-Jahren gestartete Versuche, die Werke auszuführen, scheiterten an den Transportkosten.
Einer der wenigen Aufträge, die Ries in den 1920er-Jahren erhielt, mündete in einen Gerichtsprozess, die Entschädigungszahlungen sicherten ihr zwei Jahre den Unterhalt. Trotz der schwierigen Lage nahm die Künstlerin weiter an Ausstellungen teil (1925 Hagenbund, mit Gemälden) und veranstaltete zu ihrem 25-jährigen Künstlerjubiläum 1926 ein Fest. 1928 kaufte die Stadt Wien ihre „Unbesiegbaren“ an, was sie für längere Zeit von finanziellen Sorgen befreite; die Gruppe wurde im Kongresspark aufgestellt. Im selben Jahr erschienen ihr heute nicht mehr auffindbares Buch „Die ewige Kunst“ und ihre Autobiografie „Die Sprache des Steines“. 1928 veranstaltete sie ein Atelierfest anlässlich ihres „50. [!] Geburtstags“.
1931 unternahm sie einen Versuch, ihre Lehrtätigkeit wieder aufzunehmen: Sie schlug dem Rektor der Akademie der bildenden Künste in Wien Clemens Holzmeister einen Aktkurs für Frauen und Mädchen unter ihrer Leitung vor. Auf dieses Angebot erhielt Teresa „Teodorowna“ (so ihr Name in den Akten) Ries jedoch nie eine Antwort.
1938 musste sie eine Vermögenserklärung abgeben; im selben Jahr quartierte sich in ihrem Atelier eine SS‑Einheit ein und beschädigte ihre Werke. Versuche, diese nach Jerusalem zu bringen, scheiterten erneut an den Transportkosten. Im Juli 1939 suchte Ries erfolglos um Ausfuhr ihres Besitzes aus der Wohnung in der Laurenzgasse und aus dem Atelier an. Ab Oktober 1939 war sie in der Köstlergasse 10 im 6. Bezirk gemeldet, 1940 änderte sie ihren Namen in Löwitowa. Im April 1941 verfasste sie ein Testament, in dem sie festhielt, dass ihr künstlerischer Nachlass nach Palästina gehen sollte und im August des Jahres gelang ihr dank der Intervention des Schweizer Diplomaten Fritz Hunziker die Flucht vor den Nationalsozialisten nach Lugano in die Schweiz. Ihr Vermögen verfiel „zugunsten des Deutschen Reiches“.
1943 wurde das Atelier im Palais Liechtenstein geräumt und von der Luftschutzpolizei beansprucht. Ihre Werke übernahm der Architekt Rudolf Potz, der im 3. Bezirk einen Steinmetzbetrieb unterhielt. Die Skulpturen brachte er auf sein Werksgelände, wo sie 1944 durch einen Bombentreffer beschädigt wurden. Etliche Gipsmodelle landeten auf dem Schuttplatz.
Ab 1946 versuchte Ries von Lugano aus, Informationen über den Verbleib ihrer Kunstwerke zu erhalten, und ließ ihre ehemalige Haushälterin Adele Milde diesbezüglich in Wien recherchieren. Bereits 1946 überließ sie die noch vorhandenen Werke den Städtischen Sammlungen der Stadt Wien (heute Wien Museum), wohin diese bis 1949 verbracht wurden.
Das Atelier in der Liechtensteinstraße war 1945 vom Bildhauer Gustinus Ambrosi bezogen worden. Als Adele Milde 1949 davon erfuhr, nahm sie Kontakt zu ihm auf, doch er lehnte es ab, sie zu empfangen und ihr die verbliebenen Gegenstände zu übergeben.
Vermutlich 1951 übersandte Ries über 30 Fotografien ihrer Werke an die Akademie der bildenden Künste Wien. Sie habe dies, wie sie Fritz Hunziker schrieb, aus „demselben Grund“ getan wie ihr langjähriger Freund, der Bildhauer Ivan Meštrović, der 1951 Ehrenmitglied der Akademie wurde. Es kann vermutet werden, dass sie die Ehrenmitgliedschaft anstrebte. Wieder würdigte die Akademie sie keiner Antwort.
