Am 1. Juli 2016 jährt sich der Geburtstag von Ernst Schwadron zum 120. Mal – ein Anlass, der im Wiener Stadtbild noch immer präsenten Brüder Schwadron zu gedenken. Ihre Firmen- sowie Familiengeschichte ist eine Migranten-Erfolgsstory, die wie so viele 1938 ein jähes Ende nahm.
Die Geschichte eines der bedeutendsten Wiener Familienunternehmen beginnt im östlichsten Zipfel der k. u. k. Monarchie, in Galizien. Im kleinen Städtchen Zalocze wurden 1832 Osias Schwadron und Esther (Ernestine) Austern (Ostern) geboren. Sie heirateten und bekamen drei Söhne mit den Namen Isidor (geb. Tarnopol, 24. 12. 1854; gest. Wien, 17. 11. 1923), Victor (geb. Draganowka, Galizien, 3. 2. 1865; gest. Wien, 25. 5. 1942) und Adolf (geb. Tarnopol, 3. 3. 1868; gest. Wien, 21. 3. 1934) sowie eine Tochter Mina (Minna) Schwadron (geb. Kokutkowce, Galizien, 1867; gest. Wien, 6. 10. 1918). Da zwei der Söhne in Tarnopol geboren wurden, dürfte die Familie dort länger gelebt haben. Die Übersiedelung nach Wien fand vermutlich nicht gemeinsam statt; zumindest Mina blieb vorerst in Brody, wo sie mit Mann und Tochter lebte.
In „Adolph Lehmann’s allgemeinem Wohnungs-Anzeiger“, dem Vorläufer des Wiener Telefonbuchs, taucht der Name Schwadron zum ersten Mal 1890 auf:
„Schwadron Isidor, Bautechniker, IX., Alserstraße 30.“
Der älteste der Brüder war der erste mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung und somit kein „Gewerbgehülfe, Taglöhner und Dienstbote“, die im „Wohnungs-Anzeiger“ nicht erfasst wurden. Vater Osias scheint als Handelsagent erstmals 1891 mit der Adresse Porzellangasse 20 im 9. Wiener Gemeindebezirk auf. Sicher ist, dass auch sein Sohn Victor schon längere Zeit in Wien lebte, da dieser von 1883 bis 1884 eine Ausbildung zum Maurer absolvierte. 1892 erhielt er die Maurerkonzession außerhalb Wiens, zwei Jahre später die Baumeisterkonzession. Im gleichen Jahr heiratete Victor seine Braut Ernestine Nassau (geb. Pohrlitz, Mähren, 12. 6. 1871; gest. Wien, 8. 7. 1932). Seine erste Firma gründete er 1898: „F. M. Schweinburg & V. Schwadron, Stadtbaumeister“ mit der Firmenadresse Fleischmarkt 18 im ersten Bezirk. Mit seinem Partner und dessen Schwager Dr. Arnold Knödel war er aber auch als Immobilienhändler tätig: Sie kauften Häuser, „adaptierten“ sie und verkauften sie dann wieder.
Victors Bruder Adolf scheint im „Wohnungs-Anzeiger“ erstmals 1894 auf – mit der Berufsbezeichnung „Buchhalter“. Später wird er als „Ingenieur“ geführt.
Wie es zur Gründung der Brüder Schwadron, einer Firma „zum Betriebe des Verschleißes von Tonwaren“, kam, ist nicht bekannt. Im Register der Gesellschaftsfirmen wurden am 1. April 1899 Victor und Adolf Schwadron jeweils mit Vertretungsrecht eingetragen. Die Firma war in der Wollzeile 24 ansässig. Bruder Isidor, der ebenfalls Stadtbaumeister geworden war, soll ebenfalls im Unternehmen mitgearbeitet haben. Als Stadtbaumeister war auch Victor weiterhin tätig und seine Spezialität schien die Hebung von Gebäuden gewesen zu sein, über die er 1901 in vielen Vorträgen und zwei Artikeln in der Zeitschrift „Der Bautechniker“ berichtete. Im gleichen Jahr begannen jedoch die Brüder Schwadron mit ihren eigentlichen Geschäftsfeldern zu werben, auf denen sie bald Marktführer wurden: Kanalisierungen mit glasierten Steinzeugröhren sowie Pflasterungen und Wandverkleidungen mit glasierten Fliesen.
