Grete Mecenseffy (1898–1985) – Erforscherin der Protestantismus- und Täufergeschichte

Am 9. August 2023 jährt sich zum 125. Mal der Geburtstag von Margarethe Mecenseffy, die in den Nachkriegsjahrzehnten bis kurz vor ihrem Tod maßgebliche Forschungsarbeit zur Protestantismus- und Täufergeschichte leistete. Bis ins hohe Alter blieb die erste Dozentin an der Wiener Evangelisch-Theologischen Fakultät ein „zukunftsorientierter Mensch“.

Grete Mecenseffy entstammte einer großbürgerlichen protestantischen Familie: Ihr Vater war Generalstabsoffizier Artur Edler von Mecenseffy, der als Feldmarschallleutnant im Ersten Weltkrieg in Venetien fiel. Ihr Großvater väterlicherseits, der Bankfachmann Emil von Mecenseffy, wurde für seine Verdienste als Generalsekretär der Oesterreichisch-Ungarischen Bank nobilitiert. Der Großvater mütterlicherseits Moritz Thausing wiederum wirkte als Direktor der Wiener Albertina sowie als Universitätsprofessor für Kunstgeschichte und galt als Dürer-Experte. In Wien am 9. August 1898 geboren, wuchs Mecenseffy in verschiedenen Garnisonsstädten der Habsburgermonarchie auf und besuchte in Wien, Bozen und Prag die Volks- und Mittelschule sowie in Wien das Realgymnasium der Pädagogin Eugenie Schwarzwald.

Wissenschaftlicher Einstieg als Historikerin

Nach der Externistenmatura am Akademischen Gymnasium in Wien 1917 studierte Mecenseffy Germanistik, Geschichte und Geographie in Wien und wurde mit einer von Alfred Francis Přibram angeregten Arbeit über die Beziehungen Englands zu Österreich-Ungarn 1868–1871 im Jahre 1921 zur Dr. phil. promoviert. Ihre Intelligenz, Eloquenz und ihr Ernst beeindruckten ihren Studienkollegen Friedrich Engel-Janosi, der in seinen Lebenserinnerungen einen äußerst kritischen Vortrag Mecenseffys über Otto von Bismarck erwähnt. Sie absolvierte die Lehramtsprüfung für die Fächer Deutsch, Geschichte und Geographie (1923) und widmete sich von 1923 bis 1945 dem Lehrberuf an verschiedenen höheren Mädchenschulen in Wien. Nebenbei betrieb sie weitere Archivstudien in Wien, 1928/29 in Paris, London und vor allem in Madrid, die darauf hinweisen, dass sie eine wissenschaftliche Laufbahn anstrebte. Daraus erwuchsen mehrere Monographien: über Karls VI. spanische Bündnispolitik 1725–1729 (1934), zu Johann Weikhard Fürst Auersperg („Im Dienste dreier Habsburger“, 1938) und eine Darstellung der Beziehungen zwischen den spanischen und österreichischen Habsburgern im Dreißigjährigen Krieg, für die sie 1944 den Preis des Ibero-Amerikanischen Instituts in Hamburg verliehen bekam (publiziert 1955 unter dem Titel „Habsburger im 17. Jahrhundert. Die Beziehungen der Höfe von Wien und Madrid während des Dreißigjährigen Krieges“). Damit hatte sie sich den Ruf einer Spezialistin der österreichisch-spanischen Beziehungen erworben und galt als habilitationswürdig. Dazu kam es aber aus Mangel an akademischer Unterstützung (ihr Mentor und Doktorvater Přibram war 1939 nach Großbritannien emigriert) nicht. Als Nebenfrucht ihrer intensiven Beschäftigung mit dem iberischen Raum entstanden ein Erinnerungsbuch an das alte Spanien (1946) sowie ein Spanisch-Lehrbuch (1947).

