Franz Rautek – ein Jiu-Jitsu Lehrer als Erfinder des Rautek-Rettungsgriffs

Im Herbst dieses Jahres jährt sich der 30. Todestag von Franz Rautek. Sein Handgriff zur schnellen Rettung von Menschen aus Gefahrenbereichen oder einem verunfallten Fahrzeug ist weltbekannt und sicherte mittlerweile zahllosen Patienten das Überleben.

Franz Rautek erblickte am 10. April 1902 im niederösterreichischen St. Pölten als Sohn des gleichnamigen Versicherungsbeamten Franz Rautek (geb. 1864) und der Franziska Rautek, geb. Schrattenholzer (geb. 1867), der Tochter eines Hausbesitzers aus dem niederösterreichischen Viehofen, das Licht der Welt und wurde im römisch-katholischen Glauben erzogen. Bedingt durch einen Arbeitswechsel des Vaters zog die Familie nach Wien, wo Franz seine Schulausbildung erhielt. Als er 14 Jahre alt war, verlor der Vater seinen Posten, und so sah sich der junge Knabe gezwungen, zum Unterhalt der Familie beizutragen und absolvierte eine Buchhalterlehre. Schon früh interessierte er sich für Sport, trainierte Gymnastik und kam in Kontakt mit Jiu-Jitsu, einer bislang in Österreich eher unbekannten aus Japan stammenden Kampfkunst zur waffenlosen Selbstverteidigung. Franz Rautek erlernte diese Sportart bei Josef Diwischek, einem Vorreiter des österreichischen Jiu-Jitsus, und nahm auch an diversen Wettbewerben teil. 1930 bestand er die staatliche Prüfung für Sportlehrer auf den Gebieten Jiu-Jitsu, Judo und Gymnastik.

Bald avancierte er selbst zu einem der bekanntesten Jiu-Jitsu Lehrer in Österreich. Seine erste Anstellung als Trainer erhielt er bei der Polizeisportvereinigung, wo er speziell auf den Polizeiberuf abgestimmte Trainingsprogramme entwickelte, aber auch das Turnen mit dem Rhönrad förderte. 1931 gründete er in der Margaretenstraße in Wien 4 seine erste Jiu-Jitsu Schule, der weitere Trainingsstätten in der Heinrichsgasse und in der sogenannten Semperithalle in der Bankgasse im 1. Wiener Gemeindebezirk, in der Lehárgasse (Wien 6) und in der Stiftgasse (Wien 7) folgten. Um 1935 verlegte er seine Schule in das neu gegründete Institut für schwedische Gymnastik in Wien, wo nach dem Vorbild des Autors und Fechtlehrers Pehr Henrik Ling eine neue Form der Heilgymnastik verbreitet wurde. Darüber hinaus unterrichtete Rautek an Wiener und Grazer Volkshochschulen, wo sich seine praktischen Demonstrationen untermalt mit Lichtbildvorträgen großer Beliebtheit erfreuten, und bildete Beamte der Wiener Justizwache aus. 1934 heiratete er in Eggenberg I bei Graz Hilda Potgorschegg, die ihren Gatten in all seinen Tätigkeiten unterstützte, und auch selbst als Sportlehrerin und Schwimmerin aktiv war. Die Ehe blieb kinderlos. Ab 1941 lehrte Rautek Jiu-Jitsu zudem an der damaligen Bundeslehranstalt für Leibeserziehung der Universität Wien. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurde er zum Militärdienst eingezogen und diente in einem Reservekrankenhaus in Gmunden, wo er vor allem für die Ausbildung des Pflegepersonals verantwortlich war. 1945 geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er Anfang Oktober desselben Jahres nach Wien zurückkehren konnte. Rasch nahm er seine Trainertätigkeiten wieder auf.

Rautek selbst galt als exzellenter Techniker, der durch Schnelligkeit, Wendigkeit, Didaktik und Eleganz bestach. Um den Sport zu perfektionieren und bedarfsorientiert bestmögliche Trainingsprogramme zusammenzustellen, setzte er sich bereits früh intensiv mit der Anatomie des menschlichen Körpers auseinander und besuchte anatomische, psychologische, aber auch pädagogische Vorlesungen an der Universität Wien. Auf diesem Wissen aufbauend, gelang es ihm, eine eigene Jiu-Jitsu-Technik für Frauen zu entwickeln, bei der es besonders auf Geschicklichkeit, Entschlossenheit und rasche Überlegung ankam. Auch in anderen Sportarten war Rautek innovativ. Er verfeinerte die Badmingtontechnik und so wurde beim ersten Internationalen Jugendrotkreuzlager 1961 im niederösterreichischen Hohenlehen, nicht Feder-, sondern Rautekball gespielt. Den Breitensport förderte er zusätzlich durch ein umfassendes Angebot an Gymnastik- und Schwimmkursen.

