SCHRIFTSTELLERIN TROTZ ALLEDEM: MARIE VON EBNER-ESCHENBACH (1830–1916)

Auf den 13. September 2020 fällt die 190. Wiederkehr des Geburtstags von Marie von Ebner-Eschenbach. Die bekannteste deutschsprachige Schriftstellerin in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kämpfte für sich gegen gesellschaftliche, in ihrem Werk gegen soziale Barrieren.

EINE KINDHEIT IM SCHLOSS

Das Heranwachsen der am 13. September 1830 geborenen Marie Dubský hat sie selbst in dem 1906 erschienenen autobiographischen Band „Meine Kinderjahre“ geschildert. Geboren als Tochter des Franz Dubský Freiherrn von Třebomyslic (1784–1873) im mährischen Zdislavice, war ihre Kindheit und Jugend von einer extremen Divergenz zwischen Privilegierung und Benachteiligung gekennzeichnet: Wurden die „Komtessen“ – Schwester Friederike war um ein Jahr älter – auch von Geistlichen, französischen Gouvernanten, Hauslehrern und Tanzmeistern angeleitet, sah ihre Erziehung keinesfalls eine intellektuelle Schulung und noch viel weniger die Vorbereitung auf eine systematische Ausbildung vor. Der Vater, einem böhmischen Adelsgeschlecht entstammend und 1843 gegraft, wird bei allem töchterlichen Respekt als strenger Patriarch beschrieben. Die Mutter, Marie Freiin von Vockel (1801–1830), zu deren Mitgift das Gut Zdislavice gehörte, war seine zweite Frau; sie starb kaum drei Wochen nach Marie Dubskýs Geburt. Aus den beiden weiteren Ehen des Vaters gingen fünf jüngere Geschwister hervor, darunter die Brüder Adolph, Victor und Heinrich, die von der vielseitig interessierten und phantasiebegabten Marie Dubský glühend um ihre schulischen Bildungsmöglichkeiten beneidet wurden. Ihr blieb eine autodidaktische Beschäftigung mit Büchern und mit dem Theater: Im Winter wechselte man den Wohnsitz und bezog das „Drei-Raben-Haus“ am Wiener Rabensteig. Die Besuche im Hofburgtheater hat Marie von Ebner-Eschenbach als „‚klassische“ Erziehung und Quelle der Inspiration geschildert.

EHEFRAU UND DRAMATIKERIN?

Erste schriftstellerische Versuche wurden von der Familie misstrauisch beäugt; daran änderte auch der lobende Kommentar Franz Grillparzers zu Talentproben der Siebzehnjährigen im Grunde nichts. Als sie 1848 – mit achtzehn – den um fünfzehn Jahre älteren Cousin Moritz Freiherrn Ebner von Eschenbach heiratete, gewann sie keineswegs einen unbedingten Rückhalt: Zwar unterstützte der aufgeklärte Vetter ihre Bildungsbemühungen, fürchtete sich aber vor öffentlichen Blamagen seiner Frau und bangte um seinen „guten Namen“. Er selbst war Offizier und seit 1840 Professor für Physik und Chemie an der Ingenieursakademie. Aufgrund seiner zahlreichen Erfindungen, unter anderem im militärischen Nachrichten- und Beleuchtungswesen, wurde er 1863 korrespondierendes Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien; er stieg bis zum Generalmajor auf. Da die Ingenieursakademie 1851 auf Wunsch des Kaisers nach Klosterbruck bei Znaim verlegt wurde, musste das Ehepaar dorthin übersiedeln; 1856 wurde Ebner-Eschenbach nach Wien zurückversetzt. Die Laufbahn seiner Frau begann daher unter häuslichen Belastungen; die „Znaimer Existenz“ empfand sie als „trostlos“. Dennoch verfolgte sie hartnäckig literarische Pläne, wobei sie sich vorerst als Dramatikerin sah. Dabei zeigte gerade das – anonym erschienene – Erstlingswerk in Prosa, „Aus Franzensbad“ (1858), eine kecke Satire auf die in Kurbädern anzutreffende adelige und neureiche Gesellschaft und deren Überheblichkeit, eine große Schärfe der Beobachtung und der ironischen Zuspitzung. Trotzdem versuchte Marie von Ebner-Eschenbach nun über Jahrzehnte, die Aufmerksamkeit von Theaterdirektoren durch Dramen, einerseits historische Tragödien, andererseits Lustspiele, zu erregen. Nachträglich sah sie diese Phase als eine Folge von Niederlagen, was nicht ganz richtig ist: So wurde beispielsweise das Trauerspiel „Maria Stuart in Schottland“ 1861 am Hoftheater Karlsruhe, das Lustspiel „Die Veilchen“ 1863 am Wiener Hofburgtheater, die Tragödie „Marie Roland“ 1868 am Hoftheater Weimar und der Einakter „Doctor Ritter“ 1869 am Wiener Kärntnertortheater und am Burgtheater aufgeführt. Auch die Kritiken waren mitunter durchaus positiv; wurde hingegen die Identität der Verfasserin ruchbar, so setzten die Vorurteile von Presse und Publikum vor allem gegenüber Dramatikerinnen – welche ja die „häusliche“ Sphäre von Lyrik und Prosa verließen und sich auf die „öffentliche Bühne“ begaben –, und die Vorbehalte der „ersten“ Gesellschaft gegenüber einer „beruflichen“ Tätigkeit eines ihrer weiblichen Mitglieder ein.