Im Jahr 1905 übersiedelte die Firma in ein sechsstöckiges Haus am Franz-Josef-Kai 3 im Ersten Bezirk, das der Architekt Julius Goldschläger auf Auftrag der Brüder Schwadron geplant hatte und das auf ein von ihnen gekauftes Grundstück errichtet wurde. Im Erdgeschoß des Hauses befand sich ein Bildhaueratelier mit keramischen Werkstätten und Schauräumen.
Die glasierte Fliese war ein Werkstoff, der nicht nur dem „modernen“ Anspruch an Sauberkeit und Hygiene entsprach, sondern auch in der Jugendstil-Architektur ein stilprägendes Ornament wurde. So waren die Brüder Schwadron Ausstatter zahlloser Wiener Wohnhäuser mit Wand- und Bodenfliesen, aber auch von Geschäften, Hotels, Industrieanlagen, Banken und Lokalen. Darüber hinaus wussten sie geschickt ihre Marktpräsenz zu steigern, indem sie an nationalen und internationalen Gewerbeausstellungen teilnahmen.
Als die ersten großen Wiener Bäder in Planung waren, war es daher sehr naheliegend, dass die Brüder Schwadron auch die Firma waren, die den Zuschlag bekam, sämtliche keramischen Einrichtungen für das neue Dianabad zu schaffen – ein Großprojekt mitten in den Kriegsjahren 1915 bis 1917, das die Brüder zu Recht mit Stolz in einem reich illustrierten Buch verewigten („Unsere keramischen Arbeiten im neuen Dianabad in Wien: vollständige Raumdurchführung in Keramik der Repräsentationsräume, Schwimmhallen, Dampfbäder, Salonbäder, Wannen-Luxusbäder, Volksbäder, Medizinalbäder, Auskleidekabinen u. s. w.“, [1918]).
Zum Glück, denn das Dianabad ist nicht erhalten geblieben – im Gegensatz zum Amalienbad, wo man heute noch Teile der Ausstattung bewundern kann, die die Brüder Schwadron von 1923 bis 1926 schufen.
So erfolgreich und bekannt die Firma der Brüder Schwadron war, so anonym bleiben sie auch bei intensiver Recherche als Personen. Den Matriken und der Friedhofsdatenbank der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde entnimmt man, dass Osias Schwadron, der Vater von Victor und Adolf, 1901 in Wien mit 69 Jahren verstarb, seine Frau Esther 6 Jahre später. Deren Tochter Mina, verheiratete Askenazy, lebte zu dieser Zeit noch in Brody, doch 1918 starb sie in Wien mit nur 51 Jahren an „Herzmuskelentartung“.
Frühzeitig verstarb auch Victor Schwadrons Frau Ernestine (Erna). Sie nahm sich 1932 in ihrer Wohnung am Franz-Josef-Kai 3 mit Leuchtgas das Leben. Und sein Bruder Adolf, der schon längere Zeit krank war, stürzte sich 1934 aus dem Fenster und verstarb an den Kopfverletzungen. Doch über diese privaten Tragödien erschien kein Wort in der Presse, wie es auch sonst keinerlei Artikel oder Fotos zu den Leitern dieser in Wien bestens bekannten Firma gibt.
Als Unternehmer waren die Brüder Schwadron jedermann bekannt, als Privatpersonen hielten sie sich aber im Hintergrund. Vielleicht liegt der Grund dafür in der Tatsache, dass die Familie mosaischen Glaubens war. Isidors Enkel Kurt Schaffir meinte in seinen Lebenserinnerungen, dass es in Wien damals kein Problem war, Jude zu sein, solange man das nicht merkte. Die Regel lautete: „It’s all right to be Jewish as long as you don’t act Jewish“. Und wenn man in der Öffentlichkeit nicht in Erscheinung trat, blieb man auch vom Wiener Antisemitismus verschont.
Vermutlich wegen Adolfs schlechten Gesundheitszustands trat Victors Sohn Walter (geb. Wien, 21. 5. 1898; gest. Danbury, Fairfield, USA, 26. 1. 1975) 1930 in die Firma ein. Er hatte an der Ingenieurschule der Technischen Hochschule studiert und 1923 seine Staatsprüfung im Bauingenieurfach abgelegt. Bei Walter zumindest lässt sich sein Ausbildungsweg leicht belegen. Anders verhält es sich mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Ernst (geb. Wien, 1. 7. 1896; gest. Lenox Hill, NY, USA, 3. 2. 1979): Dieser bezeichnete sich als Architekt, doch hat er weder an der Technischen Hochschule (heute Technische Universität Wien) noch an der Akademie der bildenden Künste und auch nicht an der Kunstgewerbeschule (heute Universität für angewandte Kunst) studiert.
