Als Kutscher genoss er das Vertrauen Kronprinz Rudolfs, als „Natursänger“ war er bei Heurigengesellschaften und Fiakerbällen beliebt. Mit erst 45 Jahren verstarb Josef Bratfisch im Dezember 1892. Aus Anlass seines 125. Todestags erinnert die Biographie des Monats an dieses Wiener „Original“.
Josef Bratfisch kam am 26. August 1847 in der einstigen Wiener Vorstadt Schottenfeld zur Welt. Das Taufbuch dieser Pfarre verzeichnet als Eltern den Riemermeister Franz Bratfisch (geb. 1820) aus Breitenlee und die Bauerntochter Anna, geb. Rosenegger (geb. 1822). Josef hatte zumindest zwei Geschwister, die ältere Schwester Franziska, verheiratete Fertl (geb. 13. Februar 1845), die Fragnerin wurde, sowie den deutlich jüngeren Bruder Heinrich (geb. 16. März 1862), der als Fotolithograf in der Staatsdruckerei in Wien Beschäftigung fand. Über Josef Bratfischs Kindheit und Jugend ist nichts bekannt. Den Kutschbock scheint er zuerst im Wiener Fiakerunternehmen von Leopold Wollner bestiegen zu haben, für den er tätig war, bis dieser ihm später ein eigenes Fuhrwerk und Pferde zur Verfügung stellte. In den 1870er-Jahren fuhr Bratfisch mit dem Wagen Nr. 104 und ließ das Wiener Pflaster auch einmal weit hinter sich. So führte ihn ein ungewöhnlicher Auftrag bis in die Schweiz, wie die „Morgen-Post“ in ihrer Ausgabe vom 29. Oktober 1876 berichtete. Mit dem Fabrikantensohn Barawitzka junior als Fahrgast war Bratfisch drei Wochen unterwegs, ehe er mit seinem „Zeugl“ das Engadin erreichte. Von dort schrieb er an einen Wiener Kollegen. Die „Morgen-Post“ zitierte aus diesem (echten oder gut erfundenen) Brief, in dem Bratfisch seine Meinung über die Schweizer „Maderln“, seine Sehnsucht nach Wiener Bier und Wein und seine Vorfreude auf daheim zu Papier brachte.
Wie etliche seiner Berufsgenossen hegte auch Bratfisch eine Vorliebe für die Volksmusik, speziell für das „Dudeln“, die Wiener Spielart des Jodelns. Während der Fiaker Johann Tranquillini als Kunstpfeifer „Baron Jean“ populär wurde, machte sich Bratfisch ab den 1870er-Jahren vor allem als sogenannter Natursänger einen Namen. Ebenso wie die gleichfalls beliebten Fiaker Karl Mayerhofer („Hungerl“) und Franz Reil („Schuster-Franz“) trat er in Heurigenlokalen auf. Bratfisch musizierte u. a. mit den Gebrüdern Schrammel und der „Kiesel Marie“ (Marie von Koerber) und war eine gefragte „Spezialität“ auf den Wiener Fiaker-Bällen. Zu den Liedern, die er zum Besten gab, zählten Titel wie „‘s ist Alles gar net wahr“, „Auf nach Afrika“, „Die Wienerin“ oder die „Vierzeiligen Bratfisch-G’stanzeln“, die auch als Musikdrucke in den Verkauf gelangten. Den lautesten aller lauten Fiaker nannte ihn ein Journalist der „Morgen-Post“ in seinen Notizen vom 29. Februar 1884 anlässlich des Fiakerballs am Grünen Tor. Dort habe Bratfisch seine feschesten Jodler vom Stapel gelassen und im „Umschlagen“ ganz Außerordentliches geleistet. Als Gustav Pick den Wiener Fiakern 1885 das „Fiakerlied“ („I führ' zwa harbe Rappen …“) widmete, wurde es zwar zum Paradestück von Alexander Girardi, es muss aber in der Interpretation Bratfischs eine besonders authentische Note erhalten haben. Laut „Prager Tagblatt“ vom 1. August 1885 war Bratfisch auch häufig im Salon von Nathaniel Rothschild zu hören, wo er Fürsten und Fürstinnen duzte und durch seine Urwüchsigkeit amüsierte. Für einen Abend soll er dort hundert Gulden Honorar erhalten haben. Zudem soll Bratfisch, der ein Faible für Antiquitäten hatte, mit der stehenden Phrase „geh, schenk mir das“ so manchen Kunstgegenstand für seine Sammlung ergattert haben.
Als Heurigensänger und -pfeifer schätzte ihn Kronprinz Rudolf. Dieser suchte, ganz im Gegensatz zu Kronprinzessin Stephanie, gern Lokale auf, in denen Schrammelmusik gespielt wurde, wie die Restauration zur güldenen Waldschnepfe in Dornbach. Bratfisch trug sogar ein von Rudolf für seine Geliebte Maria (Mizzi) Caspar gedichtetes Couplet vor. Der Kronprinz holte ihn überdies, ebenso wie das Schrammelquartett, zu Soireen nach Schloss Orth.