DURCHBRUCH ALS PROSAISTIN

Diese Jahre des empfundenen Scheiterns und wohl auch die Kinderlosigkeit der Ehe hatten massive psychosomatische Störungen zur Folge: Marie von Ebner-Eschenbachs Tagebücher berichten von andauernden Schmerzen und Krankheiten. Dennoch war ihre literarische Produktivität ungebrochen: 1876 veröffentlichte sie die Erzählung „Božena“ in der Stuttgarter Cotta’schen Verlagsbuchhandlung. Die Geschichte einer Magd, die sich durch unbedingte Wahrheitsliebe allseitigen Respekt verdient und dadurch die Geschicke einer Familie zum Guten wenden kann, war ein erster und völlig unbestrittener Erfolg. 1880 erschienen die gefeierten „Aphorismen“: In diesem Genre hat Marie von Ebner-Eschenbach mit ihren pointierten, sarkastisch zugespitzten Dikta – „Eine gescheite Frau hat Millionen geborener Feinde: – alle dummen Männer“ – sowohl bei den Zeitgenossen, als auch in der literaturgeschichtlichen Beurteilung reüssiert. Im selben Jahr kam der Roman „Lotti, die Uhrmacherin“ in der „Deutschen Rundschau“ heraus: Er spiegelt nicht nur Marie von Ebner-Eschenbachs Sammelleidenschaft für Uhren (das Wiener Uhrenmuseum stellt einen Teil ihrer Kollektion aus), sondern auch ihr Konzept von Loyalität und Integrität in persönlichen, aber auch in künstlerischen Fragen: Die Titelheldin erweist sich als unerschütterliche Freundin auch des ungetreuen Liebhabers; das programmatische ästhetische Konzept wird der zeitgenössischen Unterhaltungsliteratur entgegengesetzt. In den „Dorf- und Schloßgeschichten“ (1883/1886) entwickelte Marie von Ebner-Eschenbach die für sie typischen Milieus: einerseits eine dörfliche Gemeinschaft, andererseits das Herrschaftshaus. Schon diese Topographie ergibt ein Feld sozialer Konflikte, die sehr nachdrücklich dargestellt werden; mit harscher Adelskritik machte sich Ebner-Eschenbach bei ihren Standesgenossen und -genossinnen freilich nicht beliebt. 1887 publizierte sie ihre vermutlich bekannteste Erzählung, „Das Gemeindekind“, in der „Deutschen Rundschau“ und als Buchdruck beim Berliner Gebrüder Paetel Verlag. Die Geschichte eines dörflichen Außenseiters, der sich entgegen aller Vorurteile als integrer Charakter erweist, stärkte Marie von Ebner-Eschenbachs Ruf als moralische und sozialkritische Erzählerin.

BERÜHMT UND UMSTRITTEN

Als nunmehr arrivierte Autorin hatte Marie von Ebner-Eschenbach jetzt zahlreiche Verbindungen zur deutschen Verlagslandschaft und zu Künstlerkreisen. Jahrzehntelange Freundschaften verbanden sie beispielweise mit Ferdinand von Saar oder der Lyrikerin Betty Paoli. Mit Paul Heyse, Theodor Fontane und Louise von François stand sie zumindest in brieflichem Kontakt. Korrespondiert hat sie etwa auch mit Josef Breuer, ihrem Hausarzt, der mit Sigmund Freud 1895 die „Studien über Hysterie“ veröffentlichte. Lieblingsfreundin wurde Ida Fleischl, die Frau eines Unternehmers und Bankiers, deren Salon von Autoren und Theaterleuten besucht wurde. Bei all diesem gesellschaftlichen Verkehr und den Verpflichtungen gegenüber der weitläufigen Familie (die etwa Krankenpflege einschlossen) wundert es nicht, dass sich Marie von Ebner-Eschenbach immer wieder Zeit und Ruhe für ihre literarische Produktion wünschte. 1890 etwa erschien der Roman „Unsühnbar“; er handelt von einer Gräfin, die nach Jahren einen Ehebruch gesteht, um zu verhindern, dass ihr illegitimer Sohn das Erbe des betrogenen Gatten antritt. Obwohl dabei die tapfere Wahrheitsliebe der Figur unterstrichen wird, verhielten sich Kritiker und Leser ablehnend; einer adeligen Autorin wurde ein solches Sujet offenbar übelgenommen. Unter den späten Novellen und Erzählungen fällt „Rittmeister Brand“ (1895), die Geschichte eines selbst Kinderlosen, der sich ganz der Pädagogik verschrieben hat, als eine einfühlsame Hommage an Moriz von Ebner-Eschenbach auf. Die späten 1890er-Jahre wurden aber zu einer Epoche schwerer Verluste: 1895 starb die Schwester Friederike, 1898 der Ehemann, 1899 die Freundin Ida Fleischl – Marie von Ebner-Eschenbach fühlte sich in „geistiger Einsamkeit“ zurückgelassen.