Das einzige Dokument, das eine Ausbildung von Ernst Schwadron belegt, stammt von der Kunstgewerbeschule: Dort schrieb er sich am 18. November 1918 für das Fach Keramik bei Michael Powolny ein, der übrigens beim Dianabadbau mitgewirkt hatte. Auf diesem Studieneintrag gab Ernst als angestrebten Beruf Architekt und als Vorbildung die k.k. Staatsgewerbeschule an. Diese hatte er vielleicht besucht, aber in den Listen der Absolventen ist sein Name nicht zu finden. Außerdem lesen wir noch auf diesem Dokument, dass er k. u. k. Fähnrich in der Reserve war. Im Kriegsarchiv gibt es allerdings keine Qualifikationslisten, Urkunden oder Einträge zu Ernst Schwadron.
Was wir aber sicher wissen, ist, dass sein Keramik-Studium nur von kurzer Dauer war, denn bereits am 6. Februar 1919 trat er aus der Kunstgewerbeschule wieder aus. Wo er in den folgenden Jahren arbeitete, ist nicht bekannt. Er tritt als Architekt erstmals 1927 mit dem Bau eines Hauses in Greifenstein in Erscheinung, über das er in der Zeitschrift „Bau- und Werkkunst“ stolz berichtet.
Es handelte sich dabei um das Sommerhaus für das Ehepaar Lederer. Die Ehefrau des Bauherrn, Erna Lederer (geb. Wien, 28. 6. 1884; Haifa, 29. 1. 1981), ließ sich für den zwölf Jahre jüngeren Architekten scheiden und wurde 1930 Ernsts erste Ehefrau. Für sie schuf er auch den Umbau im „Wohnhaus einer Malerin“, zu dem er in der Zeitschrift „Innendekoration“ einen Artikel veröffentlichte.
Bereits 1931 wurde die Ehe mit Erna wieder geschieden, doch sie nannte sich weiterhin Schwadron und stellte auch 1943 in New York unter diesem Namen aus.
Ernst Schwadron tritt von nun an fast ausschließlich als Innenarchitekt in Erscheinung: Mitte der Dreißigerjahre soll er noch einige Villen in der Umgebung von Wien und im damaligen Jugoslawien gebaut haben. Seine eigene Wohnung im Dachgeschoß des väterlichen Hauses am Franz-Josef-Kai 3 wurde 1930 zu seinem Meisterstück modernen Wohndesigns, über das er ebenfalls in der Zeitschrift „Innendekoration“ berichtet.
Im Februar 1931 trat auch Ernst Schwadron als Gesellschafter in die Firma ein, allerdings nur für drei Jahre, 1934 trat er wieder aus. Im Jahr 1932 war Ernst offenbar bereits schon eine so bekannte Persönlichkeit in Wien, dass Hermine Kunz-Hutterstrasser ihn um ein Foto für ihre berühmte Sammlung bat. So ist wenigstens von einer einzigen Person der Familie ein Foto erhalten geblieben.
Nach dem sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Deutschland verkauften Victor und Walter im April 1938 die Firma „Brüder Schwadron“ an ihre ehemaligen Mitarbeiter Waldemar Odelsky und Friedrich Bock sowie an Josef Polese und kamen so ihrer Enteignung zuvor. Nach der Bezahlung von 5.000 RM der neuen Besitzer an den Arisierungsfonds war die Firma somit „arisiert“.
