Ernst Ludwig - ein Meister der analytischen Chemie

Am 19. Jänner 2017 jährt sich der 175. Geburtstag des Chemikers Ernst Ludwig, der wesentlich zur Etablierung des chemischen Unterrichts für Mediziner beitrug.

Ernst Ludwig wurde am 19. Jänner 1842 als zweiter Sohn des Webermeisters, Kunstwebers und ab 1860 Flachsgarnspinnerei- sowie Gutsbesitzers Ernst Stanislaus Ludwig (geb. 1809) und der Waldburga Ludwig, geborene Steiner (geb. 1810), im österreichisch-schlesischen Freudenthal, dem heutigen Bruntál, geboren und im römisch-katholischen Glauben erzogen. 1879 heiratete er Karoline Barbara Wild (1847-1915). Von seinen sieben Kindern ist die Physikerin und Atomforscherin Helene Souczek (1881-1940) bekannt.

In den Fußstapfen von Redtenbacher, Bunsen und von Baeyer

Nach Absolvierung der Gymnasial-Unterstufe in Troppau begann Ludwig auf Wunsch seines Vaters als Lehrling in der Engelapotheke, deren Besitzer Adolf Hancke, zugleich Professor der Chemie an der Oberrealschule in Troppau und Gerichtschemiker, sich seiner annahm und ihm 1856-61 eine fundierte pharmazeutische Ausbildung zuteil werden ließ. Hancke ermunterte den Knaben aber auch, seine Gymnasialausbildung fortzusetzen, so dass dieser neben einer Berufsausbildung das Maturazeugnis erwarb. 1861 übersiedelte Ludwig nach Wien, um sein Studium der Chemie und Pharmazie, unter anderem bei Josef Redtenbacher, aufzunehmen. Während seines Studiums gehörte er zunächst der Burschenschaft Silesia, dann der Burschenschaft Alemannia Wien an. 1863 graduierte er zum Magister der Pharmazie, 1864 wurde er zum Doktor der Chemie promoviert. Bereits 1865 als Privatdozent für analytische und organische Chemie an der Universität Wien habilitiert, vertiefte Ludwig seine Ausbildung zunächst bei Robert Wilhelm Bunsen in Heidelberg (1867/68), wo er seine Geschicklichkeit im analytischen Arbeiten intensivierte, und anschließend bei Adolf von Baeyer in Berlin (1868/69), wo er sich insbesondere mit der Kohlenstoffchemie befasste. 1869 kehrte Ludwig nach Wien zurück und erhielt eine Anstellung als Professor für analytische und organische Chemie an der Wiener Handelsakademie. Hier konnte er neben seinem Fachwissen auch seine glänzenden pädagogischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Während dieser bis 1874 ausgeübten Tätigkeit wurde Ludwig 1872 zum außerordentlichen Professor an der philosophischen Fakultät sowie 1874 zum ordentlichen Professor für medizinische Chemie an der medizinischen Fakultät der Universität Wien ernannt. In der Folge erhielt Ludwig das Ordinariat für angewandte medizinische Chemie und wurde Vorstand des pathologisch-anatomischen Laboratoriums des Allgemeinen Krankenhauses in Wien. Zunächst hatte er mit einigen Schwierigkeiten vor allem infrastruktureller Natur zu kämpfen, denn die Unterbringung seines Laboratoriums innerhalb des pathologisch-anatomischen Instituts war zwar nur als Provisorium gedacht, aber man hatte ihm einen Neubau zugesichert. Erleben durfte er die Erfüllung dieses Versprechens bis zu seiner Emeritierung 1913 jedoch nicht. Auch gegen die Person Ludwig wurde anfänglich eine heftige Kampagne geführt, schien er doch als Chemiker in medizinischen Fachkreisen nicht für die Besetzung geeignet. Aber es gelang ihm rasch, seine Gegner zu überzeugen. Heute gilt Ludwig als Begründer der chemischen Schule, dem es gelang, eine Vielzahl von jungen Studenten mit seiner Redekunst und Experimentierfreudigkeit zu begeistern, sodass ein Großteil der medizinischen Chemiker in den letzten Jahrzehnten der Monarchie aus seinem Institut hervorgegangen war. Ludwig war bekannt für seine Gründlichkeit und Genauigkeit. Kein Wort, keine Zahl gingen aus seinem Laboratorium hinaus, ehe sie nicht vollkommen sichergestellt waren und jede Methode musste, ehe sie in die Praxis umgesetzt werden durfte, im Labor exakt geprüft werden.

