Johann Georg Grasel, ein Außenseiter als Berufsverbrecher

„Jessas, so vül Leit!“, soll Johann Georg Grasel ausgerufen haben, als man ihn zum Galgen führte. Viele Tausende versammelten sich am 31. Jänner 1818 vor dem Neutor in Wien, um den „Räuberhauptmann“ und seine Komplizen Jakob Fähding und Ignatz Stangel hängen zu sehen. Hinrichtungen waren eine Volksbelustigung; Schaulustige stritten sich um die besten Plätze und Wanderhändler machten gute Geschäfte.

Drei Tage zuvor waren Grasel, Fähding und Stangel zum Tod verurteilt worden. Weitere Komplizen hatten langjährige Kerkerstrafen erhalten. Mitglieder der Grasel-Bande hatten ein Jahrzehnt lang im nördlichen Niederösterreich und im südlichen Böhmen und Mähren Diebstähle, Einbrüche und Raubüberfälle verübt.

Abdecker am Rande der Gesellschaft

Mit der Hinrichtung Johann Georg Grasels endete das kurze Leben eines Outlaws, dem eine andere als die kriminelle Karriere so gut wie verwehrt war. Grasels gewalttätiger und oft betrunkener Vater Thomas war Abdeckergehilfe (Schinderknecht); die Mutter Regina stammte ebenfalls aus einer Abdeckerfamilie. Abdecker lebten vom Verwerten toter Tiere und standen wie die Henker am Rande der Gesellschaft, denn ihre Tätigkeit galt als „unehrliches Gewerbe“. Meist heirateten sie innerhalb ihres Standes. Sie verwendeten auch eigene, dem Rotwelsch ähnelnde Wörter zur Verständigung untereinander.

„Brutaler und gefühlloser Mensch“

Johann Georg Grasel, geboren am 4. April 1790 in Neu Serowitz (Nové Syrovice) in der Nähe von Znaim (Znojmo) in Mähren, begleitete seinen Vater schon als Kind bei Eigentumsdelikten. War sein Vater eingekerkert, zog „Hansjörgel“ mit seiner Mutter Regina und seiner Schwester bettelnd und stehlend durch die Region. Der Schulbesuch blieb ihm verwehrt; er konnte weder lesen noch schreiben. Schon als Neunjähriger war er wegen kleinerer Diebstähle und Herumtreiberei in Drosendorf im Arrest. Als Jugendlicher unternahm Johann Georg mit seinem Vater und weiteren Mittätern Diebstouren und Raubzüge. Unter anderem überfielen sie einen Baumwollhändler bei Waidhofen an der Thaya und misshandelte dessen Tochter schwer. Die Beute bestand aus Münzen und Kleidungsstücken.

Grasel, beschrieben als „brutaler und gefühlloser Mensch“, scharte immer mehr Kriminelle um sich, und in der Region war er bald als „Räuberhauptmann“ bekannt. Die Grasel-Bande hatte mehrere Dutzend Mitglieder. Sie überfielen in wechselnder Zusammensetzung Bauernhöfe und Handwerksgeschäfte, fesselten die Bewohner und folterten sie, bis sie die Verstecke für Wertsachen verrieten. Die Beute bestand meist aus Geld, Uhren und Schmuck, Kleidungsstücken, Bettwäsche und Lebensmitteln.

Im Jänner 1810 überfielen Grasel, sein Vater, ein Cousin und fünf weitere Männer in Budkau (Budkov) einen Kaplan und dessen Wirtschafterin, im Juni jenes Jahres beraubte Grasel den Wundarzt von Pernegg und im Dezember 1811 stach er nach einem Streit einen Tabakhändler nieder, der fünf Monate später an den Folgen der Verletzungen starb. 1811 erstach Grasel einen Gastwirt aus Obergrünbach, der ihn verfolgt hatte. Im Jahr darauf wurde er festgenommen, nachdem er in der Nähe von Horn betrunken randaliert hatte. Er bestach den Amtsschreiber und konnte aus dem Gefängnis entkommen.

Grasel hatte mehrere Geliebte, die ebenfalls aus Abdeckerfamilien stammten, darunter Resi Hamberger, die ihn bei einigen Einbrüchen begleitete, und Rosalia „Salerl“ Eigner, mit der er zwei Söhne hatte.

Nach einem Raub im April 1813 wurden Grasel und Stangel in einem Gasthaus in Mallebarn nach heftiger Gegenwehr überwältigt. Sie gaben falsche Namen an und behaupteten, Deserteure zu sein, da sie hofften, aus einem Militärgefängnis leichter ausbrechen zu können. Beide wurden in eine Kaserne nach Wien gebracht, aus der Grasel in der Nacht auf den 7. Juli 1813 flüchten konnte. Auf der Flucht lernte er Jakob Fähding kennen, genannt „Gams“, der neben Stangel zum wichtigsten Komplizen Grasels wurde.