Bleibende Bekanntheit erlangte Bratfisch als Leibfiaker des Kronprinzen, der ihn etwa drei Jahre lang neben seinem Hofkutscher beschäftigte. „Nockerl“, wie er von seinem Herrn genannt wurde, fuhr Rudolf zu Jagdausflügen ebenso wie zu Treffen, die Diskretion verlangten. Wie Bratfischs Stieftochter Antonia Konhäuser, geb. Linka (geb. 30. März 1871; gest. 2. März 1960), Jahrzehnte später in einer eigenen „Denkschrift“ berichtete, hatte der Kronprinz in Begleitung von Mizzi Caspar die Familie zweimal in ihrer Wohnung in der Laudongasse zur Jause besucht, und zwar des „garnierten Liptauers“ wegen, den Frau Bratfisch ganz nach dem Geschmack des Kronprinzen anzurichten verstand und den er bei Hof in dieser Form nicht bekam. Bratfisch genoss so sehr das Vertrauen Rudolfs, dass er neben dessen Kammerdiener Johann Loschek wohl als Einziger in den geplanten Doppelselbstmord eingeweiht worden war. Er war es, der Mary Vetsera nach Mayerling fuhr und die beiden noch musikalisch unterhielt. So schrieb Mary am 29. Jänner 1889, wenige Stunden vor ihrem Tod, in ihrem Abschiedsbrief an die Schwester Hanna: „Der Bratfisch hat uns gestern ideal vorgejodelt, ich habe ihm meine Uhr und Mondstein-Ring geschenkt.“ Als Mitwisser im Mayerling-Geschehen und als einer der Letzten, der den Kronprinzen noch lebend gesehen hatte, bewahrte Bratfisch Stillschweigen bis an sein Lebensende. Nach der Tragödie kursierten Gerüchte, wonach Bratfisch, in Ungnade verfallen, die Stadt dauerhaft verlassen musste oder sogar in die USA geschickt wurde, wo er angeblich in einer „Irrenanstalt“ verstarb. Dem widersprechen hingegen Ankündigen von musikalischen Auftritten in den Wiener Zeitungen wie auch die Tatsache, dass er im März 1889 ein Haus in der Annagasse (heute Lacknergasse) im Stadtteil Hernals kaufte.
Schon wenige Jahre später, am 16. Dezember 1892, starb Bratfisch an „Luftröhrenentartung“. Aus seiner Verlassenschaftsabhandlung geht hervor, dass er zuletzt zwei Fiakerkonzessionen, vier Pferde und vier Wagen besessen hatte, davon zwei sogenannte „Neutitscheiner“ und zwei „Brooms“. Seine Frau Johanna, geb. Werli (geb. 1851; gest. 11. 12. 1916), führte das Fiakerunternehmen zunächst allein, dann mit ihrem aus erster Ehe stammenden Sohn Johann Linka weiter.
Der Regisseur Hans Otto Löwenstein brachte Josef Bratfisch Jahrzehnte später auf die Kinoleinwand. Löwenstein hatte schon 1919 einen Film über Kronprinz Rudolf gedreht, der allerdings der Zensur zum Opfer gefallen war. In seinem Stummfilm „Leibfiaker Bratfisch“, zu dem Walter Reisch das Drehbuch geschrieben hatte, konnte er nun Teile des vorhandenen Filmaterials verwenden. Der Streifen kam 1925 heraus und lief auch unter den Titeln „Die Tragödie eines Prinzen" bzw. "Das Geheimnis von Mayerling". In der Rolle Bratfischs war der Schauspieler Georg Kundert zu sehen. Vor dem Wiener und niederösterreichischen Kinopublikum blieb aber auch diesmal das Geheimnis von Mayerling ungelüftet, während der Film in den anderen Bundesländern in voller Länge gezeigt werden durfte.
L.: Morgen-Post, 29. 10. 1876; Prager Tagblatt, 1. 8. 1885; Neuigkeits-Welt-Blatt, 18. 12. 1892; Die Presse, 16. 12. 1992, 26. 8. 1997 (jeweils mit Bild); Czeike; oeml; W. Hummelberger, in: Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien 19/20, 1963–64, S. 277ff.; K. Dieman Dichtl-Jörgenreuth, Schrammelmusik, Schrammelwelt, 2007, s. Reg. (mit Bild); B. Hamann, Kronprinz Rudolf. Ein Leben. Aktualisierte Neuausg., 8. Aufl. 2016, s. Reg. (mit Bild); Website Das Mayerling-Forum (Zugriff 25. 11. 1017); Wiener Stadt- und Landesarchiv, Pfarre Rossau, Pfarre Schottenfeld, alle Wien.
(Eva Offenthaler)
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