Fachliche Umorientierung nach Kriegsende

Mit Wirkung vom 24. Jänner 1946 wurde Mecenseffy im Rahmen der Entnazifizierung ihres Schuldiensts enthoben und 1948 in den Ruhestand versetzt, weil sie während der NS-Zeit eine „einwandfreie österreichische Gesinnung“ habe vermissen lassen. Ihre Erwiderung, sie sei niemals der NSDAP beigetreten, blieb wirkungslos, denn ihre NS-Begeisterung war manifest geworden. Im Zuge eines Gesinnungswandels arbeitete sie zunächst als Dolmetscherin bei der britischen Militärregierung (1945–1947), sodann wandte sie sich dem Studium der evangelischen Theologie zu, das sie 1947–1950 in Wien und Zürich absolvierte. Zwei Semester nahm sie am Hauptseminar des Systematikers Karl Barth in Basel teil. Damit hatte sie ihr leidenschaftliches Interesse für die Historie, das ihre erste Lebenshälfte dominierte, aber keineswegs preisgegeben, sondern vielmehr modifiziert, gewiss auch vertieft. Sie wandte sich nunmehr mit demselben Ernst und Eifer der Christentumsgeschichte zu und widmete dieser ihre zweite Lebenshälfte. Innerhalb kürzester Zeit erwarb sie den Grad Dr. theol. mit einer reformationsgeschichtlichen Arbeit über das evangelische Glaubensgut in Oberösterreich (Promotion am 22. Mai 1951).

Pionierin an der Wiener Evangelisch-Theologischen Fakultät

Nach knapp einem Jahr habilitierte sich Mecenseffy für das Fach Kirchengeschichte (1952), ebenfalls mit einer Arbeit über die Reformationsgeschichte Oberösterreichs, nämlich die beiden Städte Freistadt und Steyr und deren Ratsbürger im 16. Jahrhundert. Rasch erweiterte sich das Blickfeld der ersten weiblichen Dozentin an der Evangelisch-Theologischen Fakultät, die 1951/52 als visiting lecturer am Theologischen Seminar in Princeton (New Jersey) wirkte. Die Wiener Fakultät konnte ihre Mitarbeit nur durch einen Lehrauftrag honorieren, ein ins Auge gefasstes Extraordinariat blieb unerreichbar. 1958 wurde ihr immerhin der Berufstitel ao. Univ.-Prof. und 1965 der Titel einer Ordinaria verliehen. Damit wurde ihre engagierte Tätigkeit im Rahmen der Fakultät und der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich gewürdigt. In deren Jahrbuch veröffentlichte sie eine Vielzahl an Beiträgen und trug damit wesentlich zum hervorragenden Ruf dieses seit 1880 erscheinenden Organs bei. Sie galt aufgrund ihrer 1956 erschienenen „Geschichte des Protestantismus in Österreich“ als dessen maßgebliche Historiographin.

Im Rahmen der Evangelischen Kirche H.B. nahm sie über viele Jahre redaktionelle und synodale Aufgaben wahr und wirkte etwa in der Redaktion des Reformierten Kirchenblatts (1954–1972), für das sie zahlreiche Artikel verfasste. Als langjähriges Mitglied der Synode H.B. und der Generalsynode der Evangelischen Kirche A.B. und H.B. setzte sie sich vehement für die Frauenordination und die kirchenrechtliche Gleichstellung von Theologinnen ein. Selbst wurde sie 1966 als eine der Ersten zum geistlichen Amt ordiniert.

Als 1958 im burgenländischen Oberschützen eine evangelische Lehrerbildungsanstalt wiedereröffnet wurde, die an die von Gottlieb August Wimmer begründete Schultradition anknüpfte, stellte Mecenseffy ihre pädagogische und organisatorische Kompetenz in den Dienst dieser Anstalt und übernahm in einer kritischen Phase sogar deren Leitung.

Die Täuferbewegung als Forschungsschwerpunkt

Seit Mecenseffy durch den Kirchenhistoriker Fritz Blanke im Zürcher Kirchenhistorischen Seminar mit noch nicht edierten Täuferakten konfrontiert worden war, galt den von Luther abwertend „Anabaptisten“ Genannten ihr besonderes wissenschaftliches Interesse. Schon in ihrer Dissertation hatte sie von diesen behauptet, sie seien „die wahre Volksbewegung der Reformation“ gewesen. Ihre Bemerkung, es sei „die große Tragik unserer Reformationsgeschichte“ gewesen, „dass sich Luther so scharf gegen die Schwarmgeister (…) gestellt hat“, hat ihr denn auch einen Tadel in der Rezension des Ordinarius für Kirchengeschichte Wilhelm Kühnert eingetragen. Ein Fulbright-Stipendium ermöglichte ihr einen Forschungsaufenthalt am Mennonite College in Goshen (Indiana), wo sie gemeinsam mit Robert Friedmann die Edition der österreichischen Täuferakten vorbereitete. Ausgehend von Vorarbeiten von Paul Dedic veröffentlichte sie 1964–1983 drei einschlägige Quellenbände und beteiligte sich zudem an der Edition von oberdeutschen Glaubenszeugnissen. Damit und begleitet durch viele Studien zum Täufertum im Alpenraum, ganz zu schweigen von den Beiträgen für das Mennonitische Lexikon und die Mennonitische Enzyklopädie, hat sie dem „linken Flügel der Reformation“ ein bleibendes Denkmal gesetzt. Dafür sind ihr auch besondere Ehrungen zuteilgeworden: Die Universität Bern verlieh ihr das theologische Ehrendoktorat (1965) und unterstrich damit den internationalen Rang ihrer Forschungen, der österreichische Bundespräsident das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Forschung I. Klasse (1982). Dass die Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich ihrem langjährigen Vorstandsmitglied (seit 1959) und ihrer Vizepräsidentin (1961) die Ehrenmitgliedschaft verlieh (1983), versteht sich von selbst.