Grasels Verhaftung

Anfang 1815 wurde der Fahndungsdruck verstärkt. Grasels Geliebte Resi und weitere Mitglieder der Familie Hamberger wurden verhaftet. Im April 1815 meldete sich Grasel unter falschem Namen in Prag zum Militärdienst, desertierte aber nach sechs Wochen und verübte weiterhin Eigentums- und Gewaltdelikte.

Im Oktober 1815 wurde das Wiener Kriminalgericht mit der „ausschließlichen Untersuchung“ Grasels und seiner „Verflochtenen“ betraut. Bis zu 800 Soldaten beteiligten sich an der Fahndung. Komplizen und Hehler wurden festgenommen, einige bei Fluchtversuchen erschossen. In einer Personsbeschreibung wurde Grasel als „höchst gefährlicher Raubmörder“ bezeichnet.

Eine List führte schließlich zu seiner Verhaftung. Der Berufsverbrecher wollte nach Schlesien flüchten, aber vorher seine Geliebte Resi Hamberger aus dem Gefängnis in Drosendorf befreien. Ein Polizeispitzel inszenierte die „Befreiung“ Hambergers und lockte Grasel in ein Gasthaus in Mörtersdorf. Dort wurde der langgesuchte Bandenführer in der Nacht zum 20. November 1815 überwältigt. Der Polizeispitzel erhielt die hohe Ergreiferprämie. Damit konnte man im Waldviertel fünf Häuser kaufen.

Johann Georg Grasel wurde nach Horn und am 21. November 1815 nach Wien gebracht, wo er im Kriminalgericht und später im Kriegsgericht verhört wurde. Nach und nach wurden weitere Komplizen und Unterstützer festgenommen. Da Grasel als Deserteur betrachtet wurde, war er der Militärgerichtsbarkeit unterworfen. Die Verhöre und Ermittlungen dauerten mehr als zwei Jahre lang. Grasel gestand 205 Straftaten von 1806 bis 1815, darunter den Raubmord an Anna Marie Schindler am 19. Mai 1814 in Zwettl. Das 66-jährige Opfer war mit einer Eisenstange erschlagen worden.

Grasel verantwortete sich damit, dass er von seinen Eltern schon in der Kindheit zum Stehlen gezwungen worden sei. Sein Vater habe ihn verprügelt, wenn er sich geweigert habe, bei einer Straftat mitzumachen. Er habe ihm sogar einen Messerstich versetzt. Grasels Vater starb im Kerker auf dem Brünner Spielberg und seine Mutter im Gefängnisspital. Seine Schwester verbüßte eine längere Kerkerstrafe.

Kein „edler Räuber“

Im Waldviertel erinnern die Namen einiger Gasthäuser an den Räuberhauptmann: „Graslstuben“, „Räuberhauptmann Grasl“ und die „Graselwirtin“ in Mörtersdorf. Es gibt einige „Graselhöhlen“, in denen er sich versteckt haben soll. Über ihn wurden Bücher, Gedichte und Theaterstücke geschrieben. 1968 wurde ein Spielfilm über das kriminelle Leben des Hingerichteten gedreht, mit Peter Vogel in der Hauptrolle. Es gibt auch mehrere TV-Dokumentationen. In manchen Volksstücken und Überlieferungen wird Grasel als „Held“  und als „edler Räuber“ verklärt. Tatsächlich waren Grasel und seine Komplizen jedoch brutale Gewohnheitskriminelle, die rücksichtslos Menschen überfielen.


Literatur: C. Ulf, Leben und Treiben des berüchtigten Räuber-Hauptmannes Johann Georg Grasel, nach Urkunden, andern glaubwürdigen Aufzeichnungen und mündlicher Uiberlieferung, 1862; Johann Georg Grasel und seine Kameraden, ed. R. Bartsch – L. Altmann, 1924; E. Breier, Die beiden Grasel, 1924; J. C. Glenzdorf – F. Treichel, Henker, Schinder und arme Sünder 1, 1970; R. Bletschacher, Der Grasel. Chronik eines Räuberlebens, 1995; H. Hitz, Johann Georg Grasel – Räuber ohne Grenzen, 1999; W. Brandstetter – W. Platzgummer, Grasels Raubüberfälle und Bluttaten im Spiegel der Verhörprotokolle des Wiener Kriminalgerichtes und des Stabsauditoriats zu Wien, 2004; W. Platzgummer – Ch. Zolles, J. G. Grasel vor Gericht. Die Verhörsprotokolle des Wiener Kriminalgerichts und des Kriegsgerichts in Wien, 2013; W. Sabitzer, „Schinder“ und Räuberhauptmann, in: Öffentliche Sicherheit, Nr. 9–10, 2015, S. 43ff.

(Werner Sabitzer)

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