Als Lehrer wegen seiner klaren und einfachen mit Experimenten unterstützen Darstellung der oft komplexen und komplizierten Vorgänge beliebt, kümmerte sich Ludwig auch persönlich um das Schicksal seiner Studenten. Sein Verdienst um den Verein zur Pflege kranker Studenten ist nur ein Beispiel seiner Sorge um das Wohl der Studentenschaft.
Neben seinen Lehr- und Forschungsaufgaben hatte Ludwig die Funktion eines Chemiker-Sachverständigen in gerichtsmedizinischen Fragen am Landesgericht Wien inne.

1886/87 und 1890/91 war er Dekan der medizinischen Fakultät, im Studienjahr 1892/93 wurde er zum Rektor der Universität Wien gewählt. In seiner Inaugurationsrede „Chemie und Rechtspflege“, betonte er die Chemie als einer der nützlichsten Wissenschaften, denn „in fast allen Gebieten menschlicher Thätigkeit hat sie helfend und fördernd gewirkt.“ Besonders hob er die Bedeutung der gerichtlichen Chemie hervor, weil sie der Rechtspflege und -sprechung wertvolle Dienste leistet. Chemie und Rechtspflege gewinnen durch ihre Beziehungen Vorteile: „Die zunehmende Exactheit der analytischen Methode lässt in dem bisherigen Entwicklungsgange die Lösbarkeit immer schwieriger werdender Fragen des Richters erkennen und ebenso für die Zukunft voraussehen“, womit es ihm auch gelang, die Gerichtsmedizin auf eine in der medizinischen Chemie fußende wissenschaftliche Grundlage zu stellen.

Die Analyse ist die Grundlage alles chemischen Wissens und Könnens

Wissenschaftlich befasste sich Ludwig vor allem mit der analytischen Chemie. Er publizierte eine große Anzahl an Werken über Schwefelallyl, Trimethylamin im Wein, Antiarin und Vorkommen von Pepton im leukämischen Blut, die vorwiegend in den „Sitzungsberichten der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften“ in Wien, in Justus Liebigs „Annalen der Chemie und Pharmacie“, in „Tschermaks Mineralogischen und Petrographischen Mitteilungen“ und in der „Wiener klinischen Wochenschrift“ veröffentlicht wurden. Bereits während seines Studiums hatte sich eine enge Freundschaft zu Gustav Tschermak Edler von Seysenegg  entwickelt, die nun in einer Arbeitsgemeinschaft gipfelte und für den Fortschritt in der Wissenschaft äußerst bedeutsam war. Sie bewirkte einerseits, dass fast alle österreichischen Mineralogen Ludwigs Schüler waren, andererseits waren Ludwigs präzise Analysen Ausgangspunkt für die grundlegenden Untersuchungen Tschermaks über die Silikatgesteine. In Zusammenarbeit mit Tschermak entstanden die Mischungsgesetze für einige der wichtigsten Mineralgruppen, so der Epidot-, der Glimmer-, der Chlorit-, und der Skapolithgruppe. Gemeinsam analysierten sie die Eruptivgesteine Österreichs, später untersuchten sie die Gesteine des Waldviertels sowie der Zentralalpen. Darüber hinaus erstreckten sich Ludwigs Arbeiten auf die Gebiete der Heilquellen- und Mineralwässeranlagen, er verfeinerte die Methoden der Mineral- und Heilquellenanalyse und bald galt er in der gesamten Monarchie als Autorität auf diesem Gebiet. Besonders interessant erscheinen Ludwigs Untersuchungen der Karlsbader Thermen und der bosnischen Mineralquellen. Diesbezügliche Publikationen erschienen auch in ungarischer, italienischer und serbokroatischer Sprache. Von seinen präparativen Arbeiten sei eine Darstellung des Hydroxylamins durch direkte Einwirkung von Wasserstoff auf Stickoxyd erwähnt. Ludwig führte das erste genaue Verfahren zur Bestimmung des Stickstoffs im Harn ein, untersuchte die Stoffe Quecksilber, Arsen, Blausäure, Eisen sowie Chrom und analysierte Tabakrauch. Seine Methode mittels Magnesiamixtur und ammoniakalischer Silberlösung quantitativ exakt die Harnsäure zu bestimmen, wurde zum Standardverfahren bei der Untersuchung des Purinstoffwechsels. Seine intensive Befassung mit der Nahrungsmittelchemie bewirkte Ludwigs maßgeblichen Einfluss an der Ausarbeitung des Lebensmittelgesetzes von 1896 sowie der 8. Ausgabe der „Österreichischen Pharmakopoe“ (1906), wobei ihm dabei vor allem seine pharmazeutische Ausbildung zugute kam.