Am 16. Juli 1956 verstarb Teresa Feodorowna Ries als Teresa Loevitowa in Lugano.
1964 nahm das Museum der Stadt Wien Nachforschungen bezüglich der Erben auf: Ries’ Nichte Olga Ries verstarb 1967 noch vor Ende der Verhandlungen, ihrem Mann wurden die Gemälde bis auf ein Selbstporträt zugestellt, die Skulpturen „Somnambule“, „Hexe“, „Eva“ und „Porträt Maria Trebitsch“ blieben in Wien.
Die „Somnambule“ und die „Hexe“ wurden 1974 anlässlich der Wiener Internationalen Gartenschau in Oberlaa aufgestellt und einige Jahre später durch Vandalismus beschädigt. Durch den Erwerb des Nachlasses 2018 angeregte private Forschungen veranlassten die Wiener Restitutionskommission dazu, sich mit diesen Werken zu befassen; Ende 2023 wurde eine Einigung zugunsten des Wien Museums getroffen, die jedoch von verschiedenen Seiten in Zweifel gezogen wird.
2023 verlieh ihr die Akademie der bildenden Künste Wien posthum die Ehrenmitgliedschaft. Im selben Jahr wurde die „Hexe“, die ihr Ohr und die Hand zurückbekommen hatte, im neu eröffneten Wien Museum aufgestellt.
Weitere Werke: Publ.: Die Sprache des Steines, 1928
L.: S. Plakolm-Forsthuber, Künstlerinnen in Österreich 1897–1938, 1994; A. Raev, Russische Künstlerinnen der Moderne (1870–1930), 2002, S. 216ff.; S. Plakolm-Forsthuber, Zur Emigration bildender Künstlerinnen aus Österreich, in: Frauen im Exil, ed. S. Bolbecher, 2007, S. 52ff.; S. Fellner, „Schade, daß sie in dem Wahne lebt, Männerarbeit tun zu wollen, dafür ist sie nicht geboren.“ Teresa Feodorowna Ries, in: Die bessere Hälfte. Jüdische Künstlerinnen bis 1938, ed. A. Winklbauer – S. Fellner, Wien 2016 (Kat.); V. Habsburg, The Sculptor Teresa Feodorowna Ries and Her Private Archive, in: Sztuka i Dokumentacja nr 21, 2019, S. 133ff.; S. Schmidt, Die Bildhauerin und Malerin Teresa Feodorowna Ries (1866–1956). Jugendliches Ausnahmetalent oder geniale Selbstdarstellerin?, Masterarbeit Wien, 2021; Thomas Trenkler, Artikelserie im Kurier, 17., 21., 31.12.2023; https://scoala-de-arte.livejournal.com/3873.html; TRF Archives (Valerie Habsburg); https://www.kunstdatenbank.at/files/content/kunstrestitution/restitutionsberichte/Restitutionsbericht_2019%283%29.pdf; https://www.wienmuseum.at/items/uploads/items/Restitutionsbericht_2021.pdf; https://www.wienmuseum.at/items/uploads/items/Restitutionsbericht%202022.pdf; www.akbild.ac.at; https://www.oeaw.ac.at/phonogrammarchiv/detail/die-bildhauerin-im-stimmportraet; Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien, Archiv des Bundesdenkmalamts, IKG, Wien Museum, Wiener Stadt- und Landesarchiv, alle Wien; Jüdische Kultusgemeinde Budapest; Archiv des Präsidiums der Russischen Akademie der Künste; Russisches Staatsarchiv für Literatur und Kunst, Circondario dello Stato Civile di Lugano, No. 167 (Sterberegister); Archivio dell'Accademia di Belle Arti di Ravenna.
(Ulrike Hirhager)
Wir danken dem TFR Archive, dem Wien Museum und der Akademie der bildenden Künste Wien für die kostenlose Bereitstellung des Bildmaterials.