SPÄTE JAHRE

Zum siebzigsten Geburtstag im Jahr 1900 wurde ihr allerdings von Seiten der Familie, des Freundeskreises und der Öffentlichkeit enorme Aufmerksamkeit zuteil. Das Burgtheater brachte einen „Ebner-Abend“ mit dreien ihrer Einakter und einem Prolog von Ferdinand Freiherr von Saar für die Gefeierte. Auf Vorschlag des Literaturhistorikers Jakob Minor erhielt sie – als erste Frau überhaupt – ein Ehrendoktorat der Universität Wien. Minors Huldigungsrhetorik entwarf das Porträt der philanthropischen, milden und gütigen Baronin, ein Bild, das Ebner-Eschenbachs Biograph Anton Bettelheim in seinen Arbeiten verfestigen sollte. Den Winter des Jahres verbrachte sie, wie schon in den Jahren zuvor, in Rom, für sie inspirierende Aufenthalte; 1899 hatte sie außerdem Florenz besucht, wo ihr Künstlerroman „Agave“ (1903) spielt. 1903 bezog sie ihre letzte Wiener Wohnung im „New York-Haus“ an der Ecke von Graben und Spiegelgasse. Auch jetzt noch waren ihre Tage mit Besuchen, Korrespondenz und Schreibarbeit ausgefüllt. Zum achtzigsten Geburtstag wiederholten sich die Ehrungen: Sie erhielt den Elisabeth-Orden I. Klasse, und ein Ebner-Eschenbach-Fonds wurde gegründet, mit dessen Zinsen sie einen Preis stiftete, der in den nächsten Jahren an jüngere Schriftstellerkolleginnen wie Isolde Kurz oder Helene Böhlau vergeben wurde. Trotz ihrer unverbrüchlichen Loyalität zum Kaiserhaus erschienen ihr die Ereignisse des Ersten Weltkriegs als zivilisatorischer Rückfall. Im Februar 1916 erkrankte sie schwer und sollte nicht mehr genesen: Am 12. März starb sie. Ihr Leichnam wurde nach Zdislavice überführt und in der Gruft des Schlosses beigesetzt. In ihrer literaturwissenschaftlichen Rezeption überwogen zunächst quasi-hagiographische Darstellungen; galten ihre Texte in den 1960er-Jahren wohl auch als etwas angestaubt, wurde danach vor allem ihre Leistung als schreibende Frau unter den Bedingungen des 19. Jahrhunderts anerkannt. Neuere Darstellungen stellen ihre sozialkritischen und liberalen Tendenzen heraus; die vorzügliche Biographie von Daniela Strigl würdigt vor allem den Nonkonformismus der Schriftstellerin, die sich gegen die Denk- und Schreibblockaden ihrer Zeit durchgesetzt hat.


Literatur: M. von Ebner-Eschenbach, Meine Kinderjahre. Biographische Skizzen, 1906; A. Bettelheim, Marie von Ebner-Eschenbachs Wirken und Vermächtnis, 1920; R. Klüger, Marie von Ebner-Eschenbach. Anwältin der Unterdrückten, 2016; D. Strigl, Berühmt sein ist nichts. Marie von Ebner-Eschenbach. Eine Biographie, 2016; Pfarre St. Stephan, Wien; Pfarre Hoštice u Zdounek, CZ.

(Konstanze Fliedl)

Für die kostenlose Bereitstellung von Bildmaterial bedanken wir uns beim Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien).

 

Marie und Moritz von Ebner-Eschenbach (© Bildarchiv Austria)

 

Altersbild (© Bildarchiv Austria)

 

Gedenktafel: Ehrendoktorat der Universität Wien (© Eva Offenthaler)

 

Das „New York-Haus“ in Wien 1 (© Eva Offenthaler)

 

Mausoleum in Zdislavice (© Bildarchiv Austria)