Der Zufall wollte es, dass Franz Rautek durch die Erfindung eines Rettungshandgriffs weltweite Bekanntheit erreichte. Im Jahre 1943 fragte ein Schüler bei Rautek nach, ob es möglich wäre, eine bewusstlos am Boden liegende Person mittels der Jiu-Jitsu-Hebeltechniken hochzuheben. Rautek überlegte nicht lange und begann gemeinsam mit seiner Frau verschiedene Techniken zu erproben, um einen Patienten zu bewegen bzw. vom Boden aufzurichten. In nur wenigen Tagen entwickelte er eine Grifftechnik, bei der es die Schwerpunktlage ermöglicht, liegende oder sitzende Personen zu bewegen, sogar dann, wenn sie deutlich mehr Gewicht als ihre Helfer aufweisen. Dadurch können verunfallte oder erkrankte Personen im Rahmen einer Sofortmaßnahme am Einsatzort rasch aus einer Gefahrensituation oder einem Fahrzeug gerettet werden. Auch das Anlandbringen eines Verletzten oder Erkrankten aus dem Wasser ist mittels dieser Methode durchführbar, ebenso wie die Umlagerung eines Patienten aus einem Bett in einen Rollstuhl oder umgekehrt.

Dieser sogenannte Rautek-Griff, auch bezeichnet als Rettungsgriff nach Rautek, fand rasch Eingang in die medizinische Fachliteratur, in Lehrbücher, aber auch in diverse Lexika, und ist bis heute ein wichtiger Lehrinhalt jedes Ersten-Hilfe-Kurses. Eine nicht zu unterschätzende Bedeutung kam diesem Rettungsgriff zur Zeit seiner Erfindung zu, ermöglichte er es nämlich, Personen mit eingeschränkter Mobilität oder Verletzte bei Luftangriffen während des Zweiten Weltkriegs in Sicherheit zu bringen. Auch das Deutsche Rote Kreuz empfahl die Anwendung des Rautek-Griffs zum „Richtigen Krankentransport bei Luftangriffen“. Rasche Verbreitung fand seine Technik ebenso in Schweden und in der Türkei.

Darüber hinaus entwickelte Rautek, der ab 1952 intensiv mit dem Österreichischen Roten Kreuz zusammenarbeitete, noch weitere rettungstechnische Maßnahmen und Hilfsmittel. Mit seinem sogenannten Schultertragegriff konnte ein Patient über der Schulter seines Ersthelfers auch über eine längere Strecke transportiert werden. Der Rautek-Tragegurt ermöglichte den Transport eines Verunglückten auf dem Rücken, aber auch ein Abseilen über eine Leiter. Die bekannte stabile Seitenlage als lebensrettende Sofortmaßname am Einsatzort, deren Ausführung durch Rautek modifiziert wurde, findet sich Mitte der 1980er-Jahre in Ersten-Hilfe-Unterweisungen für die Feuerwehr immer wieder als Rautek-Lage beschrieben. Seine Art der Anwendung mit Zug- und Gegenzug der Extremitäten den Patienten seitlich zu lagern, erschien allerdings für die Breitenausbildung zu kompliziert und setzte sich nicht nachhaltig durch.

Darüber hinaus befasste sich Rautek mit Rehabilitationstechniken und der Erforschung von Schmerzpunkten. Bis ins hohe Alter pflegte er seine Erfindungen gerne selbst in Kursen für Ersthelfer aber auch für künftige Rettungssanitäter vorzutragen. Sein Leitfaden „Helfen und Bergen: einfache Handgriffe und Hinweise für Hilfeleistung bei Unglücksfällen“, erschienen 1956 (2. Auflage 1965) galt als ein wichtiger Lernbehelf für die Unterweisung im Verhalten am Einsatzort und die Durchführung der rettungstechnischen und lebensrettenden Maßnahmen.

Aus sportlicher, aber möglicherweise auch aus rettungstechnischer Sicht interessierte sich Rautek für die Knotenkunde. Nach ihm benannt ist die Rautekschlinge, eine Art des Schwabenklanks, mit der man durch bloßes Ziehen am Seilende Gegenstände verschließen oder befestigen kann, wie etwa Lasten zum Transport auf einem Autodach.

Privat drehte Rautek gerne aus Elektro-Installationsdraht Tierfiguren, die seine Wohnung zierten und die er bei diversen Veranstaltungen gerne zur Schau stellte. 1972 erhielt er die Henry-Dunant-Gedenkmedaille in Gold vom Österreichischen Jugendrotkreuz sowie eine Ehrenplankette in Gold vom Bayerischen Roten Kreuz. Darüber hinaus besaß er das Silberne und Goldene Ehrenzeichen des Roten Kreuzes. 1978 wurde er als erster Jiu-Jitsu-Lehrer in Österreich zum Professor ernannt. Franz Rautek starb am 8. November 1989 in Wien.


Literatur: Das kleine Volksblatt, 13. 6. 1940; Wiener Zeitung, 16. 4. 1972, 10. 11. 1989; Alpenländische Rundschau 21, 1944,  F. 6, S. 4; Wiener Illustrierte 63, 1944, Nr. 5, S. 10-11; Wien Aktuell 2, 1982, Nr. 17, S. 14 (mit Bild); Soziale Sicherheit 11, 1958, S. 439; Prüfungsreferat des JJVÖ: Jiu-Jitsu Prüfung zum 2. Kyu – Theorieskriptum, 2010, S. 15-16 (online, mit Bild); Hälso-Lyftet. Tidningen för Dig som vill må bättre 1, Juni 2012, S. 5-6 (mit Bild); M. Wieninger, St. Pöltner Straßennamen erzählen, 2. Aufl. 2017; Pfarre St. Pölten-Dom, Niederösterreich.

(Daniela Angetter)