Anlässlich ihres 85. Geburtstags wurde ihr die Festschrift „Evangelischer Glaube und Geschichte“ (1984) gewidmet. Diese Festgabe und das Erscheinen des dritten (gemeinsam mit Matthias Schmelzer erarbeiteten) Quellenbands zur Geschichte der Täufer in Österreich konnte sie noch in gewohnter geistiger Frische und Vitalität entgegennehmen, doch über die letzten Jahre fiel ein Schatten: Nach einem Verkehrsunfall musste sie in das Evangelische Alten- und Pflegeheim Zoar in Gallneukirchen übersiedeln, wo sie ihren Lebensabend verbrachte und am 11. September 1985 verstarb. Die kirchliche Einsegnung fand am 20. September 1985 auf dem Zentralfriedhof in Wien statt. Die Urnenbeisetzung erfolgte in aller Stille auf dem Friedhof Döbling.


Weitere Werke (siehe auch Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 99, 1983, S. 33ff.; Raddatz – Lüthi, 1984, S. 11ff.; Kümper, 2009, 136ff.): Die Beziehungen Englands zu Österreich-Ungarn von 1868–1871, phil. Diss. Wien, 1921; Karls VI. spanische Bündnispolitik 1725-1729. Ein Beispiel zur österreichischen Außenpolitik des 18. Jahrhunderts, 1934; Wiener Erinnerungen an das alte Spanien, 1946; Jetzt kann ich Spanisch. Handbuch zur Vervollkommnung der Kenntnis der spanischen Sprache, 1947; Evangelisches Glaubensgut in Oberösterreich. Ein Beitrag zur Erschließung des religiösen Gehalts der Reformation im Land ob der Enns, theol. Diss. Wien, 1951; Zwei evangelische Städte und ihre Ratsbürger. Freistadt und Steyr im 16. Jahrhundert, theol. Habil. Wien, 1952; Geschichte des Protestantismus in Österreich, 1956; Quellen zur Geschichte der Täufer 11: Österreich 1, 1964, 12: Österreich 2, 1972, 14: Österreich 3 (gem. mit Matthias Schmelzer), 1983; Evangelische Lehrer an der Universität Wien, 1967; Die evangelischen Kirchen Wiens, 1980 (gemeinsam mit H. Rassl).


Literatur: L. Gross, in: Evangelischer Glaube und Geschichte. Grete Mecenseffy zum 85. Geburtstag, ed. A. Raddatz – K. Lüthi, 1984, S. 75ff.; K. Schwarz, in: Südostdeutsches Archiv 28/29, 1985/86, S. 181ff.; A. Raddatz, in: Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 103, 1987, S. 145ff.; R. Leeb, in: Zeitenwechsel und Beständigkeit. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien 1821–1996, ed. K. Schwarz – F. Wagner, 1997, S. 13ff.; A. Raddatz, in: Wiener Jahrbuch für Theologie 3, 2000, S. 217ff.; G. Reingrabner, in: Wiener Jahrbuch für Theologie 3, 2000, S. 223ff.; M. Friedrich, in: Wissenschaftlerinnen in und aus Österreich, ed. B. Keintzel – I. Korotin, 2002, S. 500ff.; B. Mazohl-Wallnig, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 110, 2002, S. 150ff., besonders S. 171ff.; F. Fellner – D. A. Corradini, Österreichische Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, 2006, S. 276f.; Karl W. Schwarz, in: Historikerinnen, ed. H. Kümper, 2009, S. 133ff.; A. v. Schlachta, Grete Mecenseffy, in: Mennonitisches Lexikon (MennLex ). Online-Version (Zugriff 24. 7. 2023); Universitätsarchiv Wien.

(Karl W. Schwarz)

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