Zum Zeitpunkt des Verkaufs hatte Ernst Schwadron Wien bereits verlassen. Er konnte noch rechtzeitig flüchten, hielt sich sechs Monate in Frankreich auf, bevor er schließlich in New York ansässig wurde. Er hatte das große Glück, in seiner neuen Heimat mit großem Erfolg in seinem Beruf weiter tätig sein zu können. Er arbeitete als Chefdesigner für die Einrichtungsfirma Rena Rosenthal Design, wo er auch seine zweite Frau Gladys kennenlernte. Später gründete er seine eigene Firma, Ernst Schwadron Inc. Sein Vermögen, das von der Gestapo 1941 beschlagnahmt worden war, erhielt er nicht zurück: Auf seine Anträge, die er an den „Fonds zur Hilfeleistung an politisch Verfolgte, die ihren Wohnsitz und ständigen Aufenthaltsort im Ausland haben“ stellte, erhielt er zwar bis 1969 immer wieder Zahlungen, doch den tatsächlichen Verlust deckten sie niemals ab. Im Jahr 1973 wurden die Zahlungen eingestellt, da Ernst offenbar seine neue Adresse in Cold Spring, New York, nicht bekanntgegeben hatte. Dort hatte er ein Haus für sich und seine Frau gebaut und war vermutlich den Papierkrieg mit dem Hilfsfonds leid, der scheinbar „auf Zeit“ spielte. Auch Ernsts Bruder Walter Schwadron gelang die Flucht aus Österreich zusammen mit seiner Frau Elisabeth und seinem erst dreijährigen Sohn Otto. Über die Schweiz, Frankreich und Kuba gelangten sie nach New York und nannten sich fortan Scadron.
Vater Victor Schwadron hingegen wollte Wien nicht verlassen und blieb in seiner Wohnung am Franz-Josef-Kai 3. Am 10. November 1938 drang dort ein Trupp der NSDAP ein und entwendete Schmuck und Bargeld. Da ihm nun die Mittel zur Zahlung der Judenvermögensabgabe fehlten, wurden vom Finanzamt Exekutionsmaßnahmen gegen ihn ergriffen. Wenigstens das Allerschlimmste blieb ihm erspart: Victor starb am 25. Mai 1942 im damals noch bestehenden Rothschild-Spital der Israelitischen Kultusgemeinde am Währinger Gürtel, dem einzigen Spital, in dem bis 1943 jüdische Patienten behandelt wurden.
Es gab nicht nur Brüder Schwadron: Isidor Schwadron, der älteste Bruder, hatte zwei Töchter, Helene (geboren 1893, verheiratete Koditschek) und Charlotte, genannt Lola (geboren 1891, verheiratete Schaffir). Beiden Töchtern gelang es, mit unermüdlichem Einsatz und auch dem nötigen Glück ihre Familien vor dem Holocaust zu retten. Lola war nicht nur eine begabte Pianistin, sondern besaß auch großes zeichnerisches Talent. Sie studierte an der Frauenakademie in Wien bei Tina Blau. Und dass sie sich vermutlich für Interieur auch sehr interessierte, beweist die von ihr gemalte Postkarte. Wer weiß, was aus ihr geworden wäre, wäre sie ein Mann gewesen …
Literatur: Festschrift zur 50-Jahr-Feier der Techn.-Gew. Bundes-Lehranstalt Wien I: (1880-1930), [1930]; M. Winterling, Ernst Schwadron 1896–1971: ein Vergessener der Moderne. Leben und Wirken des Wiener Architekten, seiner Wiener Zeit (bis 1938) mit Schwerpunkt auf den Umbau und die Neugestaltung der Wohnung Veithgasse 9, phil. Diplomarbeit Wien, 2002; A. Nierhaus, Sauberkeit, Hygiene, Modernität. Fliesen an Wiener Fassaden um 1900, in: T. Zickler, Brüder Schwadron call to mind, 2014, S. 64f.; W.-E. Eckstein, Descendants of Schaje Schwadron, ebd., S.; K. Pokorny-Nagel, Die Brüder Schwadron und das MAK, in: T. Zickler, Brüder Schwadron – neue Orte & Spuren, 2014, S. 80ff.; U. Prokop, Zum jüdischen Erbe in der Wiener Architektur: der Beitrag jüdischer ArchitektInnen am Wiener Baugeschehen 1868–1938, 2016, S. 152ff.; K. Schaffir, My personal history 1923–1940, Typoskript 1989 (online); Architektenlexikon Wien 1770–1945; Archiv der Technischen Universität Wien; Kriegsarchiv, Archiv der Republik, beide Wien; Universität für angewandte Kunst Wien; Wienbibliothek im Rathaus (Handschriftensammlung); Wiener Stadt- und Landesarchiv; Deutsches Literaturarchiv Marbach, D.
(Ruth Müller)
Wir danken Frau OR Silvia Herkt, Archiv der Universität für angewandte Kunst Wien, sowie dem Deutschen Literaturarchiv Marbach für die Erlaubnis zur Veröffentlichung des Fotos von Ernst Schwadron.