Zu seinen Hauptwerken zählen seine 1885 publizierte „Medicinische Chemie in Anwendung auf gerichtliche, sanitätspolizeiliche und hygienische Untersuchungen…“ (2. Auflage 1895) sowie das „Lehrbuch der Chemie für Aspiranten der Pharmazie in fünf Bänden. 2. Chemie“ (1911, 3. Auflage bearbeitet von Gustav Mossler 1920). Ludwig starb am 14. Oktober 1915 in Wien.

Für seine Verdienste vielfach ausgezeichnet wurde Ludwig 1877 zum korrespondierenden, 1906 zum wirklichen Mitglied der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien gewählt, 1892 wurde er Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina. Darüber hinaus war er unter anderem Mitglied der naturwissenschaftlichen Gesellschaft in Jassy, der Mineralogical Society of Great Britain and Ireland, Ehrenmitglied des österreichischen Apotheker-Vereines, der österreichischen pharmazeutischen Gesellschaft, des Vereines der Ärzte in Schlesien und des rumänischen Apotheker-Vereines in Bukarest sowie Superintendant der Stuppan’schen, Smetana’schen und Wattmann’schen Universitäts-Stipendien-Stiftungen. 1889 erhielt er den Hofratstitel. Ab 1892 Herrenhausmitglied, war er Mitglied des Obersten Sanitätsrats, als deren Präsident er 1910 fungierte und Einfluss auf das öffentliche Gesundheitswesen nehmen konnte. 1884 erhielt den Orden der Eisernen Krone III. Klasse, 1897 wurde er Komtur, 1912 Komtur mit Stern des Franz Joseph-Ordens. Die Betätigung als physiologischer und pathologischer Chemiker führte 1882 zur Verleihung des Ehrendoktorats der Medizin an der Universität Wien.


Weitere Werke: s. Eisenberg.


Literatur (Auswahl): Wiener Zeitung, 15. 10. 1915 (Abendausgabe), Neue Freie Presse, 15., 19. 10. 1915 (Abendblatt); Ludwig Eisenberg, Das geistige Wien. Künstler- und Schriftsteller-Lexikon 2, 1893 (mit Werkverzeichnis); Archiv für Chemie und Mikroskopie 8, 1915, S. 147; Österreichische Chemiker-Zeitung 18, 1915, S. 183; Theodor Panzer, Ernst Ludwig, in: Wiener medizinische Wochenschrift 65, 1915, Sp. 1593f., 1825ff.; Almanach der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 66, 1916, S. 323ff.; J. Mauthner, Ernst Ludwig, in: Die feierliche Inauguration des Rektors der Wiener Universität für das Studienjahr 1916/17, 1916, S. 32ff.; Leopold Schönbauer, Das Medizinische Wien. Geschichte Werden Würdigung, 1947, s. Reg.; Erna Lesky, Die Wiener medizinische Schule im 19. Jahrhundert, 1965, s. Reg.; Österreichisch Biographisches Lexikon 1815-1950, 5, 1972; Deutsche Apotheker-Biographie 1, ed. Wolfgang-Hagen Hein – Holm-Dietmar Schwarz, 1975; Friedrich Berwerth, Ernst Ludwig zum Gedächtnis, in: Altvater Jahrbuch, 1981, S. 36ff.; Theresia Mayerhofer, Der Lehrkörper der Philosophischen Fakultät von 1848 bis 1873, phil. Diss. Wien 1982, S. 172ff.; Alois Kernbauer, Das Fach Chemie an der Philosophischen Fakultät der Universität Graz, 1985, s. Reg.; Felix Czeike, Historisches Lexikon der Stadt Wien 4, 1995; Anton Holasek – Alois Kernbauer, Biochemie in Graz, 1997, s. Reg.; Universitätsarchiv Wien (mit Bild).

(Daniela Angetter)